Das Jesusrätsel – Petra Gerster auf Spurensuche im Heiligen Land
Erwartung und Erfüllung von Eberhard Arnold
Reich Gottes – jetzt ! Die Initiative
Christsein im Imperium Jesusnachfolge als Vision einer neuen Welt
Stadt der Knochen, Stadt der Gnaden
Leben ohne Angst von J. Heinrich Arnold
Shows that animals have also feelings 🥰
Positionspapier der Ökumenischen Initiative Reich Gottes – jetzt!
72 – oder wie Jünger zu Multiplikatoren werden
“Reich-Gottes-Bibel”
Predigt vom 13.11.2022 – Von der Teilhabe an Gottes Reich
Riesen-Bär lebt 23 Jahre in russischer Familie
Heinz Rudolf Kunze – Hallo Himmel
Elton John – Rocket Man (Official Music Video)
„Die neue Schweiz“ – Aktuelle Erinnerung
an eine Zukunftsvision von Leonhard Ragaz
Katastrophen und Tragödien – Was folgt daraus?
Offen sein für die Wiederkunft von Johann Christoph Blumhardt
Ist die Entrückung VOR oder AUS der Drangsal ? – Roger Liebi
Die Suche nach dem Paradies
Das Wächteramt des Friedens
Die Wolke von Giovanni Papini
„Herr, ist dies nun die Zeit, wo du das Reich Israel wiederherstellen wirst?“ …
Christus antwortete: „Es steht euch nicht zu, Zeit und Stunde zu kennen; der Vater
hat sie seiner Macht vorbehalten. Aber ihr werdet die Kraft empfangen, wenn der Heilige
Geist über euch kommt, und werdet mir Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa
und Samaria und bis an die Grenzen der Erde.“
Aber der Himmel ist jetzt nicht mehr so vollständig getrennt von der Erde, wie er es vor der Ankunft Christi gewesen ist. Die mystische Leiter des Jakob ist nicht mehr der Traum eines einzelnen; sie steht fest auf der Erde, auf dem Land, das sie unter den Füßen haben; es gibt einen Fürsprecher droben, der vergisst die zur Ewigkeit berufenen Eintagsmenschen nicht, … „Ich bin bei euch bis ans Ende dieser Zeit.“ Das ist eine seiner letzten Verheißungen
gewesen, seine größte.
The 300-year-old survivor
Mecsek Waldgebirge und See
Orfű, eines der Juwelen des Mecsek-Gebirges in der goldenen Jahreszeit
Das Arboretum Püspökszentlászló – Garten Eden in der kleinen Siedlung von Mecsek
Wahrlich goldene Herbstaufnahmen aus Pécs
Farbenpracht im Balaton-Oberland
Die andere Burg von Szigliget auf dem herbstlichen Rock der Königin
Das sehenswerteste russische Dorf laut der Vereinten Nationen heißt Bechowo
Dieser absolut atemberaubende rote Wald liegt in Russland
Die Mandelblüte hüllt das Balaton-Oberland in ein zauberhaft luftiges rosa Kleid
Die wirklichen Reich-Gottes-Veranstaltungen
fangen klein und in der Stille an.
Aber dann wachsen sie. Wilhelm Busch
Nur noch eine kleine Weile, und der Böse wird nicht mehr sein; und du wirst dich sicherlich umsehen nach seiner Stätte, und er wird nicht da sein. Die Sanftmütigen aber werden die Erde besitzen, und sie werden wirklich ihre Wonne haben an der Fülle des Friedens
(Psalm 37:10, 11).
Es geht darum, dass Satans Weltherrschaft erst beendet wird, wenn Jesus Christus die Weltherrschaft übernimmt. Dennoch erwartet Jesus von uns sein Königreich bereits
zu verbreiten, da er den Sieg bereits eingefahren hat für uns.
Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten.Jesaja 11,6 Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange.
Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.❤
Bibel für kluge Kinder und ihre Eltern von Hubertus Halbfas
Jesus lebt das Reich Gottes und lädt dazu ein. „Nicht Wohltätigkeit, sondern Tischgemeinschaft“. „Die Übersetzung der Bibel ins Griechische nennt den Garten Paradies.
Aber der Paradiesgarten ist kein Zaubergarten und kein Schlaraffenland. Er muss
‚bebaut und bewahrt‘ werden. Obwohl er ein ‚Gottesgarten‘ ist, gehört er zur Welt der Menschen. Er ist Symbol dieser einen Welt. Hier sollen alle miteinander in Frieden leben.“
(S. 31)
Gerechtigkeit ist das Recht des Schwächeren. Joseph Joubert
Die Gerechten selbst werden die Erde besitzen,
und sie werden immerdar darauf wohnen. Psalm 37:29
Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit,
Friede und Freude im Heiligen Geist. Römer 14,17
Wenn ich durch Gottes Finger die Dämonen austreibe,
so ist ja die Königsherrschaft Gottes zu euch gelangt. (Lk 11,20).
Der Himmel ist auf Erden, wo Jesus im Herzen lebt.
❤🙏❤
Durch jeden Schritt eures Weges möge die Herrlichkeit Gottes verkündet sein.
Wir Christen reden viel über das zweite Kommen von Jesus.
Aber die Hälfte der Welt hat noch nichts von seinem ersten Kommen.
Oswald Smith
Predigt vom 17.09.2023 – Ein PoG mit Jesus über unsere Sorgen
Der Verhaltenskodex: Es gilt das alte Erweckungswort:
Hast du eine Sorgenlast, die dir raubet Fried und Rast
Jesu Herz dir offen steht, mach aus Sorgen ein Gebet.
Investment in das Reich Gottes: Wo kann ich denn jemand andern etwas Gutes tun.
Wo bin ich denn gefordert Hand und Fuss Jesu Christi zu sein?
Mit meiner Zeit, mit meiner Liebe und vielleicht eben auch mit meinem Geld.
Strophe 2
Text: Johann Friedrich Räder (*1815 †1872)
Harre, meine Seele, harre des Herrn!
Alles Ihm befehle, hilft Er doch so gern.
Wenn alles bricht, Gott verlässt uns nicht,
größer als der Helfer ist die Not ja nicht.
Was uns dieses kleine Mädchen aus Ägypten zeigt
Wahrscheinlich haben Sie schon einmal gesehen, wie ein kleines Kind, vielleicht ein
Einjähriger, jemandem Essen anbietet. Oder etwas fällt auf den Boden und ein Kleinkind
in diesem Alter hält inne, hebt es auf und reicht es Ihnen.
Was Sie vielleicht schon einmal erlebt haben, haben Psychologen in Studien zur kindlichen Entwicklung beschrieben (veröffentlicht in „Science Direct“). Das heißt, Kinder im Alter von etwa einem Jahr (vor allem um die 14 Monate) helfen anderen ganz spontan.
