Die Erneuerung der Schweiz

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Leonhard Ragaz – Die Erneuerung der Schweiz
Herausgegeben von der Schweizerischen Religiös-Sozialen Vereinigung, Zweite Auflage, Zürich 1933

Eidgenossenschaft (Rechtsbegriff)
Alte Eidgenossenschaft
Schweizer Eidgenossen Rütlischwur

Die Eidgenossenschaft als abstrakter Rechtsbegriff bezeichnet die Verbindung von gleichberechtigten Genossen durch einen auf bestimmte Zeit oder für alle Ewigkeit bei Gott geschworenen Eid als höchste Form der Selbstverpflichtung des Menschen.

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Demokratie ist dass jeder Bürger einen angemessenen Anteil an Entscheidungen hat, die sein Leben und die Gestaltung seiner Gemeinschaft bestimmen. Das war die eigentliche Idee der Demokratie in der Aufklärung. Die hat ne ganze Reihe von gewaltigen Konsequenzen, wenn man darüber nachdenkt. Das bedeutet Selbstbestimmung, das bedeutet radikale Demokratie, übrigens in allen Bereichen der Gesellschaft. Dann muss man natürlich
sagen, wir sind weit entfernt von einer Demokratie.

I. Die Herrschaft Gottes
Die religiös-soziale Bewegung ist von Anbeginn und ihrem Wesen nach die Forderung einer Erneuerung sowohl des Christentums als der Welt, und der Glaube, dass eine solche Erneuerung im Anbrechen sei. Wie schon der (übrigens mehr zufällig zustande gekommene und den letzten Sinn der Sache nicht ausdrückende) Name wenigstens andeutet, soll diese Erneuerung von zwei Polen ausgehen: vom r e l i g i ö s e n und vom s o z i a l e n.
Die soziale Not und Gärung, die Verstörung und Verderbnis unserer Gesellschaft, ihre Ungerechtigkeit, ihre Unordnung, ihre Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit weisen auf eine tiefe g e i s t i g e Ursache hin. Diese Ursache ist, wie wir seit Jahrzehnten verkündigen, der Abfall von G o t t  u n d  s e i n e n  O r d n u n g e n. Aber zum Unterschied von der üblichen, stark mit Pharisäismus und Muckertum behafteten Art der kirchlichen und frommen Kreise, so zu reden, erkennen wir diesen A b f a l l  a u c h  i n  u n s e r e m
C h r i s t e n t u m  s e l b s t.
Es fehlt ihm der l e b e n d i g e Glaube an Gott, und es fehlt ihm der Glaube an den l e b e n d i g e n Gott, der Glaube, dass wirklich Gott der Herr ist und nicht andere Götter: Gewalt, Mammon, Technik, dass Gott die Macht und den Willen hat, diese widergöttlichen Gewalten zu besiegen und gegen sie s e i n e Herrschaft aufzurichten, und zwar nicht nur im Leben des einzelnen Menschen (selbstverständlich hier auch), sondern auch im politischen und wirtschaftlichen Leben. Wir werfen unserem herkömmlichen Christentum vor, dass es auf eine falsche und einseitige Weise (es gibt auch eine richtige und notwendige Weise, es zu tun) den Blick auf den einen Teil der Botschaft von Christus: das Heil des I n d i v i d u u m s, das i n n e r e Leben und das J e n s e i t s richte und darüber den andern Teil vernachlässige: die Erlösung der g a n z e n Welt und des g a n z e n Lebens, die Herrschaft des göttlichen Willens über a l l e Gebiete der Wirklichkeit ohne Ausnahme, auch das politische, wirtschaftliche und kulturelle; dass es das, was Kern und Stern, Sinn und Wesen, Anfang und Ende der biblischen Botschaft bildet: die Verkündigung der Herrschaft Gottes über alles Weltwesen, die frohe Kunde, von seinem gekommenen und kommenden Reiche, verkürze.. Wir werfen ihm vor, dass es zu Not und Unrecht dieser Welt viel zu oft schweige, ja sogar sie rechtfertige (oft geradezu im Dienste der herrschenden Mächte); dass es sogar den Versuch unternehme, sie entgegen dem klaren Sinn der Bibel als direkten Willen Gottes und Bestandteil seiner Weltordnung zu erklären, um so das gesellschaftliche Unrecht durch ein religiöses zu ergänzen und zu vermehren. Wir meinen, es sei Pflicht, im Sinne der recht verstandenen Bibel den Mächtigen wie dem Volke, besonders dem armen, bedrückten und ausgebeuteten, zu verkündigen, dass Gottes Wille die
E r l ö s u n g von Not und Unrecht ist, und zwar auch schon auf Erden;
dass sein Wille Gerechtigkeit, Freiheit und Freude ist; dass der Lebendige überall Leben will und nicht Tod, dass er uns, um die reformatorische Losung zu brauchen, von Welt, Fleisch, Tod und Teufel nicht nur im individuellen, sondern auch im sozialen Leben erlösen will; dass sein Reich zwar nicht v o n der Welt ist, aber f ü r die Welt, wie wir ja im Unservater nach dem Sinne des Meisters bitten, dass auch auf Erden Gottes Name geheiligt werde, sein Reich komme und sein Wille so geschehe, wie er im Himmel geschieht. Diese ganze vernachlässigte Wahrheit möchten wir wieder auf den Leuchter stellen. Unser Glaube ist der lebendige Gott, der uns im lebendigen Christus begegnet, der mit seinem Regiment über und in der Geschichte waltet und sie seinen grossen Heilsgedanken dienstbar macht, der nicht der Not u. dem Unrecht der Welt seine Weihe gibt, sondern der unbedingte W i d e r s p r u c h dagegen, die ewige Unruhe einer seiner Ordnung entfremdeten Gesellschaft ist. Mit andern Worten: die recht verstandene Botschaft von Christus bedeutet eine völlige Umwälzung unseres Verhältnisses zu Gott und zu den Menschen nach Gottes Willen und aus seiner Kraft, den Ausblick auf eine völlige Verwirklichung seines Reiches, das auch erst das wahre Reich des M e n s c h e n sein wird. Sie ist, wie es im Neuen Testament heisst, die Verheissung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, worinnen Gerechtigkeit wohnt. Unser Glaube und unsere Forderung ist also, dass Gott, so wie er uns in Christus sein Wesen und seinen Willen kund tut, alle Reiche der Welt und alle Ordnungen des Lebens untertan sein sollen. Wir anerkennen nicht jene «Eigengesetzlichkeit», die Erfindung von Theologen, die den Flüchtlingen in dem Kampf zwischen dem Weltreich und dem Gottesreich ein Asyl bereiten, indem sie behaupten, dass die politischen und wirtschaftlichen Ordnungen ihr eigenes Recht hätten, unabhängig von der Verheissung und Forderung des Evangeliums, also das Recht auf Egoismus und Gewalt (denn darauf läuft es hinaus), und dass man sie darum nicht mit dem Evangelium behelligen dürfe, Wir kennen nur e i n Gesetz und e i n Recht: das Gesetz und Recht des in Christus offenbaren Gottes Auf diesem Boden stehend lehnen wir den O p t i m i s m u s ab, der zu sehr auf die natürlichen Kräfte der Menschen und der Welt vertraut, ihre tiefe Verderbtheit durch den Egoismus des von Gott abfallenden Weltwesens und seine Bedrohung durch dämonische Gewalten verkennt und keiner Erlösung zu bedürfen scheint, aber wir lehnen nicht weniger entschieden jenen heute besonders in der Theologie herrschenden P e s s i m i s m u s ab, der an keine Siege des Reiches Gottes in der Welt und über die Welt glaubt, die in Christus geschehene E r l ö s u n g nicht zu kennen scheint und mit alledem zum stärksten Verbündeten alles Bösen und besonders zum festesten Fundament aller Tyrannei wird. Wir glauben an den Sieg Gottes über die Macht des Bösen, der in Christus geschehen ist und in seinem Reiche weiter geschehen will.
Durch diese Macht und Herrschaft Gottes sehen wir besonders die beiden dämonischen, ja satanischen Hauptmächte unserer Zeit, den M a m m o n i s m u s und den
G e w a l t g e i s t , gerichtet, aber auch den N a t i o n a l i s m u s und Z ä s a r i s m u s, die Vergottung des Volkstums und des Staates, und ebenso den M e c h a n i s m u s und I n t e l l e k t u a l i s m u s, den Kultus der Technik und der Wissenschaft zuungunsten der Ehre Gottes und der Würde des Menschen und die daraus entstehende Verflachung und Entseelung alles Lebens.
Wie wir im Abfall von Gott die Ursache all dieser Entartung erkennen, so in der n e u e n  H i n w e n d u n g  z u  G o t t die einzige Quelle der Hilfe und Heilung.  Aber diese Quelle muß in a l l e s Leben strömen. Wenn sie nicht auch in das Leben der Gesellschaft, in die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse der Menschen, in ihr ganzes Gemeinschaftswesen strömt, dann wird sie ihre Erlösungskraft auch nicht im Leben des Einzelnen (oder etwa kleinerer Kreise wie die Familie) bewähren, wie selbstverständlich ohne diese Wirkung im Einzelnen auch die im Ganzen nicht stattfinden kann. Die beiden Pole der Christuswahrheit gehören darum zusammen; sie sind gleichzeitig schwach oder stark.
Was wir bekennen und fordern ist die f r e i e T h e o k r a t i e *, die Alleinherrschaft Gottes, die zur wahren Freiheit wie des einzelnen Menschen so auch der Völker wird.
Wir sind uns bewusst, dass wir damit nicht nur den echten Sinn der Christuswahrheit, auch der im Katholizismus lebenden, vertreten, sondern auch zu einer der tiefsten und heiligsten Quellen unserer wahren s c h w e i z e r i s c h e n Existenz zurückkehren: zur religiösen Umwälzung des sechszehnten Jahrhunderts, besonders der in Zwingli und Calvin ausgeprägten. Auf die freie Theokratie begründen wir die D e m o k r a t i e und glauben, dass nur dieser Grund halte.
* Wir sagen «freie» Theokratie, damit ja nicht der Irrtum entstehe, als ob wir an eine durch Staat oder Kirche geübte r e l i g i ö s e  Z w a n g s h e r r s c h a f t dächten. Die von uns gemeinte Theokratie (= Gottesherrschaft) soll durchaus in F r e i h e i t  anerkannt werden und rein als g e i s t i g e  M a c h t wirken, als neue Grundlegung und Orientierung des menschlichen Zusammenlebens, und wir sehen lieber, wenn sie von Staat und Gesellschaft verfolgt, als von ihnen protegiert wird. Ebensowenig als eine Theokratie im Sinne einer religiösen Zwangsherrschaft ist das was wir wollen eine B i b l i o k r a t i e  in dem Sinne, als ob wir die Neugestaltung der Welt aus Gott aus Bibelstellen ableiten und daraus ein Programm machen wollten. Nur aus dem G e i s t e der Bibel kann das geschehen, der aber ist der Geist des l e b e n d i g e n Gottes und seiner F r e i h e i t.

FINALLY THE NEW PAPA SAID IT ! Killing Easter lamb has no basis in the Christian tradition

Wir glauben aber, dass es verkehrt und gegen Art und Willen des lebendigen Gottes wäre, wenn wir einfach die Glaubensformen des sechszehnten Jahrhunderts in unsere Zeit herübernehmen wollten. Es gilt vielmehr, im Blick auf die besondere Not und die besondere Verheissung der Gegenwart die biblische Botschaft n e u zu verstehen. Dabei muss zweierlei geschehen: es müssen die alten, halb vergessenen oder nur noch matt und dürftig verstandenen und geglaubten Kernwahrheiten dieser biblischen Botschaft mit neuer Kraft und Lebendigkeit erfasst und zugleich diese Wahrheit mit neuer Wucht in die W e l t hineingetragen und einer neuen V e r w i r k l i c h u n g entgegengeführt werden. Wir erwarten und erhoffen ein neues Aufbrechen des Geistes Christi in unserer Welt; eines neuen Sinnes für den Wert und die Heiligkeit des Menschen, verbunden mit einer neuen Hinwendung zum Bruder; einer neuen Liebe im Sinne eines Pestalozzi, die «des Volkes jammert»; eines Lebens aus Gott, das sich siegreich gegen den Mammonismus und Egoismus der heutigen Gesellschaft wendet; einer Fähigkeit der Vergebung, welche die Glut des aus dem Klassen – und Interessenkampf aufsteigenden Zornes und Hasses auslöscht; eines Bewusstseins der Verantwortlichkeit vor Gott, das nicht nur das eigene Recht, sondern auch das des Andern sieht. Das wird eine ganz tiefe U m w ä l z u n g auch unseres religiösen Wesens sein, die zugleich seine W i e d e r g e b u r t  zu neuem Leben und neuer Kraft bedeutet. Das Ende aller Revolutionen, die unsere Welt erschüttern, wird die R e v o l u t i o n  C h r i s t i sein. Sie ist mitten in allen Irrtümern, die bis zum Dämonischen und Antichristlichen, ja Satanischen gehen, ihre verborgene, unbewusste Absicht und Sehnsucht. Wir glauben in diesem Sinne, dass die Nöte, Stürme und Gärungen unserer Zeit V o r b o t e n seien, die ein neues Kommen Gottes zu den Menschen ankündigen.

II. Der Sozialismus
Von unserm obersten Gesichtspunkte aus, dem Glauben an den lebendigen Gott, der in der Geschichte und über dieser waltet, beurteilen wir das soziale Problem der Gegenwart und im besonderen den S o z i a l i s m u s. Wie stehen wir zum Sozialismus? Wir erblicken im Auftreten des Sozialismus, auch der Sozialdemokratie, ja sogar, in einem bestimmten Sinne, auch des Kommunismus, ein Anpochen des lebendigen Gottes in Gericht und Verheissung an die Tore der Welt und insbesondere des Christentums. Der Stoss des Sozialismus hat eine an einer falschen Kultur verfaulende Welt gewaltig aufgerüttelt. Er hat vergessene Wahrheit des Reiches Gottes wieder in Erinnerung gebracht: dass der Mensch gelten solle und nicht das Geld; dass wir für einander verantwortlich sind; dass das politische und wirtschaftliche Leben nicht der Vergewaltigung und Ausbeutung unterworfen sein, sondern eine gegenseitige Hilfe werden sollen. Ja, er hat damit, freilich grösstenteils ohne es zu wollen und zu wissen, der Welt wieder Gott und Christus in Erinnerung gebracht und den Glauben an das Reich Gottes für die Erde wieder lebendig gemacht. Er bedeutet gegenüber dem Egoismus und Atomismus der kapitalistischen
Gesellschaft eine Reaktion des Gemeinschaftssinnes und der Gemeinschaftsordnung;
gegenüber der zügellosen und anarchischen Freiheit eines falschen Individualismus eine neue Bindung; gegenüber der Herrschaft der Maschine, des Profits, der Berechnung eine Betonung des Menschen, der Persönlichkeit, ja (ohne es meistens selber zu wollen) der Seele;
gegenüber einer neuen, auf den blossen Besitz des Kapitals gestützten Herrenschicht mit ihrer fortschreitenden Vergewaltigung und Entwurzelung aller Volksfreiheit eine Erneuerung der Demokratie und damit also auch der Grundlagen, auf denen die
S c h w e i z ruht. Das ist nach unserer Auffassung der weltgeschichtliche Sinn der heutigen sozialen Bewegung, wie besonders des Sozialismus. So verstanden ist dieser auch ein ewiger Bestandteil der Botschaft von Christus und dem in ihm erschienenen Reich Gottes.
Dazu ist aber dreierlei zu bemerken.

