1.-5. Gebot

zehn gebote 2

Die Revolution der Bibel
Die Zehn Gebote
Erklärt durch Leonhard Ragaz

II. Die Gebote
Vgl. 2.Mosis, 20, 1-17

Das erste Gebot: Es ist Ein Gott!
In diesem Sinne gilt auch für dich und mich das erste Gebot:
«Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, dem Haus der Sklaverei, befreit hat. Du sollst keine andern Götter haben neben mir
Frage: Was bedeutet das für uns?
Antwort: Das erste Gebot ist die Grundlage aller andern. Sie alle beruhen auf der Tatsache, daß Gott ist und daß er der Herr ist, der Eine, der Heilige, der Allmächtige, der Himmel und Erde geschaffen hat und der als der Lebendige weiter schafft, bis alles vollendet ist; aus dessen Händen alle Dinge kommen und von dem sie in jedem Augenblick Leben und Sein haben; dessen Gebot alle gehorchen und dem auch die Teufel dienen müssen. In ihm allein haben Welt und Leben Sinn, er allein spricht: «Es werde Licht!» vgl. 2. Mosis 20, 1-17; er allein schafft Zweck und Ordnung, Recht und Gestalt; ohne ihn versinken Welt und Leben in das Chaos, werden «wüste und leer». Nur Gedankenlosigkeit oder Dumpfheit und Stumpfheit der Seele können das vergessen oder verkennen.
Er hat nicht nur Israel aus dem Sklavenhause geführt, sondern hat das für die ganze Welt getan und tut es fortwährend. Ohne ihn wären wir Sklaven der Menschen, Sklaven des Schicksals, Sklaven des Todes, Sklaven der Schuld, Sklaven der Verhältnisse, Sklaven der Zeit, Sklaven des Raumes, Sklaven der Götter und Götzen, Sklaven der Dämonen, Sklaven der Welt und der Hölle. In ihm ist Freiheit, nur in ihm. Er ist der Herr. Er ist die einzige, die wirkliche Wirklichkeit. Aus ihm, durch ihn, in ihm sind Alle Dinge. Römerbrief 11, 26.
Der Mensch hat die Freiheit, ihm zu dienen oder nicht. Denn Gott hat ihn nach seinem Bilde geschaffen und will, daß er nicht sein Sklave, sondern sein Sohn sei. Aber wenn er wirklich frei sein und bleiben will, so muß er Gott dienen. Gott hat Israel aus Ägypten und der Knechtschaft geführt. Es war klein und schwach, er aber hat es mit starker Hand geleitet und geschützt, er hat es groß gemacht, hat ihm den Auftrag und die Verheißung gegeben. So tut er, auf andere Art, mit jedem Volk. Jedes Volk verdankt, was es an wahrer Freiheit und wahrem Lebensrecht hat, ihm. Es wird leben oder sterben, je nachdem es bei ihm bleibt, seinem Willen gehorcht, seinen Auftrag erfüllt oder nicht. Und das gilt auch von jedem einzelnen Menschen. Du bist auf diesem Granit stehend frei, stark und sieghaft, ihn verlassend bist du verloren.
Frage: Wie kann man den Einen und heiligen Gott erkennen? Wo und wie soll man ihn suchen?
Antwort: Wir brauchen ihn nicht zu suchen, er begegnet uns. Wir brauchen ihn nur zu erkennen und ihm zu gehorchen. Er spricht auf alle Weise zu uns, vor allem in unserem Herzen und Gewissen.
Frage: Immer und überall? Auch zu den Heiden?
Antwort: Immer und überall. Auch zu den Heiden. Es ist nur Ein Gott, der Heilige – und Lebendige! -‚ nur fällt der Mensch gern von ihm ab, zu selbstgemachten Göttern und Götzen, die von dem Einen borgen, was sie an Macht oder auch an Wahrheit haben. In der Bibel tritt seine Wahrheit hervor. Nur in ihr ist er wirklich Schöpfer, Richter und Erlöser, nur in ihr die Freiheit des Menschen und damit des Menschen Wert und Hort.
Frage: Was unterscheidet Götter und Götzen?
Antwort: Es ist nur ein Unterschied des Grades, nicht des Wesens. Götterdienst ist Abkommen vom Dienst des Einen Gottes, Götzendienst ist Entartung des Götterdienstes. So ist auch ihre Wirkung. Aller Dienst der Götter genügt nicht und aller Götzendienst knechtet, entwürdigt und entmenscht den Menschen.
Darum sollst du keine andern Götter haben neben ihm. Du darfst nicht daneben an ein blindes Schicksal glauben, das über den Völkern und über deinem Leben walte, du Volk Israel, du Schweizervolk, du Israelite, du Eidgenosse, du englisches Volk, du Engländer. Es waltet über dir nur Gott, der lebendige Gott, mit seiner Macht, mit seinen Gedanken, die größer sind als dein Herz und dein Kopf, mit seinem Plan und seiner Treue. Daran allein sollst du glauben, daran allein dich halten, darauf allein vertrauen. Du sollst nicht andere Mächte als Gott selbst zu deinem Gotte machen: das Geld, die Ehre, den Genuß, oder auch dich selbst oder andere Menschen. Sonst bist du zuletzt immer betrogen und verfällst dem Gericht; Gott allein ist treu. Du darfst nicht geteilten Herzens sein, sondern mußt allein ihm dienen und allein ihm vertrauen. Er wird sein Wort halten. Wage es, Schweizervolk! Wage es, Schweizer! Wage es, England! Wage es, Engländer! Wage es, Jünger Christi! Es gilt auch dir! Dann ist er dein Fels, dein sicherer Schutz und Hort gegenüber jeder Macht der Welt und Hölle, so gewaltig und trotzig sie auch sei. Soli deo gloria – Gott allein die Ehre!
