Volker Braun

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Volker Braun DIE ZUKUNFTSREDE
Rose Sommer* Volker Braun: Das Eigentum
Volker Braun Das Eigentum – Abschied und Auflehnung
Literatur der „Übergangsgesellschaft“. Untersuchungen zum Werk Volker Brauns –vor und nach der Wende (1981-1992 )
Volker Braun: Fragen eines regierenden Arbeiters
Zornige Klagen, scharfe Fragen

In der zum gigantischen Supermarkt verkommenen neuen Gesellschaft mit ihrem „fundamentalismus der fun-gesellschaft“ und deren Fixierung auf „shoppen und ficken“ ist alles, auch die Kunst, käuflich.

die frühen Sozialismen sind vielleicht gescheitert, die Aufbrüche versandet, die Utopien aufgebraucht für ein paar milde Jahrhunderte. ABER, IHR TRÄUMER, GLAUBT IHR
WIRKLICH, DER ZERFALL DES HISTORISCHEN KOMMUNISMUS HABE DEM BEDÜRFNIS
NACH GERECHTIGKEIT EIN ENDE GESETZT?

mansf
Zwölf Artikel von Memmingen

Das Eigentum
Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen.
KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN.
Ich selber habe ihm den Tritt versetzt.
Es wirft sich weg und seine magre Zierde.
Dem Winter folgt der Sommer der Begierde.
Und ich kann bleiben wo der Pfeffer wächst.
Und unverständlich wird mein ganzer Text
Was ich niemals besaß wird mir entrissen.
Was ich nicht lebte, werd ich ewig missen.
Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle.
Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle.
Wann sag ich wieder mein und meine alle.

Lustgarten, Preußen
Ein Bett, breit, um süß zu nächtigen.
Ein Tisch, und Stühle. Rotwein. Brot.
Arbeit und Freiheit ungeteilt.
Geht mir aus der Sonne, ihr Mächtigen.

tumulus
Salute Barbaren Neue Gedichte von Volker Braun
Volker Braun, Tumulus. Gedichte. (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1999)
Volker Braun LAGERFELD
DER TOTENHÜGEL

LAGERFELD
Rom: offene Stadt Ein Feldlager
Auf dem Laufsteg defiliert die Mode
Der Jahrtausendwende Panzerhemden
Für den Beischlaf Zwei Gladiatoren
Kämpfen um den Arbeitsplatz mit Würgegriffen
Eine alte Übung, die Beifall findet
Dafür haben sie die Schule besucht ER ODER ICH
Der Gestank der Angst In seinem Imperium
Erfüllt sich Lagerfeld einen Traum EIN RUDEL
FRAUEN AUSGESUCHTE SCHÖNHEITEN
Die Winterkollektion für die Daker-Kriege
Hat ihn reich gemacht ZUM ABGEWÖHNEN
Sie tragen meine Ideen, es sind Sommerkleider
In die verwöhnte Welt Ein Fest der Schönheit
Helena Christensen im Abendkleid Die beiden
Handwerker lassen indessen nicht locker
Der eine ist Commodus, der ausgelassene Sohn
Eines gelassenen Vaters und Fehltritt der Mutter
Wenn er verröchelt steht der Thron leer
Und Septimius Severus der Afrikaner
Marschiert mit der XIV. aus der Wildnis Wien
Auf die Hauptstadt ARMES ROM Ein Barbar
Imperator An seinen Fersen der Rest der Welt
Lagerfeld schaut nicht hin Er hat ein Problem
Er kann sie schöner machen, aber nicht besser
Immer noch schöner Das Outfit der Bestien
ARM UND REICH Eine geteilte Kundschaft
ES IST GRAUENHAFT Bezahlen und stehlen
Ich genieße das ungeteilte Interesse Aber
Er weiß was vor sich geht, er ist ja nicht blind
Der fünfzehnjährige Killer aus Springfield
EIN LEICHENBERG IN DER CAFETERIA DER HIGH SCHOOL
Er hat gelernt Hand anzulegen
Sitzt in Papierkleidern in Gewahrsam
Auch eine Mode Aus Amerika Kinderbanden
Durchkämmen Nordrhein-Westfalen Lehrlinge
Auf der Nahrungssuche bei Woolworth und Hertie
Ein fingerfertiger Völkerstamm aus der Zukunft
In den Arbeitsämtern wartet das Aas
Auf die Wiederverwendung Es kann lange warten
Wer Arbeit hat wartet die Automaten
Sie warten darauf, etwas warten zu dürfen
Legionen Während die Welt schwarz wird
Wie Afrika MAN DARF GEWALT NICHT NUR ANKÜNDIGEN
MAN MUSS SIE AUCH AUSÜBEN Das auswärtige Amt
Erklärt sich mit inwendigem Grinsen
Zu Bosnien Man wird euch zeigen was Arbeit ist
Eine Maschine mit Gliedmaßen geschlechtsneutral
Das Mannequin für die Arbeit von morgen
AM ENDE DES TAGES BIST DU EIN PRODUKT
Das Denken ist genau das was ich vermeide
Das täglich bedruckte Papier
Der Gewahrsam gegen den Selbstmord der Gattung
Ich lese es nicht, ich schaue nicht hin
Ein Theater gefüllt mit Gleichmut
DER EINZIGE ORT WO ES WOHLTUT
VERZWEIFELN Der ausgelassene Kleist
In Stimmings Krug MEINE GANZE JAUCHZENDE SORGE
EINEN ABGRUND TIEF GENUG ZU FINDEN legt Hand an
Ein Doppelpunkt bei Potsdam Das Warten auf nichts
Das ist das Drama: es gibt keine Handlung
Wir wissen es anders und handeln nicht Nein
Wir können nicht anders Das Kleid
Ist angewachsen MAN ARBEITET HEUT ZU TAGE
ALLES IN MENSCHENFLEISCH Aber sie dauert
Sehen Sie Commodus, ein Tod von der Stange /
Lagerfeld oder Die Gelassenheit Er
Liebt nicht die Schönen, die er haben kann Sein Herz
Sucht die Schönheit überall Die Schönheit
Ist ein Sohn der Gosse Sie ist vorbestraft
Sehn Sie den Steckbrief, schwarze Haut
Ich genieße den Luxus, ausgestoßen zu sein
Ein Idiot im 3. Jahrtausend Ein Bürger der Welt
Helena Christensen verläßt den Laufsteg
Warum soll ich Mode werden
In der Wegwerfgesellschaft
Das Stadion voll letzter Schreie Ideen
Roms letzte Epoche des Unernsts
Sehn sie nun das Finale ICH ODER ICH
Salute, Barbaren

