Die Kraft des Sauerteigs – Das Gleichnis vom Sauerteig
Mt 13,33; Lk 13,20-21
Das Reich Gottes gleicht einem Sauerteig, den ein Weib nahm und unter drei Scheffel
Mehl mengte, bis das Ganze durchsäuert war.
F. Wird nun nicht hier doch die Entwicklung betont: das Reich Gottes durchdringt
allmählich, in langsamer Entfaltung, die Welt?
A. Von Entwicklung ist auch hier nicht die Rede, sondern von etwas ganz anderem.
Besonders ist auch an Langsamkeit wieder nicht zu denken: der Sauerteig durchdringt ja sehr schnell den ganzen Teig. Vielmehr handelt es sich auch hier um einen fundamentalen Gegensatz zwischen den Methoden der Welt und der Art des Reiches Gottes. Die Welt ist auf das Machen aus, auf den Betrieb. Sie baut einen großen Apparat, um ihre Zwecke zu erreichen. Sie will ihre Gedanken mit kunstvollen Methoden durchsetzen, mit Bearbeitung der Menschen, mit Propaganda und wer weiß was. Sie arbeitet quantitativ. Das Gleiche versuchen etwa, die Methoden der Welt nachahmend, das Christentum, die Kirche, die äußere und innere Mission. Auch sie erwarten dann die Ausbreitung des Reiches im ganzen und einzelnen von viel Arbeit solcher Art, von viel Betrieb, Methode und Apparat.
Auch sie arbeiten dann quantitativ. Aber die Art und Methode des Reiches ist wieder total anders. Haben Sie einmal einer Bauernfrau beim Brotbacken zugesehen?
Dann wissen Sie, dass das Stückchen Sauerteig, das sie verwendet, sehr klein ist im Vergleich zu dem Quantum Mehl, das durchsäuert werden soll. Seine seltsame, fast wunderhafte Kraft (so haben wir es als Kinder empfunden, wenn wir der Mutter bei diesem Geschäfte zuschauten) beruht nicht darauf, dass er groß ist, sondern eben, dass er Sauerteig ist, also nicht auf Quantität, sondern auf Qualität. Und wir erfuhren auch, wie wichtig diese Qualität sei, wie wichtig es sei, dass der Sauerteig echt, rein, kräftig sei. Das ist das offene Geheimnis der Wirkung des Reiches Gottes. Es muß nicht ein großmächtiger Apparat und Betrieb sein, sondern es muß einfach im Großen und Kleinen etwas von Kraft und Wahrheit des Reiches die Welt berühren und es geschehen große, ja wunderbare Wirkungen…
Es wird mit einem großen Apparat gearbeitet, und es kommt auch immer etwas heraus. Aber doch im Verhältnis zu dem Aufwand sehr wenig. Die Mühle läuft doch großenteils leer. Da – ein neuer Gedanke, ein Hauch, ein Stoß des Geistes – von einem Manne oder einer Frau her: und es geschehen Veränderungen, die mit einem Schlage wirken, was mit allem Apparat und allen kunstreichen Methoden nicht gewirkt wurde.
Das ist die Geschichte jedes echten Fortschritts der Sache Gottes und des Menschen.
Auch beim einzelnen Menschen ist es so. Alle mühsame Arbeit an uns selbst und andern, alles Aufgebot von Psychologie und Psychoanalyse, alle raffinierten Methoden der Pädagogik richten wenig oder nichts aus, aber ein Hauch des Geistes und alles ist verändert, das Wunder ist geschehen. Auch das hat ein weltlicher Prophet wunderbar gesehen.
„Nicht um die Erfinder von neuem Lärm“, sagt Nietzsche, „um die Erfinder von neuen Werten dreht sich die Welt; unhörbar dreht sie sich … Die stillsten Worte sind es, die den Sturm bringen. Gedanken, die auf Taubenfüßen kommen, bewegen die Welt.“ Das ist aber durchaus auch der Sinn des Evangeliums und die Kraft des Reiches Gottes. Daraus ergibt sich wieder Zweierlei. Einmal: Wir brauchen nicht zu sorgen, wie wir mit der Kraft des Reiches Gottes die Welt durchdringen wollen. Das Reich wirkt, wo es erscheint, von selbst.
Es wirkt wunderbar in die Weite. Es ist ungeheuer revolutionär. Ein Stückchen Sauerteig des Reiches durchsäuert die ganze Welt. Das Reich muß nur da sein! Sodann: Wir brauchen also keinen großen Apparat und Betrieb, wenn wir dem Reiche dienen wollen. Die können nur schaden. Wir brauchen nur eins: dass wir an das Reich glauben und ihm in Lauterkeit, wenn auch Schwachheit, dienen; dass wir darum ringen; dass wir darum bitten, und vor allem, dass wir den Sauerteig rein erhalten, dass der Sauerteig echt und kraftvoll sei, wirklicher Sauerteig, nicht bloß gewöhnlicher Teig, der sich für Sauerteig ausgibt. Denn die Welt freilich kann nicht die Welt ändern. Was die Welt ändern soll, muß anders sein als die Welt.
Auch darin waltet eine strenge Ordnung: Nur in dem Maße, als der Sauerteig Sauerteig ist, durchsäuert er das Mehl; nur in dem Maße, als die Sache Gottes echt vertreten wird, mit andern Methoden vertreten wird als die Methoden der Welt sind, verändert und durchdringt sie wunderbar die Welt – im Kleinen wie im Großen.