Eberhard Arnold Revolution Gottes

revolution

Die Revolution Gottes
Eberhard Arnold God’s Revolution
Gegen Blut und Gewalt Ein Artikel aus dem Jahr 1921
Erwartung und Erfüllung von Eberhard Arnold
Was liegt jenseits des Kapitalismus? Eine christl. Untersuchung v. David Bentley Hart

DIE ZERFALLENDE WELT UND GOTTES KOMMENDE ORDNUNG

DAS HEREINBRECHEN DES GOTTESREICHES

Wir sind 150 verschiedene große und kleine Menschen. Jeder hat seine besondere Führung. Alle diese verschiedenen Lebensfäden führen zum gemeinsamen Leben. Und dieses gemeinsame Ziel ist bei uns allen gleich. Es entspricht der Zukunft des Reiches Gottes. Wir verstehen darunter etwas ebenso Irdisches wie Himmlisches. Wir glauben an das jenseitige, ewige Leben, aber zugleich auch an das diesseitige Leben der Zukunft Gottes, dass also die ewigen Kräfte hier hereinbrechen, um das Erdreich für das zukünftige Reich Gottes zu erobern. Wir bekennen die Gemeinde Christi als eine Gesandtschaft der zukünftigen Reichsverfassung Gottes. Also das, was einmal die Konstitution des Reiches Gottes sein wird, soll die Gemeinde Christi heute schon vertreten. Und wir sagen: Das, was der Zukunft Gottes vorausgeschickt ist, ist der Heilige Geist. Der Heilige Geist ist das Element der großen Zukunft. Deshalb empfängt die Gemeinde den Heiligen Geist, nicht um äußerlich sich eine Landkarte des Reiches Gottes oder eine Zeittafel Gottes auszurechnen, gar nicht; sondern um dem Geiste nach das ganze Leben durch die völlige Liebe bestimmen zu lassen. Das bedeutet freilich, dass wir in schärfsten Gegensatz zum Zeitgeist treten. Ob es ein liberalistischer Geist ist, der dem Bösen, der Sünde, gewissermaßen freien Lauf lässt und die Menschen sich in ihren Sinnen austoben lässt, oder ob es ein diktatorischer Geist ist: Beides ist abwegig, so dass wir unter allen Umständen unzeitgemäß sind. 1935

Keine Gebote und Verbote, keine Gebotstafeln und keine Gesetzestafeln werden in diesem Reich vonnöten sein. Hier wird alles durch die innere Geburt und durch die innere Eingebung geordnet werden, nämlich durch das Regiment des Geistes Jesu Christi. 1935

Jesus hat uns immer wieder zur Arbeit aufgerufen: zu wirken, solange es Tag ist (Joh.9,4). Er hat sein Reich mit der Arbeit auf einem Weingut, mit der Anlage anvertrauter Gelder, mit der Verwertung aller Talente verglichen. Wenn das Reich Gottes dieses “Jammertal” zu einem Freudenreich umgestalten soll, so muss es ein Reich der Arbeit sein. Nur die Arbeit entspricht der Bestimmung des Menschengeistes.
Der Mensch ist seinem Urwesen nach zum Schaffen berufen. Nur in gemeinsamer Arbeit innerhalb der ungetrübten Liebesgemeinschaft kann er zu gesunder Lebensfreude gelangen. 1919

Man spricht heute gern davon, dass man nichts vorwegnehmen dürfe von Gottes Reich. Das ist richtig. Menschen dürfen und können nichts vorwegnehmen von dem, was Gott tun wird. Aber dieses Wort, dass man nichts vorwegnehmen dürfe, verbirgt oft, nur allzuoft Unglauben gegenüber dem Heiligen Geist. Menschen können nichts vorwegnehmen von Gottes Reich; aber Gott kann etwas voraussenden von seinem Reich, und das ist der Heilige Geist. Der Heilige Geist ist das vorausgeschickte Wesen des Zukunftsreiches, das vorauseilende Hereinbrechen der kommenden Herrschaft. 1934

Wohl sind viele Menschen aufgestanden, die die Not der Welt auf ihrem Herzen gefühlt haben und die darum gewusst haben: Es muss Gerechtigkeit kommen. Aber keiner von ihnen außer Jesus allein hat uns – zugleich mit dieser Sehnsucht nach Gerechtigkeit – das umfassende Reich, die umfassende Klarheit der Ordnung und der Gerechtigkeit gegeben und den Weg dazu gezeigt. 1931

Das relativ Beste in der Finsternis ist der Staat und die ihn inspirierende Kirche. Wenn dies relativ Beste, das die Finsternis aufzuweisen hat, gestürzt ist, dann erst kommt das Reich Gottes. Das absolut Beste ist die Hochzeit des Lammes und sein Abendmahl (Offb. 19,7-9). Wir brauchen nicht darüber zu reflektieren, in welcher Gestalt es kommt. Dieses buchstabische oder photographische Interesse geht uns ab. Unser Interesse besteht darin, dass seine Freude und seine Vereinigung über dem ganzen Horizont offenbar wird. Die ganze Erde wird eine Gemeinde Christi sein. Die ganze Erde wird ein Hochzeitsfest Christi sein. Die ganze Erde wird ein Friedensreich sein. Christus wird überall gegenwärtig sein!
Und nun ist unser Gemeindeleben dazu da, um in dieser Erwartung treu zu sein und treu zu arbeiten.
Dafür sollen auch die Hochzeit und das Hochzeitsmahl ein Symbol sein. Jede gemeinsame Mahlzeit soll ein Symbol und ein Zeichen für die Gemeinschaft sein. 1934

JESUS UND DIE BERGPREDIGT

Wir sollten uns ständig damit befassen, wer Jesus ist, was er gesagt hat, wie er gelebt hat, wie er gestorben ist, in welchem Sinn er auferstanden ist. Es gilt, den Inhalt seiner Bergpredigt – seiner Worte und Gleichnisse (Matth Kap.5-7) – ganz in uns aufzunehmen, damit wir vor aller Welt dasselbe vertreten, was er gelebt hat. 1935

Der Inhalt des Reiches Gottes wird in der Bergpredigt klar und wird deutlich einmal im Vaterunser und in dem Wort: Gehet hinein durch die enge Pforte! Das heißt: Tut allen Leuten das, was ihr wünscht, das sie euch tun möchten! Das wird gewöhnlich übersehen.
Den Weg geht ihr erst, wenn ihr für alle Menschen dasselbe tut, was ihr für euer Leben von Gott erbittet. Das heißt: absolute soziale Gerechtigkeit und die Friedenshaltung des Reiches Gottes. Wir sind Gesandte des kommenden Reiches Gottes, nur dem einen Gesetz dienend, dem Geistesgesetz des Reiches Gottes. Wie das praktisch aussieht, sagt uns die Bergpredigt. Wer ehrlich und aufrichtig ist, sieht den Weg deutlich vor sich.
Dieser Weg allerdings ist nicht gangbar ohne die Gnade.
Das deutet Jesus an, indem er in der Bergpredigt von dem Baum spricht und von der lebendigen Lebenskraft im Baum. Und weiter spricht er vom Salz: Das ist die Wesenheit, die vollkommen neue Natur, die uns mitgeteilt wird in Christus und in dem Heiligen Geist. Deshalb sagt Jesus: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist, als die der Moralisten und Theologen, so könnt ihr nicht in das Reich Gottes kommen.“ Gleichzeitig sagt er: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit!“ Hineingetaucht sein in den Wind des Heiligen Geistes – das ist das neue Leben. Und die Wirkung wird eine sein, die die ganze Welt umfasst. Dazu gehört sicherlich der Glaube, dass wir in einer Gnadenzeit leben, denn die Wirkung des Baumes will sich ja über die ganze Erde erstrecken. Und unter dem Schutz dieses lebendigen Baumes sammelt sich die ganze Menschheit. Es ist nicht genug, dass wir sagen, wir haben erkannt, dass Jesus der Freund unseres Herzens ist, sondern wir sollen unsere Liebe beweisen. Und Jesus sagt uns, wie wir diese Liebe beweisen sollen: „Wer mich liebt, der hält mein Wort!“ (Joh.14,15). 1935

Die Bereitschaft auf das Reich Gottes bedeutet nicht, dass man aufhört zu essen und zu trinken oder dass man die Ehe verwirft; sondern die Bereitschaft auf das Reich Gottes bedeutet, dass man den Zeichen der Zeit entsprechend jetzt schon so lebt, wie das Reich Gottes sein wird. Was aber wird das Zeichen der Ankunft des Reiches Gottes sein? Das sagt uns Matthäus 24,31 und Markus 13,27: „Und er wird seine Boten senden; die sollen die Posaunen blasen, dass es weithin schallt: so werden sie seine Auserwählten zu ihm sammeln von allen Himmelsgegenden aus aller Welt.“ Das ist das Zeichen der Wiederkunft Christi. Das Zusammenführen ist das Zeichen Jesu Christi: „Wie oft habe ich euch sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt“ (Matth 23, 37). 1934

