Die hl. Johanna der Schlachthöfe

Bert Brecht: Die Heilige Johanna Der Schlachthöfe
Die heilige Johanna der Schlachthöfe
Premiere am 9.12.2011 am Schauspielhaus Zürich, Pfauen
Regie Sebastian Baumgarten
Wie ein alter Tingeltangel-Western mutet Sebastian Baumgartens Interpretation des Theaterstücks an. Begleitet von einem Pianisten, waten die schrill kostümierten Protagonisten durch den Morast aus Börsenspekulation, Massenarbeitslosigkeit und Ungerechtigkeit.

Rammstein – Haifisch (Official Video)
Rammstein – Haifisch
Der Refrain lehnt sich stark an Die Moritat von Mackie Messer aus Brechts 1928
uraufgeführter Dreigroschenoper an.

„Und der Haifisch, der hat Zähne
und die trägt er im Gesicht
und Macheath, der hat ein Messer
doch das Messer sieht man nicht.“
– Die Moritat von Mackie Messer

„Und der Haifisch, der hat Tränen
und die laufen vom Gesicht
doch der Haifisch lebt im Wasser
so die Tränen sieht man nicht.“
– Haifisch








Bertolt Brecht, geboren am 10. Februar 1898 in Augsburg, starb am 14. August 1956 in Berlin. Die heilige Johanna der Schlachthöfe wurde 1929/30 in Berlin geschrieben und am 30. April 1959 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt. Brecht zeigt in der Heiligen Johanna der Schlachthöfe eine große Börsenspekulation in Fleisch und Vieh auf dem Hintergrund einer Überproduktionskrise. Er verlegt die Handlung auf die Viehhöfe und an die Fleischbörse Chicagos, wo infolge des weit entwickelten Kapitalismus die Widersprüche der Gesellschaft besonders deutlich werden. Johanna Dark, ein Heilsarmeesoldat, sieht die von den Fleischfabriken ausgesperrten und hungernden Arbeiter und stößt auf der Suche nach den Gründen der Aussperrung auf den Fleischkönig Pierpont Mauler. Vergeblich versucht er, Johanna für seine Sache zu gewinnen. Johanna, schließlich auch von den Armen verstoßen, geht auf den Schlachthöfen zugrunde. In diesem Stück sind »verwickelte Vorgänge« durchschaubar gemacht. Ihre Gesetzmäßigkeit ist dargestellt und als Mittel benutzt, die Vorgänge zu bewegen. »Diese Heilige Johanna ist eines der reichsten, glänzendsten, ja virtuosesten, freilich auch grimmigsten und schockierendsten
Stücke, die Brecht geschrieben hat. Mit einem Wort: ein Hauptwerk.«
Joachim Kaiser

DER ZUSAMMENBRUCH DER GROSSEN FLEISCHFABRIKEN

UM JAMMER DER SCHLACHTHÖFE TROST ZU SPENDEN, VERLASSEN DIE SCHWARZEN STROHHÜTE IHR MISSIONSHAUS JOHANNAS ERSTER GANG IN DIE TIEFE

Vor dem Haus der Schwarzen Strohhüte

JOHANNA an der Spitze eines Stoßtrupps der Schwarzen Strohhüte:
In finsterer Zeit blutiger Verwirrung
Verordneter Unordnung
Planmäßiger Willkür
Entmenschter Menschheit
Wo nicht mehr aufhören wollen in unseren Städten die Unruhen:
In solche Welt, gleichend einem Schlachthaus
Herbeigerufen durch das Gerücht drohender Gewalttat
Damit nicht rohe Gewalt des kurzsichtigen Volkes
Zerschlag das eigene Handwerkszeug und
Zertrample den eigenen Brotkorb
Wollen wir wieder einführen
Gott.
Wenig berühmt nur mehr
Fast schon berüchtigt
Nicht mehr zugelassen
An den Stätten des wirklichen Lebens:
Aber der Untersten einzige Rettung!
Drum haben wir uns entschlossen
Für ihn die Trommel zu rühren
Auf daß er Fuß fasse in den Quartieren des Elends
Und seine Stimme erschalle auf den Schlachthöfen.

Zu den Schwarzen Strohhüten
Und dies unser Unternehmen ist sicher
Das letzte seiner Art. Letzter Versuch also
Ihn noch einmal aufzurichten in zerfallender Welt, und zwar
Durch die Untersten.
Sie marschieren mit Getrommel weiter.

JOHANNA: Wir sind die Soldaten des lieben Gottes. Wegen unserer Hüte nennt man uns auch die Schwarzen Strohhüte. Wir marschieren mit Trommeln und Fahnen überall hin, wo Unruhe herrscht und Gewalttaten drohen, um an den lieben Gott zu erinnern, den sie alle vergessen haben, und ihre Seelen zu ihm zurückzubringen. Soldaten nennen wir uns, weil wir eine Armee sind und auf unserem Marsch kämpfen müssen mit dem Verbrechen und dem Elend, jenen Mächten, die uns nach unten ziehen wollen. Sie fängt an, selbst die S u p p e auszuteilen. So, jetzt eßt mal die warme Suppe, und dann wird sich alles gleich wieder ganz anders anschauen, aber denkt gefälligst auch ein wenig an den, der euch die Suppe bescheret. Und wenn ihr so nachdenkt, dann werdet ihr sehen, daß das überhaupt die ganze Lösung ist: Oben streben und nicht unten streben. Oben sich nach einem guten Platz anstellen und nicht unten. Oben der erste sein wollen und nicht unten. Jetzt seht ihr ja, was für ein Verlaß auf das irdische Glück ist. Gar keiner. Das Unglück kommt wie der Regen, den niemand machet und der doch kommt. Ja, woher kommt euer ganzes Unglück?
EIN ESSER: Von Lennox & Co.

JOHANNA: Ruhe! Liebe Freunde, warum seid ihr wohl arm?
ERSTER ARBEITER: Na, erzähl‘s uns mal.
JOHANNA: Ich will es euch sagen: nicht, weil ihr nicht mit irdischen Gütern gesegnet seid – das kann nicht jeder sein -, sondern weil ihr keinen Sinn für das Höhere habt. Darum seid ihr arm. Diese niederen Genüsse, nach denen ihr strebt, nämlich dieses bißchen Essen und hübsche Wohnungen und Kino, das sind ja nur ganz grobe sinnliche Genüsse, Gottes Wort aber ist ein viel feinerer und innerlicherer und raffinierterer Genuß, ihr könnt euch vielleicht nichts Süßeres denken als Schlagsahne, aber Gottes Wort ist eben doch noch süßer, ei, wie süß ist Gottes Wort! Das ist wie Milch und Honigseim, und bei ihm wohnet man wie in einem Palast aus Ophyr und Alabaster. Ihr Kleingläubigen, die Vögel unter dem Himmel haben keine Stellungsnachweise und die Lilien auf dem Felde haben keine Arbeit und er ernähret sie doch, weil sie lobsingen zu seinem Preis. Ihr wollt alle nach oben kommen, aber in was für ein Oben und wie wollt ihr hinaufkommen?! Und da sind es eben wir Schwarzen Strohhüte, die euch fragen, ganz praktisch: was muß einer haben, daß er überhaupt hochkommt?
ERSTER ARBEITER: Einen Stehkragen.
JOHANNA: Nein, keinen Stehkragen. Vielleicht braucht man auf Erden einen Stehkragen, damit man weiterkommt, aber vor Gott muß man noch viel mehr um haben, einen ganz anderen Glanz, aber da habt ihr nicht einmal einen Gummikragen um, weil ihr eben euren ganzen inneren Menschen vollständig vernachlässigt habt. Wie aber wollt ihr hinaufkommen, oder was ihr in eurem Unverstand so „hinauf“ nennt? Durch die rohe Gewalt? Als ob Gewalt jemals etwas anderes ausgerichtet hätte als Zerstörung. Ihr glaubt, wenn ihr euch auf die Hinterbeine stellt, dann gibt es das Paradies auf Erden. Aber ich sage euch: so macht man kein Paradies, so macht man das Chaos.