DER TOTENHÜGEL
Cäsar sah fern vom Tumulus
Der Seeschlacht zu Barbarenschiffe Angstschweiß
Eines Großen der Geschichte macht Es kam dann
Auf die Tapferkeit an
und Sichelstangen
Die die Rahen herunterrissen samt den Ledersegeln
BELLUM GALLICUM der gewohnte Golfkrieg
Vor den Augen des Landheers im Küstenkino
Und die Windstille
So entstehen Weltreiche / Ich sah sie fallen
Auf seinen Knochen stehnd dem Führerbunker
Grotewohlstraße im anderen Deutschland
Der überraschende Landwind in den Korridoren
Ein Lidschlag der Geschichte gegen die Verblendung
Taumelzaudernd DER TANZ AUF DER MAUER
Die Mauerspechte mit den kleinen Hämmern
Die Volksarmee sah zu das Heer der Arbeitslosen
Eine Minute in Meiner Zeit

Pressestimmen
»Wer Volker Braun – den Dialektiker unter den gegenwärtigen Dichtern – seit seinem Debüt mit Provokation für mich von 1975 zu schätzen gelernt hat, wird auch zu diesem Band greifen, der aber auch in der Handbibliothek derer seinen Platz finden sollte, die von Gedichten erwarten, dass sie eingreifen, stören und Widerspruch leisten.«
Michael Opitz, Deutschlandradio Kultur 16.09.2016
»Brauns Gedichte wollen … Begleiter sein für die Unbehausten, ein Ort zum Denken,
an dem man unterkriechen kann in diesen schlechten Zeiten.«
Ronald Weber, junge Welt 29.09.2016
»In den Gedichten der neuen Sammlung Handbibliothek der Unbehausten scannt der Autor Volker Braun die Gegenwart. Seine Lyrik ist hochpolitisch, ruhestörend, zugleich
tief persönlich.«  nordkurier.de 10.10.2016
»Brauns Gedichte im Band Handbibliothek der Unbehausten sind düstere ›Psalmen der Aktualität‹ – wie der Untertitel seines Rimbaud-Essays lautet. Sprachmächtig greifen sie weit aus und zielen mitten hinein in problematische Zonen unserer Tage. […] Braun zählt zu den wortmächtigsten Lyrikern der Gegenwart.«
Beatrice von Matt, Neue Zürcher Zeitung 18.11.2016

BESTIMMUNG
Ja, mein Sehnen geht ins Ferne
Wo ich heitre Dinge treibe.
Doch bestimmen mich die Sterne
Daß ich fest am Boden bleibe.
Und so gern ich mich erhebe
Zieht mich eine Last nach unten
Eingenäht in mein Gewebe
Hat sie ihren Ort gefunden.