Sie wollen anderen etwas geben. Im Alter von 18 Monaten helfen Kinder in einer Vielzahl von Problemsituationen. Das deutet darauf hin, dass sie den Bedarf an Hilfe erkennen und dann in der Lage sind, sie zu leisten. Kinder in diesem Alter zeigen auch ein Bedürfnis nach Fairness oder teilen bereitwillig ihr Essen.
Kindness anderen entgegenzubringen, noch mehr als für sich selbst: ein Instinkt, den auch andere Lebewesen zeigen. Beobachtungen bei Tieren belegen das vielfach. Und daraus lässt sich wiederum schließen: Dieser Instinkt zum Füreinander liegt in der Natur.
„Niemand wird geboren, um einen anderen Menschen zu hassen. Menschen müssen lernen zu hassen und wenn sie hassen lernen können, dann kann Ihnen auch gelehrt werden zu
lieben, denn Liebe empfindet das menschliche Herz viel natürlicher als ihr Gegenteil.“
Nelson Mandela
Maximus der Bekenner
Und dieser Gott, der den Menschen zu seinem Ebenbild und fähig gemacht hat, seine
Zeichen zu lesen, tut etwas Schockierendes: Er taucht ganz in die Natur ein, in den Schoß eines jüdischen Mädchens, und nimmt die menschliche Natur an. Ganz Gott und ganz Mensch. Und dann stirbt er – und bleibt nicht tot. Damit ermöglicht er den letzten Schritt: Er nimmt uns Menschen mit hinauf in das Leben Gottes. Die östliche Orthodoxie nennt
dies theosis, die Vereinigung mit Gott.
Für Maximus ist die Tragweite dessen erschütternd. Adam wurde die Sorge für die Erde übertragen: Als er fiel, wurde auch der Kosmos „dem Verfall unterworfen“ (Röm 8,20–22). Christus kehrt dies um. Er ist nicht nur das „göttliche Licht“, welches das Buch, die Schrift und die Natur, erhellt, sondern er offenbart auch unsere Berufung. Diese, so Maximus,
besteht darin, alle „Spaltungen der Natur“, die wir erleben, durch rationales Verstehen
und liebendes Handeln zu vereinen. Für Maximus ist unsere theosis also Teil der
fortwährenden Inkarnation des Wortes:
Von diesen guten Dingen [in Christus] sind die Formen der Tugenden und die inneren
Prinzipien dessen, was von der Natur erkannt werden kann, als Gestalten und Vorbilder
festgelegt worden, durch die Gott immer bereitwillig Mensch wird in denen, die würdig sind.
Dies könnte auf eine falsche Weise so verstanden werden, dass jeder von uns Christus sein kann. Maximus ist sehr bedacht solche Interpretationen auszuschließen. Vielmehr werden die Menschen im neuen Adam, Jesus, wiederhergestellt und in das Leben Gottes hineingezogen; und der gesamte Kosmos, die gesamte natürliche Welt, wird nach ihnen heraufgezogen. In anderen Worten: es ist für uns natürlich, übernatürlich zu sein. Die menschliche Berufung besteht darin, die Inkarnation in den Kosmos hineinzutragen. Wir tun dies immer, wenn wir mit der Gnade zusammenarbeiten. Jeder Akt der Wahrnehmung des Guten, des Verstehens, der Frömmigkeit, der Liebe setzt die Inkarnation Christi in allen Dingen fort. Hier bestätigt Maximus lediglich die Schrift, die klar und deutlich sagt:
Belügt einander nicht, denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und
seid zu einem neuen Menschen geworden, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird,
um ihn zu erkennen. Wo das geschieht gibt es nicht mehr Griechen oder Juden, Beschnittene
oder Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie; sondern Christus ist alles und
in allen. (Kol 3, 9–11)
Das ist es, worauf alles hindeutet, was all diese Zeichen uns die ganze Zeit über sagen
wollten: die Vermählung von Himmel und Erde. Es ist, als ob wir, die Braut, alles mitziehen, all die Schnecken und Wälder, Gänse und Galaxien, während wir auf den
Bräutigam zuschreiten.
Halbheit ist im Reiche Gottes schlimmer als nichts. Nur wer ganz das Reich will, ganz sich ihm hingibt, bekommt auch ganz seine Gabe. Man kann nicht, wie viele gute, brave Menschen und Christen gerne möchten, Gott haben und zugleich die Welt (diese im „weltlichen“ Sinne verstanden); man kann nicht allerlei Gärtchen, Äckerchen, Häuschen behalten und doch den unendlichen Schatz erwerben. Man kann nicht alle die andern schönen
Perlen haben und die eine wunderbare noch dazu. Man kann nicht nach allem möglichen trachten und daneben, in gewissen freien Stunden, nach dem Reiche Gottes.
„Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches (das heißt alles andere Schönste und Beste) zufallen!“ (Mt 6.31). LEONHARD RAGAZ
„In der Geschichte stellen wir fest, daß diejenigen Christen am meisten für die
gegenwärtige Welt taten, die am meisten über die nächste (die neue) Welt nachdachten. Gerade weil die Christen weithin aufgehört haben über die andere Welt nachzudenken
sind sie in der gegenwärtigen Welt so unwirksam geworden. Trachte nach dem Himmel, und du wirst auch die Erde gewinnen. Trachte nach der Erde, und du wirst keins von beiden gewinnen.“ C.S.Lewis
Dein Reich komme von Eberhard Arnold
Während notwendigste Arbeiten getan werden müssten, um der Menschheit zu helfen,
ist das alles durch die ungerechte Weltordnung verhindert und zerstört. Wir stehen mitten in einer Kulturzerstörung. Kultur ist nichts anderes als die geordnete Arbeit des Menschen an der Natur. Und diese Arbeit ist Unordnung geworden, die in ihrer Ungerechtigkeit gen
Himmel schreit.
EBERHARD ARNOLD
Wenn das Reich Gottes ebenso Gegenwart wie Zukunft ist, so muss den Glaubenden
jetzt ein Leben gegeben werden, das dem zukünftigen Reich Gottes wirklich entspricht.
Ebenso entspricht es dann dem historischen Leben Jesu Christi. Wir müssen einig werden mit seinem Leben und seiner Zukunft, indem wir jetzt so leben, wie das Reich Gottes
in Zukunft in Erscheinung treten wird.
Das ewige Volk von Philip Britts
Leonhard Ragaz: Die Botschaft vom Reiche Gottes, 1942
Das Christentum hat wohl von der Bibel her das Wort vom lebendigen Gott. Aber es macht nicht Ernst damit. Es glaubt nicht an das Reich Gottes für die Erde. Es hat eine Hoffnung auf das Jenseits, aber nicht so für die Erde. Es stabilisiert den Zustand der Welt. Es gelangt, trotzdem die Bibel das Fatum leugnet, doch auch zu einer Art Fatum. Es sanktioniert oder verklärt gar die Welt. Es macht wieder, wie das Heidentum, Unrecht, Not, Krankheit und Tod zu Bestandteilen einer göttlichen Weltordnung. Es wird damit (..) zu einer Macht der Reaktion und der Verknechtung. Es wird Religion. Sein Blick ist rückwärts gerichtet, auf die einmalige Erlösung, die aber die Welt nicht wirklich erlöst. Nur am Horizonte der letzten Zukunft taucht, und zwar stark in negativer Form, als Erwartung des Weltgerichtes, etwas vom Reiche auf. Dem gegenüber ist das Reich Gottes eine Umdrehung des Denkens um hundertachtzig Grad. An Stelle des Blickes nach rückwärts tritt der nach vorwärts. (..)