Ein Arbeiter kommt gelaufen.
DER ARBEITER:
Frei wurde eben ein Arbeitsplatz!
Drüben winkt er, der lohnende
In der fünften Fabrik!
Äußerlich ist er ein Abtrittsloch.
Lauft!

Drei Arbeiter lassen die vollen Teller stehen und laufen weg.
JOHANNA: Hallo, ihr, wo lauft ihr denn hin? Wenn man euch von Gott erzählt! Das wollt ihr nicht hören! Was?!
EIN MÄDCHEN VON DEN SCHWARZEN STROHHÜTEN:
Die Suppe ist aus.
DIE ARBEITER:
Das Süppchen ist aus
Fettlos war es und wenig, aber
Besser wie nichts.

Alle wenden sich ab und stehen auf.
JOHANNA: Ja, bleibt aber nur sitzen, das schadet gar nichts, die große himmlische Suppe nämlich, die geht nicht aus.

JOHANNA: Ja, was ist denn? Jetzt wenden die sich einfach weg! So, habt ihr jetzt gegessen?
Wohl bekomm’s und danke. Warum habt ihr denn bis jetzt zugehört?
EIN ARBEITER: Für die Suppe.
JOHANNA: Wir fahren fort. Singet!
DIE SCHWARZEN STROHHÜTE singen:
Geht hinein in die Schlacht
Wo das Gewühl am stärksten ist!
Singet nur, singet mit Macht! Noch ist es Nacht!
Aber der Morgen kommt schon mit Macht! Bald auch zu euch kommt der Herr Jesus Christ.
EINE STIMME hinten: Bei Mauler gibt‘s noch Arbeit!

Die Arbeiter bis auf wenige Frauen ab.
JOHANNA finster: Packt die Musikinstrumente zusammen. Habt ihr gesehen, wie sie fortliefen, als die Suppe aus war!
Das erhebt sich nicht höher als
Bis zu einer Schüssel Rand. Das
Glaubt an nichts mehr, was es nicht
In seiner Hand hat – wenn‘s an die Hand glaubt.
Lebend von Minute zu Minute unsicher
Können die sich nicht mehr erheben
Vom niedersten Boden. Denen
Ist nur mehr der Hunger gewachsen. Sie
Berührt kein Lied mehr, zu ihnen dringt
In solche Tiefe kein Wort.

Zu den Umstehenden
Wir Schwarzen Strohhüte kommen uns vor, als sollten wir mit unsern Löffeln einen hungernden Erdteil sättigen.

JOHANNA: Herr Mauler, das ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Können Sie ihnen nicht wirklich helfen?
MAULER:
Sagt‘s überall, ich billige sehr eure Tätigkeit und
Wollt, solche wie ihr gäb‘s mehr. Aber das mit
Den armen Leuten dürft ihr nicht so nehmen.
’s sind schlechte Leute. Menschen rühren mich nicht
Sie sind nicht unschuldig und selber Metzger. Doch
Lassen wir das.
JOHANNA: Herr Mauler, auf den Schlachthöfen sagen sie, Sie sind schuld an dem Elend.
MAULER:
Mit Ochsen hab ich Mitleid, der Mensch ist schlecht.
Die Menschen sind für deinen Plan nicht reif.
Erst muß, bevor die Welt sich ändern kann
Der Mensch sich ändern.
Noch einen Augenblick.
Er spricht leise zu Slift
Gib ihr noch abseits, wenn sie allein ist, Geld!
Sag: für ihre Armen, daß sie es nehmen kann
Ohn zu erröten, dann aber sieh, was sie sich kauft.
Wenn das nicht hilft, ich wollt, es hülfe nicht
Dann nimm sie mit
Zum Schlachthof und zeig ihr
Ihre armen Leute, wie sie schlecht sind und tierisch, voll Verrat und Feigheit
Und daß sie selber schuld sind.
Vielleicht hilft das.

SLIFT im Abgehen: Laß dich, ich rat dir ab, nicht ein mit denen auf den Schlachthöfen, das ist ein niedriges Pack, eigentlich der Abschaum der Welt
JOHANNA: Ich will ihn sehen.

SLIFT: Drei Wochen lang wird sie kommen und fressen, ohne aufzusehen, wie ein Tier.
Hast du gesehn, Johanna, daß ihre Schlechtigkeit ohne Maß ist?
JOHANNA:
Wie aber beherrschest du
Ihre Schlechtigkeit! Wie nützt ihr sie aus!
Siehst du nicht, daß es auf ihre Schlechtigkeit regnet?
Sicherlich gern hätte sie doch
Treue gehalten ihrem Mann wie andere auch
Und nach ihm gefragt, der ihr Unterhalt gab
Eine Zeitlang noch, wie es sich gehört.
Aber der Preis war zu hoch, der zwanzig Essen betrug.
Und hätte der junge Mensch, auf den
Sich jeder Schurke verlassen kann
Der Frau des Toten den Rock gezeigt
Wenn es nach ihm gegangen wär?
Aber der Preis erschien ihm zu hoch
Und warum sollte der Mann mit dem einen Arm
Nicht mich warnen? Wenn nicht der Preis
So kleiner Rücksicht für ihn so hoch wär?
Sondern verkaufen den Zorn, der gerecht ist, aber zu teuer?
Ist ihre Schlechtigkeit ohne Maß, so ist‘s
Ihre Armut auch. Nicht der Armen Schlechtigkeit
Hast du mir gezeigt, sondern
D e r  A r m e n  A r m u t.
Zeigtet ihr mir der Armen Schlechtigkeit
So zeig ich euch der schlechten Armen Leid.
Verkommenheit, voreiliges Gerücht!
Sei widerlegt durch ihr elend Gesicht!

JOHANNA: Und jetzt ein Beispiel. Wenn einer einen Damm baut gegen das unvernünftige Wasser und tausend Leute helfen ihm mit ihrer Hände Arbeit und dann bekommt er eine Million dafür, aber der Damm reißt sofort, wenn das Wasser kommt, und es ertrinken alle, die dran bauen, und noch viel mehr – was ist der, der einen solchen Damm baut? Ihr könnt sagen, das ist ein Geschäftsmann, oder je nachdem, das ist ein Lump, aber wir sagen euch, das ist ein Dummkopf. Und ihr alle, die ihr das Brot verteuert und den Menschen das Leben zur Hölle macht, daß alle zu Teufeln werden, ihr seid dumm, armselige und schäbige Dummköpfe und nichts sonst!
DIE AUFKAUFER schreiend:
Durch eure rücksichtslose
Preistreiberei und schmutzige Gewinnsucht
Bringt ihr euch selber um!
Dummköpfe!
DIE PACKHERREN zurück:
Selber Dummköpfe!
Gegen Krisen kann keiner was!
Unverrückbar über uns
Stehen die Gesetze der Wirtschaft, unbekannte,
Wiederkehren in furchtbaren Zyklen
Katastrophen der Natur!
DIE VIEHZÜCHTERI
Uns am Hals haben, dafür kann keiner was?
Schlechtigkeit ist es, ausgetüftelte Schlechtigkeit!
JOHANNA: Denn warum ist diese Schlechtigkeit in der Welt? Ja, wie soll‘s  denn anders sein! Natürlich, wenn jeder seinem Nächsten wegen einem Stückchen Schinken aufs Brot mit einer Axt über den Kopf hauen muß, damit er es ihm vielleicht abtritt, was er doch braucht zu seines Lebens Notdurft, und der Bruder ringend mit dem Bruder um das Nötigste, wie soll da der Sinn für das Höhere nicht ersticken in des Menschen Brust?!
Betrachten Sie doch einmal den Dienst am Nächsten einfach als Dienst am Kunden! Dann werden Sie das Neue Testament gleich verstehen und wie grundmodern das ist, auch heute noch. Service! Was heißt denn Service anders als Nächstenliebe? Das heißt, richtig verstanden! Meine Herren, ich höre immer, daß die armen Leute nicht genug Moral haben, und das ist auch so. Da unten in den Slums nistet die Unmoral selber und damit die Revolution. Aber da frage ich Sie nur: Woher sollen sie denn eine Moral haben, wenn sie sonst nichts haben? Ja, woher nehmen und nicht stehlen? Meine Herren, es gibt auch eine moralische Kaufkraft. Heben Sie die moralische Kaufkraft, dann haben Sie auch die Moral. Und ich meine mit Kaufkraft etwas ganz Einfaches und Natürliches, nämlich Geld, Lohn.