Frage: Gehört zu diesem Gebot nicht besonders auch das der Furcht Gottes? Und was bedeutet diese?
Antwort: Die Furcht Gottes ist das Grundelement des Verhältnisses zu Gott. Sie liegt allen Geboten Gottes zu Grunde.
Frage: Was bedeutet diese Furcht Gottes? Doch nicht etwa knechtische Angst vor Gott?
Antwort: Im Gegenteil: Sie ist die Grundlage aller Freiheit. Angst vor Gott ist die Ursache und Wirkung alles Götzendienstes; Gott dienen aber ist Freiheit. Furcht Gottes im Sinne der Bibel bedeutet die letzte Steigerung und Vertiefung dessen, was Große des Geistes unter der Ehrfurcht verstanden haben, die sie als Grundlage alles sittlichen Lebens und aller Heilighaltung des Menschen erkannten. Aus ihr, und aus ihr allein, entspringt nicht nur die Freiheit, sondern alle Heiligung des Lebens und der Ordnungen der Natur- und Geisteswelt, aus ihr allein die heilige Scheu, ohne die alle Menschlichkeit zerfällt. Nehmet sie weg und die sittliche Ordnung löst sich auf, das Chaos und die Dämonen herrschen. Ihr Fehlen ist die eigentliche Gottlosigkeit. «Die Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang.»
Frage: Aber soll nicht die Furcht Gottes überwunden werden durch die Liebe und das Vertrauen der Liebe? Sagt doch der Apostel: «Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus» 1. Johannes-Brief 4, 18? Gott ist doch nicht nur der Herr, sondern auch der Vater, und Herr nur als der Vater. Wir sind doch nicht Knechte, sondern durch Christus Söhne?
Antwort: Gewiß, aber in jener Stelle ist nicht das gemeint, was Furcht Gottes bedeutet, sondern die Angst, die falsche Furcht. Die wahre Furcht Gottes ist die Grundlage auch der Liebe und des Vertrauens zu Gott. Sie soll wohl überboten werden durch die Liebe, aber sie darf nicht aufgehoben werden. Gott ist in Christus unser Vater, aber bleibt als solcher auch unser Herr, der in den Himmeln ist und dessen Name geheiligt werden soll. Und auch der Sohn steht vor dem Vater in Ehrfurcht.

Das zweite Gebot: Treibe nicht Götzendienst!
«Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild, weder dessen, was oben im Himmel, noch dessen, was unten auf Erden, noch dessen, was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten und ihnen nicht dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Geschlecht an den Kindern derer, die mich hassen, der aber Gnade übt bis ins tausendste Geschlecht an den Kindern derer, die mich lieben und mein Gebot halten.»
Frage: Was bedeutet das für uns? Wir machen uns doch keine Götzenbilder mehr?
Antwort: Es bedeutet auch für uns das Allerwichtigste; es ist auch für uns das Entscheidende. Wir Menschen, Völker und Einzelne, sind immer in Gefahr, von Gott zu den Götzen abzufallen, heute so gut wie vor dreitausend Jahren. Der Kampf zwischen Gott und den Götzen ist das große Thema der Geschichte, wie des einzelnen Lebens.
Das Geschaffene lockt uns, daß wir nach ihm trachten, ihm dienen, ihm vertrauen. So wird es zu dem Gott, dem wir in Wirklichkeit dienen. Wir machen uns Bildnis und Gleichnis und beten es an. Viele sogenannte Heiden der alten und neuen Zeit schaffen sich Bilder von Säugetieren, Reptilien, Fischen und Vögeln. Diese werden ihnen Sinnbilder für göttliche Mächte. Sie verehren das Geschöpf statt des Schöpfers. Andere, auf höherer Stufe, machen sich die ganze Natur, oder auch das sogenannte Naturgesetz, auch die Kultur, die Kunst, die Wissenschaft zum Bildnis und Gleichnis Gottes, erblicken darin Gott und verehren ihn darin. Sie machen das Gebilde ihrer Gedanken und Wünsche zu ihrem Gott. Solche Heiden gibt es auch sehr viele unter denen, die sich Juden oder Christen nennen. Wir alle sind geneigt, Götzen zu bilden und ihnen zu dienen. Wir schaffen uns aus unserem Glauben an das Gold das goldene Kalb: den Mammonismus, den Kapitalismus, die Profitwirtschaft. Wir erzeugen aus unserem Trieb nach Macht und Gewalt und aus unserem Glauben an sie den Militarismus und Imperialismus. Wir verehren die Fahne zum Zeichen der Gottheit des Volkes. Wir machen Blut und Boden, Nation und Rasse, oder auch den Staat zu unserem Gotte. Aus unserer Sinnengier entsteht der Götzendienst der Prostitution. Wir widmen alledem einen Kultus mit vielen Symbolen. Wir dienen dem Baal, der den Menschen an die unerlöste Natur bindet, an den Geschlechtstrieb, den Alkohol oder auch den Sport. Wir dienen dem Moloch, der den Menschen zum Opfer fordert. Die Frucht des Götzendienstes ist immer die Entmenschung des Menschen, die Knechtschaft, das «Diensthaus», die Gleichschaltung, das Verderben, der Tod. Wenn der Mensch sich zu Gott hält, so hat er in ihm alles, was er braucht: Fülle, Freude, Kraft, Macht. Gott füllt mit seiner Unendlichkeit das unendliche Verlangen der Seele aus. Wenn er aber sich von ihm entfernt, so entsteht in seiner Seele die Gier. Diese will alles an sich reißen, um es zu verbrauchen. Der Mensch stößt auf diesem Wege mit den andern zusammen, die das Gleiche wollen. Solange sich der Mensch an Gott hält, ist er in Freiheit gebunden. Sein Ich ist in Gottes Ordnung und Recht eingefügt. Sobald er sich von Gott entfernt, verliert sein Ich die Zügel: die Selbstsucht erwacht und greift gierig um sich. Das alles gilt von den Völkern wie von den Einzelnen. So entsteht Gewalt und Krieg im großen und im kleinen. Der Weltkrieg ist die Frucht der Gottlosigkeit – nicht des Mangels an Religion, aber des Mangels an Gott.