Einmal: Diese Wahrheit des Sozialismus ist in den sozialistischen P a r t e i e n  u n d  P r o –
g r a m m e n mit viel F a l s c h e m verbunden. Sie können nicht nur in ihren konkreten Zielen und Forderungen fehlgreifen, sondern auch in ihrer ganzen Orientierung grossen Irrtümern unterliegen. Darum werden diese Programme nicht nur im einzelnen veralten und entwertet werden und mit ihnen unter Umständen auch die Parteien und Organisationen, die sich darauf stützen, sondern es kann auch ihre Grundeinstellung sich ganz oder teilweise als falsch erweisen. Die e w i g e Wahrheit des Sozialismus muss daher von allen solchen Versuchen ihrer Verwirklichung scharf unterschieden werden.

Dazu kommt aber ein Zweites. Der Sozialismus, der seinem Sinn und Wesen nach die gewaltige Reaktion auf die falschen Tendenzen eines ganzen Zeitalters darstellt, ist selbst in den wichtigsten seiner Formen auch stark mit diesen Tendenzen verbunden und behaftet gewesen. Er hat sich zum grossen Teil mit einer W e l t a n s c h a u u n g  u.  L e b e n s a u f-
f a s s u n g verbunden, die seinem eigentlichen Wesen aufs schärfste widersprach und seinen Forderungen die letzte Begründung raubte.
Dadurch hat er sich selbst aufs schwerste geschädigt, hat nicht nur seine Werbekraft für grosse Volkskreise von vornherein beschränkt, sondern auch sich selbst ausgehöhlt, sich der Entartung ausgeliefert und darum die Krise, ja Katastrophe des bisherigen Partei-Sozialismus herbeigeführt, die heute offenkundig ist.

Aber – das ist das Dritte – nichts wäre falscher, als wenn unsere c h r i s t l i c h e und
b ü r g e r l i c h e  W e l t deswegen über den Sozialismus zu Gericht sitzen wollte. Denn d i e s e  I r r t ü m e r  d e s  S o z i a l i s m u s  s i n d  E r b e  u n d  S c h u l d  d e r
c h r i s t l i c h e n  u n d  b ü r g e r l i c h e n  W e l t.
Der christlichen Welt, insofern als diese eben die Wahrheit, die im Sozialismus (und Kommunismus) liegt, nicht s e l b s t vertreten hat, im r e c h t en Geist und in der r e c h t e n Form; der bürgerlichen Welt, insofern sie diese Wahrheit ebensowenig erkannt und vertreten hat und insofern Materialismus, Rationalismus, religiöse Gleichgültigkeit, ja Unglaube, Freidenkerei und überhaupt Verflachung, Veräusserlichung und Entseelung, dazu ein tiefwurzelnder Glaube an die Gewalt allein, durchaus Merkmale der bürgerlichen Welt waren, ja zum grössten Teil noch bilden und von dort in die sozialistische gewandert sind. Diese Entartung der bürgerlichen Welt ist aber auch wieder eine Schuld des Christentums, so wie es in diesem Zeitalter sich darstellte. Denn wäre in ihm mehr Leben, Geist und Kraft gewesen, dann hätte jene Entartung und Geistentleerung der bürgerlichen Welt nicht eintreten können. Im besonderen muss die falsche Stellung des Sozialismus (wenigstens des kontinentalen in seiner Mehrheit – der englische ist ja direkt religiös begründet, und diese Art war auch auf dem Kontinent in einzelnen Menschen und Gruppen immer vorhanden) zum Christentum auf die nicht minder falsche Vertretung der Sache Christi durch das offizielle Christentum zurückgeführt werden. Der Sozialismus steht auch in seinen religionsfeindlichen Formen G o t t und C h r i s t u s mindestens so nahe wie das offizielle Christentum. Fehlt jenem die religiöse, so diesem die soziale Wahrheit des Reiches Gottes; will jener das Reich haben ohne Gott, so dieses Gott ohne das Reich. Aber der ursprüngliche Fehler liegt beim Christentum. Kurz: d i e  B e l a s t u n g  d e s  S o z i a l i s m u s  d u r c h
I r r t u m  i s t  z u n ä c h s t  c h r i s t l i c h e  u n d  b ü r g e r l i c h e  S c h u l d. Das müssen die christliche und bürgerliche Welt tief einsehen. Dann werden sie erkennen, wie wenig sie zu Richtern über die Irrtümer des Sozialismus berufen sind und sie werden auch verstehen, dass die Wahrheit des Sozialismus durch zeitgeschichtlich bedingte Vermischung mit jenen Irrtümern nicht aufgehoben wird. Der Sozialismus muss freilich u m k e h r e n, muss neu werden, aber Christentum und bürgerliche Welt auch. Wenn beide es tun, dann werden sie sich begegnen; sonst werden sie miteinander untergehen.

In diesem Sinne bekennen wir uns zum Sozialismus. Wir bekennen uns zu einem
r e l i g i ö s e n Sozialismus
, das heisst, zu einem Sozialismus, der in der Botschaft vom Reiche Gottes, in der Gotteskindschaft und Bruderschaft, der gegenseitigen Verantwortlichkeit (namentlich der Stärkeren für die Schwächeren), der Absage an den Mammonismus, dem Glauben an den lebendigen Gott und Christus und sein gekommenes und kommendes Reich begründet und verwurzelt ist. Wie stellen wir uns aber zum M a r x i s m u s ? Wir schicken voraus, d a s s  w i r  n i e  M a r x i s t en  g e w e s e n  s i n d. Das war und ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Wir konnten als solche, die an Gott und Christus glaubten und glauben, die mit dem üblichen Marxismus verbundene Weltanschauung und Lebensauffassung nicht annehmen. Wenn ein Teil von uns (immer n u r ein Teil) in die sozialdemokratische Partei eintraten, so konnte das nur geschehen, weil diese nie ein Credo zum marxistischen Dogma forderte. Wir gingen hinein, einmal wegen der Wahrheit, die ihr Programm enthält, mehr noch, um dem P r o l e t a r i a t damit näher zu kommen, ihm dienen u. helfen zu können, vor allem aber, um d a m i t  e i n e  S c h u l d  d e s  C h r i s t e n t u m s und
d e r  b ü r g e r l i c h e n  W e l t  a b z u t r a g e n.  Es war und ist für uns unter den vorhandenen Umständen ein Stück N a c h f o l g e  C h r i s t i. Den Marxismus haben wir später, seit zwei Jahrzehnten schon, mit steigender Wucht b e k ä m p f t, namentlich alles was darin an G e w a l t g l a u b e n vorhanden ist, aber auch seine ganze falsche W e l t a n –
s c h a u u n g  und L e b e n s a u f f a s s u n g.
Es ist ein sehr schwerer, opferreicher, schmerzlicher, ja tragischer Kampf gewesen, dem freilich auch grosse Erfolge nicht fehlten. Aber wenn wir auf diese Weise den Marxismus ablehnen, so sind wir doch weit davon entfernt, es in dem Sinne zu tun, wie das heute üblich ist. Diese heutige Bekämpfung beruht meistens auf einer völligen Unwissenheit darüber, was überhaupt Marxismus ist, und auf einer im höchsten Grade ungerechten Verkennung der Wahrheit und Grösse, die in ihm liegt. Es ist doch einfach Tatsache, dass dieser vielgeschmähte Marxismus unsere Welt aufgerüttelt hat wie nichts sonst. Auch das Christentum dieser Periode nicht. Er hat vielmehr dieses Christentum selbst aufgeweckt. Wenn dieses heute wieder lebendiger ist, wenn
es wieder etwas vom lebendigen Gott und seinem Reiche weiss, wenn es die Verderbnis unserer sogenannten Kultur wieder tiefer erkennt und doch nicht ohne Hoffnung ist – dann verdankt es dies, soweit menschlich-geschichtliche Faktoren in Betracht kommen, vor allem dem Stoss dieses «gottlosen» Marxismus. Es ist schwere Undankbarkeit, wenn dies vergessen oder verkannt wird. Ebensowenig lässt sich nach unserer Meinung leugnen, dass der Marxismus vor allem die A r b e i t e r s c h a f t gewaltig aufgeweckt hat. Er hat sie aus Dumpfheit und Apathie herausgerissen, hat sie durch eine grosse Hoffnung neu belebt, sie zum Licht des Menschentums herausgeführt, ja geradezu eine Menschwerdung des Proletariates eingeleitet und damit unserer Gesellschaft einen rettenden Dienst getan, dessen Grösse gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Und auch hinter seinen Irrtümern steht eine Wahrheit, die mit Grundtendenzen der Bibel im Einklang ist.
Seine Lehre vom Geschichtsmaterialismus betont (ganz wie die Bibel) die fundamentale Bedeutung der m a t e r i e l l e n  D i n g e auch für den Geist. Seine Lehre vom
K l a s s e n k a m p f deckt eine Tatsächlichkeit unserer Gesellschaft auf, die gesehen werden muss, wenn sie überwunden werden soll. Auch sein Kampf gegen die R e l i –
g i o n hatte einen guten Sinn.
In alledem waltet eine Auferstehung m e s s i a n i s c h e n Glaubens, des Glaubens an ein Reich der Gerechtigkeit auf Erden, besonders für die Schwachen und Geringen, die endlich ihren Tag erleben sollen. Dies alles muss man einsehen, wenn man den Marxismus auf Grund der Gerechtigkeit und Wahrheit bekämpfen will. Dann freilich ist zu sagen, dass das Feuer dieses Messianismus, weil nicht vom «Messias» (= Christus) selbst genährt, weithin im Sozialismus erloschen ist; dass an Stelle des Glaubens an den lebendigen Gott ein Götzenglaube an die sogenannte Wissenschaft, die Technik, die zwangsläufige Entwicklung trat; dass ein flacher und öder Rationalismus und Utilitarismus allmählig allen tieferen Enthusiasmus verdrängte; dass damit eine immer grösser werdende innere Verödung entstand; dass diese innere Verödung für den verlorenen tieferen Sinn des Sozialismus nur zu oft einen Ersatz in einem zügellosen Sexualismus, einer flachen, ja frechen Freigeisterei und einem geistverlassenen Gewaltglauben suchte; dass der messianische Glaube immer mehr zu einem Schema politischer Machtgewinnung wurde und in dem Wüstensand des Rationalismus und Hedonismus der Weltanschauung und Lebensauffassung aller Sinn für das Organische, für die Urelemente und Urwerte des wahrhaft menschlichen Lebens und damit alle Fruchtbarkeit des sozialistischen Denkens und Schaffens, wie auch alles kühne Wagen des sozialistischen Kampfes, verloren gingen und dafür das Erbe der kapitalistischen Welt in arger Verbürgerlichung immer mehr überwog; dass der Klassenkampf, der ursprünglich die Menschwerdung des Proletariates und damit der ganzen Gesellschaft meinte, immer mehr bloß ein Kampf für das Interesse einer K l a s-
s e wurde und zum Teil einen machiavellistischen und militaristischen Charakter annahm – bis die grosse Katastrophe eintrat. Aber wenn auch eine bestimmte Form des Sozialismus ihren Tag gehabt hat – wenigstens in u n s e r e m Kulturkreis -, so ist damit der Sozialismus keineswegs erledigt. E r  b l e i b t  d i e  g r o s s e  A u f g a b e  d e r  k o m m e n d e n  E p o –
c h e. Das, was nach unserem Urteil sein Sinn und Wesen ist: die Wendung vom Atomismus einer ganzen Epoche zu einer neuen Betonung und Geltung der Gemeinschaft, bleibt bestehen und wird nach dem Zerfall des Marxismus wohl nur noch stärker zur Geltung kommen. Wir erwarten auch, dass der Sozialismus, in der Form eines weltlichen Messianismus zurücktretend, immer stärker von den letzten Tiefen her, aus denen er, es selbst nicht wissend, stammte, neu hervorbrechen werde. «Der Sozialismus wird r e l i g i ö s sein, oder er wird  n i c h t  sein.» (Hendrik de Man.) Wir glauben aber, dass er s e i n wird. Ein Ansturm gegen den Kapitalismus erfolgt ja gegenwärtig von viel mehr Fronten her als bloss von seiten der  Industriearbeiterschaft. Der Sozialismus wird heute von Kreisen verkündigt, die bis vor kurzem seine bittersten Feinde waren. Diese Tatsache verbirgt sich bloss hinter der täuschenden Kulisse des Kampfes gegen den «Marxismus». Der Kapitalismus stürzt, ist vielleicht schon gestürzt, der Sozialismus kommt, ist schon da; die grosse Frage ist nur, in welcher G e s t a l t und in welchem G e i s t e er sich durchsetzt: ob verbündet mit der Reaktion oder mit der Revolution; ob im Geiste der Demokratie oder im Geiste der Diktatur; ob aus göttlichen und menschlichen Kräften erwachsen oder aus wilden Trieben und dämonischen Leidenschaften; ob mit klarem Denken und Wollen oder blossen chaotischen Wallungen; ob auf einem Grunde stehend, der ihn wirklich tragen kann, oder auf Flugsand, wenn nicht gar Sumpfboden gebaut. Auf alle Fälle regt sich gewaltig die Einsicht, dass der Kampf aller gegen alle, den man Freiheit (manchmal auch Liberalismus oder Individualismus) nannte, aufhören müsse; dass auch das Wirtschaftsleben der Gemeinschaft zu dienen habe, nicht dem Profit und Machtwillen einer immer kleiner werdenden Gruppe von Menschen; dass es der Kontrolle und Gestaltung durch die Gemeinschaft unterliegen müsse und nicht wie eine wilde Naturmacht walten dürfe. Es regt sich in steigendem Masse der Widerstand des menschlichen und sittlichen, auch des demokratischen Empfindens gegen die Versklavung der Massen und die Korruption des ganzen Gemeinschaftslebens durch die Allmacht des Geldes. Es wächst die Empörung der menschlichen Seele gegen den Götzendienst der blossen Technik, gegen die ganze Zerstörung alles organischen Lebens durch den Mechanismus des Denkens und Tuns, die Schändung und Vernichtung der Urelemente der menschlichen Existenz durch die freche Willkür und Gier eines nur noch aus dem Intellekt und der rationalen Konstruktion lebenden Geschlechtes.
Es erwacht die grosse Erkenntnis, dass nicht der Mensch um des Wirtschaftslebens willen da ist, sondern das Wirtschaftsleben um des Menschen willen, und sogar schon da und dort das Verständnis für die tiefste Wahrheit, dass r e i c h nur eine Menschheit ist, die reich ist in G o t t. Das aber sind die Grundwahrheiten des S o z i a l i s m u s. Zu ihnen bekennen wir uns entschlossener und überzeugter als je. Die Aufgabe unseres Geschlechtes ist nun, aus ihnen den neuen Sozialismus zu entwickeln und zu gestalten.