Und das führt mich wieder zur Praxis: wenn ihr so fortfahrt, dann könnt ihr am End euer Fleisch selber fressen, denn die da draußen haben eben keine Kaufkraft.
DIE VIEHZUCHTER vorwurfsvoll:
Da stehen wir mit Ochsen
Und niemand erwirbt sie.
JOHANNA: Aber ihr sitzet hier, ihr großmächtigen Herren, und glaubt, man kommt euch nicht auf eure Schliche, und wollt nichts wissen von all dem Elend draußen in der Welt. Aber da schaut sie nur an, die ihr so behandelt und zugerichtet habt, und die ihr nicht als eure Brüder anerkennen wollt, tretet nur vor, ihr Mühseligen und Beladenen, in das Licht des Tages. Schämet euch nicht.

Johanna zeigt den Börsenleuten die Armen, die sie mitgebracht hat.

JOHANNA:
Zeigtest du, Mauler, mir der Armen
Schlechtigkeit, so zeige ich dir
Der Armen Armut, denn von euch entfernt
Und damit entfernt von Gütern, unentbehrlichen
Leben, nicht sichtbar mehr, solche, die ihr
In solcher Armut haltet, so geschwächt und in so dringlicher
Abhängigkeit von unerreichbarer Speis und Wärm, daß sie
Gleichermaßen entfernt sein können von jedem Anspruch
Auf Höheres als gemeinste Freßgier, tierischste Gewöhnung.

SNYDER: Meine lieben Schwarzen Strohhüte, lieber Herr Mulberry, meine sehr geehrten Zuhörer! Was nun die leidige Frage der Geldbeschaffung betrifft – gut Ding spricht für sich selbst, und vor allem braucht‘s Propaganda -, so haben wir uns bisher an die Armen und Ärmsten gewendet, da wir von dem Gedanken ausgingen, daß die am ehesten etwas für Gott übrig haben, die seine Hilfe am nötigsten hätten, und daß die Masse es macht. Leider haben wir erleben müssen, daß gerade diese Schichten eine ganz unerklärliche Zugeknöpftheit Gott gegenüber an den Tag legen. Es mag dies aber auch daran liegen, daß sie nichts haben. Deshalb habe ich, Paulus Snyder, jetzt in eurem Namen die Reichen und Wohlhabenden Chicagos eingeladen, damit sie uns dazu verhelfen, am nächsten Samstag einen Hauptschlag zu führen gegen den Unglauben und den Materialismus der Stadt Chicago, vor allem gegen die untersten Schichten. Von diesem Geld werden wir auch unserem lieben Hauswirt, Herrn Mulberry, die so liebenswürdig gestundete Miete zahlen.

SNYDER am Rednerpult: Wir Schwarzen Strohhüte haben gehört, daß auf den Schlachthöfen fünfzigtausend stehen und keine Arbeit haben. Und daß einige schon murren und sagen: Wir müssen uns selber helfen. Werden nicht schon eure Namen genannt als diejenigen, welche schuld sind, daß fünfzigtausend keine Arbeit haben und vor den Fabriken stehen? Sie werden euch noch die Fabriken wegnehmen und sagen: Wir wollen es wie die Bolschewiken machen und die Fabriken in unsere Hand nehmen, daß jeder arbeiten kann und sein Essen habe. Denn es hat sich herumgesprochen, daß das Unglück nicht entsteht wie der Regen, sondern von etlichen gemacht wird, welche ihren Vorteil davon haben.
Wir Schwarzen Strohhüte aber wollen ihnen sagen, daß das Unglück wie der Regen kommt, niemand weiß woher, und daß das Leiden ihnen bestimmt ist und ein Lohn dafür winkt.
DIE DREI PACKHERREN: Wozu von Lohn reden?
SNYDER: Der Lohn, von dem wir reden, wird nach dem Tode bezahlt.
DIE DREI PACKHERREN: Wieviel verlangt ihr dafür?
SNYDER: Achthundert Dollar im Monat, denn wir brauchen warme Suppen und laute Musik. Wir wollen ihnen auch versprechen, daß die Reichen bestraft werden, und zwar wenn sie gestorben sind.
Die drei lachen schallend.

JOHANNA: Warum arbeitet ihr nicht? Ich habe euch doch Arbeit verschafft.
FRAU LUCKERNIDDLE: Wo denn, die Schlachthöfe sind geschlossen.
GLOOMB: Erst hieß es, sie werden aufgemacht, aber sie sind nicht wieder aufgemacht
worden.
JOHANNA zu den Packherren:
So warten die immer noch?
Die Packherren schweigen.
Und ich dachte, sie seien aufgehoben?
Seit sieben Tagen fällt jetzt Schnee auf sie
Und dieser selbe Schnee, der sie umbringt, entzieht
Sie jedem menschlichen Aug. Daß ich so leicht
Vergessen hab, was jeder gern vergißt und ist gleich ruhig.
Wenn einer sagt, ’s ist rum, forscht keiner nach.

SLIFT: Der Mauler und ich haben bei euch Fleisch gekauft, voraussetzend, daß ihr die Arbeit aufnehmt und so der Arbeiter Fleisch kaufen kann. Wer soll jetzt das Fleisch, das wir euch abnahmen, essen, für wen haben wir denn Fleisch gekauft, wenn die Esser nicht bezahlen können?
JOHANNA: Wenn ihr schon das ganze Handwerkszeug in der Hand habt von den Leuten in euren großmächtigen Fabriken und Anlagen, dann müßt ihr sie wenigstens heranlassen, sonst sind sie ja ganz aufgeschmissen, denn es ist ja doch so eine Art Ausbeutung dabei, und wenn dann die arme bis aufs Blut gepeinigte Menschenkreatur sich nicht anders zu helfen weiß, als einen Prügel nehmen und ihn seinem Peiniger auf den Kopf hauen, dann macht ihr in die Hosen, ich hab‘s schon bemerkt, und dann wär die Religion wieder recht und soll Ol auf die Wogen gießen, aber da ist sich der liebe Gott doch zu gut, als daß er euch dann den Gehherda macht und euch euren Saustall wieder ausmistet. Ich lauf von Pontius zu Pilatus und mein: wenn ich euch da oben helf, dann ist denen unter euch auch geholfen. Da ist so eine Art Einheit und wird am gleichen Strang gezogen, aber da war ich schön dumm. Wer denen, die da arm sind, helfen will, der muß ihnen, scheint‘s, von euch helfen. Habt ihr denn gar keine Ehrfurcht mehr vor dem, was Menschenantlitz trägt? Da könnt es passieren, daß man euch auch nicht mehr als Menschen ansieht, sondern als wilde Tiere, die man einfach erschlagen muß im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit! Und ihr traut euch noch in Gottes Haus zu kommen, nur weil ihr diesen schmutzigen Mammon habt, man weiß schon woher und wodurch, der ist ja nicht ehrlich erworben. Aber da seid ihr bei Gott an den Falschen gekommen, euch muß man einfach hinausjagen, mit einem Stecken muß man euch hinausjagen. Ja, schaut nur nicht so dumm, mit Menschen soll man nicht umgehen wie mit Ochsen, aber ihr seid keine Menschen, hinaus mit euch und schnell, sonst vergreif ich mich noch an euch, haltet mich nicht, ich weiß schon, was ich tu, ich hab‘s zulang nicht gewußt.

Johanna treibt sie mit einer umgekehrten Fahne, die sie als Stecken benützt, aus. In den Türen tauchen die Schwarzen Strohhüte auf.
JOHANNA: Hinaus! Wollt ihr Gottes Haus zu einem Stall machen? Und zur zweiten Viehbörse? Hinaus! Ihr habt hier nichts zu suchen. Solche Gesichter wollen wir hier nicht sehen. Ihr seid unwürdig und ich weise euch aus. Trotz eurem Geld!
DIE DREI PACKHERREN: Auch gut. Aber mit uns gehn hier hinaus unwiderruflich schlicht und bescheiden vierzig Monatsmieten. Wir brauchen sowieso jeden Pfennig, wir gehen Zeiten entgegen, wie sie furchtbarer der Viehmarkt nie gesehen hat.