Das Reich Gottes wird zur H o f f n u n g – zur Hoffnung auf den Sieg Gottes über Welt und Götzen, zur Erwartung der Welt Gottes, worin Sünde, Not und Tod überwunden sind, zum Ausblick auf die n e u e Welt. Das eigentliche Schlusswort des Neuen Testamentes ist der Neue Himmel und die Neue Erde. „Wir warten“, sagt auch ein Apostel, „nach seiner
Verheissung auf neue Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt“.
2.Petrusbrief 3,13
Das Ziel des Reiches Gottes ist, dass die W e l t Gemeinde werde. J e d e menschliche Gemeinschaft müsste Gemeinde sein: die Familie, das Volk, die Menschheit und alle Gemeinschaftsgebilde, die sich darin gestalten, wie die Genossenschaft, die Siedlung und so fort. (..) Das ist die Linie der Fleischwerdung des Wortes. Es verschwände zuletzt die Gemeinde, weil alles Gemeinde wäre; es verschwände der Gottesdienst, weil alles Gottesdienst wäre; es verschwände das Sakrament, weil alle Verbindung von Geist und Materie Sakrament
wäre. Das ist die Entwicklung, die auch das NeueTestament vor sich sieht, wenn es in der
Offenbarg Johannis von der Gottesstadt heisst: „Und ich sah daselbst keinen Tempel; denn Gott der Herr, der Allherrscher, ist ihrTempel und das Lamm (d.h. Christus).“ Offenbarung Johannes 21,22 Dieses Ziel soll uns immer vor Augen sein. Aber da wir diesem Ziele noch ferne sind, sollte es nicht Bedürfnis, ja Notwendigkeit sein, dass die von Gott, von Christus, vom Reiche Ergriffenen sich zusammenfinden zur b e s o n d e r e n Gemeinde? Haben sie es nicht für ihren Kampf und ihre Arbeit nötig? Und noch mehr: Liegt solches Zusammengehören nicht schon im Wesendes Reiches Gottes, im Wesen des rechten Verhältnisses
zu Gott?
Leonhard Ragaz: Die Bibel – eine Deutung: Jesus (S. 135)
Es ist der antinomische oder, besser gesagt, polare Charakter des Evangeliums, der ihm seine Spannung und Paradoxie, aber damit auch seine Überlegenheit und Lebendigkeit verleiht. Das Reich Gottes ist auch im Evangelium primär durchaus Gottes Sache.
Aber dieser wesentlichen Bestimmung tritt polar die andere entgegen:
Die Gabe ist ebenso Aufgabe, das Geschenk ebenso Verdienst. Schon das Kommen des Reiches ist auch Sache des Menschen. Es ist gerüstet, es wird angeboten, aber es kommt nicht, wenn nicht Menschen da sind, die darauf warten, die darum bitten, die für sein Kommen arbeiten, kämpfen, leiden. Und so besteht das Reich auch nicht bloß im Empfangen, sondern ebenso stark im Geben. Das Reich Gottes ist ganz des Menschen Sache und das Reich Gottes ist ganz Gottes Sache. In der Wirklichkeit tritt bald das eine, bald das andere Moment der ganzen Wahrheit hervor, je nach Art, Zeit und Umständen.
Dorothee Sölle – Luise Schottroff: Jesus von Nazareth
In den Evangelien wird Jesu Botschaft mehrfach in wenigen Worten zusammengefasst:
»Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Kehrt um und glaubt der frohen Botschaft.« (Mk 1,15; vgl. Mt 10,7 par) »Reich Gottes« – dieser zentrale Begriff nimmt seine Bilder aus den Königspalästen des Vorderen Orients und Roms. Gott regiert wie ein orientalischer Großkönig über den ganzen Kosmos, über Himmel und Erde.
Diese Vorstellung, die schon alte jüdische Tradition ist, ist in der Wurzel politisch-provokativ: Nur Gott ist König, niemand sonst. Mit dem Königreich Gottes verbindet sich eine politische Vision: Alle Völker sind gleichberechtigt, nur Gott ist ihr Herrscher (s. Mk 4, 30-32 par, s. o. S. 98). Der Friede Gottes unter den Völkern ist nicht auf Unterwerfung durch einen Großkönig begründet. Die Vision der Gleichberechtigung aller Völker
beruht auf dem bewussten Kontrast zur eigenen politischen Gegenwart. Die Erfahrungen mit politischer Herrschaft werden in der gesamten Jesustradition ausschließlich negativ dargestellt: »Ihr wißt, die als Herrscher der Völker gelten, mißbrauchen ihre Macht; und ihre Großen tun ihnen Gewalt an.« (Mk 10,42 par) Nach Jesu Tod ist diese politische Vision im Pfingstgeschehen eindrucksvoll ausgemalt worden. Die Völker der Mittelmeerwelt
sprechen viele Sprachen und Dialekte, nicht nur Griechisch, Latein und Aramäisch.
Im Pfingstwunder können plötzlich alle Menschen die Stimme der Boten Gottes verstehen, obwohl sie geisterfüllt stammeln (»Zungenrede«), was ihnen von manchen Zuschauern als betrunkenes Lallen ausgelegt wurde. Sie hören diese Stimmen, jeder und jede in der eigenen Muttersprache (Apg 2,1-13). Dies ist eine Vision, die deutlich macht, dass alle Völker die eigene Kultur, die eigene Sprache, eigene religiöse Ausdrucksformen brauchen.
Sie sollen Jesu Botschaft von der Nähe Gottes hören, aber ihre Kultur soll dabei nicht zerstört werden. Diese Vision grenzt sich deutlich von einer Weltherrschaft ab,
die eine Einheitssprache sowie eine Staatsreligion vorschreibt.
Das Reich Gottes wird mit mythologischen Bildern ausgemalt, die aus der jüdischen Apokalyptik stammen. Jüdische »Apokalyptik« finden wir in vielen Texten dieser Zeit.
Es sind Bilder der Hoffnung für Menschen, die erfahren haben, dass sie in diesem Leben nichts mehr zu hoffen haben. Sie erleben Unterdrückung durch fremdes Militär und sehen kein Ende ab. Aber sie halten an ihrem Gott fest. Auch wenn sie zu ihrer Lebenszeit keine Gerechtigkeit erleben, auch wenn sie ihr Recht nicht erhalten, so beschwören sie doch Gott als den unbestechlichen gerechten Richter. Die Leidenden klagen Gott an, der sein wahres Gesicht der Gerechtigkeit verbirgt, und halten in ihrem Schmerz an ihm fest. Er wird am Ende der Tage die ganze Menschheit gerecht nach den Taten jedes Einzelnen richten. Die Täter des Unrechts werden von Gottes endzeitlichem Gericht dem ewigen Tod überantwortet. Die Gerechten, die sich an Gottes Willen orientiert haben, sie werden bei Gott sein, am Festmahl der Völker in Gottes Palast teilnehmen und weiße Kleider tragen. Der Wille Gottes ist erkennbar, für alle. Die Juden haben ihn in der Tora vor sich und auch die anderen Völker kennen Grundgebote Gottes. Sie wissen, was Gerechtigkeit ist, wenn sie es denn wissen wollen.