Jesus sagt: eure Worte müssen eure Taten sein, euer Zukunftsglaube muss eure Gegenwart sein, das Heil Jesu Christi muss euer Leben sein! So werdet ihr die rechte Haltung gewinnen zu allen Menschen und Dingen. Ihr werdet nicht richten können, sondern ihr werdet fühlen, dass die Menschen zugrunde gehen durch die soziale Ungerechtigkeit; ihr werdet fühlen, dass alle Schuld ein moralischer Niedergang der Menschen ist. Ihr werdet euch deshalb hüten, die heiligsten Dinge preiszugeben vor Augen und Ohren, die nicht verstehen. Euer Wille wird nur der sein: Was ich für mich wünsche, will ich allen anderen Menschen zukommen lassen. Hast du ein Haus oder ein Bankkonto nötig, gut, schaffe es allen. Was die Leute dir tun sollen, das tu du ihnen! Liebe deinen Nächsten wie dich selbst: Das ist die Wahrheit, das ist die Wirklichkeit, das ist die Wirklichkeit Jesu. Und unmittelbar danach sagt er: Geht ein in die enge Pforte, geht den schmalen Weg! Hütet euch vor dem Weg der Kompromisse, den so viele, allzuviele gehen! Das ist der breite Weg. Hütet euch vor den falschen Propheten! Sie sprechen von Frieden und arbeiten für den Frieden, aber sie sind nicht frei von der Raubtiernatur des Geldes; sie sind nicht frei von der Lüge und der Unreinheit in der ganzen Welt. Wer nicht völlig frei geworden ist vom Mammon, der soll nicht von Frieden reden, sonst ist er ein falscher Prophet. Der Mammon ist der Mörder von Anfang an. Wer mit ihm nicht ganz gebrochen hat, soll nicht von Frieden reden, denn er hat Teil an dem ewigen Krieg, der die besitzlosen Klassen zugrunde richtet durch den Besitz der Vermögenden. So schließt Jesus mit dem Aufruf: Es nützt nichts, diese Worte zu hören, wenn ihr sie nicht tut! Der schönste Friedenspalast wird zusammenstürzen, wenn er nicht in allen Dingen den Willen Jesu verkörpert. Und deshalb geht der Ruf Jesu immer in den Kern des Herzens: Verlass alles und geh meinen Weg! „Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen! Geh mit mir!“ (Matth 19, 21; Luk 5, 27) 1934

Die persönliche Heilserfahrung muss Hand in Hand gehen mit der sachlichen Erwartung für die ganze Welt. Sonst sind wir nicht ganz mit Gott einig geworden. Wir sind es erst dann, wenn wir in den Interessen einig geworden sind, die der allmächtige, allgewaltige, helfende Gott hat. Erst dann sind wir richtig einig geworden. Wer sind die Glückseligen? Das sind die, die als Bettler vor Gott stehen, als Bettler dem Geist gegenüber – die Bettler geworden sind, im materiellen wie im geistlichen Sinn. Es sind die, die bettelarm sind an Dingen und an Sachen, an Gütern und Gnaden. Nur die Bettelarmen wissen: Wer da hungert und dürstet, ist gequält in diesem Verlangen. Und das sind die wahrhaft Glückseligen, die von diesem Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit gepeinigt sind, die einen tiefen Schmerz tragen, die die letzte Not durchkosten, so wie Jesus die letzte Not durchkostet hat. So wie er in dem tiefsten Weltleid und in der bittersten Gottverlassenheit das Leid getragen hat, sind nur die die Glückseligen, die bis an den Rand des Todes leiden um die Not der Welt; die ein reines, klares, strahlendes Herz haben; die ganz ungeteilten Herzens gesammelt sind auf Gottes Sache; die mit dem Herzen Gottes eins geworden sind; die so aus dem Herzen leben, wie Gott aus dem Herzen lebt. Deshalb sind es die, die den Frieden wirken mitten in einer friedlosen und verderbten Welt. 1935

Das Neue Testament sagt, dass der Glaube von Zeichen und Wundern unabhängig ist. Die Zeichen und Wunder sind nach den Worten Christi in der Verborgenheit zu halten, denn die Menschen halten sich gern an die Zeichen und Wunder. Deshalb warnt Jesus, von Zeichen und Wundern zu sprechen oder sie zu zeigen. Er will, dass die Menschen zu einem Glauben kommen, der gänzlich frei ist von Zeichen und Wundern (Luk.8, 56). 1935

Das kalte Licht der sogenannten klaren Verstandeserkenntnis, die fortwährend scheidet und unterscheidet, war bei den ersten Christen nicht zu finden, sondern vielmehr der Geist, der das Herz durchglüht und die Seele lebendig macht (Kol 2,8-10). 1919

DAS REICH GOTTES

Das Reich Gottes – was heißt das? Ein Reich ist ein Staatsgebilde. Ein Reich ist die Ordnung eines Volkes in seiner Arbeit und in seinen gegenseitigen sozialen Beziehungen. Ein Reich ist die Zusammenfassung einer Volksgemeinschaft in Gerechtigkeit, in Zusammengehörigkeit. Ein solches Staatsgebilde schwebt dem Propheten Jesajah vor, wenn er vom Reich Gottes spricht (Jes 9, 6-7). Es ist nur da, wo es zu einer bleibenden, bindenden Gerechtigkeit der gegenseitigen Beziehungen kommt, zu einer neuen Ordnung aller Verhältnisse und Zustände. Damit erweist sich dieser Weg, den Jesus zeigt, als ein Weg, auf dem Gott allein Geltung hat. Niemand anders hat auf diesem Weg etwas zu sagen. So hat man mit Recht übersetzt: Königsherrschaft Gottes! Gott allein hat die Herrschaft! Nur Gott ist der König! Das ist Reich Gottes! Nun wissen wir, dass in der heutigen Welt dieses Reich noch nicht Gestalt gewonnen hat. Neben Gott haben die gewaltigen Staatsregierungen noch sehr viel zu sagen. Neben Gott hat die Lüge und Unreinheit noch sehr viel zu sagen. Neben Gott haben die Gewalten noch viel zu sagen, die durchaus nicht zu Gott passen. Heute ist das Reich Gottes noch nicht verwirklicht, denn die Verwirklichung müsste bedeuten, dass nichts anderes mehr gilt. Wir sind uns klar darüber: Das kann nur geschehen durch das persönliche Eingreifen Gottes durch Jesus Christus, durch die Welterneuerung, die Wiedergeburt des Planeten Erde. Petrus sagt: „Die Erde wird im Feuer vergehen und dann vollkommen neu da sein“ (2.Petr 3,12-13). Und Johannes: „Diese Erde wird in dem neuen Herrschaftsgebiet Gottes so verwandelt sein, dass sie keine Sonne mehr braucht; denn sie wird vollkommen Licht sein“ (Offb 21, 23). 1934

Die Ökonomie Gottes – sein Plan für sein Gottesreich – soll in der wirtschaftlichen Gestaltung der Gemeinde einen solchen praktischen Ausdruck finden, dass auch die blindesten Menschen empfinden: Hier kann man etwas erfahren von der Liebe und Freude, welche das Reich Gottes am Ende der Zeiten über alle Menschen bringen wird (Eph 1,10; 3,9-11). Dann können wir auf die Frage, ob dieses der einzige Weg ist, den Menschen sich auswählen, um das Reich Gottes herbeizuführen, antworten: Dieses ist nicht ein Weg, den wir uns aussuchen, um das Reich Gottes herbeizuführen, sondern es ist ein Weg, der von Gott aus zu uns herniederkommt. Die Ökonomie Gottes für die Menschheit, die er in die Menschheit hineingibt, ist der höchste und allein mögliche Weg. Wir Menschen haben keinen Weg zum Reich der Gerechtigkeit. Der einzig mögliche Weg ist der, dass Gott sich zu uns hingibt. Das geschieht in der Gemeinde dadurch, dass die Ausgießung des Heiligen Geistes uns die Verwirklichung der Gemeinde bringt. Es geschieht dadurch, dass diese mütterliche, jungfräuliche Brautgemeinde zu uns kommt und das gesamte Leben mitsamt seiner wirtschaftlichen Gestaltung unter uns vollbringt (Apg 2,1-4; 4,32-37). l933