DIE BEFUNDE
Abgemagert mein Leib, er weiß mir den Grund nicht zu sagen
Hart ragt das Sternum heraus, unten am Brustbein der Rist.
Wie sich ein weicher Busen daran befestigen könnte
Der mein Blut beschleunt; fest wie für ewig vertäut.
Und die Seele, auch sie, fühlt sich wie vom Fleisch gefallen
Zwangsernährt von dem Schrott. Bring ich sie durch und womit.
Schon ein liebliches Bild, sie weiß es, würde sie laben
Ruhig vor sie gestellt; sättigen mit einem Blick.

DER ÜBERFLUSS
Glutender Sommer. Die Äste brechen von Äpfeln
In jedem Kriebsch sitzt der Wurm und wird vom Wege gekickt.
So der Weltfuß geht am Morgen über die Wiesen
Und dein Leben und Leib wird in die Büsche versenkt.
Wo ist dein Ziel? Kein Ziel. Dann sage den Grund mir.
Ich versinke darin. Er ist wie Schlamm mir im Mund.

VERLEGUNG EINES MITTLEREN REICHS
Nach Fritz Rudolf Fries
Am Morgen ist das Licht wie gelbe Butter
Tropenhitze um halb acht, das Hemde
Naß klebt am nassen Leib, aha:
Der Klimawandel. Vor der Türe
Das Gras hüfthoch, der Lattich mannshoch
An den Chausseen Eukalyptusbäume.
Der Regionalverkehr verläuft im Farn.
Wir blicken noch mit runden Augen in
Den Niederbarnim: Reis und Auberginen.
Ein grüngelacktes Grün bepißt
Von Flachgesichtern, genial an Zahl.
Es war hier eine Menschheit eingesickert
Und macht sich zu schaffen in den Vorgärten
Hyäzinthenfelder! In unsrer Kleinanlage
Platz für Massen, ihre Massen-Ware
Liegt längst in den Läden, faulige Eier.
Wir waren gar nicht auf die Welt gefaßt.
In meiner Laube in der Mittagsschwüle
Deutet mir ein Dutzend Mann den Erdkreis
Nämlich ganze Völker, Staaten sterben
Wenn sie nichts Unerfülltes in sich fühlen
Erwartungslos Europa, Resterampe
Eurasiens. Am Nachmittag, das Wetter-
Glas kocht, General Li-weng
Marschiert in Malchow ein, verspüren
Wir einmal noch was wie die alte Logik.
Der Mann im Turm gefangen unbeweglich
Inoffizieller Informant: Beschreiber
Seiner Befreier also war er selber
Der arme Fritz auf seinem Wickeltisch
Sieht nun nah und Fernsehn alles eins.
Man glaubt nichts mehr und isset mit den Stäben

DAS WÜNSCHT ICH MIR:
DAS BRETTERHAUS AM TEICH
Am Ufer Schilf, Gewisper aus vier Winden.
Ein Pfad von nackten Sohlen eingemuldet.
Rollbilder an der Wand. Die alten Schriften.
Die Luft ziehnd mit den Zehen, stillesitzend
Auf meiner Matte trink ich deinen Tee
Die Kinder tuschen Zeichen in der Weltsprache.
Das Jahr der Wandlungen hat erst begonnen.

BEIJINGNAN RAILWAY STATION, DER ABSTIEG
Zum Taxi mit der Rolltreppe in die siedende Tiefe
Mit den Verdammten gesotten im Abgas, kein
Entkommen aus dem Laufstall das ist dein Ende
Bei der Atemkontrolle im 2. Dunstkreis der Hölle

Draußen der Himmel beräumt vor der Großen Parade
Fabriken im Ausstand Schönwetter erzeugend
Fabelarbeiter & Wanderwesen im Halbschlaf, und nur
Die Halbzahl darf den Meridian überfahren, Drachen
Schweben wie Riesenspermien in den Kunmingsee

BEIM WIEDERBETRETEN DER ZICKZACKBRÜCKE

Hier stand ich lächelnd wartend auf die Wende.
Gewiß, sie kam. Das Warten nimmt kein Ende.
Neun Biegungen, zunächst, sind einzuplanen
Die bösen Geister sitzen auf den Kranen.