Gott, der Herr, der heilige Gott, ist der Friede, denn er ist das Recht. Er will den Menschen.
Er will die Gerechtigkeit. Für jeden, besonders den Armen und Schwachen. Er hält seine schützende Hand über ihn.
Frage: Was bedeutet, daß Gott ein «eifersüchtiger» Gott und ein Rächer der Sünden sei?
Antwort: Das bedeutet etwas Großes, ohne das die Welt verfaulen und verkommen müßte: Es gibt ein Gericht, und Gott ist der Richter. Das Gericht braucht oft Zeit; die Frucht muß, nach Gottes Ordnungen selbst, reifen. Aber es tritt mit Sicherheit ein. Nichts ist gewisser. Es waltet Gottes heilige sittliche Ordnung (die «sittliche Weltordnung») in allem und über allem. Die Taten der Menschen sind nicht gleichgültig. Diese müssen dafür Rechenschaft ablegen. Sie müssen dafür bezahlen. Die Völker müssen für ihre Sünden büßen, besonders für den Mangel an sozialer Gerechtigkeit. So auch die Familien für ihre Sünden. Und so der Einzelne für das, was er gefehlt. Diese Ordnung ist sicherer und fester als die Ordnungen der Natur, die im letzten Grunde auch auf ihr beruhen. «Irret euch nicht; Gott läßt seiner nicht spotten, was der Mensch säet, das muß er ernten» Galaterbrief 6, 7. Weit reichen die Folgen der Schuld.
Gott waltet als Richter über der Welt. Er stürzt heute die Götter und Götzen, die sich die Völker gemacht, in der Weltkatastrophe. Er wird zur Katastrophe jedes Lebens, das, sich absondernd, in Egoismus seinen eigenen Weg geht und nicht ihm nachfrägt. Auch Religion und Frömmigkeit schützen davor nicht, wenn sie nicht auf Gott selbst und seinen heiligen Willen gerichtet sind.
Frage: Ist es aber nicht ungerecht, wenn Kinder und Kindeskinder für die Sünden der Väter büßen müssen, an denen sie nicht mitschuldig sind?
Antwort: Es scheint ungerecht, ist aber höchste Gerechtigkeit. Denn es drückt die Solidarität der Menschen in Sünde und Schuld aus. Das ist die tiefste der Ordnungen Gottes. Ihr Zeichen ist das Kreuz Christi. Es wird nicht bloß mit jedem Einzelnen abgerechnet; wir gehören zusammen. Gott schaut uns zusammen. Darum sind wir nicht bloß für uns selbst verantwortlich. Daran wird gerade auch der Ernst der Sünde und Schuld offenbar. Nur darf man die andere Seite nicht vergessen. Einmal: Das Gericht wird aufgehoben durch die Gnade. Es gibt durch sie eine Durchbrechung des Schicksalsbannes, eine Erlösung und Wiedergutmachung; es gibt Barmherzigkeit. Sodann: Es liegt auf Glauben und Gehorsam, die auf Gott selbst gerichtet sind, Segen und Verheißung. Diese gelten den Völkern und den Einzelnen gleichmäßig; sie gelten der Menschheit. Und auch sie wirken solidarisch. Es gibt nicht nur eine Solidarität der Schuld, sondern auch der Gnade, und sie ist das seligste Geheimnis der Wege Gottes.
Endlich: Die Gnade ist unendlich größer als das Gericht. Das Gericht reicht «bis ins dritte und vierte Geschlecht», die Gnade aber bis ins tausendste.
Das Ziel der Wege Gottes ist sein Reich mit seiner Gerechtigkeit, mit dem Sieg über Unrecht, Gewalt, Armut, Krankheit, Schicksal, Not und Tod. An dieser Verheißung hat schon jetzt jeder teil, der sich zu Gott hält, ihm dient und ihm vertraut, aber sie reicht über diese Welt hinaus, in jene kommende Welt hinein, wo in der großen Erlösung jede scheinbare Ungerechtigkeit aufgehoben, jedes dunkle Schicksal hell, jedes Rätsel gelöst wird. Denn Gott ist der ewige Gott, und er, der Gerechte und Liebende, der Herr und Vater, hat das letzte Wort.
Frage: Noch eine Frage: Was bedeutet Segen und Fluch? Gibt es das?
Antwort: Es ist eine Grundtatsache. Über dem Guten waltet Gelingen und Gedeihen, oft wunderbarer Art, über dem Bösen Mißlingen und Verfall ebenso auffallender Art.
Frage: Ist das immer so? Scheint nicht oft das Gegenteil der Fall zu sein? Muß nicht das Gute durch Not und Niederlage, während das Böse von Triumph zu Triumph schreitet? Gibt es nicht ein Glück der Bösen?
Antwort: Das Glück der Bösen ist nur Schein. Kein Tun der Bösen macht glücklich. Und das Gericht kommt mit Sicherheit. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen. Gerade das Glück des Bösen wird sein Fluch, während das Unglück des Guten sein Segen wird. «Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten» Psalm 126, 5.