In der Umgebung Jesu wird das Reich Gottes offenbar. Deshalb beginnt der erste Johannesbrief auch mit diesem Zeugnis: Was wir gesehen und gehört, was wir mit den Händen berührt haben, das verkündigen wir euch von dem Worte des Lebens, damit ihr mit uns in demselben Glauben einig werden könnt. Das Leben ist erschienen; es ist offenbar geworden. Das verkündigen wir euch, damit ihr mit uns Gemeinschaft habt. Die Gemeinschaft mit uns ist Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn! An dem, was geschieht, muss offenbar werden, dass das Reich Gottes verkündigt wird, dass die Herrschaft Christi deutlich wird. Und deshalb wurde es Johannes dem Täufer gesagt: “Was brauchst du zu fragen und zu drängen? Hier geht es einfach darum zu sehen, was geschieht, zu hören, was gesagt wird, und das anzunehmen. Und dies sind die Geschehnisse, die hier geschehen: „Blinde werden sehend, Lahme gehen wieder, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote werden auferweckt“ (Matth 11,5). Jesus antwortet dem Täufer: Wollt ihr glauben, was jetzt geschieht, dann wird euch Christus offenbar werden, dann ist euch die Frage nach dem Reich Gottes offenbar geworden. Das ist der Glaube, der apostolische Glaube. Und weil Johannes der Täufer diesen Glauben noch nicht ganz fassen konnte, darum sagte Jesus: „Er ist zwar der größte von allen Söhnen, die von Weibern geboren sind; der Kleinste aber im Reich Gottes ist größer als er!“ (Matth 11,11) Denn der Kleinste im Reich Gottes, der Einfachste in der Gemeinde, der versteht was geschieht, im Glauben… Die Apostel gingen hinaus und erklärten den Menschen: Jetzt ist das Wort der Propheten wahr geworden, jetzt kommt es, und ihr seht, was geschieht. Zu diesem Geschehen in Jerusalem gehörte es, dass die Gemeinschaft aufgerichtet wurde. Und zu diesem Zeugnis, dass das Reich Gottes nahe herangerückt sei, gehörte auch die Heilung aus dem Glauben. Als es sich dann darum handelte aufzuschreiben, was mit den Aposteln und durch sie geschehen war, wurde dieses Buch überschrieben: „Die Apostelgeschichte.“ Und so finden wir in der Geschichte der Apostel, dass sich dort dieselben Wunderkräfte, Tatsachen und Geschehnisse ereignen wie im Leben Jesu. Und auch das war das Entscheidende: Es wird das Reich Gottes verkündigt. Und weil das Reich Gottes nahe herbei gekommen ist, darum geschehen viele Zeichen und Wunder. 1935

GESTALTUNG EINER NEUEN ORDNUNG

DIE GEMEINDE

DER RUF ZUR SAMMLUNG

Die Menschheit ist dadurch in ein so unendliches Elend geraten, weil sie in Feindseligkeit gefallen ist. Sie ist zerklüftet, zerrissen. Dieser Riss ist die unheilvollste Offenbarung dessen, bis zu welcher Feindseligkeit und Herzenskälte die Zerspaltung der Menschheit fortgeschritten ist. Das ist aber nicht immer so gewesen, sondern im Uranfang der Menschheit steht eine Geburtsstunde, in welcher die Menschen im Frieden mit Gott und untereinander lebten. Es ist gar kein Zweifel: Das Paradies steht im Uranfang der Menschheit (1.Mos. 2,8-15). Was ist das Paradies? Das Paradies ist Frieden. Dieses Zusammenwirken der Kräfte in einem Geist, in einem Klang, ist das Geheimnis des Friedens. Hier werden, wie von einem Prisma, alle Farben in dem reinen Weiß der Sonne zusammengefasst, um sie wieder herausstrahlen zu lassen in den reichen Farben ihres Spektrums. Das ist der Friede, der den Einklang aller Kräfte und Gaben in der Aktivität des Gottesdienstes offenbart. Und dieser Friede steht im Uranfang der Menschheit. Deshalb lesen wir, dass den Menschen der Auftrag gegeben wurde, die Erde zu bebauen, zu bewahren, die Dinge zu benennen, die Tiere zu beherrschen (1.Mos. 2,15-19; 1,26-28). Weiter ist die Menschheit auch heute noch nicht gekommen. Ja, sie hat dieses Ziel der Paradiesesaufgabe noch nicht erreicht. Das also ist eine aktive Harmonie, eine Tätigkeit im Einklang des Friedens – Arbeitsaufgabe, Arbeitsgemeinschaft, schöpferische Schaffensgemeinschaft – die der Menschheit von Anfang an aufgegeben war. 1933

Die Welt fällt überall auseinander. Sie zerbröckelt, sie verwest. Ihr Prozess ist das Auseinanderlaufen. Das ist ihr Tod. Und mitten in dieser furchtbaren Zeit stellt nun Christus durch seinen Heiligen Geist seine Stadtgemeinde mit ihrer bedingungslosen Einheit in die Welt hinein (Joh.17,11 u. 23; Matth.15,14). Das ist die einzige Hilfe, die der Welt gegeben werden kann: dass hier eine Sammlungsstelle, ein Wille des Zusammenbringens und Zusammenkommens, der Vereinigung zu finden ist, der absolut ist und keinerlei Bedenken mehr kennt. 1932

Paulus sagt, dass alle Völker der Welt zusammengefasst werden sollten in dieser Gemeinde, dass alle Zäune und Mauern niedergebrochen werden sollten, die zwischen den Völkern, Nationen, Klassen, Ständen und Schichten der Menschen aufgerichtet sind (Kol.3,11). Nicht nur die ganze Welt sei für Gott zu erobern, sondern mitten in der Welt soll die Gemeinde das Leben in der vollen Einheit offenbaren. 1934

So ist es in der jetzigen Weltstunde äußerster Not hohe Zeit der Entscheidung, dass wir das Leben der Gemeinde und ihrer Einheit als von Gott verliehene Gabe ergreifen. 1933

Es handelt sich nicht einfach darum, dass wir eine Kolonisationsgesellschaft sind, die eine neue Dorfkolonie anlegt, (als wenn es nicht schon genügend Dörfer gäbe), in welchem die Menschen einander ebenso nah und ebenso fern gegenüberstehen wie in allen anderen Dörfern. Wir stehen nicht auf dem Standpunkt, dass wir eine allgemeine Menschheitsgemeinschaft suchen, dass wir die Menschen, so wie sie sind, in Gemeinschaft zusammenfassen wollen. Dann hätte jeder an seinem Platze bleiben können, wenn uns daran läge, diese Gemeinschaft gleichsam auf Gegenseitigkeit zu gewinnen. Und wir finden auch hier nicht bessere Menschen als woanders, auch nicht schlechtere Menschen. Wenn wir nur die Gegenseitigkeit der Beziehungen unter den Menschen als Gemeinschaft suchten, dann hätten wir nicht auf den Bruderhof zu gehen brauchen. Wir hätten das überall finden können. Es wäre uns aber auch überall missglückt. Denn alle diese Versuche, die auf dem augenblicklichen Zustand des Menschen beruhen, müssen scheitern; sie sind von vornherein bankrott. 1933

WIE HAT GEMEINDE BEGONNEN?

Die Bildung der Urgemeinde konnte von niemandem gemacht werden. Keine noch so große rednerische Leistung, keine noch so flammende Begeisterung hätte das Aufwecken der damals ergriffenen Scharen für Christus bewirken und die Lebenseinheit der Urgemeinde hervorbringen können. Die Freunde Jesu waren sich dessen klar bewusst, hatte ihnen doch der Auferstandene befohlen, in Jerusalem auf die Erfüllung des großen Versprechens zu warten (Luk.24, 49). Johannes hatte alle, die auf ihn hörten, ins Wasser untergetaucht. Die Urgemeinde sollte in den heiligen Wind des Christusgeistes hineingetaucht werden, von ihm umweht, durchdrungen und erfüllt sein (Apg. 2, 1-2). 1920

Den Aposteln wird der Auftrag gegeben, in Jerusalem zu bleiben, bis sie angetan werden mit der Kraft aus der Höhe. Das ist die Gründung der Gemeinde, die wiederum allein möglich ist durch die Tatsache der Auferstehung. Denn was war die erste Verkündigung der Apostel? „Diesen einen Reinen, den ihr umgebracht habt, den hat Gott auferweckt!“ (Apg. 2, 22-24) 1933

