»Wie kann ich jemandem,
der stumm an mir vorbeiläuft,
Geschenke geben?«
Hildegard von Bingen
Einführung in die Gedankenwelt
der Gebete Hildegards von Bingen
Im Gespräch des Herzens mit Gott zeigt der Mensch am tiefsten und vollkommen unverstellt sein Gesicht. Hier ist er ganz er selbst und sagt aus, wer er wirklich ist. Darum gehen wir auch immer wieder auf die Suche nach den Gebetsworten der Heiligen. In ihnen zeigt sich ihr wahres Antlitz, in ihnen begegnen wir der Herzmitte ihrer Person. Die Gebete der Heiligen können auch dem oftmals sprachlos gewordenen Menschen unserer Zeit eine Hilfe sein. Sie ermutigen uns, die immer neu empfundene Sprachlosigkeit des eigenen Herzens zu überwinden, und können uns zeigen, wo wir uns auf dem Weg zu unserem Pilgerziel befinden. Hildegard von Bingen (1098-1179) hat uns kein Gebetbuch im eigentlichen Sinne, keine »Geschichte einer Seele« hinterlassen. Insofern unterscheidet sie sich z. B. von den großen Frauen des Zisterzienserordens, der hl. Gertrud der Großen und den beiden Mechthild von Magdeburg bzw. Hackeborn, die nur ein halbes Jahrhundert später die Hochblüte der mit-telalterlichen Mystik ausmachen und eine neue Innigkeit des deutschen Gemütes, der bräutlichen Minne und der Glut göttlicher Gegenwart zum Ausdruck bringen. Hildegard, die sich selbst immer wieder als Posaune Gottes bezeichnet, ist zuerst und vor allem Prophetin, eine Berufung, die sie selbst wie ein Gewicht, das auf ihr lastet, empfindet. Der sich ihr offenbarende Gott zeigt sich ihr nicht, um sie im mystischen Einswerden an sich zu ziehen, sondern um auf die hörende Menschheit zuzugehen. So steht zwar zu Beginn jeder ihrer Visionen das ganz persönliche >Ich<, doch dieses ist wie eine Tür, durch die ein anderer hereintritt: Gott. Hildegard wird in den Dienst genommen für die Kundgabe des Heiles, das vom Urgrund des göttlichen Planes her das ganze Menschengeschlecht und die ganze Schöpfung meint und umfaßt.
Dialog zwischen Gott und Mensch
In den mystischen Schriften Hildegards, aus denen die Gebete, Lieder und Texte dieser Sammlung entnommen sind, geht es nicht um einen exklusiven Dialog zwischen Gott und der Seele. Vielmehr wird hier ein Mensch angesprochen, der durch seine Leiblichkeit in unauflöslichem Verbund mit der ganzen Schöpfung steht und damit zum Inbegriff alles Erschaffenen wird. In dieser seiner Schlüsselstellung zwischen Vertikale und Horizontale hat der Mensch nicht nur den Auftrag, auf das von Gott mit ihm begonnene Gespräch zu antworten, sondern muß dieses auch verantwortlich mit aller Kreatur führen. Will der Mensch sein Menschsein wahrhaft verwirklichen, dann muß er sich – so die rheinische Prophetin – in den Strom dieses umfassenden Gespräches begeben. Laßt uns also ein Gespräch miteinander führen, d. h. wir werden eingeladen zu beten. Gebet wird so zum Dialog auf allen Ebenen: Dialog zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Natur, Individuum und Geschichte, Leib und Seele, Lastern und Tugenden. Der je neue und niemals einholbare Gesprächsstoff dabei ist die Liebe. Der Dialog zwischen Gott und Mensch entspringt der Liebe des Schöpfers zu seinem Geschöpf wie auch des Geschöpfes zu seinem Schöpfer. Darum ist alles Gehorchen der Kreatur nur ein Verlangen nach dem Kuß des Schöpfers, der der Welt alles schenkte, was sie brauchte. Gott zeigt sich dem Menschen, der gläubig zu ihm aufschaut, dabei wie durch ein Fenster. Wir brauchen diesen Auf- und Ausblick in die Transzendenz, wollen wir die Chiffren der Schöpfung und unseres eigenen Daseins richtig deuten und ihren Sinn verstehen. Glauben heißt für Hildegard: Irdisches und Himmlisches nicht länger voneinander trennen. Hat doch jede Kreatur eine sichtbare und eine unsichtbare Komponente. Die sichtbare ist schwach, die unsichtbare stark und vital. Zu jedem Stück Diesseits gehört ein Stück Jenseits. Der Glaube sprengt die Wand einer in sich geschlossenen und verschlossenen Welt und öffnet das Fenster in den göttlichen Bereich. Beten heißt darum, an den Fenstern des Glaubens bleiben, schauen, vernehmen, antworten und verantworten.