Im Teehaus sitz ich, blickend in die Menge.
Der Zugang kurvenreich: und das Gedränge!
Der Wahre Weg, ihr geht ihn, Söhne Maos.
Die große Ordnung und das große Chaos.

CHIMERIKA

Das sagt die Regel: führe deinen Kampf
Als wär er kein Kampf. Bleibe weich und schmiegsam.
Sei es der Beischlaf oder die Weltmacht.
Die 2 Prinzipien: das Nicht-Tun und
Die Fehler macht der andre, laß ihn machen.
Gib nach wie ohne Flechsen, sei wie Wasser
Löse dich ganz im Gegner auf
Und kenne seine Schwäche: sie besiegt ihn.
Amerika, das fortgeschrittene
Wie um sein Leben fightend waffenstarrend
Wenn Chinas Schulter zuckt, liegt auf der Matte.

China, das zurückgebliebene China
Wird die Werkelbank des Westens
Der Herr kauft billig ein, Hosen und Hemde
Das er dem Knecht vom Leib zieht. Nämlich
Der auf großem Fuß lebt gibt sein Geld aus
Der Arme spart es und borgt es dem Reichen
Damit der kauft und bei ihm arm wird. China
Nur wer verliert gewinnt, es sitzt am Hebel
Das Lohngefälle! 1 : 20, saugt
Die Arbeitsplätze aus den Hochlohnländern
Die Handlungsfähigkeit der Herrschaft, welche
In der Welt wirtschaftete, verkümmert
Indes die seine wächst. Die schiere Größe
Verwandelt seine Schwäche mählich sprunghaft
Der Globus kehrt sich um, der Herrschaft Wesen
Ist, sagt Hegel, das Verkehrte dessen
Was sie sein will, und so auch die Knechtschaft
Wird das Gegenteil von dem, was sein soll:
Wer macht das Geschäft? Wer macht Geschichte.

100 Millionen T-Shirts sind 1 Airbus
Nach Kungfutse (und soviele Mädchen
: Millionen, gleichen einem Werbespot)
Wobei die Gleichung nicht den Wert plus Mehrwert
In Rechnung stellt sondern den Bruchteil
(Nicht ihre Schönheit sondern das Make-up)
Der in China abfällt (aufgeschminkt wird)
Was dieses China, heißt es, für das Ausland
(Und die Millionen: Mädchen Modefrauen)
Unwiderstehlich macht

China ist trinkfest, und Maotai der teure
70prozentig, gnädigenfalls 53
Der Oberste in der Nomenklatur der Schnäpse.
Jetzt wird nicht mehr erlaubt, den Fürchterlichen
Offiziell zu saufen. Vorgeschobne
Kostengründe, aber in Wahrheit
Die Entmachtung und der Preis fällt, prost
Und wir erheben uns
Um ihn zu vertilgen

Die Sonderwirtschaftszone. Wenn der schwere
Potente Mann sich zu der Jungschen hinlegt
Darf die sich dem, für die paar Bringsel, geben.
Sie sträubt sich rege, er macht sie lebendig.
Ein Fieber faßt ihn, für den frischen Körper.
Sie weiß nun, wie die Lust geht, und will mehr
Als der alte Hahn kann. Hingegeben
Übt sie sich, die Gespielin, sich bewegen
Und von dem Lager lächelnd steht die Frau auf.
Die Dialektik fickt die Logik, ungezügelt
Kippt sie das Bett aus mit den schmutzigen Laken.

Aus dem Schutt von dreißig abgerissenen Dörfern
Baut Wang Shu ein Museum
Halb ein Berg, halb eine Burg
Höhlen und Höfe, Schluchten und Wässer.
Das abgegriffene Material ist das kostbarste!
Als der letzte Stein gelegt ist und die Planen fallen
Sieht man das ungeheure
Neue. Die Alten streifen durch das Gemäuer
Und betasten die Wände, erschüttert
Die Ziegel ihrer Häuser zu finden
In der alt- und ungewohnten Landschaft.