III. Die neue Volksgemeinschaft
Die Volksgemeinschaft ist seit Jahrzehnten unser Stichwort. Heute nimmt man es von allen Seiten auf, aber leider mehr im Sinne eines Schlagwortes, hinter dem wenig Denken und wenig Wirklichkeit steckt. Man geht dabei von der Voraussetzung aus, dass wir eine Volksgemeinschaft s c h o n  h ä t t e n und sie nur bejahen müssten. Von dieser Voraussetzung aus bekämpft man mit äusserster Oberflächlichkeit und Unwahrheit die Lehre vom
K l a s s e n k a m p f e ; die man übrigens so wenig wirklich kennt als den Marxismus im allgemeinen. Man tut dieser Lehre ein doppeltes Unrecht. Man weiss nicht oder will nicht wissen, dass nach dieser Lehre das Ziel des Klassenkampfes die A u f h e b u n g der Klassen und damit des Klassenkampfes überhaupt ist, und tut, als ob durch diese Lehre der Klassenkampf erst geschaffen werde und es darum genüge, diese Lehre zu verdammen, um damit auch den Klassenkampf selbst zu beseitigen, und man weiss nicht oder will es nicht wissen, dass der Klassenkampf des Proletariates nach der Meinung des Marxismus nichts anderes sein will als die S e l b s t b e f r e i u n g  d e s  P r o l e t a r i a t e s,  d a s   d u r c h
d i e s e n  B e f r e i u n g s k a m p f  z u g l e i c h  d i e  g a n z e  G e s e l l s c h a f t  b e f r e i –
e n  w e r d e. Man weiss endlich nicht oder will nicht wissen, dass der Klassenkampf nicht bloss eine Theorie, sondern eine T a t s a c h e ist, eine Tatsache, über deren Ausmass und deren Bedeutung für die menschlichen Dinge man sich streiten kann, aber jedenfalls eine Tatsache, und dass die Bourgeoisie ihn von jeher mindestens ebenso entschlossen, ebenso leidenschaftlich und mit ebenso allzumenschlichen Mitteln führt, als in unserer Zeit das Proletariat. Wenn man daher nicht bloss die Theorie des Klassenkampfes überwinden will, sondern den Klassenkampf selbst – was selbstverständlich auch unser Ziel ist und immer war -, so muss man zuerst untersuchen, welches denn die Ursachen sind, woraus Klassenhass und Klassentrennung entspringen, welches der giftige Sumpf ist, worin dieser Drache ausgebrütet wird. Da kann denn wohl kein Zweifel bestehen: wir stossen hier auf den
K a p i t a l i s m u s. Um es anders, mit weniger verbrauchten und parteimässig gefärbten Worten zu sagen: wir stossen auf die Tatsache, dass unsere moderne Gesellschaft – die wir eben darum und insofern die kapitalistische nennen – in steigendem Masse nicht mehr auf dem heiligen Urverhältnis zwischen Mensch und M e n s c h, das aus dem Urverhältnis zwischen G o t t und Mensch stammt, sondern immer ausschliesslicher auf dem G e l d e ruhte, auf dem Erwerb des Geldes und dem Besitz des Geldes, sagen wir mit dem Evangelium: auf dem Mammon. Dadurch geschah die grosse Entwurzelung des M e n s c h e n. Wie er losgerissen wurde von Gott, so wurde er losgerissen vom Menschen. Er wurde losgerissen von seinem Boden, losgerissen von seinem Werkzeug, losgerissen von seiner Arbeit, losgerissen von seinem Hause, losgerissen von seiner Familie, losgerissen von allen heiligen, nährenden, Reichtum und Freude schaffenden Urelementen des Lebens. Er verlor den Menschen, den Bruder, die Seele, das Vaterland, verlor Gott. Das ist auf den ersten Blick bloss das Schicksal des P r o l e t a r i a t e s geworden, aber es ist, nur unter andern Formen, auch das der B o u r g e o i s i e (die wir vom alten, wurzelhaften Bürgertum, das noch auf einer sinnvollen, vom Ewigen genährten Welt ruhte, scharf unterscheiden), überhaupt der ganzen Z i v i l i s a t i o n unserer Zeit. Sie ruht ü b e r a l l auf Gelderwerb und Geldbesitz und ist, auch wenn sie scheinbar noch an der alten Kultur beteiligt ist, in einem tieferen Sinne ebenso wurzellos wie das Proletariat, ebenso losgetrennt von den heiligen, Reichtum und Freude schaffenden Urelementen des Lebens. Atomismus und Mechanismus regieren oben und unten. Diese Weltanschauung und Lebensauffassung kam von der bürgerlichen Welt zum Proletariat. Es ist aber völlig klar: Auf dieser Grundlage konnte bloss der Egoismus des gierigen Menschen sich entfalten. Was die Menschen noch zusammenband, war das selbstische I n t e r e s s e des Einzelnen oder der Gruppe. Auf diesem Boden entstanden die modernen Klassen. Auf Grund dieser Interessen – und wohl auch getrieben von einem tieferen Instinkt, dem Drang, irgendwie dem Atomismus zu entfliehen – bildeten sich die modernen Klassenorganisationen. Sie sind nicht eine «marxistische» Erfindung, sondern wie die Klassen selbst die Frucht des kapitalistisch gewordenen Bürgertums oder, allgemeiner gesagt, das notwendige Produkt der Zerreissung der Volksgemeinschaft durch den Verlust Gottes und des Menschen an das Geld. Sobald man diese letzte Ursache des Uebels erkannt hat, ergibt sich die Antwort auf die Frage nach der H i l f e von selbst. Wenn wir die Klassentrennung der Gesellschaft und damit den Klassenkampf überwinden wollen, dann müssen wir an Stelle des Egoismus die Verbundenheit und an Stelle des Geldes Gott und den Menschen setzen. Daraus ergeben sich dann weiter die Grundzüge einer neuen Volksgemeinschaft. E s  m u s s  d a s  g a n z e  W i r t s c h a f t s l e b e n des Volkes, sein Besitz an natürlichen und erarbeiteten Gütern, wie seine ganze Arbeit – wir denken hier zunächst an die wirtschaftliche Arbeit – aus einer Sache des Einzelnen oder kleiner, willkürlicher Gruppen zu einer A n g e l e g e n h e i t  A l l e r werden, und es muss an Stelle des Gelderwerbs die Deckung des Bedürfnisses Aller, die Versorgung Aller, die Hebung Aller zu einer möglichst hohen Stufe des Menschseins treten, mit andern Worten: an Stelle der Privatwirtschaft die Gemeinwirtschaft, an Stelle des Kampfes Aller gegen Alle der Dienst Aller an Allen, an Stelle der Maschine die Seele, an Stelle des Geldes G o t t  u n d der M e n s c h. Das ist die R e v o l u t i o n, die kommen muss, die im Begriffe ist zu kommen. Es ist klar, dass sie sich nicht vollziehen oder – wenn durch blosse Gewalt, sei es bolschewistische, sei es faschistische vollzogen – sich nicht behaupten oder doch nicht lebendig und fruchtbar werden kann ohne eine entsprechende
Revolution des Denkens und Fühlens. Es muss besonders unsere allzu individualistische, oft in krassen und brutalen Egoismus entartende, viel mehr vom römischen Recht als von der Bibel bestimmte Auffassung des E i g e n t u m s eine Umwälzung erfahren. Woher diese g e i s t i g e Umwälzung, die Voraussetzung der andern, nach unserer Meinung allein kommen kann, ist damit schon angedeutet: Es gibt keine s o z i a l e Erneuerung, die wirklich Segen wäre, ohne eine sie begleitende und begründende r e l i g i ö s e Erneuerung. Aber gerade darum versteht es sich für uns von selbst, dass die neue Betonung der Gemeinschaft nicht das h e i l i g e  R e c h t  d e s  E i n z e l n e n antasten darf.
Wir lehnen sowohl den faschistischen als den bolschewistischen K o l l e k t i v m e n –
s c h e n und den a b s o l u t e n  S t a a t im Namen des gleichen Evangeliums, das die Gemeinschaft und den Bruder fordert, mit äusserster Entschiedenheit ab. Der Sozialismus, den wir meinen, soll die recht verstandene Individualität nicht unterdrücken, sondern stärken. Wir wollen nicht «gleichgeschaltetes», sondern individuelles, mannigfaltiges, freies, buntes, autonomes Leben.
Wie wir glauben, dass starke, tiefwurzelnde Individualität nur im Erdreich rechter Gemeinschaft wachsen könne, so sind wir umgekehrt auch überzeugt, dass rechte Gemeinschaft nur zwischen solchen, die selbst etwas Rechtes sind, bestehen kann. «Je veux l’homme maitre de lui-meme, afin qu’il soit mieux le serviteur de tous» («Ich will, dass der Mensch Herr seiner selbst sei, damit er um so besser der Diener aller sein könne») – dieses Wort eines der grössten Schweizer halten wir sowohl für den Ausdruck der tiefsten sozialen Wahrheit des Evangeliums als auch für den Grundstein einer echten sozialen oder sozialistischen Gemeinschaft. Das Ziel eines echten Sozialismus muss e i n e  n e u e  F r e i h e i t sein. Und es darf auch nicht ein blosser Industrie-Sozialismus, sondern muss ein Sozialismus f ü r  A l l e sein, eine frohe Botschaft für a l l e s Volk. Von dieser Grundanschauung aus ergeben sich die konkreten Forderungen für die Neugestaltung der Volksgemeinschaft. Wir deuten nur wenige an, die wir für wesentlich halten. Es ergibt sich von hier aus eine gewisse S o z i a l i s i e –
r u n g der wichtigsten Komplexe der Volkswirtschaft.
Darunter möchten wir wesentlich die Anwendung des G e m e i n s c h a f t s p r i n z i p s gegenüber dem Egoismus und Anarchismus der blossen Privatwirtschaft verstehen, die Geltendmachung des Rechtes der Gemeinschaft gegenüber der falschen Souveränität des individuellen oder kollektiven Ich. Aber wir verstehen darunter keine «Gleichschaltung», wir lehnen vielmehr die E t a t i s i e r u n g mit ihrer Bureaukratie und ihrem Zentralismus ab und fordern eine im Rahmen der Gemeinschaftspflicht möglichst a u t o n o m e  u n d
f ö d e r a l i s t i s c h e  Gestaltung auch des Wirtschaftslebens.
Wir legen grosses Gewicht auf das G e n o s s e n s c h a f t s p r i n z i p , das eines noch tieferen Sinnes und einer noch mannigfaltigeren Entwicklung fähig ist, als seine bisherigen Formen aufzeigen, und das von einem neuen G e i s t aus neues L e b e n erhalten müsste. Mit diesem Prinzip verbinden wir das ihm verwandte des Gewerkschaftswesens, das bisher ebenfalls noch nicht seinen letzten Sinn und seine wertvollsten Möglichkeiten entfaltet hat. – Wir legen auch grossen Wert auf eine soziale und – immer in u n s e r e m Sinn – sozialistische Gestaltung der K o m m u n e n, der Dorfgemeinden wie der Städte, welch letztere schon darum möglichst zu g l i e d e r n und zu  d e z e n t r a l i s i e r e n sind.
Auf diesem Boden möchten wir auch S t a d t und L a n d zusammenbringen. Durch freie Uebereinkunft der mehr städtischen, gewerblichen und industriellen Genossenschaften mit den landwirtschaftlichen soll dem Bauer ein genügender und möglichst f e s t e r Preis für seine Produkte u. der städtischen, industriellen und gewerblichen Bevölkerung eine genügende und im Preise g e r e c h t e Versorgung gesichert werden. Auch auf G r u n d und B o d e n soll das G e m e i n s c h a f t s p r i n z i p angewendet werden im Sinne der grossen Grundwahrheit der Bibel: «D a s  L a n d  g e h ö r t  G o t t – nicht dem Mammon und andere Götzen,- was bedeutet: es gehört den Menschen, es darf nicht Gegenstand privater Willkür, darf nicht der Spekulation und Profitgier ausgeliefert werden, sondern soll eine F e s t i g u n g erfahren in dem Sinne, dass es nicht nur in der Hand wirklich freier Bauern bleibt, die es selbst bearbeiten, sondern auch nach Möglichkeit und ohne ungesunde Abschliessung in den gleichen Familien. Das b ä u e r l i c h e  P r i v a t e i g e n t u m soll durch Entlastungsmassregeln grossen Stils befreit und durch stärkere Einordnung in die Gemeinschaft zwar heilsam, im Sinne der Bekämpfung des Egoismus, b e g r e n z t, aber gerade dadurch auch g e s i c h e r t werden. Wir denken dabei besonders an die starke  Gemeinschaftsbetonung der früheren Dorfgemeinde, an die wieder anzuknüpfen ist. Nichts wünschen wir sehnlicher als ein aus tiefen Quellen erneutes – nicht bloss durch Demagogie aufgehetztes -, wurzelhaftes, von neuer Freude und neuem Stolz erfülltes, aber auch von den verderblichen Einwirkungen des Kapitalismus und einer verkommenen Zivilisation befreites B a u e r n t u m. *
* Unser Programm für dieses Bauerntum ist auch dargestellt in der Schrift v. J o h a n n e s  T s c h a r n er: «Bauernsozialismus», ebenso in unserem Buche „Ein sozialistisches Programm» unter der Rubrik «Das Agrarprogramm» durch M a x  G e r b e r. Es sei auch auf
E m i l  d e  La v e l e y e s klassisches Buch «Das Eigentum in der ursprünglichen Gesellschaft» und das ebenso klassische von H e n r i  G e o r g e : «Fortschritt und Armut» verwiesen und auch P e t e r  K r o p o t k i n s : «Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe» nicht vergessen. Das Problem der Landwirtschaft und besonders das Verhältnis von B a u e r  u n d
A r b e i t e r ist in unserer Zeitschrift «N e u e  We g e» schon im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts und später auch im «A u f b a u» immer wieder erörtert worden. Von uns ist auch die treffliche Schrift von A r t u r  A e s c h l i m a n n: «Bauer und Arbeiter» ausgegangen. Für ein besseres Verständnis des Agrarproblems innerhalb der S o z i a l d e m o k r a –
t i e wäre anzuführen: E d u a r d  D a v i d, «Sozialismus und Landwirtschaft». Eine bedeutsame Anwendung davon ist das Agrarprogramm der österreichischen Sozialdemokratie.