Es kommt darauf an, dass die Apostel Jesu plötzlich so in den Herzen der anderen lebten, dass ihre Worte ganz und gar dem Urwesen, der Muttersprache und der letzten Bestimmung der Zuhörer entsprachen und so von ihnen innerlich aufgenommen wurden.
Es kommt allein darauf an, dass die große Menge von demselben Geist bewegt war, den die Führer zum Ausdruck brachten, so dass sie dasselbe überwältigende Erlebnis hatten wie die Redner (Apg.2,4-11). Jedenfalls war es keine Hypnose – keine Überredung durch Menschenkraft –, sondern es war das Erleiden Gottes, das Überwältigtwerden und Erfülltwerden durch seinen Geist. Es geschah hier die Gestaltung der einen wirklichen Kollektivseele, nämlich der organischen Einheit des geheimnisvollen Leibes Christi, der Gemeinschaft der Gemeinde… In der Pfingsterweckung mußten alle Versammelten aus den verschiedensten Völkergruppen und Nationen ihre Erlebnisse in dem einen Ausruf ausklingen lassen: „Wir hören sie mit unsern Zungen von den Großtaten Gottes reden“ (Apg. 2,11). Um die Großtaten Gottes – und nur um die Großtaten Gottes handelte es sich. Gott in seinem allumfassenden Wirken auf sein zukünftiges Reich hin, seine Botschaft der Gerechtigkeit, die zu allen Völkern ging, das Wesen der Großtaten Gottes an allen Menschen und für die gesamte Menschheit – das war der Inhalt des Pfingsterlebnisses… Aus der Gegenüberstellung unbedingter Wahrhaftigkeit, die die Mörder Jesu vor die Augen des lebendigen Christus stellte, ergab sich das Bedürfnis der Sündenvergebung – die Bedürftigkeit innerer Armut, die nur durch die Gabe des Heiligen Geistes befriedigt werden konnte. Die erste Wirkung des entscheidenden Geisteseinflusses äußerte sich in der aus dem Herzen dringenden Frage: „Was sollen wir tun?“ (Apg.2,37). Die völlige Umgestaltung des Inneren, die Umformung des Lebens, die hieraufhin eintrat, war eben jene Veränderung des Sinnes und der Lebenshaltung, die schon Johannes als die Vorbedingung des kommenden Umschwungs aller Verhältnisse verkündet hatte. Die persönliche Wiedergeburt kann von der Umgestaltung aller Dinge durch Christus nicht abgetrennt oder ausgeschaltet werden. 1920

Worauf es ankommt, ist Gemeinschaft, und zwar Gemeinschaft unter der Herrschaft Gottes im Sinne des prophetischen Reiches Gottes. Was ist Reich Gottes? Reich Gottes ist Gemeinschaft in Gott, ist Gemeinschaft in der Gerechtigkeit Gottes, Gerechtigkeit vor Gott, Gerechtigkeit in Gott, Gerechtigkeit brüderlicher Gemeinschaft. Liebe Gott! Liebe deinen Nächsten! Das ist Gerechtigkeit (Matt. 22, 37-40). Liebe Gott so, dass du mit ihm eins wirst. Liebe deinen Nächsten so, dass du mit ihm eins wirst! So betet Jesus, dass doch an den Jüngern erkannt werden möge, wer er ist und was die Liebe ist. Erkannt werden kann es nur an der völligen Einheit der Jünger Jesu! Gerechtigkeit, Friede, Freude strömt zusammen in der völligen Einheit der Gemeinde und des Reiches Gottes. Dazu ist Jesus gestorben und wieder lebendig geworden; dafür hat er seine Worte geredet, dafür hat er seine Taten getan und sein Leben gelebt. Deshalb war diese Einheit im Geist da, sobald der Heilige Geist ausgegossen wurde in den Tagen, die wir Pfingsten nennen. Und so waren die ersten Christen einig. Sie waren einig in der Lehre der Apostel. Sie wussten, dass den Aposteln der Heilige Geist gegeben war; sie wussten, dass auch ihnen der Heilige Geist gegeben war. Deshalb bestand völlige Einigkeit in der Wahrheitserkenntnis zwischen den Aposteln und ihnen. Und wenn wir einig sind mit demselben Geist der Offenbarung Gottes, dann sind wir völlig einig mit der apostolischen Zeit und ihrem Gemeindezeugnis, mit den Schriften der Apostel und Propheten. Das ist unsere Stellung zur Bibel, weil sie ein Bekenntnis zum Geist der Einheit Gottes ist. 1935

Wir stehen im schroffsten Gegensatz zu der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung, indem wir eine andere Ordnung der Dinge zu vertreten haben. Diese andere Ordnung ist die Gemeinde, wie sie in Jerusalem gewesen ist bei der Ausgießung des Heiligen Geistes. Dort ist die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele geworden; und nun wurden sie eine Einheit, die sich auch auf dem Gebiet der sozialen Ordnung als absolute Brüderlichkeit ergab; auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Ordnung als Eigentumslosigkeit und völlige Gütergemeinschaft, frei von aller Gewalt und allem Zwang. So glauben wir, dass wir der heutigen Weltordnung gegenüber einen ebensolchen Auftrag haben, der uns naturnotwendig in Konflikte bringen muß. Diese Lage der Dinge können wir niemandem zumuten, es sei denn, dass jemandem die Größe und der Inhalt des Reiches Gottes über alles geht, so dass sich ihm die innerste Gewissheit erschließt, es ist kein anderer Weg mehr möglich. 1933

Wir feiern die Ausgiessung des Heiligen Geistes und die Anrichtung der völligen Gemeinschaft, denn dadurch ist das Paradies wieder hineingestellt worden mitten in eine unfriedliche, feindliche Umgebung. Jesus hatte diesen Geisteskampf eröffnet gegen die Ungerechtigkeit des Mammons, gegen die Unreinheit der menschlichen Beziehungen, gegen die Mörderei des Krieges. So war nun die Gemeinde Jesu Christi mitten in diese Welt hineingestellt als eine Stätte des Friedens, der Freude und der Gerechtigkeit, als ein Ort der Liebe und der Einheit. Das ist die Aufgabe der Gemeinde. Und deshalb muss der Apostel sagen: Das Reich Gottes besteht nicht darin, dass man sich dieser oder jener Nahrung enthält, sondern das Reich Gottes besteht in Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist (Röm.14,17). Das ist in Jerusalem Wirklichkeit geworden! Bei Jesus war es auch schon Wirklichkeit gewesen, in einem ganz kleinen Kreis von zwölf Menschen. Hier wurde es Wirklichkeit unter einigen Tausend, mit einer Strahlungsenergie in die ganze damals erreichbare Welt. Im Laufe der Jahrhunderte ist diese Sendung niemals verloren gegangen. In Kleinasien hat sie geleuchtet; nach Südfrankreich, dem südwestlichen Gebiet der Alpen: nach Nordafrika, in die oberitalienische Hochebene: den Rhein entlang, bis nach Holland und England: und bis in die Ostalpen, bis Mähren, bis Böhmen ist sie vorgedrungen. Eine Ausstrahlung dieser völligen Gemeinschaft ist zu allen Jahrhunderten wirksam gewesen. Immer wieder ist dieser heilige Funke zu einer heiligen Flamme entfacht worden. Und niemals wird dieser Funke verlöschen. Denn der Heilige Geist zieht sich von der Erde nicht wieder zurück, bis das Reich Gottes über aller Welt seine Siege feiern wird, und Frieden, Gerechtigkeit, Freude der Liebe und der Einheit in der ganzen Welt herrschen werden. 1933

Nur an dem einen kann die Welt die Sendung Jesu erkennen: an der Einheit der Gemeinde. Aber diese Einheit der Gemeinde muss eine völlige Gemeinschaft sein. Jesus sagt, wie völlig die Einheit zwischen seinem Vater und ihm ist. Und das ist nun seine Bitte für uns, dass wir ebenso eins sein sollen (Joh.17,2122). Gibt es dann noch ein Mein und Dein zwischen uns? Nein! Was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein. Alles, was uns gegeben ist, kommt im Geist der Gemeinde allen zu. So haben wir zuerst Gemeinschaft an den innersten Gütern des gemeinsamen Lebens. Haben wir aber an den Gütern des Geistes Gemeinschaft – die doch die Größeren sind – wie können wir sie dann in dem Geringeren verweigern? 1934

BEVOLLMÄCHTIGUNG ZUR SENDUNG

Für diese Mission musst du eine Bevollmächtigung haben und eine Kraftstation, an der du deinen inneren Rückhalt hast, die dir rechte Hilfe und Korrektur und innere Stütze und innere autoritative Stärkung verleiht. Und das ist die Gemeinde. Letztlich nicht die hier lebende Gemeinde, sondern die droben ist, das Jerusalem, das droben unser aller Mutter ist (Gal.4,26). Diese höchstgelegene Stadt Gottes sendet ihre Lichter auf die kleinen Scharen, die hier im Glauben vereinigt sind. Je völliger sie eins sind, um so mehr Vollmacht empfangen sie. 1934

Es ist etwas Grosses, wenn wir einzelne Menschen ansprechen und ihnen dieses und jenes vom Reich Gottes sagen; aber es ist etwas viel Größeres, wenn eine historische Tatsache vor die Welt hingestellt wird, die unvergesslich in die Blätter der Geschichte eingebrannt wird als ein Zeugnis der Wahrheit des Evangeliums. Es ist etwas viel Größeres als die kleine Bekehrungsarbeit an einzelnen Menschen, wenn wir zu dem geschichtlichen Akt berufen sein dürfen; wenn wir in einer waffenstarrenden, feindseligen, verlogenen, ungerechten Welt den Weg der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit – unbeirrt und unbeeinflusst – mitten in der wildesten Brandung geschichtlicher Ereignisse durch Tat und Haltung vertreten dürfen. Das ist die wahre Berufung der Gemeinde. 1933