Die Packherren und Makler Slift ab.

SNYDER läuft ihnen nach: Bleiben Sie da, meine Herren, gehen Sie nicht fort, sie hat gar keine Vollmacht! Ein verwirrtes Frauenzimmer! Sie wird entlassen! Sie wird Ihnen alles besorgen, was Sie wollen.
JOHANNA zu den Schwarzen Strohhüten: Das ist jetzt sicher recht ungeschickt wegen der Miete. Aber da kann man nicht drauf schauen. Zu Luckerniddle und Gloomb: Setzt euch da hinter, ich werd euch eine Suppe bringen.
SNYDER zurückgekehrt:
Lad dir die Armen zu Gast und bewirte
Sie nur mit Regenwasser und schönem Gerede
Wo doch im Himmel für sie nicht Erbarmen
Sondern nur Schnee ist!
Ohne alle Demut bist du
Dem nächsten Trieb gefolgt! Wie leichter ist‘s
Einfach auszuweisen den Unreinen hochmütig.
Heikel bist du mit dem Brot, das wir essen müssen.
Allzu neugierig, wie‘s gemacht wird, und willst doch
Selber auch noch essen! Jetzt geh, du Überirdische
Hinaus in den Regen und bleib rechthaberisch im Schneetreiben!
JOHANNA: Heißt das, daß ich meinen Uniformrock ausziehen soll?
SNYDER: Ziehen Sie Ihren Uniformrock aus und packen Sie Ihren Koffer! Verlassen Sie dieses Haus und nehmen Sie das Gesindel mit, das Sie uns hereingezogen haben. Denn nur Gesindel und Abschaum ist hinter Ihnen hergelaufen. Sie werden nun selber zu ihm gehören. Holen Sie Ihre Sachen.

Johanna geht und kommt mit einem kleinen Koffer, gekleidet wie ein Landdienstmädchen, zurück.

JOHANNA:
Ich will zum reichen Mauler gehn, der nicht
Ohne Furcht und guten Willens ist
Daß der uns hilft. Nicht eher will ich
Wieder anziehen diesen Rock und schwarzen Strohhut
Auch nicht zurückkehren eher in dieses liebe Haus
Der Gesänge und Erweckungen, vor ich
Den reichen Mauler mitbring als einen
Von uns, bekehrt von Grund auf.
Mag auch ihr Geld wie ein Krebsgeschwür
Abgefressen haben Ohr und menschliches Antlitz
Daß sie abgetrennt sitzen, aber erhoben
Unerreichbar jedem Hilfeschrei!
Arme Krüppel!
E i n Gerechter muß doch unter ihnen sein!
Ab.

SNYDER:
Arme Unwissende!
Was du nicht siehst: aufgebaut
In riesigen Kadern stehn sich gegenüber
Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Kämpfende Fronten: unversöhnlich.
Laufe herum zwischen ihnen, Versöhnlerin und Vermittlerin
Nütze keiner und gehe zugrund.
MULBERRY herein: Habt ihr das Geld jetzt?
SNYDER: Gott wird sein gewiß kärgliches Obdach, das er auf Erden gefunden hat, ich sage kärglich, Herr Mulberry, auch noch bezahlen können.
MULBERRY: Ja, bezahlen, ganz richtig, darum handelt es sich! Sie sprechen das richtige Wort aus, Snyder! Wenn der liebe Gott bezahlt, gut. Aber wenn er nicht bezahlt, nicht gut. Wenn der liebe Gott seine Miete nicht bezahlt, muß er ausziehn, und zwar am Samstagabend, Snyder, nicht wahr? Ab.

PIERPONT MAULERS REDE ÜBER DIE UNENTBEHRLICHKEIT DES KAPITALISMUS UND DER RELIGION

JOHANNA:
Wenn die Schwarzen Strohhüte
Ihr Geld annehmen, sollen sie‘s nur tun
Aber ich will mich setzen zu den Wartenden auf die Schlachthöfe
Bis die Fabriken wieder auf sind, und
Nichts anderes essen, als sie essen, und wenn
Ihnen Schnee gereicht wird, eben Schnee, und was
Sie arbeiten, das will auch ich arbeiten, denn auch ich
Habe kein Geld und kann‘s nicht anders kriegen, wenigstens nicht
Auf ehrliche Weis, und gibt‘s keine Arbeit, so geb‘s
Für mich auch keine und
Sie, der Sie leben von der Armut und
Können die Armen nicht sehen und verurteilen
Etwas, was Sie nicht kennen, und richten‘s so
Daß Sie nicht sehen, was dort verurteilt sitzt
Aufgegeben auf den Schlachthöfen, unbesehen:
Wenn Sie mich künftig sehen wollen, dann
Auf den Schlachthöfen.

JOHANNAS DRITTER GANG IN DIE TIEFE. DER SCHNEEFALL

Kleines Lokal in der Gegend der Schlachthöfe
Arbeiter und Arbeiterinnen, darunter Johanna. Ein Trupp der Schwarzen Strohhüte kommt. Johanna steht auf und winkt ihnen während des Nachfolgenden verzweifelt ab.
JACKSON, LEUTNANT DER SCHWARZEN STROHHÜTE nach einem eiligen Gesang:
Warum willst du, Bruder, dich an Jesu Brot nicht laben?
Sieh, wie lustig wir und wie fröhlich sind.
Weil wir den Herrn Jesum, unsern Herrn, gefunden haben.
Komm zu ihm auch du geschwind!
Hallelujah!

Ein Mädchen der Schwarzen Strohhüte spricht zu den Arbeitern, wobei sie zwischendrin Bemerkungen zu den Ihren macht.

MARTHA, SOLDAT DER SCHWARZEN STROHHÜTE: (Das hat wohl keinen Zweck!?) Auch ich, Brüder und Schwestern, stand einmal wie ihr traurig am Wegrain, und der alte Adam in mir wollte nichts als essen und trinken, aber dann hab ich meinen Herrn Jesum gefunden, und da war es so licht in mir und so fröhlich, und jetzt (Sie hören gar nicht zu!), wenn ich nur recht fest an meinen Herrn Jesum denke, der uns alle trotz unserer vielen Missetaten erlöst hat in Schmerzen, dann habe ich keinen Hunger mehr und keinen Durst, außer nach dem Wort unseres Herrn Jesum. (Es nutzt nichts.) Wo der Herr Jesum ist, da ist nicht die Gewalt, sondern der Friede; da ist nicht der Haß, sondern die Liebe. (Es ist ganz umsonst!) Und darum: haltet den Topf am Kochen!
DIE SCHWARZEN STROHHÜTE: Hallelujah!

Jackson reicht die Büchse herum. Es wird aber nichts hineingetan.

Hallelujah!
JOHANNA:
Möchten sie doch nicht hier in der Kälte
Solches Ärgernis geben und da noch reden!
Wirklich, ich könnt jetzt
Kaum hören die Worte, die
Einst mir lieb waren und angenehm! Möchte ihnen doch
Eine Stimme sagen, ein Rest in ihnen: hier ist
Schnee und Wind, hier schweigt!
EINE FRAU: Lassen Sie die nur. Das müssen die ja machen, wenn sie dort ein bißchen Wärme und Essen kriegen wollen. Da möcht ich auch sein!
FRAU LUCKERNIDDLE: Das war eine schöne Musik!
GLOOMB: Schön und kurz.
FRAU LUCKERNIDDLE: Das da sind aber doch gute Menschen.
GLOOMB: Gut und kurz, kurz und gut.
DIE FRAU: Warum reden sie eigentlich nicht mit uns und bekehren uns?
GLOOMB macht die Geste des Geldzählens: Können Sie den Topf am Kochen halten,
Frau Swingurn?
DIE FRAU: Die Musik ist sehr hübsch, aber ich erwartete, daß sie uns vielleicht einen Teller Suppe geben würden, da sie einen Topf dabei hatten.
EIN ARBEITER wundert sich über sie: Nee, wirklich, haben Sie gedacht?
FRAU LUCKERNIDDLE: Ich möchte auch lieber Taten sehen. Reden habe ich genug gehört. Wenn gewisse Leute geschwiegen hätten, wüßte ich, wo heute nacht hingehen.
JOHANNA: Gibt es hier nicht Leute, die etwas unternehmen?
DER ARBEITER: Ja, die Kommunisten.
JOHANNA: Sind das nicht Leute, die zu Verbrechen auffordern?
DER ARBEITER: Nein.
Stille.