Die Gebrochenheit des Menschen
Auge in Auge mit seinem Gott erkennt der Mensch aber nicht nur seine Würde, er nimmt gleichermaßen auch mit tiefem Erschrecken das abgründige Elend seiner Gebrochenheit wahr, denn er hat seinen Schöpfer vergessen. Hildegard bekennt: Wie Asche und Aschenkot bin ich vor mir im Grunde meiner Seele und wie verwehender Staub. Ich bin nicht wert, Mensch zu heißen. Groß ist meine Furcht. Und noch in hohem Alter richtet sie an ihren Sekretär Wibert von Gembloux die Bitte: Bete, daß ich nicht falle, denn selbst Petrus hielt nicht stand. Wie ein Fremdling, aus dem Erbe vertrieben, heimatlos und bar aller Freude – in Gefangenschaft und Ketten -‚ erlebt sich der sündige Mensch. Denn er hat nicht nur gegen seinen Herrn gefehlt, sondern er entfremdet zugleich Gottes Schöpfung in seiner eigenen Existenz und löscht damit sein eigenes Antlitz aus. In immer neuen Bildern kommt in den Gebeten der hl. Hildegard dieses Elend der Sündenverfallenheit zur Sprache, deren Wurzel die Gottvergessenheit und das böse Verstummen ist. Ich schaue auf meine Wunden. Würde und Elend des Menschen. Wie können wir damit leben, ohne das eine an das andere zu verraten oder beständig hin und her gerissen zu werden: Sowohl Sünder als auch Gerechtfertigter? Wie können wir das Kunststück unseres christlichen Lebens meistern und beides miteinander verbinden? Angesichts dieser Frage schlägt Hildegard den stärksten und schönsten Ton ihrer Spiritualität an, wenn sie von der alles vermögenden Kraft der Reue spricht. Ihre Werke sind zutiefst durchdrungen vom Bild des zum Vater heimkehrenden Sohnes. Da auch in den Gebeten das Thema der Reue und des Seufzens einen breiten Raum einnimmt, muß an dieser Stelle etwas ausführlicher davon gesprochen werden.
Die schöpferische Kraft der Reue
Der Leuchtende auf dem Berg ist für Hildegard beständig am Werk, den schmutzigen Lehm, die eiternden Wunden und gebrochenen Glieder der Sünder in Perlen und kostbares Edelgestein zu verwandeln. Er taucht sie in das Licht seiner äußersten Güte. Das geschieht in der Kraft des Blutes seines Sohnes, der die Verirrten in seinen eigenen Wunden zum Vater zurückholen möchte. Doch dies vollzieht sich nicht ohne den Menschen. Hildegard beschreibt es als ein den Himmel und die Erde bewegendes Ereignis, wenn ein Mensch auf seinem Irrweg einhält, sich seines Schöpfers erinnert, zu ihm aufschaut und zu sprechen beginnt: Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater zurückkehren. Am Anfang der Umkehr steht also, daß der Mensch seiner Wunden ansichtig wird und sie nicht mehr versteckt und leugnet. Ich suche die Wunden deines Herzens, spricht der Menschensohn, zeige mir die Wunden deines Herzens. Auf das Vorzeigen unserer Wunden antwortet der Sohn Gottes mit dem Vorzeigen seiner eigenen Wunden. Ich will in deinen Wunden mit dir leiden und dir darin Gemeinschaft mit dem Vater schenken. Dabei geschieht unter der Berührung durch die Gnade der entscheidende Schritt von seiten des Sünders selbst. Er wendet sich von sich selbst ab, erwacht wie aus dem Schlaf, erhebt sich mit Eifer unter der antreibenden Kraft der Reue und eilt zum Vater zurück. Darum werde ich ihn sogleich bedingungslos aufnehmen und ihn in die Freiheit entlassen. In der Umarmung Gottes, im Mysterium seines Ursprungs, kommt der Mensch zu sich, entrinnt er der Knechtschaft der Sünde und gesundet, nicht weil er sich selbst mit seinem Schatten auseinandergesetzt oder gar selbst geheilt hätte, sondern weil er zu Gott gelaufen ist. In diesem Schritt auf Gott hin liegt für Hildegard der wichtigste Moment des geistlichen Lebens. Ich will bei denen sein, die mich in der wahren Buße begreifen. In ihnen vermähle ich mich sogar mit dem menschlichen Dreck, denn ich will ihn reinigen. Reue ist für Hildegard also die Medizin schlechthin, nicht nur für die Seele, sondern auch für den Leib. Ohne sie kann jede Heilkunst nur Symptombekämpfung leisten. Weit davon entfernt, den Menschen mit Schuldgefühlen zuzudecken, befreit gerade die Reue ihn von der Herrschaft der Angst. Die Reue hat aber nicht nur heilende Kraft, auf ihr ruhen auch die Stützen des ganzen Weltenbaues: Sie greift bewegend und verändernd in die Lebensprozesse der Geschichte und des Kosmos ein, mit ihr berühren wir die Sterne. In ihr holt Gott seine vom Menschen vergiftete Schöpfung heim.
Aufseufzen zu Gott
In diesem Zusammenhang muß noch ein anderes Wort bedacht werden, dessen Sinn uns heute wohl ganz abhanden gekommen ist, das aber bei Hildegard eine wichtige Rolle spielt: der geistliche Seufzer. Die Erinnerung an Gott, an unsere Heimat in ihm, und zugleich der Blick auf unsere Wunden lösen einen bohrenden doppelten Schmerz aus: die Sehnsucht nach Gott und die Erfahrung der eigenen Ohnmacht. Dieser quälende Schmerz fährt im Seufzer heraus und reißt den Menschen von sich selbst weg hin zu Gott. Ein wichtiger leibseelischer Vorgang also, der jeder Verdrängung entgegenwirkt. Leib und Seele schließen ein Bündnis und fahren gemeinsam im Seufzer aus. Das ist der Himmel: mich in rechten Seufzern der Sehnsucht zu erheben. In meinem Aufseufzen schaue ich Gott. Einen Seufzer kann man nicht »machen«, wohl aber kann man sich auf ihn disponieren. Das achte Kapitel des Römerbriefes schenkt uns eine Theologie des Seufzens. Paulus beschreibt, daß die gesamte Natur seufzt und in Geburtswehen liegt. Ebenso seufzt der Mensch in der Erwartung seiner Erlösung. Da wir aber nicht wissen, wie wir recht beten sollen, tritt der Geist selbst mit unaussprechlichen Seufzern für uns ein und ruft darin nach dem Vater (Röm 8, 22-26). Es ist also Gott selbst in uns, der uns antreibt zu seufzen. Hildegard kann deshalb kategorisch erklären: Wer das Aufseufzen des Geistes nicht hat, der will nicht glauben. Das heißt, der will sich nicht ganzheitlich einlassen, der will Gott nicht in sein Fleisch fahren lassen. Im Seufzer berühren wir das Herz Gottes – wie ein Kind, das nach einer schweren Schmerzerfahrung sich auf den Schoß des Vaters oder der Mutter wirft und sich bei ihnen birgt. Den möglichen Einwand »Wenn ich aber nicht aufseufzen kann, dann ist das eben so« weist Hildegard zurück: Ihr verbietet eurer Seele das Weinen und Seufzen und hindert sie, bei mir Hilfe zu suchen. Wie kann ich aber jemandem antworten, dessen Stimme ich nicht höre? Ihr seufzt nicht mehr zu mir, deshalb verlangt ihr auch nichts von mir. Wer nicht in Sehnsucht zu mir aufseufzt, der hat mich vergessen.