Was sodann den M i t t e l s t a n d betrifft, so soll er nicht aufgehoben, sondern auf einen neuen Boden gestellt werden. Die notwendige Sozialisierung (in u n s e r e m Sinne,
also nicht etatistisch-bureaukratisch, sondern föderalistisch verstanden) soll sehr viel individuellem Leben Raum lassen, ja dieses sogar nach Möglichkeit fördern.
Es soll nur überall das Gemeinschaftsprinzip zu neuer Geltung kommen; aber überall
zugleich das der neuen Freiheit.
Das Leben und Schaffen der Einzelnen ist vor der Versklavung durch die grossen Geld- und Profitmächte und vor einer falschen Form von Konkurrenz zu schützen und nach Möglichkeit zu einem freien D i e n s t zu gestalten. Eine Erneuerung des H a n d w e r k s in einer wieder mehr zu Gott, zum Menschen und zur Natur zurückgekehrten, von Hast und Aeusserlichkeit, von Geldherrschaft, Götzendienst der Technik und Kampf aller gegen alle befreiten Gemeinschaft (wie eine Erneuerung der
K u n s t und g a n z e n  K u l t u r aus diesen Quellen) gehört zu unsern liebsten Hoffnungen. Die A r b e i t e r b e w e g u n g endlich – last not least – soll in aller Freiheit wie bisher, nur in einer weniger parteimässig gebundenen und weniger von einer allzu engen Auffassung ihrer Berufung beherrschten Form sowohl ihren eigenen Kampf um Befreiung und Menschwerdung kämpfen, als auch Trägerin und Vorkämpferin des ganzen Sozialismus sein, den wir vertreten. Das allein kann der Weg ihrer «E i n g l i e d e r u n g» in das Volksganze sein. Eine solche durch G e w a l t  u n d  U n t e r d r ü c k u n g, verbunden mit Schauspielerei, herbeiführen zu wollen ist ein Wahn, wie es ein Frevel ist.
Dass das P r i v a t e i g e n t u m nicht aufgehoben werden soll, ist schon in bezug auf das bäuerliche betont worden. Aber das gilt auch von allen andern Formen des Eigentums. Nicht die Aufhebung, sondern die U m g e s t a l t u n g des Privateigentums muss das Ziel sein. Das Eigentum muss ein s o z i a l e s Vorzeichen bekommen, darf nicht a b s o l u t  und e g o i s t i s c h verstanden werden. Daraus ergibt sich freilich eine s t a r k e  B e s c h r ä n k u n g  d e r  g r o s s e n V e r m ö gen etwa in Form von Erbschaftssteuern und Luxussteuern und anderswie, vor allem durch die Aenderung der ganzen Ordnung.*
Aber das g a n z e V o l k soll durch eine Wirtschaft, die dem Bedarf dient und nicht Spekulation auf schädliche Triebe oder Produktion von wertlosem Luxus ist, r e i c h e r werden. Es wird vor allem seine W u r z e l l o s i g k e i t aufgehoben, indem aller Besitz der Volksgemeinschaft auch sein eigener sein wird. Die «Z i n s k n e c h t s c h a f t» wird von selbst dadurch beseitigt, dass das «Kapital» immer mehr bloss Diener einer Gemeinwirtschaft und alle private Geldspekulation und damit auch alles arbeitslose Einkommen derer, die arbeiten könnten und sollten, aufgehoben wird, ohne dass die Selbständigkeit der wirtschaftlichen Existenz Schaden leiden müsste.**
*Das S t e u e r s y s t e m sollte aber nicht zu einem bureaukratischen Fiskalismus werden, die Steuern sollten vielmehr nach Möglichkeit mit einem klaren und volkstümlichen
Z w e c k (Hilfe für Krankheit, Alter, Erwerbslosigkeit und so fort)
verbunden und dazu, soweit das möglich ist, dezentralisiert, den natürlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Gruppierungen anvertraut werden. Sie sollten jedenfalls ein deutlicher Ausdruck der
V e r b u n d e n h e i t sein.
**Zur W ä h r u n g s f r a g e, besonders auch der Freigeldtheorie uns hier zu äussern, glauben wir weder Kompetenz zu besitzen, noch halten wir es für notwendig; denn es ist zunächst eine mehr t e c h n i s c h e, wenn auch gewiss sehr wichtige Frage. Im übrigen haben wir schon erklärt, dass auch wir, dem alten biblischen und christlichen Prinzip gemäss (aus dem das Zinsverbot des Mittelalters stammte), gegen das arbeitslose Einkommen und jede Form von Geldherrschaft sind.
W a r n e n möchten wir bloss vor der weitverbreiteten Meinung, technische oder andere Einzelmassregeln und Einzeltheorien zum Allheilmittel für eine Gesellschaftsordnung zu machen, die vor allem einer g e i s t i g e n und u m f a s s e n d e n Neubegründung bedarf. Die Krönung dieser ganzen Gemeinschaftsordnung in der Mannigfaltigkeit ihrer Formen wäre e i n e  n e u e  S i c h e r u n g  d e s  L e b e n s, die alles Volk umfasste, namentlich die jeweilen Schwachen: das Kind, die Mutter, die Kranken und Alten, und die sowohl ein Ausdruck der menschlichen Solidarität, ja Brüderlichkeit als ein Sinnbild der Väterlichkeit Gottes wäre und durch das Gefühl, in allerlei Schicksalsnot, vor allem in Krankheit und Alter, nicht einfach verlassen zu sein, die S o r g e und die aus ihr entstehende
G i e r beruhigte, aus denen zuletzt auch der Mammonismus und der Klassenkampf mit all ihren Begleiterscheinungen stammen. Diese Sicherung sollte deswegen auch möglichst wenig etatistische und bureaukratische Gestalt haben, sondern soviel Freiwilligkeit, Autonomie, Genossenschaftlichkeit als möglich in sich tragen, an die natürlichen Gemeinschaftskreise angeschlossen und in sie eingesenkt, ja geradezu von religiösem Geist erfüllt und getragen sein, auch bis in die Formen hinein. Unser bisheriges Versicherungswesen ist nur ein oberflächlicher, in jeder Beziehung unzulänglicher Ausdruck dieses Prinzips. Es ist materiell ungenügend, zu fragmentarisch, zu sehr bloss einer im übrigen rein atomistischen, egoistischen, auf dem Gelderwerb und Profit ruhenden Gesellschaft aufgeflickt, aber auch zu wenig Verkörperung eines G e i s t e s und daher leicht der Entartung ausgesetzt. Nur dieser sehr vorläufigen und oberflächlichen Verkörperung dessen, was wir meinen, kann man mit einigem Recht vorwerfen, sie führe zur V e r w e i c h l i c h u n g und schwäche den Sinn für die V e r a n t w o r t l i c h k e i t. Wir aber setzen eine Neuordnung der Gesellschaft voraus, die geradezu auf der Verantwortlichkeit füreinander ruht und ohne Zwangseinrichtungen eine A r b e i t s p f l i c h t einschliesst. Wir sind überzeugt, dass gerade eine solche Sicherung des Lebens, die übrigens immer nur relativ sein kann, nicht Faulheit und Genussucht fördern, sondern durch Stillung der Sorge und Gier tiefere Quellen der F r e u d e und neue Schaffenslust wecken würde. Wer ein solches Ziel ablehnt, sollte nicht von «Volksgemeinschaft» reden, und wer solches Denken als «Humanitätsfimmel» bezeichnen möchte, der gibt mit der Menschlichkeit auch die ganze Bibel und besonders das Evangelium preis. Unsere Gesellschaft wird nicht geheilt und auch der Klassenkampf nicht beseitigt, bis in unserem ganzen Zusammenleben, um mit Pestalozzi zu reden, etwas von der Vaterschaft Gottes und Bruderschaft der Menschen sichtbar und greifbar wird. Die S e e l e aber dieser neuen Gemeinschaft wäre eine n e u e  A r b e i t, eine aus Lohn- und Profitsklaverei wie aus quälender Unsicherheit und Sinnlosigkeit befreite Arbeit. Es käme auf diese Weise in die Arbeit wieder das Bewusstsein eines wirklichen
S c h a f f e n s , wie das eines D i e n s t e s, eines Dienstes an der Gemeinschaft und damit an dem grossen Sinn des Lebens und der Welt überhaupt. So würde die Arbeit auch wieder im tiefsten Sinne B e r u f und W e r k.
Auch gäbe es in einer solchen Ordnung A r b e i t s l o s i g k e i t in grossem Stil und als Dauererscheinung selbstverständlich nicht, denn sie wäre ja Planwirtschaft, welche, wie sie das Eigentum aus einer privaten zu einer Angelegenheit der Gemeinschaft macht, so auch die Arbeit zu einem R e c h t, so gut wie zu einer Pflicht. Die Arbeit würde so, wie der Besitz, aus dem Erisapfel der Sage, der bitteren Zwiespalt erregt, zu einem gesegneten und segnenden Sakrament der Gemeinschaft. Da sie wieder neue E h r e gewänne und zu einer tiefen F r e u d e n q u e l l e würde – trotz aller Last und Mühsal, die immer mit ihr verbunden sein werden -, so würde sie auch eine Kraft der  R e i n i g u n g  d e s  V o l k s l e b e n s  von so viel Schmutz und Unrat, die alle aus der Leere, Sinnlosigkeit und Entheiligung des Lebens stammen. Die Rückkehr zu den heiligen Urelementen wird das ganze Leben erneuern und heiligen, mit neuer Kraft, Lebendigkeit und Fülle begaben. So ungefähr denken wir uns, ohne die einzelnen Formen und Forderungen etwa direkt aus der Bibel ableiten oder als Schablone verstehen oder endlich sie als genügend und unfehlbar ausgeben zu wollen, ein Hineinwirken des Reiches Gottes, ein Hineinstrahlen des Evangeliums in das soziale Leben unseres Volkes.

IV. Die neue Demokratie.
Die angedeutete geistige und soziale Neuorientierung und Neuordnung der Gemeinschaft bedeutet für uns auch die N e u b e g r ü n d u n g  d e r  D e m o k r a t i e. An der Demokratie halten wir ohne Wanken fest, soweit sie ein lebendiges, immer neuer Gestaltungen fähiges P r i n z i p ist. Eine Schweiz, die nicht Demokratie wäre, würde zu einer lächerlichen Armseligkeit, deren äusserer Untergang nicht lange auf sich warten liesse. Wir weisen alle antidemokratischen Bewegungen als Todfeinde der Schweiz zurück.
Jede G e w a l t d i k t a t u r, auch die Diktatur des Proletariates, lehnen wir ab.
Solche Diktaturen zu proklamieren ist Frevel an der Schweiz, aber auch Verleugnung des wahren Sinnes des Sozialismus, wie noch viel mehr des Evangeliums.*
*Von der «Gewalt-Diktatur» unterscheiden wir eine von einer Gemeinschaft in höchster Not und nur für diese f r e i w i l l i g geschaffene, also s e l b s t g e w ü n s c h t e Führung durch einen Einzelnen oder Mehrere, denen besondere Vollmachten übertragen werden, die man jederzeit zurücknehmen kann. Deren Möglichkeit und Recht wollen wir nicht einfach leugnen; nur sollte man sie heute besser nicht mehr «Diktatur» nennen, und äusserste Vorsicht ist auch ihr gegenüber am Platze.