ORDO VIRTUTUM SPIEL DER KRÄFTE Hildegardis abatissa:
Ja glaubst du denn, wir würden das Paradies wie ein fertiges Geschenk in den Schoß gelegt bekommen, wir bräuchten uns gleichsam nur hinüberträumen, ohne etwas eigenes zu tun? – Das Paradies, das neue Jerusalem, die neue Erde mit den neuen Menschen, kann nur durch unsere Arbeit und Mitarbeit entstehen. Es ist gleichsam so, als wären wir schwanger, Volmar, als hätten wir ein Kind empfangen. Gott gibt uns die Kraft dazu. Seine Kräfte umwerben und verbinden sich mit uns. Doch austragen und gebähren müssen wir das Kind selber. Du weißt, daß die ganze Schöpfung in Wehen liegt und wartet auf die Herrlichkeit der Kinder Gottes.
Gottes Königreich – die Fakten
Regierungssitz Das Königreich ist eine echte Regierung, die Gott im Himmel eingesetzt hat (DANIEL 2:44; MATTHÄUS 4:17)
Ziel Unter Gottes Königreich wird die Erde in ein Paradies umgestaltet. Dort werden Frieden und Harmonie herrschen; keiner wird mehr krank oder muss sterben (PSALM 37:11, 29)
Bürger Die Bürger dieser Regierung werden auf der Erde leben, sich gerne an die Gesetze des Königreiches halten und Jesus als König voll unterstützen (MATTHÄUS 7:21)
DER WACHTTURM, 1. Oktober 2014
Als Jesus auf der Erde tätig war, sprach er über viele verschiedene Themen. Er lehrte seine Zuhörer unter anderem, wie man beten sollte, wie man Gott gefallen kann und wie man wahres Glück findet (Matthäus 6:5-13; Markus 12:17; Lukas 11:28). Aber das Reich Gottes lag Jesus besonders am Herzen. Deshalb war es auch sein Hauptthema (Lukas 6:45).
Jesu Wunder zeigten in kleinem Ausmaß, was durch Gottes Königreich bald auf der ganzen Erde bewirkt wird. Nachfolgend einige Verheißungen der Bibel über diese Zeit.
Keine Krankheiten mehr: „Zu jener Zeit werden die Augen der Blinden geöffnet, und die Ohren der Tauben, sie werden aufgetan. Zu jener Zeit wird der Lahme klettern wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird jubeln.“ „Kein Bewohner wird sagen: ‚Ich bin krank‘ “ (Jesaja 33:24; 35:5, 6).
Kein Tod mehr: „Die Gerechten selbst werden die Erde besitzen, und sie werden immerdar darauf wohnen“ (Psalm 37:29). „Er wird tatsächlich den Tod für immer verschlingen, und der Souveräne Herr Jehova wird gewiss die Tränen von allen Gesichtern abwischen“
(Jesaja 25:8).
Verstorbene werden auferweckt: „Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und herauskommen werden“ (Johannes 5:28, 29, Einheitsübersetzung). „Es [wird] eine Auferstehung geben“ (Apostelgeschichte 24:15, Pattloch-Bibel).
Nie wieder ohne Arbeit oder Wohnung: „Sie werden gewiss Häuser bauen und sie bewohnen; und sie werden bestimmt Weingärten pflanzen und deren Fruchtertrag essen.
Sie werden nicht bauen und ein anderer es bewohnen; sie werden nicht pflanzen und ein anderer essen. . . . das Werk ihrer eigenen Hände werden meine Auserwählten verbrauchen“ (Jesaja 65:21, 22).
Camille Pissarro: Die Ernte
Copyright Wolfgang Stadter PICUYO.DE
Kein Krieg mehr: „Kriege lässt er aufhören bis an das äußerste Ende der Erde“ (Psalm 46:9). „Nation wird nicht gegen Nation das Schwert erheben, auch werden sie den Krieg nicht mehr lernen“ (Jesaja 2:4).
Kein Hunger mehr: „Die Erde selbst wird bestimmt ihren Ertrag geben; Gott, unser Gott, wird uns segnen“ (Psalm 67:6). „Es wird Fülle an Getreide auf der Erde geben; auf dem
Gipfel der Berge wird Überfluss sein“ (Psalm 72:16).
Keine Armut mehr: „Nicht immer wird der Arme vergessen sein“ (Psalm 9:18). „Er wird zum Retter für die Bedürftigen, die um Hilfe rufen, für Menschen, die leiden und keinen Beistand haben. Er wird sich über Schwache und Bedürftige erbarmen und zum Lebensretter werden für Menschen in Not“ (Psalm 72:12, 13, Neue Genfer Übersetzung).
Kann man jetzt nicht besser verstehen, warum das Königreich für Jesus so viel bedeutete? Und warum er mit jedem, der zuhören wollte, so begeistert darüber sprach? Er wusste, dass das Königreich die belastenden Probleme beseitigen wird.
Wenn das Reich Gottes ebenso Gegenwart wie Zukunft ist, so muss den Glaubenden jetzt ein Leben gegeben werden, das dem zukünftigen Reich Gottes wirklich entspricht.
Ebenso entspricht es dann dem historischen Leben Jesu Christi. Wir müssen einig werden mit seinem Leben und seiner Zukunft, indem wir jetzt so leben, wie das Reich Gottes
in Zukunft in Erscheinung treten wird. Eberhard Arnold
Das Flehen des Aussätzigen von Gerhard Lohfink
Und es kommt zu Jesus ein Aussätziger, fleht ihn kniefällig an und sagt zu ihm: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Und erregt streckt Jesus seine Hand aus, rührt ihn an und sagt zu ihm: „Ich will: Werde rein!“ Und sofort wich von ihm der Aussatz, und er wurde rein. (Mk 1,40-42) Jesus hat den Aussätzigen also nicht nur aus geziemender Entfernung geheilt. Nein, er hat ihn berührt. Er hat ihn angefasst. Und damit hat er eine Schranke durchbrochen. Das „er streckt die Hand aus und rührt ihn an“ ist nicht ein Ornament, nicht eine Verzierung der Erzählung. Es ist ein elementarer Vorgang – gegen die Hygiene, gegen den Anstand, gegen die Regel, gegen die Tora. Warum rührt Jesus den Aussätzigen an? Es hat mit seiner Proklamation der Gottesherrschaft zu tun.