Werke der Tugend
Die Reue ist für Hildegard bereits das erste der sogenannten guten Werke. Entscheidet sich der Mensch am Kreuzweg seines Lebens je neu in Freiheit dazu, den Heimweg zu seinem Schöpfer anzutreten, dann läuft er den Weg der Gebote Gottes, wie der Hirsch zur Quelle eilt. Gebote sind für ihn dann keine Gesetzesvorschriften, kein aszetischer Imperativ mehr, vielmehr empfindet er Freude daran, er kann sie verkosten. Im guten Wirken, im Werk der Tugend, wird er zum Mitarbeiter Gottes. Die Kraft dazu kommt aus dem Herzen des Schöpfers gleichsam wie eine Braut auf ihn zu und lädt ihn zu liebender Vereinigung ein, deren Frucht das Werk der Tugend ist. Darin verherrlicht er Gott, kommt zu sich selbst und darf diese und die kommende Welt aufbauen. Entschiedenheit ist also von ihm gefordert: Er ist Existenz am Scheideweg zwischen Gut und Böse. Versagt er im Guten, dann gibt es für ihn nur eine Alternative: den Weg der Reue. Alles andere gehört dem Bereich des Todes an. Vielleicht könnten einige Formulierungen der hl. Hildegard zu diesem Thema den Eindruck von Leibfeindlichkeit erwecken, geht es doch bei der Entscheidung für das Gute für sie um einen beständigen Kampf gegen das Begehren und die Lust des Fleisches. Mit dem Wort Fleisch bezeichnet Hildegard jedoch ganz im biblischen Sinn die gottesflüchtige und zum Bösen neigende Tendenz der gefallenen Natur des Menschen. Davon setzt sie klar eine positive Spiritualität der Leiblichkeit ab, die für ihre Zeit revolutionär war. Wie es sich für den Schöpfer gebührt, hast du mich mit reinem Fleisch bekleidet… hast erweitert deines Gewandes Saum und mit dem Gürtel des Lobes gegürtet… Die Seele kann nichts ohne den Leib wirken, sie braucht ihn, um sich angemessen auszudrücken, ja es ist ihr eine Lust, im Leib zu wirken. Seele und Leib sind also keine Rivalen, die einander bekämpfen, sondern sie sind geborene Partner. Ihr Zusammenwirken ist freilich nicht ohne Konflikte, aber gerade deshalb müssen beide im Gespräch miteinander bleiben und sich wie Liebende umsorgen, damit das Werk für Gott zustande kommt. Der Duft der guten Werke entströmt dem Leib, denn der Mensch ist ganz und gar immer Leiblichkeit.
Maria, Urbild von Schöpfung und Kirche
Im Schnittpunkt von Himmel und Erde, von Gott und Mensch, begegnet Hildegard in ihren Liedern immer wieder Maria, die die Liturgie der Kirche als »Fenster zum Himmel« besingt. Die elf hier präsentierten Dichtungen, die sich an sie wenden, gehören zu den kostbarsten Perlen des Marienlobes. Augenzeugen berichten in den Heiligsprechungsakten der hl. Hildegard, die Liebe zu Maria habe sie wie ein Lichtglanz umgeben, wenn sie mit ihren Schwestern in den Kreuzgängen des Klosters sang. Eine Fülle von Bildern leuchtet in diesen Gesängen auf. Man muß sie einfach auf sich wirken lassen. Doch einige Wegweiser mögen helfen, Maria in diesen Liedern auch heute wieder neu zu entdecken. Dichtend betreibt Hildegard hier Theologie. Die Gestalt der Mutter des Herrn erhält bei ihr vornehmlich kosmische Züge. Der Schöpfer der Welt schaut vor aller Kreatur ins Antlitz der Schönsten aller Frauen, so wie der Adler in die Sonne schaut. Ein kühnes Bild. Wie in einem Spiegel erkennt der Schöpfer in Maria das unverfälschte und unverdorbene Konzept seines großen Planes. So wird sie zur Umarmung alles Geschaffenen. Hildegard legt deshalb die Weisheitstexte des Alten Testaments auf Maria hin aus: Der Herr hat mich geschaffen am Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit. In frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, beim Ursprung der Erde. Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren, als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen … Als er den Himmel baute, war ich dabei, als er den Erdkreis abmaß über den Wassern … Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allzeit… (Spr 8, 22ff). Maria ist die Morgenröte, der leuchtende Urstoff, goldener Urgrund der Welt in ihrem Erfüllt- und Durchdrungensein von Gott. Als die zweite Eva wird sie Gehilfin aus der Seite und an der Seite des Sohnes Gottes. Sie wird Mutter der Lebendigen und Urheberin des Lebens. Hildegard setzt sich allerdings in aller Klarheit von jeder Art sentimentalen oder archaischen Kultes einer Urmutter ab. Sie beschreibt Marias Einzigartigkeit im unversehrten Sein urbildlicher Jungfräulichkeit, die nichts mit aszetischer Leistung zu tun hat, sondern ganzheitliches Sein aus Gnade ist. Deine Keuschheit ist Herrlichkeit aus Gott, heile Schöpfung. Immer wieder bleibt der Blick der Dichterin