JOHANNA:
Ich sehe dies System, und äußerlich
Ist‘s lang bekannt, nur nicht im
Zusammenhang! Da sitzen welche, Wenige, oben
Und Viele unten, und die oben schreien
Hinunter: kommt herauf, damit wir alle
Oben sind, aber genau hinsehend siehst du was
Verdecktes zwischen denen oben und denen unten
Was wie ein Weg aussieht, doch ist‘s kein Weg
Sondern ein Brett, und jetzt siehst du‘s ganz deutlich
’s ist ein Schaukelbrett, dieses ganze System
Ist eine Schaukel mit zwei Enden, die voneinander
Abhängen, und die oben
Sitzen oben nur, weil jene unten sitzen
Und nur solang jene unten sitzen, und
Säßen nicht mehr oben, wenn jene heraufkämen
Ihren Platz verlassend, so daß
Sie wollen müssen, diese säßen unten
In Ewigkeit und kämen nicht herauf.
Auch müssen‘s unten mehr als oben sein
Sonst hält die Schaukel nicht. ‘s ist nämlich eine Schaukel.

DIE ARBEITER:
Bleibt hier! Was auch kommt
Geht nicht auseinander!
Nur wenn ihr zusammenbleibt
Könnt ihr euch helfen!
Wißt, daß ihr verraten seid
Von allen euren öffentlichen Fürsprechern
Und euren Gewerkschaften, welche gekauft sind.
Hört auf niemand, glaubt nichts
Aber prüfet jeden Vorschlag
Der zur wirklichen Änderung führt. Und vor allem lernt:
Daß es nur durch Gewalt geht und
Wenn ihr es selber macht.

DIE ARBEITER hinten:
Wenn ihr beisammen bleibt
Werden sie euch niederschlachten.
Wir raten euch, beisammen zu bleiben!
Wenn ihr kämpft
Werden ihre Tanks euch zermalmen.
Wir raten euch zu kämpfen!
Diese Schlacht wird verloren gehen
Und vielleicht auch die nächste noch
Wird verloren gehen.
Aber ihr lernt das Kämpfen
Und erfahrt
Daß es nur durch Gewalt geht und
Wenn ihr es selber macht.
JOHANNA:
Halt, lernt nicht weiter!
Nicht in so kalter Weise!
Nicht durch Gewalt
Bekämpft Unordnung und die Verwirrung.
Freilich, riesenhaft ist die Verführung!
Noch eine solche Nacht und noch eine solche
Wortlose Bedrückung, und niemand
Vermag ruhig zu bleiben. Und sicher standet ihr
Schon in vielen Nächten vieler Jahre
Beisammen und lerntet
Kalt zu denken und furchtbar.
Freilich, es sammelt sich auch
Gewalttat zu Gewalttat im Dunkeln
Schwach zu Schwach und das Unerledigte
Sammelt sich.
Aber was hier gekocht wird: wer
Werden die Esser sein?
Ich will weggehen. Es kann nicht gut sein, was mit Gewalt gemacht wird. Ich gehör nicht zu ihnen. Hätten mich als Kind der Tritt des Elends und der Hunger Gewalt gelehrt, würde ich zu ihnen gehören und nichts fragen. So aber muß ich weggehen. Sie bleibt sitzen.

Drei Arbeiter kommen, sehen sich nach jemanden um, finden ihn nicht und gehen wieder weg. Während es dunkel wird, erscheint eine Schrift:
Der Schnee beginnt zu treiben
Wer wird denn da bleiben?
Da bleiben, wie immer so auch heut
Der steinige Boden und die armen Leut.

DIE SCHWARZEN STROHHÜTE:
Ach, sie tragen die Bußbank weg!
Schon bedroht ihr gieriger Griff
Dampforgel und Rednerpult.
Und lauter schreien wir:
Käme doch der reiche Herr Mauler
Jetzt uns zu retten
Mit seinem Geld!
SNYDER:
Seit sieben Tagen auf den verrostenden Schlachthöfen
Stehen die Massen, endlich entfernt von Arbeit.
Befreit von jedem Obdach stehen sie
Wieder unter Regen und Schnee
Über sich den Zenith unbekannter Bestimmung.
Ach, lieber Herr Mulberry, jetzt warme Suppen
Und etwas Musik, und so haben wir sie. In meinem Kopf
Steht das Reich Gottes fix und fertig da.
Eine Kapelle in der Hand und anständige Suppen, aber
Wirklich fetthaltig, und Gott hat ausgesorgt
Und auch der ganze Bolschewismus
Hat ausgelitten.

DIE SCHWARZEN STROHHÜTE:
Die Dämme des Glaubens sind gebrochen
In unserer Stadt Chicago
Und die Schlammflut des Materialismus
Umspült drohend sein letztes Haus.
Sehet, es wankt schon, seht, es versinkt schon!
Aber haltet durch, der reiche Mauler kommt!
Er ist schon im Anzug mit all seinem Geld!
EIN SCHWARZER STROHHUT: Wo sollen wir denn jetzt das Publikum hintun, Major?

Drei Arme kommen, darunter Mauler.
SNYDER schreit sie an: Das will nur Suppen! Hier gibt”s keine Suppen! Hier gibt’s Gottes Wort! Da werden wir sie gleich wieder draußen haben, wenn sie das hören.
MAULER: Hier sind drei, die zu ihrem Gott kommen.
SNYDER: Setzt euch dorthin und haltet Ruhe.

Die drei setzen sich.
EIN MANN herein: Ist hier Pierpont Mauler?
SNYDER: Nein, aber wir warten auf ihn.
DER MANN: Die Packer wollen ihn sprechen, und die Viehzüchter schreien nach ihm. Ab.
MAULER vorn: Ich hör, sie suchen einen Mauler.
Ich kannte ihn: ein Dummkopf. Jetzt suchen sie
In Himmel und Hölle, oben und unten diesen Mauler
Der all sein Leben dümmer war als ein
Betrunkener, schmutzbedeckter Strolch.

Steht auf und geht zu den Schwarzen Strohhüten.
Ich kannte einen, den bat man
Um hundert Dollar. Und er hatte an zehn Millionen.
Und kam und gab nicht hundert Dollar, sondern warf
Die zehn Millionen weg
Und gab sich selbst.

Er nimmt zwei von den Schwarzen Strohhüten und läßt sich mit ihnen auf der Bußbank nieder.
Ich will bekennen.
Hier, Freunde, kniete keiner, der
So niedrig war wie ich.

DIE SCHWARZEN STROHHÜTE:
Verliert nicht die Zuversicht!
Werdet nicht kleingläubig!
Er kommt gewiß, er nahet schon
Mit all seinem Geld.
EIN SCHWARZER STROHHUT:
Ist er schon da?
MAULER:
Ich bitt euch, eine Hymne! Denn mir ist
Leicht ums Herz und zugleich schwer.
ZWEI MUSIKER: Ein Stück, aber nicht mehr.

Sie intonieren eine Hymne. Die Schwarzen Strohhüte singen abwesend und nach der Tür blickend mit.

SNYDER über Rechnungsbüchern:
Was ich hier ausrechne, ich sag es nicht.
Ruhe!
Bringt mir das Haushaltungsbuch und die unbezahlten Rechnungen, es ist jetzt an dem.
MAULER:
Ich klag mich an der Ausbeutung
Mißbrauchs der Gewalt, Enteignung aller
Im Namen des Eigentums. Sieben Tage hielt ich
Diese Stadt Chicago am Hals
Bis sie verreckt war.
EIN SCHWARZER STROHHUT: Das ist der Mauler!
MAULER:
Aber gleichzeitig führ ich an, daß ich am siebenten
Alles von mir abtat, so daß ich jetzt
Ohne Habe dasteh.
Schuldlos nicht, aber bereuend.
SNYDER: Du bist der Mauler?
MAULER:
Ja, und von Reu zerfleischt.
SNYDER schreit laut auf: Und ohne Geld? Zu den Schwarzen Strohhüten: Packt die Sachen zusammen, ich stelle hiermit alle Zahlungen ein.
DIE MUSIKER:
Wenn das der Mensch ist, von dem ihr
Euch Geld erwartet habt zu unserer Bezahlung
Dann können wir abziehen – Guten Abend.
Sie gehen ab.