Mit dem Auftreten Jesu wird in Israel und über Israel in der ganzen Welt die Schöpfung neu. Sie wird so, wie sie gedacht war und wie sein sollte: unverdorben, morgenfrisch, schön, geheilt, befreit von dem Aussatz der Erde. Deshalb muss Jesus Kranke heilen, Besessene befreien, Aussätzige rein machen, Dämonen austreiben. Und deshalb muss er die Kranken berühren. Denn zu einer befreiten und geheilten Welt gehört auch, dass die Gemeinschaft wiederhergestellt wird, dass alle soziale Isolation handgreiflich beendet wird. … Wenn also der Aussätzige zu Jesus sagt: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen“, so schreibt er Jesus göttliche Macht zu. Er ist erfüllt von einem letzten Vertrauen. Er glaubt, dass in Jesus Gott selbst handelt. Er vertraut sich Jesus an.
Er erwartet von ihm alles.
Und wir? Würden wir genauso bitten wie der Aussätzige? Würden wir mit demselben Vertrauen flehen? Flehen wir Jesus an, wenn wir in Not sind? Fallen wir vor ihm auf die Knie? Erzählen wir ihm die ganze Not unseres Lebens? Rechnen wir in grenzenlosem Vertrauen, dass er uns hilft und uns aus unserer Not herausholt? Vielleicht tun wir es. Vielleicht tun
wir es auch nicht. Und wenn wir es nicht tun, kann es viele Gründe haben.
Ein Grund, der gerade bei gläubigen Menschen nicht selten eine Rolle spielt, kann der folgende sein: Wir wagen es nicht, Gott in eigener Sache um Hilfe zu bitten. Dürfen wir denn Gott mit unseren persönlichen Nöten, mit unseren Krankheiten, mit unseren Unfällen, mit unseren Problemen, mit unseren Angelegenheiten und Vertracktheiten um Hilfe anflehen? Muss es bei unserem Beten nicht um das Große und Ganze gehen, um die Not der Welt,
um das Elend der Gesellschaft, um die Sache der Kirche – eben um das Reich Gottes?
So könnte gerade ein frommer und gläubiger Mensch denken, und dann wagt er es nicht mehr, Jesus in seiner persönlichen Not anzuflehen. Hat er recht? Ich meine nicht. Er hätte nur dann recht, wenn seine persönliche Not und wenn seine persönlichen Lasten gar nichts mit dem Reich Gottes zu tun hätten. Und das wäre tatsächlich der Fall, wenn er nur für sich selbst leben würde, nur sich selbst im Blick hätte, nur an sein eigenes Glück und Wohlbefinden denken würde. Lebt er hingegen im Glauben, in der Hoffnung und in der
Liebe – ist sein Leben grundsätzlich ausgerichtet auf Gott und den Willen Gottes – dann darf er alles erbitten, dann darf er Großes für sich erbitten und selbst um die Überwindung der kleinen Nöte seines Lebens Jesus anflehen. Denn er sucht ja zuerst das Reich Gottes.
Und dann darf er erwarten, dass ihm „alles andere dazugegeben wird“ (Mt 6,33).
Gottes Reich ist herabkommen!
Schau mal? Die Blumen blühen in voller Blüte, die Vögel singen zusammen und das auserwählte Volk Gottes singt, tanzt und preist auch.Alles Leben, das auf Erden und im Himmel ist, ist voller Jubel. Du fragst warum! Sie alle heißen das Kommen des Reiches Gottes willkommen! Ist es nicht so, dass der Herr zurückkehrt, auf den wir uns Tag und Nacht freuen? Ich freue mich darauf, der Hauptfilm ins Programm zu kommen.
Eine gute Botschaft von Gott
Warum hat Gott das Leid bis heute zugelassen?
Jehova duldet die Auflehnung gegen seine Herrschaft für eine begrenzte Zeit. Warum?
Damit deutlich wird, dass es nichts Gutes bringt, wenn Menschen selbst regieren (Prediger 7:29; 8:9). 6 000 Jahre Menschheitsgeschichte beweisen: Keine Regierung auf der Erde konnte Kriegen, Verbrechen, Ungerechtigkeiten und Krankheiten ein Ende machen.
— Lesen Sie Jeremia 10:23; Römer 9:17.
Gottes Herrschaft dagegen ist nur gut für uns (Jesaja 48:17, 18). Jehova wird bald dafür sorgen, dass alle menschlichen Regierungen beseitigt werden. Auf der Erde werden dann nur noch Menschen leben, die sich für Gottes Herrschaft entschieden haben (Jesaja 11:9).
— Lesen Sie Daniel 2:44.
Andrew Phillip Smith: Die verborgenen Worte Jesu
Der Weg ins Königreich führt durch große Drangsal hindurch. Prochorus, Johannesakten
Wer die Götzen entseelt, wird groß sein in meinem Königreich. Thomasakten 6
Selig sind die um meinetwillen Verfolgten; denn sie werden eine Zuflucht finden, wo ihnen
keine Verfolgung droht. Clemens, Stromateis IV, 6,41
Ich bin nicht zu euch gekommen, um zu Tisch zu sitzen, sondern um zu dienen, und ihr seid in meinem Dienst dazu erzogen worden, selbst zu dienen. Codex Bezae,
Addendum zu Lukas 22,27-28
Jeder, der nicht in meinen Fußstapfen wandelt und nicht die Häuser von Steuereintreibern und Huren betritt, um diese zu lehren, wie ich es geheißen, wird nicht vollkommen sein.
Liber Graduum 2, 6,2
Wer nicht all seine Habe aufgibt, sein Kreuz auf sich nimmt und mir folgt, ist meiner nicht
würdig. Liber Graduum 3,5
Ich sehe Menschen, deren Seelen sich an Selbstgefälligkeit ergötzen und der unreinen Welt hingeben. Ich sehe, wie all dies dem Feind nützt. Darum kann ich mich zu ihnen begeben und sagen: „Ihr Seelen, die ihr euch der Unkeuschheit verschreibt, ihr seid ohne Gottesfurcht.“ Pseudo-Titus-Brief
Matthäus fragte: „Wann können wir ausruhen?“
Der Herr antwortete: „Sobald ihr eure Lasten ablegt.“
Wahrlich, ich sage euch: Auf meine Anordnung allein wird niemand in das Himmelreich
eingehen; das tut nur, wer erfüllt davon ist. Apokryphon des Jakobus 2,6
Wollt ihr also nicht von der Liebe zum Fleisch und von der Angst vor dem Leid ablassen? Ist euch nicht bewusst, dass ihr noch nicht misshandelt oder zu Unrecht angeklagt seid noch eingekerkert oder wider alles Gesetz verurteilt noch grundlos gekreuzigt und begraben, wie es mir widerfuhr durch das Böse? Glaubt ihr, das Fleisch schonen zu können, ihr, die euch der Geist wie eine Mauer umschließt? Wenn ihr darüber nachdenkt, wie lange die Welt vor euch existierte und wie lange sie nach euch existieren wird, werdet ihr erkennen, dass euer Leben (wie) ein einziger Tag ist und eure Leiden kaum eine Stunde währen. Da die Guten die Welt nicht erreichen, solltet ihr den Tod gering schätzen und das Leben bedenken. Erinnert euch an mein Kreuz und an meinen Tod, und ihr werdet das Leben haben.“
Apokryphon des Jakobus 4,5-11
Ihr seid übertünchte Gräber voller Gebeine, weil der Lebendige nicht in euch ist.