und Sängerin auf dem Leib, dem fruchttragenden Schoß der Jungfrau haften. Das unaussprechliche Geheimnis, das gewaltige Geschehen der Menschwerdung, zieht sie in Bann. Gott hat schon am ersten Schöpfungstag dem Schoß Mariens nicht nur seinen einzigen ewigen Sohn anvertraut, sondern auch sein Heilswerk, die Kirche. Dort sammelt Maria die Glieder am schönen Leib ihres Sohnes zur Einheit. Im Schoß der Jungfrau erklingt darum für Hildegard bereits die vollendete Symphonie des Himmels. Maria ist aber nicht nur leuchtender, goldener Urstoff der Schöpfung, sie ist auch Urschoß aller Heiligkeit, wird Erbauerin des Lebens, lebensspendendes Werkzeug. Sie spiegelt wider, auf welche Weise die Gnade die Natur zu vollenden vermag. In einer Reihe von Bildern wird dabei das Mysterium der Kirche sichtbar. Maria und die Kirche sind miteinander verbunden, ineinandergeschaut. Maria ist Kirche in Person. Die Bilder bleiben nach beiden Seiten hin offen. Die Mutter Sion kann gleichermaßen Maria, aber auch die Kirche und letztendlich die mütterliche Liebe Gottes sein. Als die ganz und gar Heile ist Maria auch Mutter der Heilkunst, ja sie selbst ist das lindernde Heilmittel für die Wunden unserer Gebrochenheit nach dem Fall Evas. Doch sie zeigt uns auch auf andere Weise ihr mütterliches Erbarmen. Als die ganz und immer vom Heiligen Geist Erfüllte tritt sie als Prophetin auf unseren Weg und ruft uns je neu mit lauter Stimme heraus aus dem Verderben. In der Kraft des Heiligen Geistes, der Maria beständig überschattet und fruchtbar sein läßt, wird sie zur Retterin des ganzen Menschengeschlechts. Der Heilige Geist ist für sie die Dynamik des Alls und Wurzel der Schöpfung.
Der Heilige Geist als Lebens-Kraft
Wer ist der Heilige Geist Gottes? Hildegard gibt uns in zwei Gesängen Antwort auf diese Frage. Sie nennt ihn den Lebendigen, den innersten Impuls und die bewegende Kraft jeden Lebens. Er ist das Leben des Lebens. Leben hat für Hildegard eine ganzheitliche Bedeutung. Es meint zunächst konkret die Schöpfung. Durch dich wogen die Wolken und fliegen die Lüfte, träufeln die Steine, bringen die Quellen die Bäche hervor, läßt sprossen die Erde das Grün. Die ganze Schöpfung in all ihren Vorgängen hat es mit dem lebengebenden Geist Gottes zu tun. Überall, wo wir mit dem Leben in Berührung kommen, können wir seine Kraft erfahren, werden wir von Gott bewegt. Du Leben des Lebens aller Geschöpfe, du belebst die Gebilde. Leben ist aber auch Weisheit und Einsicht. König Salomon zog die Gabe der Weisheit allem Reichtum und jedweder Macht vor. Immer bringst du Menschen voll Einsicht hervor, beglückt durch den Hauch der Weisheit. In der Weisheit und Einsicht wird der Mensch offen und fähig, die lebenzeugende Kraft aus dem Herzen Gottes aufzunehmen und mit ihr an der Welt zu wirken. Der Heilige Geist treibt dazu an, er durchweht unser Wirken und gibt sich uns dabei zu verkosten. »Süßigkeit« nennen die geistlichen Lehrer und Mystiker das Unaussprechbare, das wir empfinden, wenn der Atem Gottes uns erreicht und uns zur Liebe lockt. Heilig ist der Geist Gottes. Durch ihn erglüht und entbrennt das All. Er treibt und bewegt den Menschen zu guten Werken mit der ihm eigenen feurigen Kraft, durch die der Mensch bauen und heilen kann, mit der er alles, was sich dem Leben entgegenstellt, überwinden kann. Der Heilige Geist ist reines Quellwasser und Spiegel, in dem wir schauen dürfen, wie Gott mit dem Sünder und seiner Gebrochenheit umgeht. Du salbst die gefährlich Verletzten, du reinigst die schwärenden Wunden. Hier ist Hildegard wieder bei ihrem Lieblingsthema, der Reue. Aufgerichtet hast du einen anderen Turm unter den Zöllnern und öffentlichen Sündern, die dir ihre Sünde und Werke bekennen. Darum preist dich jegliche Kreatur, weil du die kostbare Salbe bist für alles Gebrochene und die eiternden Wunden, die du in kostbare Perlen verwandelst. Die Heiligkeit des Geistes Gottes wird hier im Geheimnis des abgrundtiefen Erbarmens besungen. Wahrlich, die göttliche Kraft will retten. Der Rettungsplan ist aber zugleich ein Plan der Einigung: Du Hoffnung der Glieder auf Einheit. Dem modernen Menschen ist demgegenüber vieles auseinandergebrochen. Er selbst ist aus dem Beziehungsgefüge herausgefallen und hat es fertiggebracht, alles voneinander zu trennen. Gottes Geist aber will sammeln und in die Einheit binden. Du mächtiger Weg, der alles durchzieht…, du fügst und schließest alles in eins. Der Heilige Geist ist Garant der menschlichen Würde und der Freude am Leben. Er ist der Klang und die Stimme unseres Lobes.