TWEET
Juli in New York, Doktor Jeff Jarvis
Ißt Abendbrot, dazu die Breaking News
Das Geld verbrennt, die Weltwährung im Sinkflug.
Er schickt ein Tweet los: he, ihr Arschlöcher
Das ist mein Land, stop fucking with it! Er
Lehnt sich zurück. Er hat sich Luft gemacht
Da kommt ein Echo, #FUCKYOUWASHINGTON
Sein Vogellaut wird von dem Schwarm erwidert
Die Wut, getwittert, schwillt exponentiell.
Es ist unheimlich, er sitzt eingerollt
In der Lawine #FUCKYOUWASHINGTON
Die er, beim Abendessen, Asche kauend
Lostrat. Als Twitter ihm den Zugang
Sperrt wegen zu vieler Post zum Thema
Ist es schon nicht mehr seins, die Allgemeinheit
Schreit es zum Himmel, virtuell versammelt
August September, und es bebt die Wallstreet.

PRISM
Spähübel ist uns nun und weh vor Wut.
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut!
Ihr Dünkeldeutschen, seht jetzt wer ihr seid
Ich schwieg davon und sage es beiseit.
Die Welt geht hin, die Anschauungen folgen.
Wie harmlos lag der Blick auf unsern Wolken
Im Baltenmeer ein kinderfrohes Baden
Wave glider drunten sammeln meine Daten.

Kassensturz
Jetzt gehts ans Konto, an das Eingemachte.
Ich krieg die Krise, weil der Weltkreis krachte.
Wo ist nun unser Mut? das Aufbegehren?
Ihr zogt zuhauf und ließt die Seele reisen
Und wart das Volk. Jetzt soll ich Volker heißen
Und meinen Witz von unsrer Schwachheit nähren
Und Widerstand im Warenhaus bewähren.
Das ganze Leben warfen wir inn Handel
Wir glauben gerne, daß es sich verwandel
Die Seelenarbeit für den Mindestlohn.
Was sind wir noch zum Schein, was sind wir schon?
Ein Bettelvolk. Ich sags auch mir zum Hohn.

HYATT CANCUN CARIBE
Vor uns das Meer, ein unerschöpflich Schauen
Von unten infernalisch der Verkehr.
Der mittlere, des Lebens Lärm ist leer
Und überschrien von ungeheuren Pfauen.
Die Himmelbetten an den Strand gerückt
Die Hurrikane warten wildentzückt

DAS FÜTTERN DER FAHRZEUGE
Weil wir unsere Automobile
Mehr lieben als alles, werden sie versorgt
Mit dem Besten was wir haben. Unser täglich Brot
Verzehren wir achtlos, aber das gefräßige Fahrzeug
Verlangt schonende Kost, damit es anspringt. Und jede
Kleinigkeit, die seiner Erscheinung oder Funktion
Abbruch tut, ist gleich zu beheben
Jeder Husten des Motors, jeder Kratzer am Lack
Ist eine kleine Katastrophe. Aber ein Magenknurren
Ist menschlich und kein Maschinenschaden. Also
Speisen wir es mit Mais und Zuckerrohr
Und Korn von vier Kontinenten.
Seine ganzen Lebensumstände
Tankfüllung Ölstand Reifendruck
Sind Gegenstand unsrer Erregung, und das empfindliche
Ding muß nachts in die Garage, damit es lange lebt
Worauf man beim Menschen nicht wert legt
Weshalb er nicht gewartet wird
Wie wir uns auch ungern anschnallen und lieber
Verrecken, als zu Fuß zu gehen, geschweige denn daß
Die unzähligen Hungernden, denen es nun
An Fladen und Krume fehlt
Unser Mitgefühl aufstacheln
Sondern wir fortfahren
In stolzen Karossen.

DAS BESCHÄDIGTE PARLAMENT
Vor der Abstimmung über den Einsatz in Kundus
Den man ungefähr kriegsähnlich nennt
Zeigte eine Fraktion Zettel her
Mit den Namen getöteter Zivilisten. Diese
Vorlauten, Wortlosen wurden
Aus dem Saal gewiesen, weil die Würde
Des Hohen Hauses schwer beschädigt sei
Ort verbaler, nicht plakativer Debatten. Aber
Sind denn die Namen der Toten
Plakativ, und kommen die Reden zum Leben?
Soll nur von Todähnlichen, ungefähr Toten
Gesprochen werden oder
Fürchtet man, daß die namentlich Genannten
Zählen, wie gültige Stimmen
Obwohl sie tot und erledigt sind?
2010
Rene Wolf: Es geht den Toten wie den Wählern. Sie haben nichts
zu sagen. Somit ist jede demokratische Wahl Nekrophilie.

Wilderness
A Wilderness of sweets; for Nature here
Wantond as in her prime, and plaid at will
Her Virgin Fancies, pouring forth more sweet,
Wilde above Rule or Art; enormous bliss.
Milton, Paradise Lost, Book 5, 294-297

hinz 
werke2

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