Frage: Fehlt es nicht heute an diesem Glauben?
Antwort: Es fehlt aufs äußerste daran, und das ist der Fluch, der auf unserer heutigen Welt lastet. Man glaubt nicht an Segen, sondern will Sicherheit. Man beutet in Gier die Natur aus und schafft Zerstörung. Man erzeugt ungeheure Massen von Gütern und vernichtet sie im Krieg. Man raubt ganze Erdteile aus und ist nachher ärmer als vorher. Man verhindert aus Angst oder aus genußsüchtiger Bequemlichkeit das Kind, erntet aber damit den Tod. Es ist gerade hierin eine große Umkehr nötig. Wir müssen wieder lernen, an Segen und Fluch glauben.
Frage: Ist das nicht schwer? Ist Segen und Fluch nicht ein Wunder?
Antwort: An Segen und Fluch glauben heißt einfach an Gott glauben. Es ist eine einfache, elementare Empfindung, die nur der entartete Mensch verliert.
Irre dich nicht! Du hast, Volk, Mensch, nur eine Wahl: die zwischen Gott und den Götzen. Du hast nicht die Wahl, ob du Gott dienen willst, oder niemandem dienen: dienen mußt du; wenn du nicht Gott dienst, dann dienst du von selber, vielleicht ohne es zu wissen, den Götzen. Und wirst ein Knecht. Denn nur Gott dienen ist Freiheit. Götzen dienen bedeutet Wegwerfung des Menschen, bedeutet Opferung des Menschen an einen Moloch, heiße er Geld, Rasse, Volk, Staat oder sonstwie. Gott dienen bedeutet das heilige Recht des Menschen, der Völker wie des Einzelnen, bedeutet Ehrfurcht vor dem Menschen; Götzen dienen bedeutet Lüge und Wahn, Gott dienen bedeutet Licht und Wahrheit. Wählet!

Drittes Gebot: Treibe nicht Mißbrauch mit Gott!
«Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht
Frage: Wie ist das gemeint?
Antwort: Es handelt sich nicht bloß um das, was wir Namen nennen. «Name» bedeutet in der Bibel «Wesen», «Macht», «Geist». Also meint das Gebot: Du sollst mit dem, was Gott ist, nicht Mißbrauch treiben!
Frage: Wie kann denn solcher Mißbrauch geschehen? Hat man dabei an Zauberei, Fluchen, Lästerung oder auch Meineid zu denken?
Antwort: An das alles auch, aber das Gebot hat noch einen viel weiteren und tieferen Sinn, als man gewöhnlich meint.
Frage: Welchen denn?
Antwort: Es kommt vor allem auf Eins, an: Ob der Mensch so zu Gott steht, daß er Gott dient, oder so zu ihm steht, daß er Gott zu seinem Dienst benutzen will. Das Erste allein ist das rechte Verhältnis zum Einen, heiligen und lebendigen Gott, das Zweite ist Götzendienst.
Frage: Geschieht dieses aber nicht auch unter den Christen?
Antwort: Es geschieht sehr häufig, ist aber um so schlimmerer Götzendienst. Es ist die Selbstsucht in religiöser Form, und das ist die schlimmste Selbstsucht. Man macht Gott zum Diener der rein weltlichen Ansprüche der Gemeinschaften, der geistlichen wie der weltlichen, der Kirche und des Staates, des Volkes, der Rassen, der Religionen, aber auch zum Diener des Einzelnen: des Triebes nach Geltung und Macht, des Trachtens nach Geld und Gut, des Strebens nach Ehre und Stellung, des Durstes nach Glück und Wohlfahrt. Gott muß sich oft genug dazu hergeben, Weihe schweren Unrechtes und damit Stütze und Verbündeter des Bösen zu sein. Es entsteht das furchtbare Übel der Heuchelei, das Christus an den Gläubigen so scharf tadelt. Der Glaube an Gott wird damit entweiht und entstellt. Daraus entsteht der Unglaube. Das Gute und Rechte, Freiheit und Wahrheit, Recht und Menschlichkeit werden von den scheinbar Ungläubigen im Namen des Menschen gefordert, da sie doch gerade von den Gläubigen im Namen Gottes gefordert werden sollten. Die Religion wird Opium für das Volk.
Frage: Gibt es noch andern Mißbrauch des Namens Gottes?
Antwort: Ja. Es ist auch ein Mißbrauch des Namens Gottes, wenn man Gott bloß für seine privaten Angelegenheiten anerkennt, nicht aber danach frägt, ob sein Wille auch in der Welt geschehe, im politischen und sozialen und in allem Leben. Das ist wieder der religiöse Egoismus. Es meinen auch die Völker, Gott auf diese Weise für Schutz und Hilfe, ja sogar für Macht und Größe in Anspruch nehmen zu dürfen, ohne nach seinem Willen und Gesetz zu fragen und den Auftrag, den er ihnen gibt, zu erfüllen. Das ist wieder Götzendienst und Heidentum. So sieht es die Bibel an.
Frage: Gibt es noch andere Weisen, den Namen Gottes zu mißbrauchen?
Antwort: Ja, noch auffallendere Weisen. Man kann den Namen Gottes auch dadurch mißbrauchen, daß man auf den bloßen Namen Gottes abstellt und meint, es genüge, daß man Gott bekenne und mit den Lippen ehre. Das haßt aber Gott als Heuchelei. Er zieht die, welche Ungläubige heißen, aber im Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit seinen Willen tun, denen vor, welche Gläubige heißen, aber an sein Reich nicht glauben oder sich dafür einsetzen. «Es werden nicht alle, welche zu mir Herr, Herr sagen, ins Reich Gottes eingehen, sondern die, welche den Willen meines Vaters im Himmel tun!» Matthäus 7, 21
Es ist wichtig, das zu wissen.