Was verstehen wir aber unter Demokratie? Bloss etwa ein möglichst allgemeines und möglichst häufig, vielleicht auch äusserst unverantwortlich funktionierendes Stimm- und Wahlrecht? Oder die unbedingte Herrschaft der «Majorität»? Wir verstehen darunter vielmehr das P r i n z i p  einer möglichst allgemeinen und möglichst tätigen Teilnahme jedes ihrer Glieder an einer M e n s c h e n g e m e i n s c h a f t. Das ist die Substanz der Demokratie, alles andere Schale und Nebensache. Man sieht, dass Demokratie nicht sowohl ein vorhandener Z u s t a n d ist, als ein Z i e l  d e s  S t r e b e n s. Sie ist, könnten wir sagen, die G l e i c h h e i t  i n  d e r  G e m e i n s c h a f t. Gleichheit darf aber niemals jakobinisch oder kollektivistisch verstanden werden. Sie bedeutet nicht Ignorierung der natürlichen und wirklich gottgegebenen Unterschiede zwischen Mensch und Mensch oder Ausschaltung derselben durch ein rationales Zwangsschema oder ein nationalistisches Gewaltdogma. sondern im Gegenteil gerade  d a s  R e c h t  A l l e r  a u f  f  r e i e  u n d
i n d i v i d u e l l e  E n t f a l t u n g, und zwar sowohl der Gemeinschaften als der
E i n z e l n e n.
In diesem Sinne ist geradezu ihr Prinzip der I n d i v i d u a l i s m u s, der freilich nicht das Recht der Gemeinschaft vergessen darf.
Sie bedeutet einfach die Anerkennung des u n b e d i n g t e n  W e r t e s  d e r  P e r s ö n l i c h k e i t, des h e i l i g e n  R e c h t e s, das auf dem Einzelnen wie auf der gottgeschaffenen Gemeinschaft ruht. Sie ist also in ihrer Wirklichkeit auch nicht bloss eine Gabe, sondern eine Aufgabe, nicht bloss Natur, sondern noch viel mehr Schöpfung des Geistes. Aber es bleibt oberstes Z i e l jeder Gemeinschaft, diese Gleichheit herzustellen, jedes Glied der Gemeinschaft an ihrem ganzen Leben in gleicher Würde und mit gleicher Lebendigkeit zu beteiligen. Darum stehen wir nicht an, Demokratie, so gefasst – und so allein ist sie zu fassen -, als die h ö c h s t e  F o r m
m e n s c h l i c h e n  Z u s a m m e n l e b e n s
zu betrachten. Wir betonen freilich nochmals, dass sie eine sehr grosse Mannigfaltigkeit von F o r m e n annehmen kann, die alle nach Zeit und Umständen ihr Recht haben. Aber die Behauptung, die Demokratie sei etwas, was zwar für die S c h w e i z allfällig passen möge, während für andere sich vielleicht der Absolutismus und die Diktatur besser eigneten, weisen wir zurück. D e m o k r a t i e  ist grundsätzlich für Alle die wertvollste politische Form, oder sie ist es für niemand. Denn sie ist der Ausdruck des unbedingten Wertes, der in jedem Menschen liegt. Andern die Fähigkeit zur Demokratie absprechen heisst also, ihnen diesen Wert absprechen. Es liegt also darin entweder eine Entwertung der Demokratie überhaupt oder eine Geringschätzung anderer Gemeinschaften. Diesen unbedingten Wert haben, von Gott her, Alle oder es hat ihn niemand. Wir leugnen auch durchaus, dass die demokratischen Gedanken «I d e e n von
1 7 8 9″ oder blosse Kinder der «A u f k 1 ä r u n g» seien. Man kann mit mehr Recht sagen, die antidemokratischen Gedanken seien Kinder der Romantik und des Naturalismus des neunzehnten Jahrhunderts. Die demokratischen Gedanken und Einrichtungen (man denke etwa an die Landsgemeinde ) stammen in der Schweiz teilweise aus der Wurzel der Eidgenossenschaft selbst her – sie sind, symbolisch gesprochen, auf dem Rütli gewachsen – teilweise aus der schweizerischen, durch Zwingli und Calvin geführten religiösen Reformation. Letzten Endes sind sie heiliges Gut aus dem Erbe Christi, sind sie Folgerungen aus der gleichen Gotteskindschaft aller Menschen. Ihre Form mag also wechseln; sie mögen in tieferer oder flacherer, in religiöser oder weltlicher Gestalt auftreten, je nach der Denkweise einer ganzen Zeit, aber sie sind ewiges Gut, gehören zu den Urelementen echten Menschentums und bilden als Ausdruck der Freiheit das Kleinod alles geschichtlichen Strebens. Sie preisgeben heisst auch die Schweiz aufgeben. Wenn wir uns auf diese Weise zur Demokratie bekennen, für welche wir schon einen langen und tiefgreifenden Kampf geführt, so tun wir dies unter folgenden Voraussetzungen:

1.Wir erkennen durchaus die vielfache E n t a r t u n g, der unsere vorhandene Demokratie verfallen ist: die mangelnde Lust und Kraft zur Tat und zur Verantwortung; den Kultus der Mittelmässigkeit; die Ueberwucherung durch das Parteiwesen und die Demagogie und anderes mehr. Die Demokratie muss neu begründet werden. Und zwar auf zwei Eckpfeilern: dem sozialen und dem religiösen.
Dem s o z i a l e n. Unsere Demokratie ist zerfallen, weil die w i r t s c h a f t l i c h e
S e l b s t ä n d i g k e i t  eines grossen Teiles der Volksgenossen zerfallen ist.

Demokratie hat zur Voraussetzung eine gewisse, nicht schablonenhaft zu verstehende G l e i c h h e i t der Volksgenossen. Sie m ü s s e n, wenn Demokratie sein soll, in sozialer Beziehung ein Stück e i g e n e n  B o d e n  u n t e r  d e n  F ü s s e n  h a b e n.
Wo aber ein grosser Teil des Volkes bloss noch Empfänger von Lohn und Gehalt ist, mit seiner Arbeit keine innere Verbindung hat, der ganzen Unsicherheit des sogenannten Arbeitsmarktes ausgesetzt ist, wo die grossen Geldmächte mit all den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, namentlich durch die Presse, die Völker beherrschen, da wird die Demokratie zur verhängnisvollen Fiktion. Auf diesem Boden gedeiht nicht die Demokratie, sondern die
D e m a g o g i e, die zu irgendeiner Form der Diktatur wird. Wenn also die Demokratie wieder hergestellt werden soll, dann muss e i n e  n e u e  a l l g e m e i n e  V o l k s f r e i h e i t, eine neue Freiheit für A l l e, geschaffen werden; es muss jeder Volksgenosse zunächst in wirtschaftlicher Hinsicht wieder jenes Stück eigenen Boden unter die Füsse bekommen. Dies wird durch die Neuordnung, die wir andeuteten, bewirkt.
Die Demokratie muss, wenn sie leben will, zur s o z i a l e n Demokratie werden. In ihrem Erdreich kann auch das Giftkraut der D e m a g o g i e  nicht gedeihen. Diese hat, wie wir schon gesagt haben, ihren üppigen Nährboden in der Unselbständigkeit und Wurzellosigkeit zum Pöbel gewordener Volksmassen, seien diese nun Bourgeois oder Proletarier, Intellektuelle oder Analphabeten, und gehört, wie ebenfalls schon gesagt worden ist, mit der Diktatur und allem, was damit zusammenhängt, in die gleiche Kategorie. Nur im Boden verantwortlicher allgemeiner Volksfreiheit sterben ihre Wurzeln ab.
Aber zu diesem sozialen Eckpfeiler der neuen Demokratie muss der g e i s t i g e treten, den wir wieder den r e l i g i ö s e n nennen. Es muß unter uns wieder eine W e l t a n –
s c h a u u n g und L e b e n s a u f f a s s u n g Macht gewinnen, die dem Menschen einen unbedingten Wert zuschreibt
, ihm damit Würde und Stolz verleiht, in ihm sowohl das Freiheitsbewusstsein als das Pflichtbewusstsein gleichzeitig begründet und ihn mit den Mitmenschen in eine tiefe und heilige Verbindung bringt. Diese Gesinnung kann selbstverständlich nicht auf dem Boden des Naturalismus, Materialismus und Mechanismus gedeihen, welche die letzte Periode beherrscht haben. Auf diesem Boden musste die Demokratie mit Notwendigkeit verfallen und niemand darf sich darüber wundern. Auf ihm gedeiht am besten jede Form v. G e w a l t g l a u b e n. Zur Demokratie gehört ein d e m o k r a t i s c h e r  G l a u b e  und dieser kann nur wachsen und leben aus dem Glauben an eine geistige Welt, deren letztes und höchstes Wort für uns C h r i s t u s ist.
Nur auf der Grundlage der T h e o k r a t i e gibt es echte Demokratie.
Durch sie noch mehr als durch die soziale Gleichstellung wird auch die Demagogie ausgeschlossen – durch Zwingli und Calvin noch mehr als durch das Rütli.
Wenn wir das Prinzip der Demokratie festhalten, so doch keineswegs alle ihre bisherigen F o r m e n. Einige von uns haben schon längst den sogenannten P a r l a m e n t a r i s m u s abgelehnt und andere Ausdrucksformen der Demokratie verlangt. Auch wir halten es längst schon für richtig, dass das Prinzip einer echt demokratischen Volksvertretung die A r b e i t s – u n d  B e r u f s o r g a n i s a –
t i o n  d e r  G e s e l l s c h a f t
sei. Das R ä t e s y s t e m, das man nicht mit den heutigen Sowjets verwechseln darf (es ist ursprünglich von dem idealistischen und ethischen Sozialismus der sogenannten Sozialrevolutionäre geschaffen und ist auch von nicht- sozialistischen Denkern empfohlen worden), bildet einen Hinweis auf diese Möglichkeit, das
G e w e r k s c h a f t s w e s e n einen Anfang davon. Diese Organisation der ganzen Gesellschaft nach der Arbeit kann von der politischen Seite her mithelfen, die Arbeit wieder mehr zum B e r u f und zum W e r k zu machen. Aus jenen Organisationen müsste dann das erwachsen, was an die Stelle der heutigen Parlamente träte. Einem W i r t s c h a f t s r a t, der, wie der Name sagt, wesentlich wirtschaftliche Fragen behandelte, wäre wohl ein mehr nach p o l i t i s c h e n Gesichtspunkten gewählter Rat an die Seite zu setzen. Jenen Organisationen müsste sehr vieles übergeben werden, was heute der S t a a t mit seiner Bureaukratie besorgt. In ihnen müsste eine weitgehende Demokratie walten in Form einer u n m i t t e l b a r e n  S e l b s t r e g i e r u n g und einer durch V e r t r a u e n s –
l e u t e , die jeder kennte und zu kontrollieren vermöchte, die aber ohne S a c h v e r –
s t ä n d n i s undenkbar wäre.
Zu dieser Form von Organisation träte dann die von uns angedeutete g e n o s s e n s c h a f t l i c h e in ihrer Mannigfaltigkeit. Sie müsste ebenfalls möglichst wenig etatistisch sein. Das ergäbe wieder eine f ö d e r a l i s t i s c h e , nicht etatistische Gestaltung der Gemeinschaft, ein reiches, buntes, freies, wahrhaft demokratisches Leben. Was wir S t a a t nennen müsste wesentlich eine oberste Kontrolle, ein verbindendes Glied für diese korporative Gemeinschaft sein, eine Wahrung des G e s a m t i n t e r e s s e s gegenüber den Interessen der einzelnen Gruppen.
Das P a r t e i w e s e n aber in der heutigen Gestalt, mit allem was dazu gehört, müsste in einer solchen Gemeinschaft von selbst verschwinden
und freieren, fliessenderen Formen des stets bleibenden und wünschenswerten K a m p f e s Platz machen. Man sieht, dass wir ähnlichen Bestrebungen der sogenannten F r o n t e n viel Recht und Wahrheit zuerkennen. Unser Sozialismus kommt ihnen weithin entgegen. Nur zweierlei ist zu betonen. Einmal: Diese neuen korporativen Formen dürfen nicht wie beim Faschismus und Bolschewismus einem a b s o l u t e n  S t a a t e dienen und zu Rädern an seiner Maschinerie werden. Wir lehnen den absoluten Staat in j e d e r Form als Moloch ab. Sie dürfen aber auch nicht r e a k t i o n ä r verstanden werden, auch nicht im Sinne der katholischen S o z i a l r o m a n t i k; sie haben für uns vielmehr nur Recht und Wert auf dem Boden eines echten, im guten Sinne radikalen Sozialismus. Die Arbeit kann in letzter Instanz wieder Beruf und Werk werden nur durch eine völlige Beseitigung des Kapitalismus und diese nur durch eine radikale U m w ä l z u n g, die sowohl sozialer als religiöser Natur sein muss, zustande kommen. Auf jedem andern Weg gerieten wir im besten Fall bloss wieder in eine Art P a t r i a r c h a l i s m u s oder eine neue und dauernde V e r s k l a v u n g der Arbeiterschaft hinein. Die neue Arbeitsorganisation der Gemeinschaft darf auch nicht ein abgestaubtes Modell der mittelalterlichen Z u n f t – u n d S t ä n d e o r d n u n g  sein wenn sie auch einen gewissen geistigen Zusammenhang mit dem l e b e n d i gen Sinn der mittelalterlichen Zunft anerkennen mag -, sondern muss lebendig und organisch bei den Entwicklungen der G e g e n w a r t einsetzen und sie schöpferisch weiterführen. Diese neuen Formen dürfen darum auch kein poetisch oder wissenschaftlich konstruiertes S c h e m a sein, das man den gesellschaftlichen Erscheinungen aufdrückte, sondern müssen wie ein organischer Leib aus ihrer Seele erwachsen und von uns weniger geschaffen als erkannt und gefördert werden. Die soziale Entwicklung ist heute ganz deutlich durch eine solche starke Tendenz zu einer neuen Organisation von unter her, auf Grund der Arbeit und des Berufes charakterisiert; diese Entwicklung muss also bloss weitergeführt und zu einem Abschluss gebracht werden, und dies natürlich nicht auf einen Schlag, sondern von Fall zu Fall, in einem organischen Wachstum, das aber, wie alles gesellschaftliche Geschehen, immer auch schaffende Tat ist. Das Verhältnis der durch diese Entwicklung entstehenden Korporationen zueinander ist nach u n s e r e m Denken und Wollen nicht als ein staatlich gebundenes und ein für allemal festgelegtes zu denken, wie im faschistischen Korporativstaat, sondern als auf immer neuer, freier Verständigung beruhendes und in einer lebendigen, auch Ringen und Kämpfen einschliessenden Entwicklung befindliches. Und sie sind so wenig Ausdruck und Werkzeug eines absoluten Staates, dass sie vielmehr an die Stelle dieses Staates mit seinen Allmachtansprüchen, seinem Zentralismus und seiner Bureaukratie treten und als «Staat» im engeren Sinne nur bescheidene Organe für das Prinzip der Gemeinschaft A l l e r übrig lassen. Zu dieser Berufsorganisation der Gesellschaft seien noch zwei Bemerkungen gemacht, eine lange und eine kurze.