Naassener-Exegese in: Hippolytus, Wider alle Häresien V 8, 23-24 Der Vergleich mit übertünchten Gräbern entspricht dem bei Matthäus 23, Vers 27 mit dem Unterschied, dass
Jesus hier hinweist auf die Abwesenheit des Lebendigen (des Geistes).
Gott hat versprochen, all diejenigen zu retten, die sich ihm der Vorschrift gemäß zuwenden, doch wer sich darüber hinaus in seinen Dienst stellt, den wird er in seiner Nähe behalten.
al-Ghazali, Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften, 1,78
Es gibt viele Bäume, doch nicht alle tragen Früchte; und es gibt viele Früchte, doch nicht alle sind genießbar; so gibt es auch viele Arten der Erkenntnis, doch nicht alle sind von Nutzen.
al-Ghazali, Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften, 1,78
Falsche Gelehrte, ihr, die ihr fastet und betet und Almosen spendet, aber nicht tut, was euch aufgetragen ist, und in euren Taten abweicht von euren Lehren. Euer Urteil ist vom Übel! Ihr bereut in Worten und Vorspiegelungen, verhaltet euch aber nach eurer Lust. Es nützt nichts, dass ihr eure Haut wascht, wenn euer Herz beschmutzt ist. Wahrlich, ich sage euch, seid nicht wie ein Sieb, das das gute Korn aussondert und die Spreu behält. Aber so seid ihr: Eure Lippen sprechen das Wahre aus, doch das Üble bleibt in euren Herzen. Ihr seid Sklaven dieser Welt. Wie will ein solcher, der dieser Welt anhängt und ihr verfallen ist, das Jenseits gewinnen? al-Ghazali, Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften 3,198
Achtet nicht auf den Reichtum der Herren dieser Welt, denn der Glanz ihrer Schätze nimmt ihnen das Licht des Glaubens. al-Ghazali, Die Wiederbelebung der relig. Wissenschaften 4,157
Jesus begegnete einem Mann, der war blind, leprakrank, verkrüppelt, auf beiden Seiten gelähmt und von einer Krankheit entstellt. Doch er sagte: „Gelobt sei Gott, der mich bewahrt hat vor der Drangsal, an der so viele andere seiner Geschöpfe leiden.“ Jesus fragte: „Meister, von welcher Drangsal sprichst du, die dir erspart blieb?“ Er antwortete: „Oh, Geist Gottes, ich bin besser dran als jene, in deren Herzen Gott nicht das Wissen um ihn gepflanzt hat, so wie er es in meines gepflanzt hat.“ Jesus sagte: „Du hast wahr gesprochen. Gib mir deine Hand.“ Er gab ihm seine Hand und war augenblicklich der schönste und reinste aller Männer, denn Gott hatte ihn von seinen Leiden geheilt. Er folgte Jesus nach und hielt Andacht mit ihm.
al-Ghazali, Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften 4,272
Diese Geschichte könnte als ein Heilwunder gelesen werden, denn der blinde, verkrüppelte, gelähmte und entstellte Mann wird am Ende geheilt. Doch das ist nicht der Kern der Aussage. Der Mann ist bereits kraft seines Wissens um Gott erlöst. Seine Gesundung vollzieht sich gleichsam beiläufig.
Nach Ta’us fragten die Apostel Jesus: „Ist hier auf Erden ein Zweiter wie du?“ Er antwortete: „Ja, jedweder, der ein Gebet für seine Rede, innere Einkehr für sein Schweigen und Tränen
für seine Visionen hat; ein solcher ist wie ich.“
al-Ghazali, Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften 4,332
Dass ihr von mir seid, wird man daran erkennen, dass ihr einander liebt.
Asin 130 , in: Robson, S.54
„Es wird ein Heulen und Zähneklappern geben.“
„Aber Rabbi, wie könnte dies sein bei denen, die keine Zähne haben?“ Jesus, so heißt es,
habe darauf geantwortet: „Oh ihr Kleingläubigen! Sorgt euch nicht. Wer keine Zähne hat, dem werden Zähne gegeben.“ „An Amusing Agraphon“, Catholic Biblical Quaterly 12 (1959): 439-449 P.R. Coleman-Norton behauptete, diesen Text während des Zweiten Weltkriegs
in der Bibliothek einer marokkanischen Moschee entdeckt zu haben.
Seid in allen Dingen achtsam. The Secret Sayings of Ye Su 43
Ein überzeugender buddhistischer Sinnspruch, der dem zweiten Vers aus Kapitel 11
des ersten Korintherbriefs entspricht: „Ich lobe euch, dass ihr in allen Dingen meiner
gedenket.“
Leonhard Ragaz: Wer ist Jesus gewesen? Was hat er gewollt? Die Evangelien müssen uns dies sagen ..Nun gibt es darin Partien, auf denen so hoher Schutt unsicherer Überlieferung liegt, daß wir die ursprüngliche Wahrheit nicht mehr zu erkennen vermögen, andere wieder, die uns nicht so viel zu sagen vermögen. Dazwischen aber stoßen wir plötzlich auf
Urgestein, wo der geschichtliche Sachverhalt klar zu Tage tritt und wir festen Boden unter den Füßen haben. Und da treffen wir unverfälschtes und unverkennbares originales Leben. Eine solche Stelle ist die, wo es von Jesus heißt: „Er ging umher in all ihre Städte und
Dörfer, in ihren Synagogen lehrend, die frohe Botschaft vom Reiche Gottes verkündigend und allerlei Krankheit und Gebrechen heilend. Wie er nun den Zustand der Massen sah, jammerte ihn derselben, denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie Schafe, die
keinen Hirten haben. Da spricht er zu seinen Jüngern: ‚Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber wenige, darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter sende in seine Ernte’
(Mt 9,35-38). Das ist für jeden Menschen, der sozial fühlt, eine der heiligsten Stellen,
nicht nur in den Evangelien, sondern in aller Literatur überhaupt. Hier schauen wir sicher in Jesu Herz hinein und erfahren, was ihn ans Werk trieb. Es war die Not seines Volkes,
die ihn erschütterte ..