Frage: Aber es kommt doch darauf an, daß die Menschen Religion haben?
Antwort: Darnach frägt Gott gar nichts. Die Religion kann Gott im Wege stehen. Die Religion hat unermeßlich viel Böses getan und tut es noch. Sie ist eine Quelle der Knechtschaft, der Unwahrheit, des Hasses geworden. Sie entartet selbst und verderbt die Welt. Gott frägt bloß nach dem Reiche und seiner Gerechtigkeit.
Frage: Was ist das?
Antwort: Das ist das, was die Zehn Gebote fordern: die Herrschaft Gottes über alles.
Frage: Wie soll man also den Namen Gottes recht brauchen?
Antwort: Dadurch, daß man nicht zu viel von Gott redet, aber in Gehorsam, Glauben, Hoffnung und Liebe selbst seinen Willen zu erfüllen trachtet, sich für die Erfüllung seines Willens in der Welt einsetzt, beides miteinander verbindet und in diesem Sinne für beides betet. Nur das ist rechtes Beten.
Frage: Dürfen wir Gott nicht für unsere eigenen Nöte in Anspruch nehmen? Und für des eigenen Volkes Nöte?
Antwort: Gewiß darf man das und soll man das. Aber nicht im Geiste des Egoismus, sondern im Geiste der Liebe, nicht so, daß Gott uns zur Verfügung stehen soll, sondern so, daß wir uns ihm zur Verfügung stellen. Die oberste Weisung für alles bleibt: «Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches (d. h. alles, wessen ihr wirklich bedürft) zufallen» Matthäus 6, 33.
Frage: Was heißt: «Denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht?»
Antwort: Das heißt: Aller Götzendienst wird zum Fluch sowohl für die einzelnen Menschen, wie für die Völker. Er bricht im Gericht Gottes zusammen. Die Religion selbst wird auf diese Weise zum Fluch. Sie lenkt von der Wahrheit ab zum Trug. Sie lenkt von der Freiheit ab zur Knechtschaft. Sie lenkt von der Liebe ab zum Haß. Gott aber will, daß er selbst erkannt und geehrt werde, durch Glauben, Gehorsam, Liebe, in Wort und Tat. Denn das ist die Ehre und das Heil der Menschen. Es ist darum das wichtigste Anliegen sowohl für den einzelnen Menschen, wie für die Völker, daß Gott recht verstanden und daß ihm recht gedient werde.

Das vierte Gebot: Heilige den Sabbat!
«Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber der siebente Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott geweiht. Da sollst du keine Arbeit tun, weder du, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Sklave, noch deine Sklavin, noch dein Vieh, noch der Fremdling, der in deinen Toren ist. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn
Frage: Kann für uns der jüdische Sabbat gelten? Haben wir nicht den Sonntag? Und gilt nicht auch von diesem das Wort Christi: «Der Mensch ist nicht um des Sabbates willen gemacht, sondern der Sabbat um des Menschen willen. Des Menschen Sohn ist ein Herr auch über den Sabbat.» Markus 2, 27-28
Antwort: Auch dieses Gebot hat einen viel umfassenderen und tieferen Sinn, als wir gewöhnlich wissen.
Es bedeutet: Auch die Zeit ist Gott heilig. Du darfst mit ihr nicht machen, was du willst. Auch die Arbeit ist Gott heilig, und du darfst sie nicht tun, wie du willst. Darum ist auch die Ruhe Gott heilig. Du mußt dich besinnen. Du mußt dein Schaffen eintauchen in die Schöpfung Gottes. Du mußt in der Ruhe erkennen, was für einen Sinn dein Tun hat, ob es Gottes Wille und Ordnung entspreche oder nicht, wo du einsetzen, ändern, wie du reiner, treuer werden mußt. Du darfst nicht deine eigene Arbeit und noch weniger die von andern, welche von dir abhangen, zur Ausbeutung und Versklavung benutzen. Du darfst nicht eine Maschine werden und die andern auch nicht. Du hast in der Arbeit Gott zu dienen und die andern auch und nicht den Götzen Geld, Erfolg, Macht, Genuß, Tempo. Auch die Eile als Selbstzweck ist ein Götzendienst. Gott will auch die Ruhe. Für den Menschen und das Tier. Das ist ein Teil des heiligen Rechtes, das auf den Menschen und der ganzen Schöpfung ruht. Die Arbeit soll nur so weit gehen, als der Mensch dabei Mensch bleiben, sich besinnen, seine Kraft und Gesundheit – Gaben und Rechte Gottes – bewahren kann. Die Arbeit soll, trotz aller Mühsal und in aller Mühsal, Gottesdienst sein und damit Freude und Freiheit, nicht Maschinendienst und Profitdienst und damit Qual und Knechtschaft. Verkürzung der Arbeitszeit ist daher unter Umständen ein Teil des vierten Gebotes.
Frage: Aber auch Arbeiten?
Antwort: Ja; denn es heißt ja «Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun». Nur geht das Andere voraus: «Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest! »
Frage: Aber wenn man keine Arbeit hat?
Antwort: Die Arbeitslosigkeit ist ein Teil des Fluches, der über die Mißachtung des Sabbats kommt; ich meine, dessen, was der Sabbat in umfassenderem und tieferem Sinne bedeutet. Dieser Fluch stammt aus einer Arbeit, die Götzendienst geworden ist. Er stammt aus dem Mißbrauch der Arbeit zum Zwecke des Profites und der Ausbeutung, welchen die Maschine als Gehilfin der Götzen dient. In einer rechten Ordnung der Dinge im Sinne des Sabbats müßte und dürfte auch keine Arbeitslosigkeit sein. Die Arbeit würde die gesegnete Grundlage einer freien menschlichen Ordnung der Gesellschaft wie eine unerschöpfliche Quelle der Kraft und Freude.