Zum Ersten: Es wäre in unsern Augen ein schwerer Irrtum, wenn sich der r a d i k a l e
S o z i a l i s m u s dem Postulate der Berufsorganisation der Gesellschaft oder der korporativen Idee verschliessen wollte, ein ebenso schwerer, als es einer war, dass er für das
f ö d e r a l i s t i s c h e Denken (wie es auf dem Boden des nichtmarxistischen Sozialismus in der Nachfolge Proudhons besonders tief und konkret etwa ein Gustav Landauer vertrat) kein Verständnis hatte. Wieder zeigt sich hier ein Versagen des Marxismus. Er, der doch das ganze Leben der Gesellschaft auf die A r b e i t statt auf das Kapital begründen wollte, hatte absolut keine F o r m e n für eine solche auf die Arbeit gegründete neue Organisation der Gesellschaft. Ihm kam es eben überhaupt nicht darauf an, die Arbeit i n n e r l i c h umzugestalten, der Arbeit einen neuen Sinn und Wert zu geben; sein Ziel war vielmehr bloss, ihren vollen E r t r a g für den Arbeiter zu erobern und sie selbst nach Möglichkeit zu v e r k ü r z e n. Das hing wieder mit seiner innern Gebundenheit an den Grossbetrieb, seinem Glauben an die Maschine und seiner Neigung zum Rationalismus zusammen. Er kannte drum nur irgendein zentralistisches Direktorium für das Arbeitsleben wie für das Wirtschaftsleben überhaupt, so etwa, wie man es in Russland zu verwirklichen strebt; aber diese Form hat sich als nichtig erwiesen. So endigte der Zug nach dem gelobten Land der Arbeit in einer Wüste. An diese durch den marxistischen Sozialismus leer gelassene Stelle hat sich der F a s c h i s m u s , der illegitime Sohn des Proudhonistischen Sozialismus («Anarchismus») gesetzt. Und nun scheint der radikale Sozialismus im Rechte zu sein, wenn er die korporative Idee, nachdem sie in solche Hände geraten, ablehnt. Und doch ist es eine grundverkehrte Taktik wenn man ein schweres Versäumnis durch ein anderes gutmachen will. Der Sachverhalt ist doch deutlich der:
D i e  k o r p o r a t i v e  O r d n u n g  i s t  i n  i r g e n d  e i n e r  F o r m  n o t w e n d i g; kommt sie nicht in einer radikalen und sozialistischen, dann in einer reaktionären, ja faschistischen Form. Also ist es Sache eines Sozialismus, der Augen für die Aufgaben der S t u n d e hat, den korporativen Gedanken oder die Berufsorganisation der Gesellschaft auf s e i n e Weise aufzunehmen und zu gestalten. Das liegt ihm doch um so näher, als er ja im G e w e r k s c h a f t s – und G e n o s s e n s c h a f t s w e s en schon gewaltige Grundlagen und Grundformen dafür besitzt. Er muss bloss seinen Rationalismus und Zentralismus aufgeben und den verhängnisvollen Traum von der Aufrichtung des Sozialismus durch die blosse Gewinnung der politischen Macht, besonders durch Wahlen, entschlossen abschütteln. Richtig dagegen ist die Ablehnung der sogenannten
S t ä n d e o r d n u n g.
Diese ist und bleibt ein konservatives, ja patriarchalisches Ideal, das allzu leicht der R e a k t i o n dienstbar werden kann. Denn sie ruht auf der Voraussetzung eines sozusagen in der Weltordnung (oder gar «Schöpfung»] begründeten natürlichen und ewigen Unterschiedes zwischen gewissen sozialen Schichten. Sie m u s s zwar nicht unbedingt so verstanden werden, aber die Gefahr, dass es geschehe, ist so gross, dass die Ablehnung dieser ohnehin stark romantisch geprägten Idee richtig ist. Wir wollen und sollen nicht die heutige Arbeiterschaft und die ihr verwandten Klassen im wesentlichen auf dem heutigen Niveau und in den heutigen Ordnungen, die mit einem idealen, vielleicht sogar religiösen Vorzeichen versehen würden, festhalten, sondern zu jener vollen D e m o k r a t i e gelangen, von der noch weiter zu reden sein wird. Aber gerade dafür ist die recht verstandene korporative Ordnung ein ausgezeichnetes und wohl das einzig mögliche Mittel.*
*Wie man sieht, unterscheide ich zwischen «ständischer» und «k o r p o r a t i v e r» Organisation. Ich lehne eine «ständische» Gliederung der Gesellschaft aus den im Text angegebenen Gründen ab, möchte aber das Wort von der «Korporation» nicht dem Faschismus oder der Sozialromantik überlassen.

Zum Zweiten aber müssen wir davor warnen, diese Formen als s o l c h e  z u  w i c h –
t i g  z u  n e h m e n, als ob es mit ihnen schon getan wäre.
Nein, so wertvoll sie sind, haben sie ihren Wert doch nur als Ausdruck eines G e i s t e s. Auf ihn kommt es wesentlich an. Er schafft sich auch von selbst seinen Leib. Namentlich wäre es ganz verkehrt, zu meinen, die korporative Ordnung bedeute als solche schon eine A u f h e b u n g
d e s  K l a s s e n k a m p f e s.
Der Klassenkampf ist nicht eine Organisationsform der Gesellschaft und kann daher auch nicht durch eine neue Organisationsform aufgehoben werden. Er ist ein Prinzip, ein Geist, eine Entartung und kann daher nur durch eine Veränderung in den religiösen und sozialen Grundlagen der Gesellschaft überwunden werden, nicht schon durch eine blosse neue F o r m. Die korporative Organisation kann also nicht schon an sich die Ueberwindung des Klassenkampfes, sondern bloss der A u s d r u c k einer solchen sein.

3.Wir fügen zu diesen Grundzügen der neuen Demokratie noch den F ö d e r a l i s m u s
in der Gestaltung des gesamtschweizerischen Lebens hinzu. Er versteht sich auf unserem Boden von selbst. Eine zentralisierte, von einer Bureaukratie beherrschte Schweiz wäre keine Schweiz mehr und bedeutete auch nichts mehr.
Die Schweiz muss eine E i d – G e n o s s e n s c h a f t bleiben. Aber zwei Voraussetzungen sind dabei zu machen. Dieser Föderalismus muss durch eine gemeinsame I d e e ergänzt, vor Partikularismus, Kirchtumspolitik und kantonalem Spiessertum bewahrt werden.
Auch müssen die Länder (Kantone) g e i s t i g  b e l e b t sein, geistige und kulturelle Autonomie haben. Dafür bietet sich die V o l k s h o c h s c h u l e als neues Organ an. Sie muss eidgenössisch und ständisch zugleich, jedenfalls schweizerisch sein, daneben auch ein Organ der U e b e r w i n d u n g des P a r t e i w e s e n s und der Schaffung einer n e u –
e n  V o l k s k u l t u r.*
*Vergleiche dazu «D i e  p ä d a g o g i s c h e  R e v o l u t i o n» von Leonhard Ragaz» und den Abschnitt «Das kulturelle Programm» im «S o z i a l i s t i s c h e n  P r o g r a m m»
(von J e a n  M a t t h i e u], nebst den Arbeiten von F r i t z  W a r t e n w e i l e r.

4.Und auch das sei nicht vergessen, dass wir in einer derartigen neuen Gemeinschaft der
F r a u ebensoviel Recht und Wirksamkeit eingeräumt wissen möchten als dem Mann. Wir erwarten nichts von blosser Gleichmacherei, aber sehr viel von befreiter und neu geheiligter Frauenart und Frauenkraft.

5.Also nicht Auflösung der Demokratie, sondern Erfüllung; nicht weniger Demokratie, sondern mehr, aber andere und bessere. Vor allem lebendigere und unmittelbarere. Die Demokratie muss a u s Geist und Materie und i n Geist und Materie, von unten und von oben her, neu aufgebaut werden. Aus der Demokratie der blossen Politik und der blossen Politiker muss die Demokratie des ganzen Lebens und des ganzen Volkes werden. Die Gesundung des ganzen demokratischen Prinzips, die wir von seiner Erneuerung aus den Quellen her erwarten dürfen, wird auch seinen einzelnen Elementen und Ausdrucksformen neuen Sinn und Ernst verschaffen. S t i m m e n  u n d  W ä h l e n muss aus der heutigen mechanischen, oft ganz leeren und sinnlosen, unverantwortlichen Form, die aller Demagogie und Diktatur offen steht, gelöst werden, am besten eben durch jenes frei zu gestaltende Rätesystem, das Elemente der alten Landsgemeinde in sich trägt. Es muss ernsthafter, gewissenhafter gemacht, «aufgewertet» werden, aber ja nicht etwa wieder an Geld, Schulung oder Geburt gebunden, sondern allen im Prinzip gleich zugänglich sein. Zu dieser neuen Lebendigkeit und diesem neuen Ernst müssen Geist und Materie gleichmässig beitragen. Sie müssen aus jener g e i s t i g e n Umwälzung stammen, die im letzten Grunde eine religiöse sein wird, also von den Höhen herkommen, aber sie müssen sich anderseits gerade in der Materie des Alltags bewähren und üben. Wir erwarten und verlangen ja von unseren Voraussetzungen aus eine Verwaltung der wirtschaftlichen Dinge, worin,
g r u n d s ä t z l i c h gesprochen, Alle gleichmässig Anteil, Alle gleichmässig Rechte und Pflichten haben. Dazu gehört in irgendeiner Form die B e t r i e b s d e m o k r a t i e, die den Arbeitsuntertanen zum Arbeitsbürger macht. Die Formen, die wir für diese wirtschaftliche Selbstverwaltung vorschlagen, setzen einerseits freilich demokratischen Geist, demokratisches Verantwortlichkeitsgefühl voraus, sollen und können aber zugleich selbst eine hohe Schule der Demokratie werden.

V. Der neue Adel.
Aber diese neue Demokratie darf nun freilich so wenig wie die andere zur Ochlokratie (= Herrschaft der blossen Masse) oder Anarchie werden. Einmal ist auch sie nicht eine Gegebenheit, sondern eine Aufgabe. Sodann darf sie nicht ein rationales Schema werden, sondern muss organisch wachsen. Sie darf ferner nicht bloss in Erwerbung von
R e c h t e n bestehen, sondern muss stets mit vermehrten Rechten auch vermehrte
P f l i c h t e n verbinden.
Es gibt keine echten Pflichten ohne entsprechende Rechte, und das müssen viele sich noch klar machen, wenn sie den Ruf zur neuen Demokratie verstehen wollen. Andere aber müssen sich klar machen, dass es keine echten Rechte ohne Pflichten gibt. Die neue Demokratie muss darum ein Werk der E r z i e h u n g sein.
Darum aber schliesst sie auch F ü h r u n g und G l i e d e r u n g ein.
Es braucht wohl nicht besonders gesagt zu werden, dass auch in einer sozialen Demokratie, die sich gerade im Wirtschaftsleben ausprägt, nicht eine Herrschaft Aller stattfinden kann und soll. Es werden die Einen regieren und die Andern regiert werden, die Einen führen, die Andern geführt werden, alles nach Anlage und Tüchtigkeit. Der Unterschied dieser neuen Art von Führung gegenüber der bisherigen wird nur darin bestehen, dass sie nicht autokratisch und diktatorisch und nicht an Geburt und Geld, sondern an die Tüchtigkeit gebunden ist. Die Demokratie kann überhaupt nur bestehen, wenn sie zugleich Auslese der Tüchtigsten ist. Zur Demokratie gehört A r i s t o k r a t i e. Nur soll es eine f r e i e Aristokratie, eine Aristokratie für A l l e sein, eine Aristokratie, die Alle erfassen möchte. Das F ü h r e r p r o b l e m ist auf der einen Seite durch die Jugendbewegung und den Faschismus, auf der andern durch die Massendemokratie und das Parteiwesen in den Vordergrund geschoben worden. Es ist tatsächlich ein fundamentales Problem der Zeit. Und gerade auch für die Demokratie. Denn es ist durchaus zuzugeben, dass diese leicht zu einer Schule nicht nur der Unverantwortlichkeit, sondern auch der Mittelmässigkeit, Feigheit und Charakterlosigkeit werden kann. Nur wird das Problem in der politischen Bewegung der Gegenwart meistens falsch gestellt. Man glaubt, Führertum m a c h e n zu können; ja manchmal sieht es beinahe aus, als ob man es z ü c h t e n wolle. Noch einfacher ist, wenn es ohne weiteres sich selbst zuspricht. Oder man bindet es wieder an Geburt, Geld, Schulung. Von diesem Führertum erwarten wir nichts als einen noch grösseren Betrug. Es wird uns bloss die letzte Steigerung der Demagogie bringen, wie übrigens schon ziemlich vor Augen liegt. Nein, das Führertum, das wir brauchen, muss ganz anders sein und ganz anderswoher kommen. Rechtes Führertum muss g e s c h e n k t werden. Es muss aus dem Boden eines durch Gemeinschaftlichkeit verbundenen und von einer allgemeinen Atmosphäre der Freiheit durchdrungenen Volkslebens von selber emporwachsen. Und es bedarf auch besonderer
g e i s t i g e r Voraussetzungen. Nur da können wahre Führer wachsen, wo man etwas von E h r f u r c h t und von B e r u f u n g weiss, wo man Freiheit zugleich als Bindung versteht und wo man in der Furcht Gottes auch der Masse zu widerstehen vermag. Denn das vor allem gehört zu einem wirklichen Führer und unterscheidet ihn vom Demagogen. Wer aber der Masse widersteht, der wird unter Umständen von ihr verlassen.
Und hier taucht jene letzte Wahrheit auf, die zu vergessen es schon der ganzen Geistlosigkeit dieses Zeitalters bedarf: Die wahren, grossen Führer der Völker und Zeiten finden keineswegs ohne weiteres das allgemeine Gefolge; dies wird viel eher den Demagogen, ja sogar den grossen Charlatanen zuteil. Die wahren Führer werden eher «gekreuzigt und verbrannt». Und doch ist entscheidend, dass solche aufstehen. Sie aber können ihre Aufgabe nur im Bunde mit G o t t durchführen. Und nur wenn ganze Völker und Zeiten wieder etwas von Gottes Geist verstehen, hören sie auf s o l c h e Führer. Wieder führen die letzten Probleme der Demokratie zur Theokratie. «Gott dienen ist Freiheit.» Darum rufen wir einer Zeit, die Führer sucht, zu: Schlage deinen Spengler zu und schlage deinen Carlyle auf!  Auf solche Weise möchten wir ein Element der Aristokratie mit der Demokratie verbunden wissen. Wir möchten in einer sozialistisch bestimmten Gemeinschaft so weit als möglich der p e r s ö n l i c h e n  I n i t i a t i v e, ja sogar dem W a g n i s Raum lassen.
Wir wünschen zwischen «Geführten» und «Führern» ein Vertrauensverhältnis, das möglichst wenig durch Statuten gehemmt wäre. Unser Ziel ist nicht eine rationalisierte, utilitarische, hedonistische, sondern eine organische, persönliche, heroische Demokratie. Und so fassen wir auch den Sozialismus. Wir wollen nicht Libertinismus, sondern
n e u e  Z u c h t. Wir wollen nicht nur Freiheit, sondern auch A u t o r i t ä t. Aber nur Zucht auf dem Boden der F r e i h e i t und für die Freiheit, und nicht auf dem Boden der Diktatur und für die Sklaverei – und
auch die Autorität soll e i n e  f r e i  a n e r –
k a n n t e sein. In diesem Sinne hoffen wir auf einen neuen Adel.
Er soll aus einem neuen Geist und einer neuen Gemeinschaft herauswachsen und diese dann wieder fördern und hüten. Er muss aus einer E r w e c k u n g kommen. Die Demokratie ist, wie der Sozialismus, den wir vertreten, auch eine Sache der E r z i e h u n g. Wir sagten es schon mehrfach. Diese Erziehung darf aber nicht so verstanden werden, als könnte sie durch einen eigens dafür konstruierten Schulapparat dem Volke beigebracht werden. Sie muss vielmehr der Stil und die Atmosphäre des ganzen Volkslebens sein. Aber wie der allzu grosse Unterschied des Besitzes das Volk auseinander reisst, so auch die allzu grosse Verschiedenheit der B i l d u n g, oder vielmehr einer Schulung, die mit Bildung verwechselt wird. Wenn wir eine Demokratie wollen, die Fundamente hat, dann muss allem Volk eine
g e i s t i g e  W ü r d e verliehen werden, zu der auch ein bestimmter Anteil an einer wahren und echten Volks- und Menschenkultur gehört. Dieser Anteil besteht aber nicht in einem bestimmten Mass des Wissens oder der intellektuellen Schulung, sondern viel mehr in der unmittelbaren Zugänglichkeit der eigentlich wertvollen geistigen Güter.
Es ist also eine d e m o k r a t i s c h e  K u l t u r herauszuarbeiten. Auch für sie kann die rechtverstandene
V o l k s h o c h s c h u l e  ein ausgezeichnetes Organ sein. Die V o l k s s c h u l e  aber (die sehr wohl zu ihrem höchsten Vorteil, ohne Utopismus und ohne aus dem Rahmen des Volksganzen herauszufallen, auch freiere, mehr genossenschaftliche Formen annehmen könnte, durch die allerlei trennende Probleme, wie z. B. der Kampf um die Religion in der Schule am besten gelöst würden)*, hat die Aufgabe, diesen demokratischen Geist und Stil allem Volke zu vermitteln, soviel als möglich ohne zu grossen Betrieb.
*Vergleiche dazu: «Die heutige religiöse Lage und die Volksschule» von Ludwig Köhler und Leonhard Ragaz.