DIE GESANDTSCHAFT GOTTES

Wohl erkennt Die Gemeinde die Notwendigkeit der heute herrschenden Gewalten an: nämlich als Notwendigkeit für die Ungerechtigkeit der großen Welt. Aber was der Gemeinde selbst anvertraut ist, ist etwas durchaus anderes als die Herrschaft dieser ihr fremden Gewalten. Dieses und jenes königliche Reich unterhält seine Gesandtschaft in Paris, Petersburg, Berlin, Rom oder sonstwo. Wo das Gesandtschaftsgebäude ist, ist extraterritorialer, sakrosankter Boden. Dort kann niemand den Gesetzen desjenigen Staates untergeordnet werden, in dem der Gesandte lebt, sondern in dem Gebäude der Gesandtschaft gilt vielmehr allein das Gesetz des Landes, welches diese Gesandtschaft ausgesandt hat. Gerade so ist es mit der Gesandtschaft Jesu Christi durch den Heiligen Geist seiner Gemeinde. Hier gilt allein das Lebensgesetz des letzten Reiches. Deshalb darf die Gemeinde Christi sich nicht einfach den Gesetzen der heute geltenden Staatsgewalt unterordnen und unterwerfen. Sie hat sie zu ehren, aber sie hat ihr nicht knechtisch oder sklavisch unterworfen zu sein (Apg.5,27-29). 1934

Auch im 20. Jahrhundert bleibt es die Wahrheit: Der Pfad ist schmal, der Weg ist schmal, und wenige sind es, die ihn finden! (Matth.7,14) Aber es ist nicht nur ein Weg. Es ist nicht nur ein Gebirgspfad; es ist schon eine Bergstadt, die allen sichtbar ist. Und weil sie allen sichtbar ist, ist sie von Bedeutung für alle, auch für die, die diesen Weg nicht gehen wollen und nicht in diese Stadt kommen wollen. Denn sie sehen die Möglichkeit, und dadurch wird ihr Blick auf das kommende Reich gelenkt. Und sie müssen sich sagen: “Ja, wenn Gottes Liebe so auf uns alle herabkäme, dann würden wir alle in Frieden und Einheit und Gerechtigkeit miteinander leben” (Matth.5,14-16). Das ist der Dienst, den wir an der Welt zu tun haben. Das ist das praktische Resultat der Nachfolge Jesu. 1934

Gott hat Geduld mit den Menschen. Deshalb hat er die Gemeinde dazwischengeschoben, damit in dieser Zeit einzelne herausgerufen werden könnten, damit in dieser Zeit der Geduld ein lebendiges Denkmal mitten in die Welt hineingestellt werden könnte, damit in dieser Geduld die Kreuzesgemeinschaft dargestellt werden könnte. Was es heißt, mit ihm zu sterben, kann nur die Blutsgemeinschaft, die Kreuzesgemeinschaft zeigen. Das kann einzig und allein gezeigt werden in der erniedrigten Gemeinde, in der Zeit zwischen dem Kreuz Christi einerseits und der Wiederkunft Christi andererseits. 1934

Wo Christus herrscht, werden ganz real alle politischen, alle sozialen, alle pädagogischen, alle menschlichen Fragen gelöst. Diesen Realismus der Urchristen können die
wenigsten heute begreifen. Deshalb soll das Wort Christi verleiblicht werden in der
Gemeinde. Weil bloße Worte von der Zukunft Gottes heute in den Ohren verklingen, muss gehandelt werden, es muss etwas geschaffen, etwas gestaltet werden, woran kein Mensch vorübergehen kann. Das ist die Verleiblichung, die Körperhaftigkeit. Christus ist das Erste dieses Geheimnisses. Eberhard Arnold, Botschaftsbelagerung

DIE EINHEIT UND DER HEILIGE GEIST

Das Leben soll eine solche Stadtgemeinde werden, dass das Licht aus den Fenstern der Stadt hinausleuchtet in das Land, so dass an diesem Licht das Land erkennt: Es gibt eine einige Stadtgemeinde! (Matth.5,14) Und das ist der Auftrag Jesu in unserer Zeit, dass solche Stadtgemeinden entstehen, die dieses Licht der völligen Einheit in Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist der Welt offenbaren. 1935

EINIGKEIT IST MÖGLICH

Wir sind nicht optimistisch gestimmt für die Politik der Welt, sondern wir sind gläubig gestimmt für das Zeugnis der Einheit der Gemeinde, dass dieses Zeugnis den besten Dienst an den Menschen tun kann: Völlige Gemeinschaft und Übereinstimmung ist möglich! Sie ist möglich durch den Glauben an Gott, an Christus und an den Heiligen Geist. Das ist unsere Lebensaufgabe. 1935

Wir stehen so, dass in der Arbeitsgemeinschaft (ob nun ein Haus gebaut wird, oder was es auch sein mag) die ungebrochene Einstimmigkeit der ganzen Gemeinschaft Voraussetzung zu jeder Handlung ist. Diese Einstimmigkeit kann nur auf dem religiösen Weg zustande kommen, nämlich dadurch, dass Gott durch seinen Geist zu jedem einzelnen dasselbe sagt, was er zu den anderen sagt. Diese Einstimmigkeit kommt nicht durch Überreden zustande. Anstelle der gegenseitigen Überredung muss der
Zuspruch Gottes durch den Heiligen Geist kommen.
Dieser Geist versichert uns nicht nur des Heils, – dass er uns angenommen hat –, sondern dieser Zuspruch versichert uns auch der sogenannten „Kleinigkeiten“. Er gibt uns auch gemeinsame Beschlüsse ein, über den Kauf einer Wiese, oder was es sonst sei. Die Einstimmigkeit ist das erste Zeichen.
Das zweite Zeichen ist die Arbeit selbst. Im allgemeinen wird im Wirtschaftszusammenhang Arbeit getrieben um der Existenzerhaltung der Familie willen, aus dem gesunden Lebensbedürfnis des Menschen heraus. Die Menschen haben oft nur die eine Beziehung zu ihrem Beruf, dass sie sich so ihr Brot verdienen können. Im übrigen ist ihr Leben unabhängig von ihrem Beruf. Wir bekämpfen das. Ebenso wie Einstimmigkeit zwischen Menschen sein muss und gegeben wird, so auch Einstimmigkeit zwischen Arbeit und Berufung: es muss eine solche Arbeit geleistet werden, dass sie dieser Berufung entspricht (Kol.3,17 u.23). Der Mensch muss seine Gaben und seine Kräfte einsetzen, diese Arbeit zu tun. Er tut sie aus dem Geist der Gemeinschaft
heraus. 1929

EINHEIT, NICHT EINFÖRMIGKEIT

Wir glauben daran, dass nur auf dem Boden der Freiwilligkeit, der Freimütigkeit und Offenherzigkeit, eine Überzeugung in Einmütigkeit entstehen kann. Uns ist es niemals unangenehm gewesen, wenn in unserer Mitte ausgesprochen entgegengesetzte Überzeugungen vertreten wurden. Im Gegenteil, wir halten das für sehr viel fruchtbarer, als wenn wir nicht die Gelegenheit hätten, die entgegengesetzte Meinung zu hören. Wir glauben, dass der freie Austausch der Meinungen zum Ziel führen kann, dass ein überlegener Geist der Wahrheit, der nicht von uns Menschen herrührt, die letzte Überzeugung schenkt. Dann möge die Verschiedenheit der Meinungen noch so entgegengesetzt gewesen sein; durch die letzte, tiefste Wahrheit werden alle einig werden, und ein jeder wird aus der Vorratskammer seiner früheren Überzeugung alle Wahrheitselemente mitbringen und wiederfinden. Und gerade dann, wenn der Kreis sich aus Menschen recht verschiedener geistiger Herkunft zusammensetzt, wird die verschiedenartigste Betonung um so reicher zur Geltung kommen. Nicht von der mit Gewalt erzwungenen Unterwerfung aus kommt man zu gemeinsamer Überzeugung; sondern von der Freiheit der Meinungen kommt man durch die innerlich überzeugende Kraft des Heiligen Geistes zur völligen Überzeugungseinheit und wahrhaften Gemeinschaft. 1933

Es ist etwas Merkwürdiges, wenn Menschen zur Einstimmigkeit kommen. Sie ist das Gegenteil von Majoritätsbeschlüssen. Sie bedeutet, dass niemand, auch nicht im Geheimen, mehr einen Widerspruch, ein Dagegensein in sich hat (1.Kor.1,10). 1929