Frage: Welches ist aber neben der Arbeitslosigkeit der Fluch der Entheiligung des Sabbats?
Antwort: Es ist der Fluch alles Götzendienstes: die Zerstörung als Ende. Was ist aus der ungeheuren Arbeitsleistung geworden, welche die Menschheit eine ganze Epoche hindurch aufgebracht hat, mit Hilfe einer immer erstaunlicheren Magie, Technik genannt, mit einem immer raffinierteren Kultus der Eile, aber ohne Sabbat, ohne Rücksicht auf die Heiligkeit der Arbeit und der Ruhe, ohne Ehrfurcht vor Gott und dem Menschen, im Dienste der Götzen, des Geldes und der Macht? Hat sie nicht statt Freiheit Knechtschaft, statt Menschenwürde Entmenschung, statt Erziehung und Befreiuung der Seele Entseelung, Maschinisierung auch der Seele, und statt des Überflusses den Mangel gebracht? Ist nicht das Ende sozialer Bürgerkrieg, Klassenkampf genannt, Krieg und Hungersnot? Das alles ist die Folge davon, daß man den Sabbat vergessen hat, daß man nicht an den Sabbat Gottes gedacht hat, damit man ihn heilige.
Frage: Was bedeutet im Sabbatgebot die Rücksicht auf Sohn und Tochter, Knecht und Magd, auf das Vieh und den «Fremdling, der in deinen Toren ist»?
Antwort: Das bedeutet die großartigste soziale Schutzgesetzgebung. Auch sie, auch die Familie, der Arbeiter, das Tier, der Fremdling, sollen eingeschlossen sein nicht bloß in die Gottesruhe und den Gottesschutz eines einzelnen Tages, sondern aller Tage. Auch sie gehören Gott. Sie sind ihm heilig. Auch sie dürfen nicht ausgenutzt und ausgebeutet werden. Was aber den Fremdling betrifft, so ist seine Aufnahme in das Sabbatgebot besonders bedeutsam. Denn an dem Verhalten zu ihm soll, gerade weil er als Fremdling mehr oder weniger rechtlos ist, die Tatsache paradox zur Geltung kommen, daß der Mensch als Mensch, nicht bloß der Volks-Rasse-Religionsgenosse, heilig ist, weil er Gott gehört. Welche göttliche Tiefe liegt in alledem!
Frage: Soll man für den Sabbat einen besonderen Tag haben? Oder soll man es damit halten wie die Quäker, die keinen besonderen Sonntag haben, weil jeder Tag ein Sonntag, d. h. Gott geweiht sein soll?
Antwort: Der Sabbat gilt nicht nur für einen Tag, sondern für alle Tage. Alle sollen von Sabbat erfüllt sein. Die Quäker haben recht, wenn sie das betonen. Jeder Tag soll Sabbat sein und alles Tun soll Gottesdienst sein. So meint es auch die Bibel. So meint es Christus. So Paulus. Wenn man also einen besonderen Tag zum Sabbat oder Sonntag macht, so kann das nur ein Symbol für diese umfassende Wahrheit und Forderung sein, etwas, was immer wieder an diese erinnert.
Frage: Muß das der siebente Tag sein?
Antwort: Er muß es, grundsätzlich gesprochen, gewiß nicht sein. Aber dieser siebente Tag beruht nicht nur auf altheiliger Überlieferung und hat mit der Erinnerung an das von der Bibel berichtete Schöpfungswerk Gottes symbolische Kraft, sondern es hat auch die Erfahrung gezeigt, daß er für die Gestaltung des Verhältnisses von Arbeit und Ruhe der weitaus angemessenste ist. Warum das ändern?
Frage: Was ist das Verhältnis von Sabbat und Sonntag? Sollen wir den Sonntag durch den Sabbat ersetzen?
Antwort: Nein, beide gehören zusammen. Der Sonntag ruht auf dem Sabbat, aber er führt ihn weiter. Seine Sonne ist Christus, der Auferstandene. Das bedeutet nicht nur Schöpfung, sondern auch Erlösung, es bedeutet Freude und Sieg. Es bedeutet auch die Aufhebung des Sabbats als bloßen Gesetzes in die Freiheit und Herrlichkeit der Kinder und Söhne Gottes. So nimmt die Arbeit des Menschen teil an der Freude der Arbeit Gottes und die Ruhe des Menschen an der Seligkeit der Ruhe Gottes, aber es ist Ruhe auch in der Arbeit und Arbeit auch in der Ruhe. Das ist der Sinn des Sabbats.
Frage: Gibt es auch einen Sabbat für die Natur?
Antwort: Allerdings. Und es ist sehr wichtig. Auch die Natur gehört Gott. Auch sie steht unter dem Gesetz der Ehrfurcht. Du sollst Ehrfurcht haben vor aller Schöpfung, auch dem Tier, der Pflanze, dem Stein, dem Wasser, der Luft, dem Licht, der Sonne, dem Monde, den Sternen, dem Lauf der Jahreszeiten, allem Gang und aller Ordnung der Natur. Denn sie sind heilig. Du darfst sie nicht ohne Not zerstören. Du darfst sie nicht in Gewalt und Frechheit ausbeuten. Du darfst sie nicht schänden. Du darfst nicht Blumen abreißen und wegwerfen oder zusammenraffen aus bloßer Gier. Du darfst noch weniger Täler zerstören, um einer entarteten Technik willen. Du darfst das Meer nicht verpesten durch Versenkungen von Schiffen und Menschen und Vorräten. Du darfst nicht den Himmel durch dem Krieg dienende Flugzeuge entweihen und die Luft durch Wellen der Lüge. Du darfst nicht Lärm machen, wo Stille walten soll. Auch die Stille ist heilig. Heilige den Sabbat der Schöpfung bei Tag und Nacht – jeden Tag, jede Nacht.