Dein Reich komme, Predigten von Leonhard Ragaz
Das Reich Gottes
Nachdem Johannes überantwortet war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium vom Reich Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen, tut Buße und glaubet an die frohe Botschaft. Ev. Mark. 1, 14-15. Im Mittelpunkt des Unservaters steht die Bitte: „Dein Reich komme“. Die Gleichnisse wollen ausnahmslos die Art, den Wert, das Kommen des Gottesreiches veranschaulichen; die Bergpredigt entfaltet seine Magna Charta, seine Grundordnungen. Jesus hat das Reich Gottes verkündigt und offenbart.. Gott soll zur Herrschaft kommen über den Menschen, über die Erde; sie sollen Gottes werden, seinem Gesetz und Willen gehorchen, seine Ehre verherrlichen, in seiner Liebe selig sein. Also nicht eine neue Lehre von Gott wollte Jesus bringen, sondern dem Gott, den Israel kannte, die Erde gewinnen. Gott ist heilig und gütig – die Erde soll der Abglanz seiner Heiligkeit und Güte werden. Daraus erkennen wir sofort, daß es sich, wenn wir vom Reiche Gottes reden, um diese Erde handelt. Auf dieser Erde soll sein Schauplatz sein, hier soll es kommen. Damit ist ein weltgeschichtlicher Irrtum beseitigt, der bis auf diesen Tag auf der Sache Jesu lastet. Man hat schon bald, schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Geschichte, angefangen, den Schauplatz des Gottesreiches von der Erde weg in den Himmel zu verlegen.. Im fernen Himmel lag Gottes Reich. Dort war die Vollendung. Hier auf Erden aber war Satans Reich, die Herrschaft der Sünde und des Elendes.
Hier konnte es sich nur darum handeln, Seelen aus dem Fluch der Erbsünde herauszureißen und sie für den Himmel vorzubereiten; das besorgte die Kirche oder, bei den Protestanten, der Glaube an Jesu sühnendes Leiden. Im übrigen blieb die Welt unverbesserlich, ihre Ordnungen galten im wesentlichen als unabänderlich.. Das ganze Evangelium wurde zu einer Anweisung, in den Himmel zu kommen, unser ganzes religiöses Leben an der Himmelshoffnung oder Höllenfurcht orientiert, damit die Sittlichkeit verunreinigt und die Religion dem Egoismus ausgeliefert.. Jesus will das Gottesreich für diese Welt. Er fordert und verheißt eine Umgestaltung der Erde. Gottes Wille soll auf Erden geschehen wie im Himmel. Er lehrt uns nicht beten: „Nimm uns in dein Reich“, sondern „Dein Reich komme zu uns“.. Das Reich Gottes ist für die Welt, gewiß – aber nicht von der Welt. Im Gegenteil, es heißt Gottes Reich, weil es in Gegensatz zur Welt tritt, wenigstens zur Welt, wie sie jetzt ist. In der Welt herrscht das Weltreich. Das Prinzip des Weltreiches ist Kampf, Selbstsucht, Machttrieb. Hier walten die grausamen Gesetze und Triebe der Natur; hier erwürgt der Stärkere den Schwächeren; Unrecht und Jammer schreien allüberall zum Himmel aus Natur und Menschenwelt. Dieses Weltreich hat von Zeit zu Zeit Gestalt angenommen in politischen Weltreichen: dem Assyrerreich, Babylonierreich, Perserreich, Griechenreich und dem gewaltigsten von allen, dem Römerreich. Hier rang sich zwar die Natur empor zur
Kultur, aber auch diese Weltreiche ruhten auf Blut, Gewalt und Unrecht. Diesem gesamten Weltreich tritt entgegen das Gottesreich. Es will die Weltgewalten niederwerfen oder in Zucht nehmen durch Gewalten von oben her, die Gewalt ersetzen durch die Gerechtigkeit und den Krieg durch gegenseitige Hilfe; es eröffnet einen Ausblick auf eine vollkommen andersartige Welt, eine höhere Ordnung der Dinge. Eine Ahnung davon lebte in allen Völkern; in den Propheten Israels war sie zur Gewißheit geworden.. Gottes Herrschaft ist ein Reich. Ein Glied hängt mit dem andern zusammen, eins kann nur mit dem andern vorwärts kommen. Es herrscht in diesem Reiche eine Solidarität, die wir noch lange nicht völlig begriffen haben. Da können die Unterschiede von Rasse, Nation und Religion nicht mehr trennend wirken, sowenig als in einer Familie die körperlichen und geistigen Verschiedenheiten der Angehörigen, vielmehr müssen sie belebend und erquickend wirken.. Es ist unendlich viel weiter als jede Kirche und besteht vor allem nicht bloß in Worten. Für Gottes Reich arbeiten die Winde, die flüsternd oder brausend die Erde durcheilen; die Wellen des Meeres, die die Gestalt dieses Planeten bilden helfen und ihm Leben spenden; die Naturkräfte alle, die in Luft, Wasser und Erdreich rastlos und zahllos schaffen Tag und Nacht. Alle sind sie so fleißig im Dienst der Pläne Gottes. Für Gottes Reich arbeitet der Gelehrte, der einer neuen wissenschaftlichen Wahrheit nachgeht; denn auch sie wird irgendwie in den Dienst des schaffenden Gottes treten. Für Gottes Reich sinnt der Erfinder einer neuen Maschine, die Leistungen ermöglicht, die vorher nicht vollbracht werden konnten – auch die Technik ist Gottes Gehilfin. Für Gott müht sich jeder, der einen Tunnel, eine Brücke, ein Schiff bauen hilft; denn auch durch Eisenbahnen, Schiffe, Straßen will Gottes Herrschaft kommen. Für Gott schafft jeder Arbeiter, jede Arbeiterin mit Kopf, Hand oder Herz, wenn sie richtig arbeiten.. Aber am meisten schaffen für sein Reich alle die, die sich selbst überwinden, sich rein halten und in Liebe das Opfer bringen. Sie bringen es am raschesten vorwärts. Sie sind der Adel dieses Reiches. An ihrer Spitze steht Jesus Christus, der am meisten geliebt hat.
An seinem Kreuze ist eigentlich erst das Reich Gottes in Klarheit erschienen. Hier ist Weltreich und Weltart verschwunden und Gottes Art aufgeleuchtet. Ist also dieses Reich kein Kirchenreich, so ist es auch nichts Festes, Starres, sondern etwas Lebendiges, Fortschreitendes. Es ist nicht ein System von bestimmten Gedanken und Einrichtungen, das den Menschen aufgedrängt würde und ihnen ein Joch werden müßte, es erneuert sich vielmehr, wie die Welt sich im Frühling erneuert. Es ist so lebendig, wie Gott selbst lebendig ist.