CHOR DER SCHWARZEN STROHHÜTE den scheidenden Musikern nach:
Wir haben erwartet mit Gebeten
Den reichen Mauler, aber herein
Trat der Bekehrte.
Sein Herz
Trug er uns entgegen, aber sein Geld nicht.
Darum ist unser Herz gerührt, aber
Unsre Gesichter sind lang.

SNYDER:
Ruhe! Hinaus jetzt, alle hinaus – zu Mauler – und vor allem Sie!
Wo sind die vierzig Monatsmieten der Unbekehrten
Die Johanna austrieb? Den trieb sie her dafür! Johanna, gib
Mir meine vierzig Monatsmieten wieder!

MAULER:
Ich seh, ihr wünschtet euer Haus zu bauen
In meiner Schattenseite. Mensch ist
Euch, was euch hilft, so war auch mir
Mensch nur, was Beute war. Doch auch
Wenn Mensch nur das hieße, wem geholfen wird
Wär‘s auch nicht anders. Dann braucht ihr Ertrinkende.
Denn euer Geschäft wäre dann
Strohhalme zu sein. So bleibt alles
Im großen Umlauf der Waren wie der Gestirne.
Manch einer, Snyder, wär bitter nach solcher Lehr.
Ich aber seh, daß ich, so wie ich bin
Für euch der Falsche bin.

DER MANN VON VORHIN herein: Ist hier der Mauler? Ein Brief aus New York für ihn.
MAULER: Ich war der Mauler, dem solche Briefe galten. Macht ihn auf liest abseits. „Neulich, lieber Pierpont, schrieben wir Dir, Du sollst Fleisch kaufen. Heute hingegen raten wir Dir, ein Abkommen mit den Viehzüchtern zu treffen und das Vieh in seiner Anzahl zu beschränken, damit der Preis sich wieder erholt. Für diesen Fall stehen wir Dir gern zur Verfügung. Morgen weiteres, lieber Pierpont. Deine Freunde in New York.“ Nein, nein,
das geht nicht.
GRAHAM: Was geht nicht?
MAULER: Ich habe Freunde in New York, die wüßten angeblich einen Ausweg. Mir erscheint er nicht gehbar.
Urteilt selbst.
Er gibt ihnen den Brief
Wie so ganz anders
Jetzt alles scheint. Jagt doch nicht weiter, Freunde.
Euer Gut ist hin, begreift‘s, das ist verloren.
Doch nicht deshalb, weil wir nicht mehr mit irdischen
Gütern gesegnet sind – das kann nicht jeder sein –
Nur weil wir keinen Sinn für Höheres haben.
Drum sind wir arm!
MEYERS: Wer ist das, diese Freunde in New York?
MAULER: Horgan und Blackwell. Sell …
GRAHAM: Das war ja Wallstreet?
Durch die Anwesenden geht ein Flüstern.
MAULER:
Erhabener Mauler, wolle dich bequemen
Aus deinen hohen Meditationen
Herabzusteigen zu uns! Bedenk das Chaos
Das alles überfluten würde, und nimm
Da du gebraucht wirst
Auf dich wieder, Mauler, das Joch der Verantwortung!
MAULER:
Ich tu‘s nicht gern.
Auch wag ich‘s nicht allein. Denn noch im Ohr
Liegt mir das Murren auf den Schlachthöfen und das
Geknatter der Maschinengewehre. Das ginge nur
Wenn‘s sanktioniert würd in ganz großer Weis
Und als zum Wohl der Allgemeinheit unbedingt gehörend
Begriffen würd. So aufgefaßt
Ging es vielleicht.
Zu Snyder
Gibt es viele solcher Bibelläden?
SNYDER: Ja.
MAULER: Und wie stehen sie?
SNYDER: Schlecht.
MAULER:
Sie stehen schlecht, aber es sind viele.
Wenn wir euch Schwarzen Strohhüten
Eure Sach aufzögen in großer Weise, würdet ihr da
Mit Suppen versehen und Musik und
Geeigneten Bibelsprüchen, auch mit Obdach
In äußersten Fällen, für uns reden
Überall, daß wir gute Leute sind? Gutes planend in
Schlechter Zeit? Denn nur durch
Äußerste Maßnahmen, die hart erscheinen könnten
Weil sie einige treffen, ziemlich viele sogar
Kurz: die meisten, beinah alle
Kann jetzt gerettet werden dies System
Von Kauf und Verkauf, das wir nun einmal haben
Und das auch Schattenseiten hat.
SNYDER:
Für beinah alle. Ich versteh. Wir würden.
MAULER zu den Packherren:
Eure Packhöfe schließ ich zusammen
Zu einem Ring und übernehme
Die Hälfte der Anteile.
DIE PACKHERREN: Ein großer Kopf!
MAULER zu den Viehzüchtern:
Hört, liebe Freunde!
Sie flüstern.
Die Schwierigkeit, die uns bedrückt hat, hebt sich.
Elend und Hunger, Ausschreitung, Gewalt
Hat eine Ursach, und die Ursach klärt sich:
°s gab zu viel Fleisch. Verstopft war
In diesem Jahr der Fleischmarkt, und so sank
Der Viehpreis in ein Nichts. Nun, ihn zu halten
Beschlossen wir, Packherr und Viehzüchter, gemeinsam
Grenzen zu ziehen der hemmungslosen Aufzucht.
Das Vieh, das auf den Markt kommt, zu beschränken
Und vom Vorhandenen auszuschalten, was zu viel ist, also
Ein Drittel allen Viehes zu verbrennen.
ALLE: Einfache Lösung!

SNYDER meldet sich:
Wär es nicht möglich, dieses viele Vieh
Wenn es so wertlos ist, daß man‘s verbrennen kann
Den vielen, die da draußen stehn und die‘s
So gut gebrauchen könnten, einfach zu schenken?
MAULER lächelt:
Lieber Herr Snyder, Sie haben
Den Kern der Lage nicht erfaßt. Die vielen, die
Da draußen stehen: d a s s i n d d i e K ä u f e r!
Zu den andern
Man sollt‘s nicht glauben.

Langes Lächeln aller.

Sie mögen niedrig scheinen, überflüssig
Ja lästig manchmal, doch dem tiefern Blick
Kann nicht entgehen, daß sie die Käufer sind!
Gleichwohl, sehr viele werden‘s nicht verstehen, ist es notwendig
Ein Drittel der Arbeiter auszusperren, denn
Auch Arbeit hat uns den Markt verstopft und muß
Begrenzt sein.
ALLE: Einziger Ausweg!
MAULER:
Und die Arbeitslöhne zu senken!
ALLE: Das Ei des Kolumbus!
MAULER:
Dies alles geschieht, damit nicht
In finsterer Zeit blutiger Verwirrung
Entmenschter Menschheit
Wo nicht mehr aufhören wollten in den Städten die Unruhen
(denn wieder ist Chicago erregt von den Gerüchten drohenden Generalstreiks)
Die rohe Gewalt des kurzsichtigen Volkes
Zerschlägt das eigene Handwerkszeug und zertrampelt den eigenen Brotkorb
Sondern zurückkehrt Ruhe und Ordnung. Drum wollen wir
Euch, den Schwarzen Strohhüten, ermöglichen euer ordnungsförderndes Werk
Durch reichliche Geldspenden.
Freilich müßten auch wieder unter euch sein
Solche wie diese Johanna, die durch bloßes Aussehen
Vertrauen erweckt.
EIN MAKLER stürzt herein: Frohe Botschaft! Niedergekämpft ist der drohende Generalstreik. In die Zuchthäuser geworfen die Verbrecher, die Ruh und Ordnung frevelhaft gestört.
SLIFT:
Nun atmet auf, nun muß der Markt gesunden!
Der tote Punkt ist wieder überwunden.
Das schwierige Werk ist noch einmal getan
Und noch einmal behaupten wir den Plan
Und läuft die Welt die uns genehme Bahn.
Orgel.
MAULER:
Und jetzt macht auf euer Tor
Den Mühseligen und Beladenen und füllt den Topf mit Suppe.
Auch stimmt Musik an, und wir selber wollen
Zuvörderst uns auf eure Bänke setzen
Und uns bekehren.
SNYDER: Die Türen auf!