Vollendung in Christus
All unser Beten hat seinen Ursprung und sein Endziel im Dialog des Gottessohnes mit dem Vater. Dort – vor aller Zeit – existiert das ununterbrochene Gespräch, zu dem wir eingeladen werden. Unser armseliges und zaghaftes Reden mit dem Himmel wird davon getragen, bleibt davon umfangen und mündet dorthin. So steht denn zu Recht am Ende der vorliegenden Sammlung das bewegende Wort des Sohnes an den Vater, das Hildegard abschließend zum Höhepunkt ihres Hauptwerkes »Welt und Mensch« und ihres kleinen Dramas »Spiel der Kräfte« macht. Beschwörend zeigt der Sohn dem Vater seine Wunden, die offen bleiben, solange ein Mensch noch auf dieser Erde sündigt. Christus weist die Stigmata nicht nur als Zeichen seiner Menschwerdung vor; sie sind der tiefste Ausdruck seiner Solidarität mit uns Sündern, ja mit der gesamten hinwelkenden Schöpfung. Am Anfang grünten alle Geschöpfe … dann aber verdorrte die Lebenskraft. Gedenke, o Vater, des Ursprungs Hoffnung hätte nicht welken sollen. Vater, ich bin dein Sohn, betrachte diese Wunden … erbarme dich! Durch das Blut meiner Wunden hole ich die Menschen wieder in der Reue zurück zu dir. Die großen Themen der Schau Hildegards werden in diesem letzten Gebet noch einmal angeschlagen: der Verfall und die Wiederherstellung der Schöpfung, die Heilung des sündigen Menschen durch das Vorzeigen seiner Verwundung und die erlösende Vereinigung mit den Wunden des Herrn. Das Gebet schließt mit dem prophetischen Aufruf, anbetend vor dem Schöpfer und Vater das Knie zu beugen, auf daß er seine helfende Hand reiche, um sein geliebtes Werk im Menschen zu vollenden.
Der Leser dieses Buches ist eingeladen, sich mit seinem Herzen auf diese Gebetsworte der heiligen Hildegard einzulassen. Mit ihnen hinterließ uns eine der größten christlichen Frauengestalten vor nunmehr fast 900 Jahren ein bewegendes Zeugnis lebendigen Glaubens. Das kleine Werk hätte seinen Sinn erfüllt, wenn auch nur ein Text im Herzen des Betrachters das Gespräch mit Gott eröffnen könnte und ihm – Gott gebe es – dabei ein Seufzer entführe.
Sr.Caecilia Bonn OSB
Die kursiv gedruckten Textteile dieser Einführung sind Originalzitate aus den Schriften der hl. Hildegard von Bingen.
GEBETSWORTE
Zweifel
O Gott, hast nicht du mich geschaffen?
Die elende Erde erdrückt mich!
So muß ich die Flucht ergreifen,
wie Adam vor dir mich verbergen.
Mein Sündenleben will nichts von dir wissen,
ich zweifle am Sinn der Gerechtigkeit,
der Kampf raubt mir all mein Glück.
Weiß ich, ob Gott überhaupt existiert?
Wo ist denn mein König und Gott?
Gottes Hilfe
Mein Gott, du hast mich geschaffen,
ich lebe durch dich und trachte nach dir,
wenn ich mit Seufzen das Gute erflehe.
Ich kenne dich ja als meinen Gott
und weiß nur, daß ich dir dienen darf,
denn du hast mir Einsicht gegeben.
O du mein Helfer bei allem Guten,
durch dich vollbringe ich gute Werke.
Auf dich will ich werfen all meine Hoffnung
und zieh als Gewand an deine Huld.
Mein Retter bist du, vor Frevel bewahr‘ mich,
wenn mein Gewissen mich mahnt,
das Böse zu lassen.
Weg zum Licht
Zwei Augen hast du, o Gott, mir gegeben,
im Dunkeln ein herrliches Licht zu schauen,
zu wählen den Weg, den ich gehen soll.
Bin ich nun sehend oder auch blind,
ich weiß, daß ich einen Führer brauche
zum Tage hin und auch zu der Nacht.
Wenn ich mich nämlich im Finstern verberge,
kann ich ganz mutwillig handeln;
im Licht aber werde ich gesehen
und zieh‘ statt Belohnung mir Strafe zu,
wenn ich dasselbe tue.
Lebendiger Gott, ich rufe dich an,
führ‘ mich den Weg des Lichts
und heile meine bösen Geschwüre,
daß ich am Tag mich nicht schämen muß;
zerreiße meiner Gefangenschaft Stricke!
Wahre Furcht und Liebe
O Herr, um der Furcht willen
nennt man dich Herr,
und Gott um der Liebe willen;
und weil du kraftvoll alles umfängst,
wirst du allmächtig genannt.
Wahr und gerecht sind deine Gerichte,
denn alle Ängste vernichtet
die wahrhaftige Furcht vor dir,
und alles Lieben verbindet sich
mit der wahren Liebe zu dir.
Alle Gewalten beherrscht deine Macht.
Ich weiß, daß ich nichts gegen dich vermag
und finde in dir meinen Trost.
Gerechtigkeit und Erbarmen
O Herr, ich erkenne deine Güte:
Ich ward nicht getötet ob meiner Sünden,
du ließest mir meine Freiheit.
Im Kampf gegen mich vollbringe ich Gutes,
Böses aber wirkt die Begierde.