Es ist eine ungeheure Bindung, wenn man an die Einheit glaubt. Das gerade ist das Furchtbare, dass man im sogenannten Christentum so uneinig ist, nicht nur in den verschiedenen Kirchen, sondern auch unter denen, die mit Ernst Christen sein wollen. Und es bedeutet absolut keine Hilfe, wenn man sich vornimmt, über alle die Fragen, in denen man sich nicht einig ist, zu schweigen. Oft ist es so: Hier ist der Gottesdienst, hier diene ich Gott, und dort ist mein Beruf, dort lebe ich für mich und meine Familie. Wie ist da die Einheit und Einigkeit mit sich selbst und den anderen zu finden? Es gibt nichts Größeres und Höheres als die völlige Einheit. Das ist das Geheimnis Gottes, die Freude und die Einheit in seinem schöpferischen Geist. Nun ist die Frage offen: Glauben wir wirklich an Gott? Glauben wir, dass er seinen Einheitswillen zum Sieg bringt und dass er ihn jetzt und hier zum Sieg bringt, wenn wir nur nichts anderes mehr wollen als ihn und sein Wesen? 1933

KEINE MENSCHLICHE BINDUNG

Weil die Flamme aus der anderen Welt uns erst recht erfüllt, so dürfen wir sagen: Es genügt uns nicht, wenn wir eine gedankliche Übereinstimmung in unseren Meinungen finden; es genügt uns nicht, wenn wir in unseren Willensstrebungen ein gemeinsames Ziel feststellen, wenn wir in unseren seelischen Schwingungen ein gemeinsames gegenseitiges Gefühlserlebnis feststellen können. Sondern wir fühlen, dass etwas anderes über uns kommen muss, was uns über dieses rein menschliche Niveau hinaushebt. 1932

DER HEILIGE GEIST SAMMELT

Es handelt sich um die Tatsache, dass Gott – der alle Dinge geschaffen hat und ohne den nichts ist, was geworden ist – seinen Heiligen Geist über die Erde zu allen Menschen gesandt hat, und dass dieser Geist alle zu sammeln sucht, alle zusammenzubringen sucht. Durch diesen Geist wurde Jesus unter die Menschen in diese Welt gestellt, und wiederum hat er diese sammelnde Kraft des Heiligen Geistes bezeugt und hat gesagt: „Wie oft habe ich eure Kinder versammeln wollen, aber ihr habt nicht gewollt“ (Matth.23,37). Und er wurde hinweggenommen von denen, die sich nicht sammeln lassen wollten; er wurde getötet durch den Geist der Zerstreuung, der auseinandertreibenden Macht. Und als der Lebendige kam er wieder zu den Seinen: „Nehmet hin den Heiligen Geist! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh.20, 21-22). Und: „Was ihr auf Erden zusammenbringen werdet, das wird zusammengebracht sein, und was ihr lösen werdet, wird gelöst sein; was ihr binden werdet, wird gebunden sein“ (Matth.18,18). Von diesem Augenblick an trieb es die von diesem Geist ergriffenen Herzen dazu, zusammen zu sein. Sie waren zunächst zusammen in heiliger Erwartung und in gespanntester Not, aber doch lange Wochen. Und diese gespannteste Erwartung, sie war und ist und bleibt die Vorbedingung für die völlige Vereinigung. Denn die völlige Vereinigung kommt nicht zustande durch das Zusammensetzen der menschlichen Geister in eine Einheit der geistigen Wesenheiten, die die Menschen ein jeder in sich tragen, sondern vielmehr einzig und allein durch das Herniederkommen, Hereinbrechen, Hinunterfahren jenes Geistes, der kein Menschengeist ist. 1932

Vor allen Dingen müssen wir zur Ehrfurcht vor der Tatsache des Heiligen Geistes hindurchdringen, so dass wir die kleinlichen Angelegenheiten der persönlichen Interessen, der körperlichen Gesundheitszustände und der seelischen Herzensbedürfnisse völlig in dieser großen Flamme opfern. Es wird alles darauf ankommen, ob die große Stunde ein Geschlecht findet, welches dieser Größe entspricht. Auf Seiten des Menschen gibt es nur eins, was der Größe des Reiches Gottes entspricht, das ist die Todesbereitschaft. Diese aber müssen wir in dem Kleinkram des täglichen Lebens beweisen, sonst werden wir sie auch nicht in der kritischen Stunde der historischen Wende aufbringen. Was wir für unser jetziges gemeinsames Leben brauchen, ist die völlige Überwindung aller kleinlichen Gesichtspunkte und Gefühle, die gänzliche Drangabe aller rein persönlichen Betrachtungsweise: die Angst, die Sorge, die innere Unsicherheit, kurz gesagt, die Ungläubigkeit. Und anstelle dessen müssen wir einen Glauben haben, der so klein aber auch so triebfähig ist, wie ein Saatkorn (Luk.17,6). Wir brauchen nicht mehr und nicht weniger. Dieser Glaube aber ist in Christus und in seinem Heiligen Geist in unserer Mitte wirksam. Wir haben das empfunden, aber wir haben nicht danach gelebt. Wenn dieser Heilige Geist sich nun von uns zurückziehen müsste, weil wir ihn betrübt und verscheucht haben, weil wir ihn ohne Ehrfurcht gering angesehen haben, weil wir unsere eigenen Angelegenheiten höher eingeschätzt haben als den Heiligen Geist, so können wir nur bitten: Lass dein Gericht über uns ergehen in deiner bis aufs letzte gehenden Barmherzigkeit. Und wir wollen glauben, dass dieses Gericht in Barmherzigkeit, dass diese Barmherzigkeit im Gericht uns endlich für die Sendung zubereitet, so dass wir befreit und losgelöst von allem Eigenen zu diesem Gotteswillen verfügbar werden. 1928

ÜBER DAS PERSÖNLICHE HINAUS

Es ist sehr viel persönliche Frömmigkeit verbreitet worden, leider aber nur im Sinne des sogenannten rein religiösen Einzelgebietes, das es natürlich vor Gott nicht gibt: Rein religiöse Bewegungen, die sich auf Predigt und Glaubensbekenntnis beschränken, die sich auf private Heilandserfahrung und kleinste persönliche Heiligung beschränken und einengen. Solche Bewegungen sind in den letzten Jahren viel aufgekommen. So sehr wir uns freuen, dass Menschen für die Liebe zu Jesus und für die Erfahrung der Sündenvergebung in seinem Kreuzestod erweckt werden, so sehr müssen wir doch demgegenüber feststellen, dass die Liebe Christi und die Bedeutung seines Kreuzestodes nicht erfasst ist, wenn man ihre Auswirkung einfach auf die subjektive Heilserfahrung beschränken will. 1934

Für die Offenbarung des Geistes gibt es keine Grenze, am wenigsten die Grenze, die Geist und Materie voneinander trennt. Der Heilige Geist ist ein schöpferischer Geist; er sucht den Weg vom Herzen Gottes aus bis in die Gegenstände hinein. Wir glauben daran, dass der Wille des Heiligen Geistes und die Gemeinschaft in der Wahrheit gerade in der Materie erwiesen werden muss, auch in der Arbeit der Menschen am Stoff der Erde. Wir glauben daran, dass in dem allen – in dem scheinbar Äußersten des Daseins – sich die Einheit des Geistes ebenso erweist wie in den innersten Dingen des Glaubens.
Der Glaube will in der Liebe tätig sein; das bedeutet, dass der Glaube durch die Liebe die Gegenstände umgestalten will im Sinne des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit. Deshalb muss unsere Einheit sich auch auf die rein materiellen Dinge erstrecken. Und je mehr wir vom Geist inspiriert sind, umso mehr werden wir die Materie bewältigen. 1935

LEBENSGEMEINSCHAFT

GÜTERGEMEINSCHAFT AUF LIEBE GEGRÜNDET

Jesus zeigte es, was Liebe bedeutet: dass sie keine Grenzen kennt und vor keinen Schranken haltmacht. Niemals kann sie dadurch zur Ruhe gebracht werden, dass irgendwelche Verhältnisse ihre Betätigung als unmöglich erscheinen lassen. Für den Glauben der Liebe war nichts unmöglich und ist nichts unmöglich (1.Kor.13,7-8). Deshalb macht Jesus mit seinem Liebesdrang auch nicht vor dem Besitz, vor dem Eigentum halt. Als er einen reichen Jungen liebgewann und dieser viele Güter aufzuweisen hatte, schaute ihm Jesus ins Herz und sagte ihm: “Es fehlt dir noch eines: Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen, und komm, geh’ mit mir” (Mark.10, 21). 1919

So kam es, dass die erste Gemeinde in Jerusalem sofort alle Güter verteilte. Sobald der Geist Christi über sie kam, konnte niemand mehr sein Eigentum behalten. Die Liebe trieb sie dazu, alles zu den Füßen der Apostel zu legen. Und die Apostel mit Hilfe der Verwalter der Existenzmittel verteilten alles (Apg.6,2-6). Die Liebe Christi führt zum Aufgeben des Eigentums und zur Gemeinschaft der Güter (Apg.4, 32-37). Denn da wird der Egoismus an der Wurzel getroffen. 1935

Das Geben des Mantels, wenn nur der Rock gefordert wurde, entspricht wirklich der Liebe. Aber stärker ist das Einsetzen der zweiten Arbeitsstunde, wenn die erste gefordert wird (Matth. 5, 38-42)! Das Bekämpfen des Eigentums setzt als Tieferes die Tötung des Eigennutzes, der Eigenliebe, des Eigenwillens und der Ichbetonung voraus. 1929