Die Türen werden weit geöffnet.

DIE SCHWARZEN STROHHUTE singen, nach den Türen blickend:
Spannt die Netze aus: sie müssen kommen!
Eben grad verlassen sie ihr letztes Haus!
Gott jagt die Kälte auf sie!
Gott jagt den Regen auf sie!
Drum sie müssen kommen! Spannt die Netze aus!
Willkommen! Willkommen! Willkommen!
Willkommen unten bei uns!
Riegelt alles ab, daß keiner rauskommt!
Sie sind auf dem Weg zu uns herab!

Wenn sie ohne Arbeit sind
Wenn sie taub sind und blind
Kommt uns keiner aus: drum riegelt alles ab.
Willkommen! Willkommen! Willkommen!
Willkommen unten bei uns!

Sammelt alles ein, was da hereinkommt!
Hut und Kopf und Grind und Strick und Schuh und Bein!
Hut hat das keinen mehr
Das kommt zum Weinen her!
So, was jetzt hereinschwimmt, sammelt alles ein!
Willkommen! Willkommen! Willkommen!
Willkommen unten bei uns!
Hier sind wir! Da kommen sie herunter!
Seht, das Elend treibt sie auf uns zu wie das Getier!
Sehet, sie müssen herunter!
Sehet, sie kommen herunter!
Unten da ist kein Entrinnen: da stehn wir!
Willkommen! Willkommen! Willkommen!
Willkommen unten bei uns!

TOD UND KANONISIERUNG DER HEILIGEN JOHANNA DER SCHLACHTHOFE

Bei den Schwarzen Strohhüten

Das Haus der Schwarzen Strohhüte ist nunmehr reich ausgestattet. In Gruppen aufgebaut stehen die Schwarzen Strohhüte mit neuen Fahnen, die Schlachter (Packherren), die Viehzüchter und die Aufkäufer.

SNYDER:
Und so ist es uns gelungen
Gott hat wieder Fuß gefaßt
Höchstes haben wir bezwungen
Niederstem uns angepaßt.
In den Höhn und Niederungen
Wißt ihr, was ihr an uns habt:
Endlich ist es uns gelungen
Endlich hat das Ding geklappt!

Ein Haufen Armer tritt ein, an ihrer Spitze Johanna, von zwei Polizisten gestützt.
DIE POLIZISTEN:
Hier ist eine ohne Obdach
Aufgelesen auf den Schlachthöfen In
Erkranktem Zustand. Ihr
Letzter fester Aufenthaltsort war
Angeblich hier.

JOHANNA hält den Briefhoch, als wollte sie ihn noch abgeben:
Nimmer nimmt mir der Untergegangene
Meinen Brief ab.
Kleinen Dienst guter Sache, zu dem ich
All mein Leben gebeten wurd, einzigen!
Habe ich nicht ausgerichtet.

Während die Armen sich auf die Bänke setzen, um Suppe zu bekommen, berät Slift sich mit den Packherren und Snyder.
SLIFT: Das ist unsere Johanna. Sie kommt wie gerufen. Wir wollen sie groß herausbringen, denn sie hat uns durch ihr menschenfreundliches Wirken auf den Schlachthofen, ihre Fürsprache fur die Armen, auch durch ihre Reden gegen uns über schwierige Wochen hinweggeholfen. Sie soll unsere heilige Johanna der Schlachthofe sein. Wir wollen sie als eine Heilige aufziehen und ihr keine Achtung versagen. Im Gegenteil soll gerade, daß sie bei uns gezeigt wird, dafür zum Beweis dienen, daß die Menschlichkeit bei uns einen hohen Platz einnimmt.

MAULER:
Auch in unsrer Mitte fehle
Nicht die kindlich reine Seele
Auch in unserm Chor erschalle
Ihre herrlich lautre Stimme
Sie verdamme alles Schlimme
Und sie spreche für uns alle.

SNYDER:
Erhebe dich, Johanna der Schlachthofe
Fürsprecherin der Armen
Trösterin der untersten Tiefe!

JOHANNA:
Welch ein Wind in der Tiefe! Was fur ein Geschrei
Verschweigst du, Schnee?
Eßt die Suppe, ihr!
Schüttet nicht die letzte Wärme aus, ihr
Keinebeutemehr! Eßt die Suppe!
Hätte ich doch
Ruhig gelebt wie ein Vieh
Aber den Brief abgegeben, der mir anvertraut war!
DIE SCHWARZEN STROHHÜTE auf sie zu:
Ach, wie ist sie noch verwirrt
Die durch Nacht zum Licht gewandelt!
Menschlich nur hast du gehandelt!
Menschlich nur hast du geirrt!
JOHANNA während sie von den Mädchen wieder in die Uniform der Schwarzen Strohhüte eingekleidet wird:
Wieder beginnt das Lärmen der Betriebe, man hört es.
Und versäumt ist wieder
Ein Einhalt.
Wieder läuft
Die Welt die alte Bahn unverändert.
Als es möglich war, sie zu verändern
Bin ich nicht gekommen; als es nötig war
Daß ich kleiner Mensch half, bin ich
Ausgeblieben.
MAULER:
Ach, der Mensch in seinem Drange
Hält das Irdische nicht aus
Und in seinem stolzen Gange
Aus dem Alltäglichen
Ganz Unerträglichen
In das Unkenntliche
Hohe Unendliche
Stößt er übers Ziel hinaus.
JOHANNAı
Geredet habe ich auf allen Märkten
Und der Träume waren unzählige, aber
Den Geschädigten war ich ein Schaden
Nützlich war ich den Schädigern.