Pestalozzi ist dabei, recht verstanden, immer noch der beste Führer. Er zeigt auch am besten, welcher Art die Führerschaft ist, auf die wir vor allem hoffen müssen: nämlich die eines n e u e n  D i e n e n s. Sie wird uns, wie gesagt, nur aus einer geistigen Erweckung geschenkt werden. Es sei aber noch hinzugefügt, dass dieser neue Adel vor allem auch an das Wort gebunden ist: Noblesse oblige (Adel verpflichtet). Er wird nicht eine Sache der Ueberhebung sein, sondern eine schwere Aufgabe. Und er wird sich vor allem auch in einer v o r b i l d l i c h e n, dem Führertum angemessen persönlichen Haltung und Lebensgestaltung bewähren müssen. Ein neuer Sozialismus wie eine neue Demokratie werden an ihre Führer bald und strenge solche Forderungen stellen müssen. Sie werden sich den neuen Adel e r z w i n g e n. Und damit auch einen neuen Stil und Ton des öffentlichen Lebens überhaupt, vor allem eine neue P r e s s e als Ausdruck davon und Organ dafür.

VI. Der weitere Kreis.
Sozialismus, Volksgemeinschaft, Demokratie dürfen nicht als isolierte Tatsachen betrachtet, sondern müssen in einen grössern Zusammenhang gestellt werden. Nur so kann ihr Sinn ganz verstanden und ihr Recht vor Irrtum und Entartung bewahrt werden. Auf diesen grössern Zusammenhang soll noch kurz hingewiesen werden.
1.Auch die in diesen Ausführungen entwickelte Denkweise muss in steter Berührung und Auseinandersetzung mit a n d e r n  G e i s t e s s t r ö m u n g e n , sei’s verwandten, sei’s gegnerischen, stehen, wenn sie sich selbst verstehen und lebendig bleiben will. Wir haben uns darum in diesen Erörterungen bisher besonders mit den neuen Bewegungen, die sich in der Schweiz als «Fronten» geben und mit den hinter ihnen stehenden Gedanken auseinandergesetzt. Nun soll noch eine Konfrontierung mit gewissen t y p i s c h e n  p o l i t i –
s c h e n  D e n k f o r m e n stattfinden, die zu allen Zeiten sich einstellen. Vorausgeschickt sei: Wir sind k e i n e  P a r t e i und wollen keine werden. Wir sind eine Bewegung, das heisst: wir wollen mit unsern Gedanken in einen möglichst weiten Kreis dringen, ohne sie in die Form einer politischen Organisation zu zwingen und dadurch zu verengern. Wir appellieren damit an alle Parteien und alle Denkweisen. Aber wir nehmen selbst doch eine ganz bestimmte Haltung ein. Wie verhält sich diese zu jenen Parteien und Denkweisen?
Wir fassen dieses Verhältnis so auf: Wenn wir uns auf die s o z i a l i s t i s c h e Seite stellen, so wollen wir damit, soviel an uns liegt, nicht einen Abgrund zwischen uns und der b ü r –
g e r l i c h e n Welt aufreissen ; wir möchten vielmehr gern Brücken bauen, möchten das Beste an der bürgerlichen in die neue sozialistische Kultur hineinnehmen und so den notwendigen Uebergang auch für die bürgerliche Welt erleichtern.
Wenn wir sodann den Liberalismus ablehnen, so nur soweit er einseitige Betonung des Individuums wie der Privatwirtschaft und Verbündeter des Kapitalismus ist; wir möchten ihn aber bewahrt wissen als Prinzip der freien Bewegung im Sinne der Unabhängigkeit von staatlichen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Z w a n g s g e w a l t e n. In diesem Sinne verstanden ist er eine e w i g e Wahrheit, und wir möchten ihn fortführen und vermehren, nicht schwächen oder gar abtun. In gewissem Sinne ist auch der Sozialismus eine Fortführung des Liberalismus nach seiner tiefsten Absicht. Auch kann wahre D e m o k r a t i e ohne Liberalismus nicht sein. Zur Gleichheit in der Gemeinschaft, wie zur Brüderlichkeit gehört auch die Freiheit. Liberalismus, Demokratie und Sozialismus bilden insofern eine notwendige Einheit. Aehnlich verhalten wir uns zur k o n s e r v a t i v e n Denkweise.
Wir lehnen die r e a k t i o n ä r e Denkweise ab, deren Sinn und Zweck die wenn nötig gewalttätige Rückkehr zu Verhältnissen ist, die selbst auch g e w o r d e n und keineswegs ursprunglich sind, aber wir bekennen uns zu einem konservativen Denken, soweit unter diesem die Bewahrung und Wiederherstellung der heiligen Urelemente des Lebens verstanden wird. Diese wollen auch wir. Wir geben dem konservativen Denken recht, wenn es über dem Vorwärtsschreiten den Zusammenhang mit der Vergangenheit nicht preisgeben will, ja wir wissen, dass wer richtig vorwärts will, entsprechend zurück muss. Wenn wir r e v o l u t i o n ä r sind, in dem Sinne dass wir eine grundsätzlich neue Ordnung wollen, so soll dieses Revolutionäre bloss die Verwirklichung uralter heiliger Forderung und Sehnsucht sein. Erfüllen, nicht auflösen; auch in der Auflösung erfüllen! Das alles sagen wir nicht, um die Gegensätze zu verwischen und uns Bundesgenossen zu erwerben, sondern bloss, um damit die Möglichkeit jenes loyalen und ritterlichen Geisteskampfes zu schaffen, der in unsern Tagen so sehr abhanden gekommen ist.
2. Es ist aber auch nötig, dass wir den Blick auf den ü b e r n a t i o n a l e n Zusammenhang richten. Was wir bisher als Sozialismus und Demokratie dargestellt haben, wurde in einem nationalen Rahmen gedacht. Aber wir müssen darüber doch noch hinausgehen. Zwar glauben wir, dass der I n d u s t r i a l i s m u s, jene Wirtschaftsmethode, die vor allem auf Export von Waren eingestellt war, seinem Ende entgegengehe. Wir fordern eine Planwirtschaft, die B e d a r f s w i r t s c h a f t ist. Damit ist schon gesagt, dass wir für die Forderung
der A u t a r k i e Verständnis haben. Aber die Abschliessung der Völker gegeneinander kann uns, die wir an das alle Menschen und alle Völker zu einer grossen Familie zusammenfassende Gottesreich der Bibel glauben, nicht das höchste Ziel sein. Wir glauben, dass auch die Völker am besten gedeihen, wenn sie sich nicht selbst isolieren, sondern den Segen der Gemeinschaft suchen. Ein freies, reiches, vom Gemeinschaftsprinzip, nicht von Profit und Ausbeutung bestimmtes A u s t a u s c h v e r h ä 1 t n i s, worin der Ueberfluss der einen Völker und Erdstriche den Mangel der andern ergänzt, will uns wirtschaftlich so gut wie religiös als das bessere und edlere Ziel erscheinen, denn eine hochmütig und selbstisch, wenn nicht gar militaristisch verstandene Autarkie. Und so halten wir auch die
D e m o k r a t i e eines einzelnen Volkes für schwer durchführbar, wenn sie nicht in eine
V ö l k e r d e m o k r a t i e eingefügt und von ihr getragen ist. Wir können uns also, um zu diesem heutigen Stichwort auch Stellung zu nehmen, durchaus zu einem n a t i o n a l e n
S o z i a l i s m u s bekennen, wenn das heissen soll, dass auch der Sozialismus nationale Form annehmen, in die nationale Form eingehen muss, um lebendig, konkret, organisch zu werden, aber wir lehnen jeden Nationalismus schon hier mit Schroffheit ab. Er widerspricht auch dem tiefsten Wesen des Sozialismus. Denn dieser ruht auf der Voraussetzung des heiligen Rechtes jedes Menschen als Menschen. Wer aber dieses Recht E i n e m abspricht, spricht es A l l e n ab. Ein auch nationaler Sozialismus ist also möglich und geboten, aber ein n u r nationaler Sozialismus ein Widerspruch in sich selbst. Gerade das Edelste am Sozialismus ist ein menschheitliches Element und erinnert an die tiefste Wahrheit des Gottesreiches. Das gleiche gilt ja auch von der D e m o k r a t i e. Wie wir gesagt haben: Sie ist für alle oder für niemand; nur in einer Völker-Demokratie kann die Volks-Demokratie ganz zu sich selbst kommen.
3. Zum dritten aber möchten wir gerade an dieser Stelle noch auf einige allerletzte und allerwichtigste Zusammenhänge hinweisen. Besonders möchten wir noch eine Tatsache hervorheben: den G e w a l t – u n d E i g e n t u m s b a n n, der auf unserer Gesellschaft liegt, mit all seiner Gier und Brutalität. Wir möchten wieder darauf hinweisen, dass gewisse revolutionäre und reaktionäre Erscheinungen der Gegenwart wohl gerade den Sinn haben, uns die Dringlichkeit einer Wiedergeburt der Sache Christi unter uns vor Augen zu führen.
Der K o m m u n i s m u s der Bolschewiki in seiner Verbindung mit der «Gottlosenbewegung», dieser Kommunismus des Antichrist – sollte er nicht den Sinn haben, uns an den Kommunismus C h r i s t i zu erinnern, den Geist der Verantwortung vor Gott für alles und der Zusammengehörigkeit mit allem in Gott? Der faschistische und bolschewistische K o l l e k t i v i s m u s – sollte er nicht eine Mahnung sein an die vergessene, auf die Freiheit des Gotteskindes gegründete Brüderlichkeit des Neuen Testamentes? Nur eine neue Ausgiessung des Geistes von diesen letzten heiligen Höhen her wird darum unsere Gesellschaft retten und heilen und ihr die Kraft einer Neugestaltung
ihrer Ordnungen verleihen.