Du jedoch urteilst stets gerecht
und überschreitest nie das Maß.
Du schonst mich barmherzig in deiner Macht.
Ich demütige mich deshalb vor dir
und gebe die Ehre deinem Namen
um deiner Barmherzigkeit willen.
Zurechtweisung
Mit deiner Geißel, o Herr der Welt,
hast du mich Sünder gezüchtigt,
doch gabst du nicht preis mich
der höllischen Pein.
Denn aus Liebe suchte ich dich,
bekannte dir meine Sünden.
Geduldig und weise verhielt ich mich,
da das Gericht über meine Schuld
ich als gerecht erkenne.
Mit meinen beiden Flügeln
der Erkenntnis des Guten und Bösen
will ich den Flug zu dir wagen,
und auf dem rechten Pfade wandeln.
Einsicht
Nichts ist süßer für mich, o mein Gott,
als zum Schöpfer des Alls zu eilen.
Was ich gelobt mit Herz und Mund,
will ich einlösen, wie ich versprach,
dir, meinem gerechten Richter.
Nach den Taten der Übertretung
will ich mich richten nach deinem Willen,
das Böse meiden und Gutes tun.
Vernunft und Einsicht brennen in mir,
fällen Entscheidung zu wahrer Zucht;
denn lieber kehr‘ ich zurück
zum lebendigen Gott,
als dem Teufel zu folgen
in törichtem Irrtum.
Im Namen der Kirche
Die Braut deines Sohnes sollte ich sein,
obwohl ich so schwach und gebrechlich bin.
Himmlischer Vater, ich flehe dich an:
Säume nicht länger mit deiner Hilfe!
Den Gliedern deines geliebten Sohnes
drohen Zerstreuung, Vernichtung.
Verteidige mich mit ihnen allen,
richte auf uns dein barmherziges Auge!
Wende dich doch ein wenig uns zu,
daß wir nicht ganz zugrunde gehen!
Weg und Ziel der Liebe
Lehre mich, Gott, im Heiligen Geist
deine Wege zu geh’n,
zu empfangen die Speise des Lebens,
die du den Gläubigen reichst
zur Erwählung und Heiligung.
In die höchste Glückseligkeit
nimm mich dann gütig auf,
laß mich ruhen in deinem Schoß.
Von Tugend zu Tugend
Ich folge dir gläubig, o Gottessohn,
auf den Spuren der Wahrheit.
Durch deine Menschheit
hast du den Menschen erlöst.
O Lenker des Alls, geleite mich
zur Fülle all deiner Gaben,
daß ich – gerüstet mit deiner Kraft –
mit Zuversicht schreite
von Tugend zu Tugend.
Bin ich so auf dem richtigen Weg
und verlasse mich selbst,
koste ich von den Tugenden,
trinke und werde von ihnen gestärkt.
Der Gerechte, der Gott so liebt,
wird keinen Überdruß erfahren,
sondern beständige Seeligkeit.
Genügsamkeit
Über den Sternen throne ich,
weil mir deine Gaben genügen.
Ich freu‘ mich am süßen Ton der Pauken,
da ich auf dich vertraue.
Ich küsse die Sonne, umarme den Mond
und halte ihn fest; mir genügt,
was sie für mich ersprießen lassen.
Was sollte ich mehr noch wünschen,
dessen ich gar nicht bedarf?
Alles erweist mir Barmherzigkeit.
Im Haus meines Königs darf ich wohnen,
sitzen beim königlichen Mahl,
weil eine Königstochter ich bin.
Vertrauen im Unglück
Ach, ich unglückseliger Mensch,
einst ein lebendiger Hauch,
bin vom Gestank der Sünde umgeben;
ich kann nicht mehr froh zum Himmel blicken.
Woher bin ich – ach, ach – gekommen,
und wo gehe ich hin?
Was nützt mir das Gute, das Gott erschuf,
wenn ich zur Hölle fahre?
Doch will ich vertrauen auf dich, meinen Gott,
daß ich durch wahre Buße
von den verdienten höllischen Qualen
aus Erbarmen befreit werden kann.
Mich tröstet und stärkt deine Gnade.
Zerknirschung
Vater, dein Kind schreit zu dir,
denn du meinst es ja gut mit ihm
und es erkennt dich als Gott.
Vom Tau deines Segens trinke ich
und lächle dir zu aus zerknirschtem Herzen.
Noch unter Tränen freu‘ ich mich deiner
und rufe zu dir: Gott, komm mir zu Hilfe!
Mit Harfenklang antworten mir die Engel,
sie loben dich, wenn ich rufe.
Das Morgenrot deiner Gnade strahlt auf,
die Speise des Lebens reichst du mir,
weil ich dich bat um Stärkung.
Befreiung
Herr, Gott, in deiner erbarmenden Gnade
entreiße mich Sünder der Verderbnis,
daß ich dich nicht in Verhärtung verleugne.
Entreiße mich der Begierde des Fleisches,
damit meinem Leibe kraft der Gnade
der Duft guter Werke entströme.
Entreiß mich, o Gott, meinen unreinen Taten,
daß mich der Dorn der Vergessenheit
nicht ans Verderben hefte.
Laß mich mit gutem Gewissen
und in der Tugenden Wohlgeruch
zertreten den Schmutz mit den Füßen
meiner rechtschaffenen Werke.
Armselig sind meine Verdienste, o Gott,
handle an mir nach deiner Güte!
Rettung
Herr, deine Rechte hebe mich auf
durch Reue gereinigt, aus meinen Sünden.
Stärke du mein Verlangen,
in Gottesliebe zu brennen;
ich kann mich an ihr nicht ersättigen.