Religion und Frömmigkeit versagen, wenn sie sich nicht in Tat und Wahrheit als wirkliche Gemeinschaft ausprägen (1.Joh. 3,17-18). Jesus sagt: Liebe Gott! Und das andere ist dem völlig gleich: Liebe deinen Nächsten! Es gibt keine wahrhafte Liebe zu Gott, wenn sie nicht eine wahrhafte Liebe zu den Menschen ist, und umgekehrt (Matth. 22, 36-39). Das ist auch unsere Erfahrung: Gemeinschaft ist durch den Geist, der von Gott her zu uns kommt, möglich. Und wenn dieser Geist uns erfüllt, ist wirkliche Nächstenliebe und vollkommene Gemeinschaft unter uns. 1935

NICHT VON MENSCHEN AUFGEBAUT

Gewiss ist es richtig, dass Gott an den Menschen wirkt, an allen Menschen. Aber sobald dieser Glaube sich dahin übersteigert, dass man an sich selbst und an andere Menschen glaubt, ist man auf dem Holzweg. Wir müssen so an Gott glauben, dass es nicht auf den einzelnen Menschen ankommt, sondern auf Gott; und dass die einzelnen Menschen sich gemeinsam diesem Willen hingeben, der in uns, aber auch durch uns hindurch wirkt.
Wir selbst sind gleichsam das Transparent, so dass unser eigenes Wesen dabei gar nicht in Betracht kommt, sondern dass das Wirken Gottes das ein und alles der Sache ist. So allein wird Gemeinschaft. Ich glaube nicht, dass auf anderem Wege Gemeinschaft werden kann. Auch wenn ein Mensch noch so demütig, zurücktretend und hingegeben ist, aus seiner eigenen Kraft kann Gemeinschaft nicht werden (2.Kor. 12, 9). 1933

Unser Glaube an Gott ist kein Wunschgebilde unseres Herzens. Die Grundlage, auf der unsere Gemeinschaft beruht und allein bestehen kann, ist Gott. Andererseits können wir nicht sagen: Wir haben die Grundlage gekauft. So ist es nicht. Wir sind keine Besitzenden in diesem Sinne. Wir haben keinen religiösen Besitz, sondern es muss uns täglich neu geschenkt werden. Wir müssen diesen furchtbaren Gedanken offen aussprechen: Es kann uns jeden Tag verloren gehen. Wir können nur sagen: Wir werden durch Gottes Gnade auf diese Grundlage gestellt. Denn wir glauben nicht durch unsere natürlichen Eigenschaften, sondern wir müssen durch den Heiligen Geist zum Glauben gebracht werden. 1933

KANN DIE UNSICHTBARE GEMEINDE SICHTBAR WERDEN?

Die unsichtbare Kirche muss sichtbar werden. Dazu ist die Gemeinsamkeit der Güter und die Tisch – und Arbeitsgemeinschaft nötig. Die Kirche Christi ist überall unsichtbar wirksam – überall, wo Menschen vom Geist Jesu Christi ergriffen und bewegt sind.
Das Leben in völliger Gemeinschaft aber ist eine sichtbare Darstellung dieser unsichtbaren Einheit im Geist. Sie ist es im ganzen Leben, nicht nur in kultischer Verkörperung. 1935

Aus den Quellkräften des Geistes geht der Strom der Einheit auf alle Lebensgebiete über. Zunächst in das seelische Verhältnis der Gemeindeglieder von Herz zu Herz. Und weiter ergreift dieselbe Kraft der Einheit auch das Materielle, das uns umgibt. Die Geistesgemeinschaft wird Erziehungs – und Arbeitsgemeinschaft, und die Arbeitsgemeinschaft ist natürlich auch Gütergemeinschaft ohne Privateigentum. Denn die Macht, aus der wir leben, ist Liebe. Liebe ist Freude aneinander. Diese Freude aus der tiefen Quelle der Einheit macht es uns möglich, alles hinzugeben. Das Hingeben einer Geldsumme bedeutet nichts gegenüber der Hingabe aller Kräfte (Luk.9,23 24). Vermögen entsteht aus Gütern der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir teilen beides, die Güter der Erde und die Kräfte der Arbeit. Aber in dem allen wollen wir nicht für uns selbst leben im Kollektivegoismus, um uns selbst als Gemeinschaft zu erhalten. Sondern wir bezeugen die Möglichkeit: Man kann in Gemeinschaft leben! Wir bezeugen die Wirklichkeit: Man lebt wirklich in Gemeinschaft! Wir bezeugen die Quellkraft dieser Möglichkeit und dieser Wirklichkeit, die im zukünftigen Reich Gottes liegt. 1934

Das sind alles Hindernisse: Empfindlichkeit, Rechthaberei, Ichsucht, Denken an sich selbst. Sich selbst anders einschätzen als die anderen ist tödliches Gift (Phil. 2,3). Wer noch so denkt, ist durchaus gemeinschaftsunfähig. 1933

IST GEMEINSCHAFT GOTTES WILLE?

Gast: Du meinst also, der Bruderhof sei Gottes Wille? Eberhard: Nicht der Bruderhof, aber die völlige Gemeinschaft. Was wir als wichtig erkannt haben, ist das, was Jesus mit seinen Jüngern gelebt hat und die erste Jerusalemer Gemeinde. Und ferner ist das alttestamentlich prophetische Wort ebenfalls als Wort Gottes empfunden (Ps.133), dass wir als Gemeinde – dem Wort Gottes entsprechend – in Frieden und Gerechtigkeit und Freude zusammenleben sollen, wie es der Apostel Paulus sagt (Röm. 14,17). Unser ganzes Leben soll nur den Weg bescheiden andeuten. 1935

WELTFLUCHT?

Die Erfüllung des apostolischen Wortes, dass niemand auf den eigenen Nutzen sehe, sondern nur auf den des anderen (1.Kor.10,24), kann nur im Gemeinschaftsleben der völligen Hingabe gefunden werden, wenn Gemeinschaftseigentum hergestellt wird. Freilich darf dieses Gemeinschaftseigentum keinen Kollektivegoismus verkörpern. Es soll nicht eine Nutzungsgesellschaft eines gemeinsamen Unternehmens sein, nicht ein Kompanie-Geschäft einiger Kompagnons. Sondern das, was das Gemeinschaftseigentum verkörpert, muss hineingegeben sein in den Dienst an allen Menschen, an die völlige Gemeinschaft des zukünftigen Gottesreiches für die ganze Menschheit, an den Glauben, der sich in positivem Christentum der ganzen Menschheit zukehrt. 1935

DIE MACHT DES GELDES

Der Sündenfall bestand in folgendem: Der Mensch eignete sich das an, was ihm nicht von Gott gegeben war, sondern was ihm der Teufel gab. Dieses Sichaneignen des Eigentums ist die Wurzel der Sünde. Dieser begehrliche Wille, etwas für sich haben zu wollen, ist das Wesen des Bösen. Das ist die Geschichte vom Apfel (obgleich von einem Apfel in der Bibel nicht die Rede ist). Und das, was dem Menschen von Gott gegeben war, das verschmähte der Mensch, das verwarf der Mensch, nämlich die Gemeinschaft mit Gott. Das von Gott Gegebene verachtete er. Das nicht von Gott Gegebene eignete er sich an. Und deshalb ist der Mammon der Teufel (Matth.6,24ff). 1935

Das Böse ist nicht nur eine Idee, sondern eine Wirklichkeit. Der Tod und das, was zum Tode führt – was zur Zerstörung, zur Zertrennung, zu Misstrauen und Zerspaltung führt – ist böse. Das Zerstörende an der Prostitution ist das Böse. Das Böse besteht nicht einfach in der Abwesenheit des Guten, dass man abseits von Gottes Leben steht. Man darf es sich nicht so denken, dass das Böse nur eine Negation des Guten ist, dass das Böse nur ein Manko, ein Defizit ist. Der Tod ist eine Macht, der Mammon ist eine Macht. Das Geld ist eine Verkörperung des Satans, es ist der verkörperte Teufel. Ebenso ist es mit dem Mord und der Unreinheit; das ist eine Macht, die da vorhanden ist, eine ungeheure Gewalt (Joh.8,44). Wenn das Geld nichts anderes wäre als ein Tauschmittel für die Güter der Erde und die Arbeit der Menschen, dann wäre es nichts Böses. Aber es ist nicht wahr, wenn man behauptet, das Geld wäre nur ein Tauschmittel, sondern es ist ein Machtmittel. Darin liegt das Satanische, dass es ein Machtmittel ist über die Menschen. Innerhalb einer Gemeinschaft braucht man kein Geld. Innerhalb eines wirklich gemeinsamen Lebens ist Geld absolut unnötig; es ist ganz und gar gemeinschaftswidrig. 1935

In unreiferen Momenten des Anfangs hat auch Sannerz an „Taschengeld“ gedacht. Heute wissen wir, dass jedes Einzelgeld den Tod des Bruderschaftskommunismus mit sich bringt. Juni 1930.