DIE SCHWARZEN STROHHÜTE:
Ach, es bleibt am Ende alle
Mühe Stückwerk unbeseelt
Wenn der Stoff dem Geiste fehlt.
DIE PACKHERREN:
Herrlich ist‘s in jedem Falle
Wenn sich der Geist dem Geschäfte vermählt!
JOHANNA:
Eines habe ich gelernt und weiß es für euch
Selber sterbend:
Was soll das heißen, es ist etwas in euch und
Kommt nicht nach außen! W a s wißt ihr wissend
Was keine Folgen hat?
Ich zum Beispiel habe nichts getan.
Denn nichts werde gezählt als gut, und sehe es aus wie immer, als was
Wirklich hilft, und nichts gelte als ehrenhaft mehr, als was
Diese Welt endgültig ändert: sie braucht es.
Wie gerufen kam ich den Unterdrückern!
Oh, folgenlose Güte! Unmerkliche Gesinnung!
Ich habe nichts geändert.
Schnell verschwindend aus dieser Welt ohne Furcht
Sage ich euch:
Sorgt doch, daß ihr die Welt verlassend
Nicht nur gut wart, sondern verlaßt
Eine gute Welt!
GRAHAM: Man muß dafür sorgen, daß ihre Reden nur durchgelassen werden, wenn sie vernünftig sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß sie auf den Schlachthöfen gewesen ist.
JOHANNA:
Denn es ist eine Kluft zwischen oben und unten, größer als
Zwischen dem Berg Himalaja und dem Meer
Und was oben vorgeht
Erfährt man unten nicht
Und nicht oben, was unten vorgeht.
Und es sind zwei Sprachen oben und unten
Und zwei Maße zu messen
Und was Menschengesicht trägt
Kennt sich nicht mehr.
DIE SCHLACHTER UND VIEHZÜCHTER sehr laut, so daß Johanna überschrien wird:
Soll der Bau sich hoch erheben
Muß es Unten und Oben geben.
Darum bleib an seinem Ort
Jeder, wo er hingehört.
Fort und fort
Tue er das ihm Gemäße
Da er, wenn er sich vergäße
Unsre Harmonien stört.
Unten ist der Untere wichtig
Oben ist der Richtige richtig.
Wehe dem, der je sie riefe
Die unentbehrlichen
Aber begehrlichen
Die nicht zu missenden
Aber es wissenden
Elemente der untersten Tiefe!
JOHANNA:
Die aber unten sind, werden unten gehalten
Damit die oben sind, oben bleiben.
Und der Oberen Niedrigkeit ist ohne Maß
Und auch wenn sie besser werden, so hülfe es
Doch nichts, denn ohnegleichen ist
Das System, das sie gemacht haben:
Ausbeutung und Unordnung, tierisch und also
Unverständlich.
DIE SCHWARZEN STROHHÜTE zu Johanna:
Du mußt gut sein! Du mußt schweigen!
DIE SCHLÄCHTER:
Die im freien Raume schweben
Können sich doch nicht erheben
Steigen heißt: auf andre steigen
Und das nach dem Oben Greifen
Ist zugleich ein Tritt nach unten.
MAULER:
Handelnd mußt du, ach, verwunden!
DIE SCHWARZEN STROHHÜTE:
Stets bewußt des blutigen Schuhes –
DIE SCHLÄCHTER:
Nicht versuch ihn abzustreifen!
Denn du brauchst ihn, stets aufs neue –
DIE SCHWARZEN STROHHÜTE:
Mußt du stets nach oben zeigen.
Doch vergiß uns nicht die Reue!
DIE SCHLÄCHTER:
Tue alles!
DIE SCHWARZEN STROHHÜTE:
Aber tu es:
Immer mit Gewissensbissen
Denn als Betrachtender
Selbst dich Verachtender
Hast du Gewissen!
Merkt auf, Handelnde!
Bei euren Einkäufen
Vergeßt nicht das herrliche
Vor allem bei Scheinkäufen
Ganz unentbehrliche
Fort und fort
Immer sich wandelnde
Gotteswort.
JOHANNA:
Darum, wer unten sagt, daß es einen Gott gibt
Und ist keiner sichtbar
Und kann sein unsichtbar und hülfe ihnen doch
Den soll man mit dem Kopf auf das Pflaster schlagen
Bis er verreckt ist.
SLIFT: Hört ihr, ihr müßt etwas sagen, womit ihr diesem Mädchen das Wort abschneidet.
Ihr müßt reden, irgend etwas, aber laut!
SNYDER: Johanna Dark, fünfundzwanzig Jahr alt, erkrankt an Lungenentzündung auf den Schlachthöfen Chicagos, im Dienste Gottes, Streiterin und Opfer!
JOHANNA:
Und auch die, welche ihnen sagen, sie könnten sich erheben im Geiste
Und stecken bleiben im Schlamm, die soll man auch mit den Köpfen auf das
Pflaster schlagen. Sondern
Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht, und
Es helfen nur Menschen, wo Menschen sind.
ALLE singen die erste Strophe des Chorals, damit Johannas Reden nicht mehr gehört werden:
Reiche den Reichtum dem Reichen! Hosianna!
Die Tugend desgleichen! Hosianna!
Gib dem, der da hat! Hosianna!
Gib ihm den Staat und die Stadt! Hosianna!
Gib du dem Sieger ein Zeichen! Hosianna!

Während dieser Deklamationen beginnen Lautsprecher Schreckensnachrichten zu verkünden:

„Sturz des Pfundes! Die Bank von England seit dreihundert Jahren zum ersten Male
geschlossen!“

und
„Acht Millionen Arbeitslose in den Vereinigten Staaten!“
und
„Der Fünfjahresplan gelingt!“
und
„Brasilien schüttet eine Jahresernte Kaffee ins Meer!“
und
„Sechs Millionen Arbeitslose in Deutschland!“
und
„Dreitausend Bankinstitute in den Vereinigten Staaten zusammengebrochen!“
und
„In Deutschland werden Börsen und Banken von Staats wegen geschlossen!“
und
„Vor Henry Fords Fabrik in Detroit findet eine Schlacht zwischen Polizei und Arbeitslosen statt!“
und
„Der größte europäische Trust, der Zündholztrust, verkracht!“
und
„Der Fünjahresplan in vier Jahren!“
Unter dem Eindruck der Schreckensnachrichten schreien sich die jeweils gerade nicht Deklamierenden wilde Beschimpfungen zu, wie: „Dreckige Schweinemetzger, hättet ihr nicht zu viel geschlachtet!“ und „Elende Viehzüchter, hättet ihr mehr Vieh gezüchtet!“ und „Ihr wahnsinnigen Geldschaufler, hättet ihr mehr Leute eingestellt und Löhne bezahlt, wer soll sonst unser Fleisch fressen?“ und „Der Zwischenhandel verteuert das Fleisch!“ und „Die Getreideschieber sind es, die das Vieh verteuern!“ und „Die Frachtsätze der Eisenbahn schnüren uns den Hals zu!“ und „Die Bankzinsen ruinieren uns!“ und „Wer kann solche Mieten für Viehställe und Getreidesilos bezahlenl“ und „Warum fangt ihr nicht an mit dem Abbau!“ und „Wir haben doch abgebaut, aber ihr baut nicht ab!“ und „Ihr allein seid die Schuldigen!“ und „Bevor man euch nicht aufhängt, wird es nicht besser!“ und „Du gehörst schon lange ins Zuchthaus!“ und „Warum läufst du noch frei herum?“
ALLE singen die zweite und dritte Strophe des Chorals, Johanna ist nicht mehr hörbar:
Schenke dem Reichen Erbarmen, Hosianna!
In diesen Armen, Hosianna!
Schenk deine Gnad, Hosianna!
Und deine Hilf dem, der hat, Hosianna!
Hab mit dem Satten Erbarmen, Hosianna!

Man sieht, daß Johanna zu sprechen aufhört.

Hilf deiner Klasse, die dir hilft, Hosianna!
Aus reichlichen Händen, Hosianna!
Zerstampfe den Haß, Hosianna!
Lach mit dem Lachenden, laß, Hosianna!
Seine Missetat glücklich enden, Hosianna!

Während dieser Strophe haben die Mädchen versucht Johanna einen Teller S u p p e einzuflößen. Sie hat den Teller zweimal zurückgewiesen. Das dritte Mal ergreift sie ihn hält ihn hoch und schüttet ihn aus. Dann sinkt sie zusammen und liegt jetzt in den Armen der Mädchen, tödlich verwundet, ohne Zeichen des Lebens. Snyder und Mauler treten zu ihr.

MAULER:
Gebt ihr die Fahne!

Man reicht ihr die Fahne. Die Fahne entfallt ihr.

SNYDER: Johanna Dark, fünfundzwanzig Jahre alt gestorben an Lungenentzündung auf den Schlachthöfen, im Dienste Gottes, Streiterin und Opfer.
MAULER:
Ach, das Reine
Ohne Fehle
Unverderbte, Hilfsbereite
Es erschüttert uns Gemeine!
Weckt in unsrer Brust die zweite
Bessere Seele!

Alle stehen lange in sprachloser Rührung. Auf einen Wink Snyders werden alle Fahnen sanft auf sie niedergelassen, bis sie ganz davon bedeckt wird. Die Szene ist von einem rosigen Schein beleuchtet.

DIE SCHLÄCHTER UND VIEHZÜCHTER:
Seht, dem Menschen seit Äonen
Ist ein Streben eingesenkt
Daß er nach den höheren Zonen
Stets in seinem Geiste drängt.
Sieht er die Gestirne thronen
Ahnt er tausend Himmelwärtse
Während er zu seinem Schmerze
Mit dem Fleisch nach unten hängt.
MAULER:
Ach, in meine arme Brust
Ist ein Zwiefaches gestoßen
Wie ein Messer bis zum Heft.
Denn es zieht mich zu den Großen
Selbst- und Nutz- und Vorteilslosen
Und es zieht mich zum Geschäft
Unbewußt!
ALLE:
Mensch, es wohnen dir zwei Seelen
In der Brust!
Such nicht eine auszuwählen
Da du beide haben mußt.
Bleibe stets mit dir im Streite!
Bleib der Eine, stets Entzweite!
Halte die hohe, halte die niedere
Halte die rohe, halte die biedere
Halte sie beide!