Wenn ich durch Reue auferstehe,
werde ich nicht in Sünden sterben,
sondern dem Tod entrissen,
werde ich ewig leben,
erzählen von deinen Wundertaten
und dich fürchten und lieben,
aus dem Verderben des Todes errettet.
Furcht des Herrn
Ehrfurchtsvoll stehe ich vor dir, o Gott.
Ich sehe die Schuld wie sie ist
und ich weiche nicht aus.
In Liebe seufze ich auf zu dir
und fürchte mich vor deinem Urteil.
Auf deinen Lohn aber freue ich mich!
Habe ich auch nicht selbst verdient,
teilzuhaben an himmlischen Freuden,
will ich doch frei von Schuld mich halten.
Du gibst mir vom Baum des Lebens zu essen,
weil du in mir gute Werke findest,
obwohl mich der Teufel sehr bedrängt.
Grundgelegt hast du in mir die heiligen Werke,
um dann bei mir zu zelten.
Laß auch mich wohnen in deinem Haus!
Gläubige Bitte
Ich glaube in Treue an dich, o Gott,
und vollbringe Werke im Glauben.
Mehre die Freude an jeglicher Tugend,
du meine Freude, o Herr der Welt!
In Glaube und Liebe will ich dir folgen,
denn mein Schöpfer bist du.
Du gibst mir, was gut ist,
es fehlt mir an nichts,
was ich erbitte und ersehne.
Der Glaube lehr‘ mich das rechte Bitten:
Nur was dir wohlgefällt, gib mir,
und Unvergängliches!
Seufze ich voller Not zu dir
für mich oder meinen Bruder,
laß mich mit heiligen, guten Werken
deine Liebe erlangen;
erfülle meine gerechten Wünsche!
Unter Gottes Schutz
O Gott, du verteidigst, die an dich glauben,
bewahre mich sicher im Schutz deiner Allmacht.
Ich berge mich unter deinen Flügeln,
verehre dich dankbar und bete dich an.
Zu einem Gott, der mich täuscht und nicht kennt,
schaue ich niemals auf.
Befreie mich doch vom Aufbegehren
der quälenden bösen Geister
in der Lust meines Fleisches
und schenke mir den vollkommenen Sieg!
Meine Seele frohlocke im Leib,
weil er ihr ewigen Lohn erwirkt.
Gebet um Heilung
Ach, woher bin ich nur gekommen,
und was tue ich jetzt?
Mit klagender Stimme seufze ich,
weil ich mein Wissen um dich, o Gott,
mit dem Schmutz der Sünde vermischte.
Erbarme dich meiner, o Herr,
mit Sünden befleckte ich meine Seele!
Heile die Striemen meiner Wunden,
da ich ja gegen dich sündigte.
Lehre mich mehr und mehr, mein Gott,
heilige, gute Taten zu wirken,
daß meine ganz verwirrte Seele
Heilung durch dich erfahre.
Im Heiligen Geist
O Gott, Allerhöchster,
zu deinem Lob
weihe ich meine Gelübde dir,
denn ich vermag ja nichts ohne dich,
verwiesen auf meine eigene Kraft.
Nur die Gnade des Heiligen Geistes
kann mich dazu befähigen,
die du in mir entfachst.
Leben nach dem Tod
Ein glückliches Leben möchte ich haben
in der Ruhe der Ewigkeit.
Schon in den Tagen der Lebensblüte,
da ich zur Heiligkeit wachse und reife,
will ich gedenken meines Schöpfers
in guten und heiligen Werken.
Es kommt ja die Zeit, da Fleisch und Blut
abnehmen bis auf die Knochen.
Die Asche des Leibes zerfällt in den Staub
der Erde, aus der ich geschaffen;
in anderes Leben geht sie dann über.
Der Geist, der meinen Körper belebte,
wird ihn verlassen und kehrt zurück
zum Herrn der Schöpfung, der ihn aus Gnade
meinem Leibe verliehen.
Du, Schöpfer, bist wie ein Schmied,
der mit dem Blasbalg das Feuer entfacht,
sein Werkstück nach allen Seiten dreht,
um sein Werk zu vollenden.
Wenn ich, von guten Taten geleitet,
zur ewigen Freude heimgefunden,
laß mich das reinste Licht erblicken.
Laß mich der Engel Lieder hören
und das ersehnte Gewand des Leibes,
dessen ich mich entkleidet,
wiedererhalten zu meiner Freude.
Siegreich in Gott
Mein Schöpfer und Herr, du bist meine Stärke,
ohne dich kann ich nichts Gutes tun,
denn ich lebe durch deinen Geist.
Er ist es, der in Bewegung mich setzt,
mich meine Wege erkennen 1äßt.
Anrufen will ich dich, Gott und Herr,
laß mich laufen den Weg der Gebote,
wie der Hirsch zu der Quelle eilt.
Führ‘ mich hinaus über irdisch‘ Begehren
auf die Höhen der Kraft und des Sieges.
Gelangt zur himmlischen Seligkeit,
will ich dir unermüdlich lobsingen.
Liebe
Belehre mich
mit dem Hauch des Heiligen Geistes,
daß reines Wasser
aus mir sich ergieße,
Tränen entströmen
dem Seufzen nach guten Taten,
und Wohlgeruch dufte
aus heiligen Werken.
Am Tag will ich wirken
die Tugend des Gleichmuts
und salben des Nachts
alle Schmerzen.
Seligkeit
Zu dir rufe ich, o mein Gott,
und ich erhalte Antwort von dir.
Ich bitte, und deine Güte
schenkt mir, was ich begehre;
ich finde bei dir, was ich suche.
Erfüllt von Ehrfurcht und Freude
schlag‘ ich die Zither vor dir, meinem Gott,
denn ich richte auf dich all mein Tun.