Jesus hat den Kampf gegen das Eigentum eröffnet. Er hatte ja das Eigentum verlassen – alle Vorrechte hatte er verlassen, all sein Eigentum hatte er aufgegeben –, um den Weg der Liebe und des Opfers zu beschreiten (Matth.8,20). Er war das Beispiel darin, dass er kein Eigentum haben wollte. Von der Krippe bis zum Kreuz war er der Ärmste. Sammelt euch keinen Schatz, sammelt euch kein Vermögen, sondern spart euch lieber etwas anderes auf: nämlich die Liebe eurer Mitmenschen. Lasst doch das vergängliche Vermögen des vergänglichen Geldes und nehmt statt dessen das unvergängliche Vermögen; dann werdet ihr reiche Menschen werden (Matth.6,19-20). 1931

Jetzt aber wird ein Neues von euch gefordert, nämlich, dass ihr diese übelste Ausgeburt der gottverlassenen Materie, das Geld, auch treu verwalten könnt, damit ihr auch mit diesen euch innerlich fremden Dingen etwas tut, was Reich Gottes ist. Das fordert selbstverständlich, dass das Geld sofort ausgegeben wird. Wenn ihr es weggebt, wird alles darauf ankommen, dass ihr es am rechten Fleck weggebt; nicht dass ihr es beliebig irgendwelchen Kapitalisten in den Rachen werft, sondern dass ihr dieses Geld so weggebt, dass andere Werte geschaffen werden, die nicht mehr finanziellen Charakter tragen – die nicht mehr dem Geist, der euch beseelt, fremd sind – Werte, die vor der Ewigkeit bestehen können… Wenn der Mensch zur Einsicht der persönlichen Sünde kommt, dann durchfährt ihn ein eisiger Schrecken. Es scheint ihm unmöglich, dass er durch Christus mit dem Herzen des Vaters und der Gemeinde Jesu Christi vereinigt werden könnte, und gerade weil es ein solcher letzter Schrecken und eine solche Unfassbarkeit ist, fängt an diesem Punkt der Glaube an. Und geradeso ist es mit den wirtschaftlichen Dingen. Wenn wir in die letzten Schrecken dieser Dinge geführt werden, und wenn wir vor der völligen Unfassbarkeit stehen, wie denn ein überirdischer Geist diese irdischen Dinge bewältigen könnte, gerade dann fängt der Glaube an. Und nur der Glaube ist der Weg, der uns gegeben ist. Einen anderen Weg haben wir nicht (Matth.6,24 34). Und dieser Glaube
ist Treue, Vertrauen. So ist das Glaubensgeheimnis dieses, dass wir an Geld, Arbeits – , Acker –  und Werkstättenfragen, Hausbauten, Büroarbeiten, Geldeinnahmen, Geldausgaben für alle diese Dinge so herantreten, dass der Heilige Geist das Werk gestaltet.
Deshalb ist es so gesund, wenn wir uns unsere Wirtschaftslage so klar wie möglich vor Augen halten, damit dieser Schrecken und diese Unfassbarkeit des göttlichen Geschehens uns wirklich bis ins Tiefste ergreift. 1934

GEMEINSCHAFT IST ARBEIT

Wir glauben an das Christsein der Tat. In der gemeinsamen Arbeit erkennt man am besten und schnellsten, ob man in lebendigem Glauben zu wirklicher Liebe und zu wahrer Gemeinschaft bereit ist. Die Arbeit gilt als das entscheidende Kennzeichen,
ob der Glaube echt ist. 1934

Das Gebet darf niemals die Arbeit im Reiche Gottes und in seiner Gemeinde verdrängen. Wenn wir Gott ernsthaft bitten, dass sein Wille auf der Erde Tat wird, dass sein Charakter in Werken offenbar wird, dass seine Herrschaft die Menschen zu Einheit, Gerechtigkeit und Liebe führen soll, so wird unser Leben Arbeit sein. „Der Glaube ohne Werke ist tot“ (Jak.2,17). Gebet ohne Arbeit ist Heuchelei. Das Vaterunser ohne die Lebenshaltung des Gottesreiches ist Lüge. Das Gebet Jesu will uns dahin stellen, wo sein Inhalt geschieht, also Ereignis und Geschichte wird. Das gemeinsame Leben unserer Bruderhöfe ist der gottgewiesene Platz, an welchem wir unsere gesamte Arbeitskraft dafür hingeben dürfen, dass Gott geehrt wird, dass sein Wille getan wird, und dass sein Reich kommt. Ohne die Tat und Arbeit der Gemeinschaftsliebe würde der Baum unseres Lebens totkrank und gerichtet sein. 1929

Das natürlichste Glück des Menschen besteht in der Lust gesunder Schaffenskraft, in der Freude am Gelingen der Arbeit. Freilich muss in dem Reich beglückender Arbeit jeder Mensch seiner Anlage und seiner inneren Interessen nach diejenige Tätigkeit entfalten, die ihm am nächsten liegt und ihm die größte Freude macht. Der übliche Einwand gegen eine solche „Utopie“, dass keiner ohne Zwang die niedrigsten Arbeiten in Angriff nehmen würde, beruht auf den falschen Voraussetzungen der verdorbenen Menschheit. Heute fehlt gewiss den meisten Menschen jener Geist der Liebe, der uns die geringste und äußerlichste Arbeit zur beglückenden Freude macht. Wenn wir aber einen geliebten Menschen zu pflegen oder zu versorgen haben, verschwindet uns sicherlich der Unterschied zwischen ehrender und erniedrigender Arbeit. Die Liebe hat ihn aufgehoben und macht uns alles zur Ehre, was wir für den Geliebten tun. Es ist Tatsache, dass die ungesunde Entwicklung unserer Kultur vielen die körperliche Arbeit als minderwertige Betätigung erscheinen lässt, an der man keine Freude haben könne. Aber in Wahrheit ist der Mensch gar nicht darauf gerichtet, sich unausgesetzt mit den idealsten Gegenständen des Geistes zu befassen. Wenn der Mensch gesund ist, sehnt er sich nach körperlicher Bewegung – nach der schlichten Arbeit des Landes, nach der Freude an Sonne und Licht, an Berg und Wald, an Pflanze und Tier, an Acker und Garten. Zu gesunder Freude am Dasein, an Gott und seiner Schöpfung kann er nur gelangen, wenn er auch die Naturlust an körperlicher Betätigung kennt. 1919

VEREINIGUNG

Keine Gemeinschaft, die für sich selbst da ist, kann bestehen (Joh.15,4). Sie ist Sekte in dem Sinn des Abgeschnittenen. Sie ist verloren in Vereinzelung, auch wenn sie noch so sehr Gemeinschaft üben sollte. 1929

Wir hatten die Geschichte der Jahrhunderte und Jahrtausende, die Länder und die Erdteile planmäßig und gründlich nach Menschen durchsucht, die in völliger Gemeinschaft – in völliger Liebe und in völligem Frieden, in völliger Freiheit des Geistes und in völliger Einheit desselben Geistes – zusammenlebten. Immer hatten wir nach Gefährten des Weges, nach erprobten und bewährten Fahrtengruppen und Wandergemeinschaften desselben Weges gesucht. Niemals lag uns das Geringste daran, eine eigene Sache zu gründen oder ein eigenes Werk zu erhalten. Niemals kam es uns auch nur im geringsten darauf an, eine sogenannte Selbständigkeit eines eigenen Unternehmens zu behaupten oder den Namen eines eigenen Lebenswerkes zu gewinnen. Hinweg mit allem Eigenen! Nur auf das eine kam es uns an: auf die Klarheit des Rufes, den wir übernommen hatten, auf die Reinheit der Freiheit und auf die Wirklichkeit der Einheit! Nur dieses eine sollte erhalten und vertieft werden! So suchten wir nach Menschen und nach Menschenscharen, nach Menschengruppen und nach Menschenvölkern, die uns das Leben dieses Rufes zur Freiheit, zur Reinheit und zur Einheit besser vorleben könnten, als es uns gegeben war. Und wirklich trafen wir auf manche Gemeinschaftsversuche größerer und kleinster Kreise, ältesten und neuesten Ursprungs. Wie freuten wir uns an jedem Tröpfchen Leben, das zum größeren Leben strömte, an jedem kleinsten lebendigen Organ, das die Einheit eines größeren Organismus erwiesen hatte! Alle kleinen Lebensgruppen unserer eigenen und benachbarten Länder waren freilich jungen und schwachen Ursprungs. Zugleich aber fanden wir einige Bewegungen, die in großer Kraft zwei oder drei oder vier Jahrhunderte in völliger Gemeinschaft durch den befreienden und einigenden Geist gelebt hatten und heute noch leben! 1935