Das fünfte Gebot: Habe Ehrfurcht vor dem Menschen!
«Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß es dir wohl gehe und du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, gibt
Frage: Was bedeutet das? Warum wird gerade das gefordert, daß wir Vater und Mutter ehren sollen?
Antwort: Auch das ist wieder bloß Symbol einer umfassenden, tiefen Wahrheit. Sie lautet: «Du sollst von Gott aus Ehrfurcht haben vor dem Menschen, vor seiner Würde, vor seinem Rechte, vor seiner Freiheit. Stellvertreter für den Menschen sind Vater und Mutter und darin Stellvertreter Gottes. Die Familie ist das elementare Vorbild der Gesellschaft. Auf ihr ruht die Gesellschaft und diese soll sich in sie auflösen, soll in sie einmünden. Vaterschaft Gottes, Kindschaft und Bruderschaft des Menschen sind die Grundlage und das Ziel aller Gemeinschaft. Vater, Mutter, Kind, Sohn, Tochter, Bruder, Schwester sind auch das Symbol des Reiches Gottes. Darum muß die Familie heilig sein. Von der Heiligkeit der Familie strömt Heiligkeit in die Gesellschaft.
Diese Heiligkeit ruht auch auf Vater und Mutter, als den Urhebern und wesentlichen Trägern der Familie. Darum sind sie Gegenstand des Gebotes. Das ist, nach der gegen Gott, die elementarste Ehrfurcht des Menschen und das Urbild jeder andern.
Frage: Was bedeutet es, daß wir Vater und Mutter ehren sollen?
Antwort: Es bedeutet einen Abglanz der Art, wie wir uns zu Gott stellen sollen. Ihn offenbaren ja Vater und Mutter: der Vater, als Mann, seine Macht, die Mutter, als Frau, seine Liebe. Darum sollen wir gegen sie auf dem menschlichen Boden so sein, wie wir nach Luthers berühmter Auslegung gegen Gott sein sollen: Wir sollen sie fürchten – nicht im Sinne der Angst, sondern der Ehrfurcht – sie lieben und ihnen vertrauen.
Frage: Gehört dazu auch Gehorsam? Autorität?
Antwort: Gewiß, aber nicht ohne Vorbehalt. Einmal: Die elterliche Autorität bezieht ihr Recht aus der Autorität Gottes. Ihm gehören die Kinder, nicht Vater und Mutter. Sie sind nicht deren Eigentum, nicht deren Sklaven, sondern Freie Gottes. Darum sollen auch Vater und Mutter die Kinder ehren. Sie sollen in ihnen vor allem die Freiheit ehren, die Freiheit der Schöpfung Gottes in ihnen, die Freiheit ihrer göttlichen Bestimmung, die das Recht auf das eigene Wesen und den eigenen Weg einschließt Sie sind für ihre Kinder nicht Gott, sondern bloß Stellvertreter Gottes. Sie haben darum mehr Pflichten als Rechte gegen sie. In diesem Sinne allein darf auch die Erziehung der Kinder verstanden werden. Auch der Gehorsam, wie die Autorität der Eltern überhaupt haben daran ihre Grenze. Es kommt ein Tag, wo der Gehorsam ganz in Freiheit übergehen soll. Dieser Tag soll eher zu früh als zu spät eintreten.
Jede Autorität ist nur in dem Maße echt und von Gott, als sie freie Autorität ist, auf Vertrauen, Ehrfurcht und Liebe gegründet. Eine bloße Zwangsautorität erzeugt Auflehnung und neben der Sehnsucht nach der echten auch eine nach der falschen Freiheit.
Frage: Aber wenn die Eltern die falsche Autorität in Anspruch nehmen? Gilt dann auch Gehorsam?
Antwort: Nur auf bedingte Weise. Jedenfalls nur bis zur Reife des eigenen Wesens im Jüngling und in der Jungfrau. An einem bestimmten Punkte tritt das Gebot Gottes in sein Recht: «Wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen.» Apostelgeschichte 4, 19
Frage: Wann ist dieser Punkt vorhanden?
Antwort: Das kann man nicht allgemein festlegen; es ist Sache des Gehorsams gegen Gott und der freien Entscheidung – oft Sache eines schweren Kampfes.
Frage: Hört damit das «Ehre Vater und Mutter» auf?
Antwort: Von ferne nicht. Auch solcher Widerstand, wo er sich als notwendig erweist, soll in Ehrfurcht geschehen, in Pietät, nicht hochmütig und willkürlich, sondern in ernstem Prüfen und Ringen, mit viel erlaubter Nachgiebigkeit, die freilich ihre Grenze an Gottes Recht und Gebot hat.
Frage: Gilt diese Freiheit auch von Familie und Verwandtschaft, ja auch vom Volke und anderer menschlicher Gemeinschaft?
Antwort: Unbedingt. Von ihnen allen gilt das Wort Christi: «Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.» Markus 3,31ff
Gott ist überall die Freiheit. Gottes Autorität ist wesentlich das Recht des Menschen.
Frage: Wie ist es, wenn die Eltern sich selbst nicht ehren? Wenn sie unwürdige Eltern sind? Sollen und können wir sie dann auch noch ehren?