All meine Hoffnung setz‘ ich auf dich
und ruhe selig in deinem Schoß.
Bitte um Vergebung
Du, dessen Macht alles untersteht,
schau auf das Blut, das vergossen ward
für das ganze Menschengeschlecht,
und vergib uns unsere Schuld.
Wir sind Kinder der Übertretung
und hätten sie dir bezahlen müssen.
Aus der Verkehrtheit unseres Herzens
haben wir dies unterlassen.
Das Taufversprechen hielten wir nicht,
übertraten deine Gebote
und warfen unsere Unschuld weg.
Doch du bist gütig; strafe uns nicht
nach unserer großen Bosheit,
sondern erlasse uns liebevoll
unsere Übertretung,
haben wir doch aus Liebe,
in Furcht vor unserm Erlöser,
von ganzem Herzen das Unrecht vergeben,
das man uns angetan.
Sei uns nun gnädig, o Gott,
der du gerecht bist und gut!
Hoffnung
O gütiger Vater, schone der Sünder!
Du hast die Verbannten nicht verlassen,
sondern auf deine Schultern gehoben.
Auch wir werden nicht zugrunde gehen,
da wir auf dich uns’re Hoffnung setzen.
Himmlisches Glück
Wenn ich mit offenen Augen betrachte,
was du, mein Gott, geschaffen hast,
besitze ich hier schon den Himmel.
Ruhig sammele ich im Schoß
Rosen und Lilien und alles Grün,
während ich deine Werke preise.
Dir schreibe ich meine Werke zu.
Freude entspringt der Traurigkeit,
und die Freude macht glücklich.
Heiligkeit
Ich rufe zu dir, o Gott:
Was nottut zum Leben, das gib mir!
Gute Pläne hast du mit mir,
sehen darf ich dich und erkennen.
Mein gutes Gewissen erspürt dich, mein Gott;
ich schlage die Zither des Gebets,
wenn ich in Anbetung dich erkenne.
Gegürtet mit der Enthaltsamkeit,
erblühe ich in Glückseligkeit.
Vollbringe, o Gott, deine Werke
mit der Streitschar Christi, des Königs,
die ich zum Kampfe führe.
LIEDTEXTE
Der rettende Name
O mächtiger Vater,
wir sind jetzt in großer Not,
drum flehen wir,
flehen dich an durch dein Wort,
durch das du uns alles in Fülle gewährst,
was wir zu unserem Leben brauchen:
Blicke nun, Vater,
wie es deinem Namen entspricht,
nieder auf uns und hilf uns,
daß wir nicht ganz zugrunde geh’n
und dein Name in uns nicht verdunkelt werde.
Würdige dich, uns zu Hilfe zu kommen
durch diesen deinen heiligen Namen!
Belebender Geist
Heiliger Geist,
du belebendes Leben,
Dynamik des Alls und Wurzel der Schöpfung,
reinige deine Schöpfung vom Schmutz,
tilge die Schuld und salbe die Wunden.
O strahlendes Leben, des Lobes wert,
erwecke und wiedererwecke das All!
Erwählung
O liebliches Reis voller Grünkraft
am Stamme Jesse,
welch großes Geschehen:
Wie auf die Sonne
sein Auge heftet der Adler,
so wirft ihren Blick
auf die Schönste der Frauen
die Gottheit,
als dich der Vater vom Himmel,
o Jungfrau,
in deiner Lauterkeit sah
und Fleisch werden sollte
sein Wort in dir.
Erleuchtet ward dein jungfräuliches Herz
durch Gottes Geheimnis auf mystische Weise;
und wunderbar ging eine lichte Blume
aus dir, o Jungfrau, hervor.
Ehre sei Gott dem Vater,
dem Sohn und dem Heiligen Geiste!
Gottesgebärerin
Gegrüßet seist du, Maria,
Urheberin des Lebens;
du hast das Heil wieder aufgebaut,
den Tod überwunden,
die Schlange zertreten,
nach der sich Eva,
von Stolz gebläht,
erhobenen Hauptes ausgestreckt.
Du hast sie zertreten, da du gebarst
den Gottessohn, durch den Heiligen Geist
dir eingehaucht. – Sei gegrüßt,
du süße, du liebevolle Mutter!
Du hast der Welt deinen Sohn geboren,
vom Himmel gesandt, dir eingehaucht
durch Gottes Heiligen Geist.
Mittlerin
O herrliche Mutter heiliger Heilkunst,
du hast durch deinen heiligen Sohn
Öl gegossen in herbe Wunden des Todes,
die Eva zur Qual der Seelen verursacht.
Vernichtet hast du den Tod
und das Leben erbaut;
bitte für uns bei deinem Sohn,
du Stern des Meeres, Maria!
O lebensspendende Mittlerin,
festlicher Schmuck
und köstlichste aller Freuden,
die niemals ans Ende kommen in dir!
Bitte für uns, Maria!
Maria, unsere Hoffnung
O grünendes Reis
in deinem Adel stehest du da,
und wie Morgenrot
steigst du empor.
Freue dich nun und juble!
Befreie uns schwache Menschen
von der schlechten Gewohnheit
und reiche uns deine Hand,
um uns vom Boden aufzurichten.
Mutter Kirche
Freue dich nun aus tiefstem Herzen,
o Mutter Kirche, denn deine Kinder
sind jetzt in heiliger Einmütigkeit
versammelt in deinem Schoß.
Aber du, o schmähliche Schlange,
bist nun beschämt, weil deine Beute,
die du verschlungen zu haben wähntest,
im Blute des Gottessohns jetzt erstrahlt.
Deshalb sei Lob dir, o höchster König:
Alleluja!