VII. Das Vaterland und seine Verteidigung
Wir haben stets das göttliche und menschliche Recht von V o l k s t u m,  H e i m a t,
V a t e r l a n d, N a t i o n eingesehen und ausgesprochen. Sie gehören (wie auch die
F a m i l i e) auch zu den heiligen Urelementen der menschlichen Existenz und damit zu der Schöpfung Gottes.
Wir haben als die ersten das Problem der Schweiz neu aufgeworfen, das Wesen und Recht unserer politischen Gemeinschaft, die Bestimmung der Schweiz, den Sinn des Schweizerturns und der schweizerischen Kultur aus der Geschichte wie aus der gegenwärtigen Lage unseres Volkes zu verstehen und zu deuten versucht, in grosser Einsamkeit und ohne in den Kreisen, die sich heute «national» und «vaterländisch» nennen, ein stärkeres Echo zu finden. Gerade gegen diese Kreise vielmehr und ihre innere Abhängigkeit von der Kultur und den politischen Losungen eines Nachbarlandes haben wir, besonders während des Krieges, aber auch nachher die kulturelle und politische Selbständigkeit der Schweiz verteidigen müssen. Es muss uns seltsam berühren, wenn gerade diese Kreise, welche so sehr bereit sind, die Schweiz einer ihr wesensfremden politischen Macht preiszugeben, jetzt als Führer einer «nationalen Erneuerung» auftreten und gegen uns den Vorwurf erheben, wir seien «anational», oder uns auch schlechtweg als «Vaterlandsfeinde» denunzieren. Das ist offenbar ein Stück jener Veränderung der Begriffe und Worte, die zur Charakteristik unserer Zeit gehört und wonach man ja auch «Freiheit» sagt, wo man früher «Sklaverei» sagte, und darum auch «schweizerisch» sagen kann, wo man eigentlich «Verrat an allem, was bisher als schweizerisch galt» sagen müsste. Richtig ist in bezug auf uns nur dies: Gerade weil wir, auch von unserm G l a u b e n aus, Sinn und Recht der Schweiz nicht nur bejahten und bejahen, sondern sie erst wieder entdecken, sie dem Schutt der Vergessenheit entreissen mussten, haben wir stets den gewöhnlichen P a t r i o t i s m u s mit seiner Oberflächlichkeit, Phrasenhaftigkeit und Heuchelei abgelehnt und lehnen wir noch stärker den heutigen N a t i o n a l i s m u s, dieses bösartige Gemächte, ab.
Wie alles Irdische und Weltliche, so bezieht auch das Volkstum sein Recht aus dem, was grösser ist als es. Nur durch den Gehorsam gegen dieses Grössere, gegen den Willen Gottes, der über allem ist, und seinem besonderen Willen mit einem Volke, wird es, was es werden soll; jede Versteifung in Eigenliebe und Selbstverherrlichung aber führt zum Gericht. Ueber dem Leben der Völker wie des Einzelnen steht das Gesetz, das in den beiden Grundworten des Evangeliums ausgedrückt ist: «Wer sein Leben liebt, der wird es verlieren, wer es aber verliert um meinetwillen, der wird es finden»; und: «Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das übrige zufallen.» Die wahre Liebe zu seinem Volke besteht in der Erkenntnis und Verwirklichung dieser Wahrheit. Sie ist nicht Selbstüberhebung, sondern demütiger, zur Erkenntnis der Mängel und Sünden des eigenen Volkes stets bereiter, entsagungsvoller D i e n s t. Die Erkenntnis seiner Aufgaben im einzelnen, wie seiner Mission im ganzen darf ein Volk nie hochmütig u. selbstgerecht, sondern muß es erst recht bescheiden u. zur strengsten Selbstkritik bereit machen. Das ist jedenfalls die Meinung auch der Bibel u. war die Meinung unserer Väter.
D e r  h e u t i g e  P a t r i o t i s m u s  u n d  g a r  d e r  N a t i o n a l i s m u s  s i n d
P r o d u k t e  d e r  V e r w e l t l i c h u n g  d e s  L e b e n s,  j a  d e s  A b f a l l s  v o n
C h r i s t u s.
Darum erzeugen sie auch keine dauernde und tiefe sittliche Kraft, sondern führen bloss zu Selbstbetrug, Brutalität, Schein und Lüge und treiben die einzelnen Völker, die ihnen verfallen, wie die ganze Völkerwelt in Katastrophen hinein. Ihnen im Namen Gottes widerstehen bedeutet heute den grössten und schwersten Dienst auch am eigenen Volke. Der Nationalismus ist Selbstvergottung des eigenen Volkstums und Staatswesens und muss zu Falle kommen, wie jede andere Selbstvergottung. Er wird zu einem Kultus des Blutes und der Rasse, gerät damit in lächerliche und kindische Fiktionen und in den Bann dämonischer Leidenschaften und wird so zu einem krassen Widerspruch gegen den heiligen, richtenden Gott und das Kreuz Christi. Als Verachtung anderer Völker aber widerstreitet er der Grundwahrheit des Evangeliums von der Bruderschaft der Menschen in dem einen Gott und Vater. Alles natürliche Leben: Blut, Familie, Volkstum, Heimat, Vaterland hat sein Recht; es gehört, wie wir gesagt haben, zur Schöpfung Gottes; aber alles natürliche Leben muss durch das ü b e r n a t ü r l i c h e, wie es in Christus den letzten und tiefsten Ausdruck gefunden hat, erlöst werden, wenn es nicht den Dämonen der Natur und des Blutes, dem Egoismus, der Selbstüberhebung und der Gier verfallen will.
Es ist darum von tiefer Bedeutung, dass auf unserer Fahne im roten Grund das weisse Kreuz steht. Das kann denen, die noch imstande sind, geistige Wahrheit zu fassen, zurufen, dass nur durch die richtende und heiligende Kraft der über alles bloss natürliche Leben erhabenen Wahrheit Christi das, was an unserem schweizerischen Wesen blosse Naturgegebenheit ist, leben und siegen kann. Das Reich Gottes, dem die Welt gehören soll und um dessen Kommen wir bitten, steht über allen Reichen der Erde und über allen Volkstümern und Vaterländern. I h m haben sie in letzter Instanz zu dienen. Von ihm aus erhält auch die Schweiz ihren Auftrag und damit ihren, wie wir meinen, grossen Sinn. Wenn sie ihn erkennt, dann wird sie leben, ja trotz ihrer Kleinheit gross sein; sonst aber wird sie innerlich absterben und jenem Gericht verfallen, von dem alles ereilt wird, was nicht Gott dient, sondern sich selbst. So verstehen wir das Verhältnis zwischen dem Nationalen und dem Uebernationalen. Das Uebernationale ohne das Nationale wird leer und hohl, aber nicht weniger das Nationale ohne das Uebernationale. Schöpfung und Erlösung gehören zusammen. Die Schöpfung aus dem Geiste ist als Erlösung auch die Fortführung und Erhöhung der Schöpfung aus dem Blute. Wir lehnen von dieser Grundanschauung aus zwei Arten ab, dieses Verhältnis zu fassen.
Wir lehnen, wie nun ohne weiteres klar ist, den b l o s s e n  I n t e r n a t i o n a l i s m u s ab. Nicht in irgendeiner abstrakten Region, sondern auf dem konkreten Boden des eigenen Volkes und in ihm wieder der Gemeinde und der Landschaft (bei uns des Kantons) dienen wir den Gedanken Gottes in der Völkerwelt.
Wir lehnen auch die Art ab, wie der durchschnittliche S o z i a l i s m u s, wenigstens in der Theorie, das Verhältnis von National und International verstanden hat. Zwar muss stark betont werden, dass seine Hervorhebung des Internationalen auch in ihrer Einseitigkeit ein geschichtliches Recht hatte.
Mit der I n t e r n a t i o n a l e erschien inmitten einer völlig in Nationen zerrissenen, aller ökumenischen Elemente beraubten Völkerwelt wieder der G e d a n k e  d e r  e i n i g e n
M e n s c h h e i t. Aber er blieb zu sehr im Abstrakten. Der Sozialismus hat im allgemeinen gar nicht den Versuch gemacht – etwa Männer wie Jaures und Landauer ausgenommen -, die sozialistische Gemeinschaft auch national zu denken, in dem Sinne, dass er dem Volk und Vaterland vom Sozialismus aus einen neuen Sinn gegeben, dann die verschiedenen Völker und Vaterländer in den Sozialismus des Völkerlebens sinnvoll eingeordnet und damit auch ihren wirksamsten S c h u t z übernommen hätte. Es fehlte ihm darum auch an einer selbständigen und weitblickenden Volks- und Völkerpolitik nach a u s s e n hin. Diese Abstraktheit war sicher auch eine Kehrseite des Marxismus. So entstand ein l e e r e r Internationalismus. Das rächte sich nun in tragischer Paradoxie, aber auf psychologisch sehr verständliche Weise dadurch, dass der Sozialismus, auf die internationale Probe gestellt, dann plötzlich in den gewöhnlichen Nationalismus verfiel, gerade in dem Augenblick, wo er, auch zur Rettung des Nationalen, am Internationalen mit der äussersten Kraft hätte festhalten sollen. Das geschah vor allem beim Ausbruch des Weltkrieges, wo die sozialistische Internationale damit die Hoffnung der Welt schwer enttäuschte; aber es geschah auch später immer wieder. Weil an der Stelle, wo das sozialistisch gedachte Vaterland hätte stehen müssen, eine Leere war, setzte sich dort der gewöhnliche Patriotismus und Nationalismus fest, worin der Sozialismus und das Uebernationale und Internationale verloren gingen, bis zur Katastrophe des Sozialismus. Genau das Umgekehrte ist die Wahrheit. Ein rechter Sozialismus muss den heiligen Urelementen Volk und Heimat ihr volles Recht geben, wenn möglich mehr als die Andern, weil er eine neue Wahrheit hinzubringt. Das Wort: «Der Proletarier hat kein Vaterland!» besitzt zwar, wenn man es nicht grobwörtlich nimmt, ein Stück Recht. Es betont und beklagt die Entwurzelung grosser Volksmassen, die bekämpft werden muss. Aber es bezeichnet insofern k e i n e Tatsache, als gerade der einfache Mann am stärksten mit seiner «Scholle» verbunden ist, und es bezeichnet namentlich keinen
I d e a l z u s t a n d , kein zu erstrebendes Z i e l, sondern eine Not, ein Ideal aber höchstens, insofern es auf das grosse gemeinsame Menschenvaterland hinweist. Dieses kommt aber in unserer Auffassung erst ganz zu seinem Rechte. Denn je fester wir in unserem Volkstum wurzeln, desto lebensvoller wird dann unsere Beziehung zu andern Völkern und zur Völkergemeinschaft. Sie bekommt Konkretheit, Blut und Leben. Wir verstehen von hier aus das Recht und den Sinn, die Not und die Hoffnung der andern Völker, sind imstande, ihnen ihr Recht zu geben, ja sogar sie zu lieben wie das eigene, und wir verstehen zugleich, wie Sinn, Leben und Wert des eigenen Volkes von diesem grossen Zusammenhang getragen und genährt werden. Wir kommen darin vielleicht so weit, dass wir das eigene Volk unter Umständen an die grossen Ziele der Menschheit oder gar des Reiches Gottes wagen, wissen aber zugleich, dass solches Verlieren des Lebens an das Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit ein herrliches Finden des Lebens wäre…
Deutschland muß das Land bleiben, wie wir es kennen und lieben

Demgegenüber vertreten wir eine wirkliche, originale, wesenhafte Schweiz. Wir besinnen uns auf ihre G e s c h i c h t e. Diese Geschichte ist eine Geschichte der D e m o k r a t i e. Für sie ist das erste Symbol das R ü t l i. Die Eidgenossenschaft ist entstanden aus dem Zusammenschluss freier Bauern und Arbeiter (damals Handwerker genannt), welche ihre Freiheit w a h r e n und m e h r e n wollten. D a s war von Anbeginn der Sinn der Schweiz. Das Sinnbild auch davon bleibt bis auf diesen Tag das weisse Kreuz im roten Felde. Denn die demokratischen Elemente der Botschaft von C h r i s t u s waren immer auch dabei und haben an einer entscheidenden Stelle unserer Geschichte in einem N i k –
l a u s  v o n  d e r  F l ü e eine Verkörperung gefunden, die Wert haben wird, solange es eine Schweiz gibt. Der Sinn dieses Kreuzes ist dann durch die r e l i g i ö s e  R e f o r m a t i o n Zwinglis, die von s c h w e i z e r i s c h e n Gesichtspunkten ihren Ausgang nahm, und Calvins, dessen Gesichtskreis freilich mehr übernational war, gereinigt und neu ins Licht gestellt worden. Der Grundgedanke der schweizerischen Reformation, zum Unterschied von der lutherischen, war die T h e o k r a t i e, die Herrschaft Gottes über alles Leben, auch das politische. Aus ihr floss bei Zwingli schon die Demokratie (freilich nicht in moderner Form), während sie aus dem Geiste Calvins erst nach und nach hervortrat und dann über Frankreich, die Niederlande, England und Amerika und wieder zurück nach Europa, zu Rousseau, der französischen Revolution und weiter den Siegeszug antrat. Wenn wir dazu noch P e s t a l o z z i nehmen, ihn auch mit Niklaus von der Flüe verbindend, dann haben wir nach unserer Meinung die Kräfte und Symbole beieinander, welche den geschichtlichen Sinn der Schweiz ausmachen. Sie h a t einen, und zwar einen grossen. Aber nicht bloss eine geschichtliche Orientierung kann einem Volke seine Bestimmung zeigen; das könnte leicht zu Erstarrung, Selbsttäuschung, Konstruktion und Fiktion führen; sondern ebensosehr und vielleicht noch mehr das Verständnis des göttlichen Willens und darin der eigenen Aufgabe in der G e g e n w a r t. Dann fügen sich Vergangenheit und Gegenwart zusammen; die Gegenwart versteht und erfüllt die Vergangenheit und die Vergangenheit erläutert und ermuntert die Gegenwart. Wenn wir nun die schweizerische Gegenwart, im Zusammenhang mit der Lage der Gegenwart überhaupt, betrachten, so springt uns, und nun auch vielen andern, immer mehr Eins in die Augen: Was wir, wie die ganze Welt, nötig haben, ist eine s o z i a l e  E r n e u e r u n g, die ihrerseits aus einer r e l i g i ö s e n
E r n e u e r u n g fliesst.
D a s  i s t  a b e r  e i n e  N e u a u f n a h m e  d e r  L o s u n g  d e r  s c h w e i z e r i s c h e n  R e f o r m a t i o n  v o n  d e r  E r n e u e r u n g  d e r  V ö l k e r
d u r c h  d i e  G o t t e s h e r r s c h a f t. Und das ist es, was wir R e l i g i ö s – S o z i a l e n verkünden, jetzt wie schon lange. Darin fliesst unser Glaube an Christus mit unserm Schweizertum zusammen und umgekehrt. Auf dieser Linie sehen wir heute die M i s s i o n  d e r  S c h w e i z. Das ist ein Schweizertum mit tiefen Wurzeln und von gewaltigem Reichtum; es ist, meinen wir, d a s Schweizertum. Oder wer weiss ein anderes, das echter und höher wäre?

Wir werden eine gewalttätige Revolution nie wollen und fördern. Aber etwas anderes ist die B e u r t e i l u n g einer solchen, wenn sie doch geschehen ist. Hier darf man gerade als Christ nicht k l e i n l i c h sein. Man muss einsehen, aus wieviel Unrecht und Not solche Katastrophen entstehen, und muss die Schuld am r e c h t e n  O r t e suchen. Und das heisst, sie bei den h e r r s c h e n d e n  K l a s s e n  u n d  Z u s t ä n d e n suchen. Auch darf und muss man den Glauben festhalten, dass Gott auch solche Katastrophen zu seinen Zwecken benutzen und zu seinen Zielen hin lenken kann. Wir bekennen uns mit diesem Urteil über Revolution zu der Haltung einiger der grössten Schweizer, die unsere «nationale Erneuerung» hoffentlich nicht zugunsten von Hitlers «Mein Kampf» vergisst.
«Alle ufruoren,» sagt Z w i n g l i, «die uf erdrich je gewesen, allein us überdrang der gewaltigen erwachsen sind.» Und V i n e t: «Das einzige Mittel, Revolutionen zuvorzukommen, besteht darin, sie selber zu machen.» Endlich J e r e m i a s  G o t t h e l f : «Nur da entsteht Revolution, wo man das Reformieren vergisst.»
Diesen grossen Gesichtspunkten aber fügen wir wieder einen hinzu, mit dem wir am besten schliessen. Wir haben am Eingang und immer wieder betont, dass die Grundlage auch unseres politischen und wirtschaftlichen Denkens der Glaube an den lebendigen Gott sei, dessen Willen a l l e Wirklichkeit gehorchen müsse und der auf Erden sein Reich aufrichten wolle. Wir haben gezeigt, dass das Grösste, was in der Schweiz geschehen sei, eben die Verkündigung dieser Gottesherrschaft über alles Leben gewesen sei, und haben immer wieder betont, dass Demokratie auf Theokratie ruhen müsse. Wir haben weiterhin angedeutet, dass die revolutionäre Bewegung der Gegenwart auch in ihren Irrtümern eigentlich eine verborgene Sehnsucht nach vergessenen Verheissungen und Forderungen der Sache Christi sei, und haben von dem Kommunismus Gottes oder Christi gesprochen, der den Kommunismus des Teufels oder des Antichrist hätte verhindern sollen und noch sollte. Und nun sagen wir zum Schlusse: Diese Revolution G o t t e s, diese Revolution von Gott in C h r i s t u s her und zu ihm hin, sie ist das, was wir in letzter Instanz glauben und wollen. Aus dieser Revolution, die wir im Zusammenhang dieser Ausführungen eine  n e u e  R e f o r m a t i o n  nennen können, wird allein auch die neue Schweiz geboren werden.