Antwort: Selbstverständlich trotz allerlei Mängeln und Fehlern. Aber auch in den schlimmsten Fällen. Sie bleiben unsere Eltern. Wir ehren in ihnen uns selbst. Wir ehren sie dann mit Schmerzen. Und ob wir es können? Wir können es wohl nur in Gott, von Gott aus. Aber dann können wir es, sollen wir es.
Frage: Auch lieben?
Antwort: Ja, auch lieben. Wenn wir unter Lieben nichts Sentimentales verstehen, sondern das Festhalten der Verbindung in Gott und vor Gott. Das wird auch gesegnet sein.
Frage: Ist damit der Sinn des Gebotes erschöpft?
Antwort: Bei weitem nicht. In der Heiligkeit der Familie, welche durch die Ehrfurcht anerkannt wird, offenbart sich die Heiligkeit aller Gemeinschaftspflicht. Dieses Grundverhältnis strahlt nach allen Seiten aus: auf Lehrer, Meister, Freund, auf Volk, Gemeinde, Menschheit – alles befaßt in der Vaterschaft Gottes und Kindschaft des Menschen.
Aus der Ehrfurcht stammt alles Gute, Große und Heilige im Menschenwesen. Sie ist die Achtung des heiligen Rechtes im Andern wie in uns selbst. Sie ist damit die Quelle des Friedens. Das gilt auch für die Völker. Die Ehrfurcht allein vor dem heiligen Recht jedes Volkes ist die Bürgschaft einer Rechts- und Friedensordnung der Völkerwelt. Diese Ehrfurcht verhindert das soziale Unrecht, verhindert Ausbeutung und Versklavung von Mann und Frau, Jugend und Alter, schafft eine Ordnung der Demokratie, ist die Grundlage auch von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Sie dehnt sich vor allem auch aus auf die Schwachen und Geringen, Verkürzten, Verirrten, Gefallenen, und fordert im Namen Gottes, im Namen Christi, vor allem für sie ihr heiliges Recht. In ihnen vor allem begegnet uns Gott.
Frage: Soll man auch die Schlechten ehren?
Antwort: Gewiß, auf eigene Weise. Auch sie sind Menschen.
Frage: Auch die Bösewichter?
Antwort: Auch sie. Auch dem Bösen gebührt Ehrfurcht, auf besondere Weise, aber erst recht. Auch das Böse und die Bösen stehen unter Gott. Ein Großer hat von der Ehrfurcht vor dem, was unter uns sei, geredet. Viel tiefer noch sagt es die Bibel.
Daß diese Ehrfurcht vor allem, besonders aber vor dem Menschen, verlorengegangen ist, das ist unser Fluch. Daraus entsteht der neue Baals- und Molochdienst des Blutes und der Gewalt, des totalen Volkes und des totalen Staates und der damit verbundenen Entmenschung des Menschen. Nur die Rückkehr zur Ehrfurcht kann die Menschheit retten.
Frage: Woher soll die neue Ehrfurcht kommen?
Antwort: Von Gott allein. Der Verlust der Ehrfurcht ist die eigentliche Gottlosigkeit. Wenn diese sich mit der Religion verbindet, dann wird sie am allerschlimmsten. Dann wird sie eben Molochdienst. Dann vergottet sie Staat und Volk. Dann verschlingt sie den Menschen. Dann schaltet sie ihn gleich. Dann wird er bloß Material für den Triumphwagen dieses Gottes. Dann kommt der Untergang. Wir kehren damit zum ersten und zweiten Gebot zurück. «Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine andern Götter haben neben mir! »
Aus der Ehrfurcht vor Gott, die zur Ehrfurcht vor dem Menschen wird, entspringt auf allen Gebieten die echte Autorität, und darin hat sie auch ihre Schranke. Darum bedeutet echte Autorität auch Ehrfurcht vor dem Recht und der Freiheit des Menschen. Sie tastet diese nicht an, sondern schützt sie. Mißbrauch der Autorität ist Mißbrauch des «Namens Gottes», ist Mangel an Furcht Gottes. Jede absolute Autorität ist eine frivole Anmaßung des Rechtes Gottes durch den Menschen, sei es die absolute Autorität der Familie, sei es die des Staates und der Kirche. Alle Diktatur ist Götzendienst und aus Götzendienst stammt alle Diktatur; Gott dienen aber ist Freiheit. Gott ist der Herr; er bindet und befreit. Er befreit, um zu binden, und bindet, um zu befreien. Auf der so verstandenen Furcht Gottes beruht, wie alle Weisheit, so auch alle echte Ordnung.
Ehrfurcht vor dem Menschen! Vor jedem Menschen, auch dem eines andern Volkes, einer andern Rasse, einer andern Religion. Ehrfurcht vor dem Alter und Ehrfurcht vor der Jugend. Ehrfurcht vor dem Greise und Ehrfurcht vor dem Kinde. Ehrfurcht vor den Lebenden und Ehrfurcht vor den Toten. Ehrfurcht vor den Gesunden und noch mehr Ehrfurcht vor den Kranken. Ehrfurcht vor den Glücklichen und noch mehr Ehrfurcht vor den Leidenden. Ehrfurcht vor den Großen und noch mehr Ehrfurcht vor den Kleinen. Ehrfurcht vor den Starken und noch mehr Ehrfurcht vor den Schwachen. Ehrfurcht vor dem Manne und noch mehr Ehrfurcht vor der Frau. Ehrfurcht vor Gott und darum Ehrfurcht vor dem Menschen. Und aus der Ehrfurcht vor Gott entspringend heilige Verpflichtung, unendliche Schuld gegen alles und alle.

 

 

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