Weltreich, Religion und Gottesherrschaft, 1922
Was ist das Reich Christi? Es ist einmal ein R e i c h, ein wirkliches Reich. Das bedeutet:
es ist nicht bloß eine Idee, eine abstrakte Wahrheit, die einzig im Lande des Gedankens wohnte, sondern eine Wirklichkeit, eine Ordnung der menschlichen Dinge von einer ganz bestimmten Art, die so greifbar und tatsächlich ist wie ein weltliches Reich, wenn auch im übrigen jedem solchen der Art nach entgegengesetzt. Wir können vielleicht den Sachverhalt am besten ausdrücken, wenn wir sagen: die Sache Christi ist nicht eine R e l i g i o n, sondern eine P o l i t i e (Bürgerschaft). Das Reich Gottes gleicht insofern durchaus dem römischen Reiche; nur dass an Stelle des römischen Volkes das Gottesvolk tritt, das aus dem Geiste Christi geborene Volk, das einer höheren Ordnung angehört als die erdgeborenen Völker; an Stelle des auf dem Palatin thronenden Cäsar der unsichtbar der neuen Menschheit nahe Christus; an Stelle der Gewalt die Liebe; an Stelle der Knechtschaft die Freiheit; an Stelle der Weltkräfte die Gotteskräfte. Wer an Christus glaubt, der nimmt nicht bloß
irgendeine schöne Lehre an, die man gelegentlich zur Schau trägt wie ein Paradekleid,
oder die man im Innersten des Gemütes verbirgt, ohne dass dadurch das Gesamtleben
eines Menschen wesentlich verändert würde, er tritt vielmehr aus einer W i r k l i c h k e i t
in eine andere ein, er gibt ein B ü r g e r r e c h t auf, um ein anderes zu erwerben.
In eine neue Gemeinschaft tritt er ein, neue Ordnungen erkennt er an, neue Rechte bekommt er und neue Pflichten, eine neue Heimat wird ihm zuteil. Es ist aber auch ein ü b e r n a t ü r l i c h e s Reich. Das bedeutet, dass es nicht von der blossen Natur ist, nicht aus Fleisch und Blut geboren, sondern von einer höheren Art und Ordnung.
Leonhard Ragaz: Die Bibel – eine Deutung: Jesus (S. 135)
Es ist der antinomische oder, besser gesagt, polare Charakter des Evangeliums, der ihm seine Spannung und Paradoxie, aber damit auch seine Überlegenheit und Lebendigkeit verleiht. Das Reich Gottes ist auch im Evangelium primär durchaus Gottes Sache.
Aber dieser wesentlichen Bestimmung tritt polar die andere entgegen: Die Gabe ist ebenso Aufgabe, das Geschenk ebenso Verdienst. Schon das Kommen des Reiches ist auch Sache des Menschen. Es ist gerüstet, es wird angeboten, aber es kommt nicht, wenn nicht Menschen da sind, die darauf warten, die darum bitten, die für sein Kommen arbeiten, kämpfen, leiden. Und so besteht das Reich auch nicht bloß im Empfangen, sondern ebenso stark im Geben. Das Reich Gottes ist ganz des Menschen Sache und das Reich Gottes ist ganz Gottes Sache. In der Wirklichkeit tritt bald das eine, bald das andere Moment der ganzen Wahrheit hervor, je nach Art, Zeit und Umständen.
Gottes ist Woge und Wind.
Aber Segel und Steuer,
daß ihr den Hafen gewinnt, sind euer.
http://www.kirche-hiddensee.de/
Ulrich Duchrow: Im Reich Gottes zählt die Befriedigung der Grundbedürfnisse:
Essen, trinken, sich kleiden, Wohnung haben, geheilt werden, Freiheit haben. Ob die Menschen dazu den „Geringsten“ verholfen haben – danach wird „der Menschliche“ bei der endgültigen Vollendung des Reiches Gottes fragen und urteilen (Mt 25.31ff). Selbst aus
armen Handwerkerverhältnissen im Randgebiet Galiläa kommend, lebt er bewußt unter den Armen und Ausgestoßenen. Ihnen gehört das Reich Gottes. „Selig seid ihr Armen;
denn die Königsherrschaft Gottes ist euer“ (Lk 6,20).
„Die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten die Letzten“ (Mt 20,16).
Im Reich Gottes werden die gesellschaftlichen Verhältnisse umgekehrt. Das heißt aber nicht, dass Jesus verkrampft oder rachsüchtig reagiert, wenn Angehörige der Oberschicht zu ihm kommen. Besonders Lukas berichtet davon, dass es auch Reiche gibt, die umkehren (z.B. Kap.19, die Geschichte von Zachäus). Wenn sie dies tun, dann sind sie willkommen – als Letzte. Aber von unten baut sich die neue Gesellschaft in Gottes Nähe auf, als deutlicher Kontrast zur Realität des römischen Reiches.
1 Kor 1,26-28 Seht doch eure Berufung an, Geschwister:
Es sind nämlich nicht viele Weise von ihrer Herkunft her, nicht viele Mächtige, nicht viele aus den Elitefamilien unter euch. Vielmehr hat Gott die Ungebildeten der Welt erwählt, um die
Weisen zu beschämen; und die Schwachen der Welt hat Gott erwählt, um die Starken zu beschämen. Und die Geringen und die Verachteten der Welt (in Rom die Proletarier) hat Gott
erwählt, die nichts gelten, um denen, die etwas sind, die Macht zu nehmen.
Ragaz Gedanken: Reich Gottes
Im Gottesreiche wird alles Leben Gottesdienst. Keine heiligen Orte, aber jeder Ort heilig; keine heiligen Sachen, aber alle Dinge heilig, Geist wie Materie; keine heiligen Handlungen, aber alles Tun ein Sakrament; keine heiligen Personen, aber jeder Mensch heilig; keine heiligen Zeiten, aber jeder Augenblick geweiht und jeder Tag ein Tag des Herrn. 1919
Das Reich Gottes ist nicht in einem fernen Himmel, sondern es will auf die Erde kommen. Es kommt als eine Welt, in der Gerechtigkeit, Reinheit und Güte wohnt. Es wird nicht dargestellt in einem Tempel, in einer symbolischen heiligen Welt, die von der Alltagswelt getrennt wäre, es wirkt sich vielmehr aus in den sittlichen Ordnungen der Menschen, in den politischen und sozialen Zuständen. Es weiht nicht die Welt, sondern verwandelt und richtet sie. 1919
Das Reich Gottes bedeutet die völlige Umkehrung der Masstäbe der Welt und das völlige Gegenteil des natürlichen Wollens und Tuns des Menschen; womit ja nicht ausgeschlossen, worin vielmehr eingeschlossen ist, dass es im Grunde doch nur die Wiederherstellung dessen darstellt, was der ursprünglichen Natur, wie sie aus Gottes Willen stammt, entspricht. 1927
Das Reich Gottes ist wunderbare Natürlichkeit. Aber es ist e r l ö s t e Natur. 1921
Die Erlösung ist in keiner Beziehung bloss individuell, sie ist überall sozial, das heisst sich nicht bloss auf den Einzelnen beschränkend, sondern sich auf die Welt, die Gesamtheit, die Gemeinschaft erstreckend. 1922
Gott sucht die Welt. Gottes Herrschaft ist das Ziel,
nicht egoistische Seligkeit und Heiligkeit. 1921
Die in Christus erschienene Wahrheit muß die Ordnung der Welt werden. 1929
Dittmar Rostig, Bergpredigt und Politik
Der zukünftige Gott
Die dritte Beschreibung Gottes, die – im Gegensatz zur Vorstellung des „persönlichen“ und „lebendigen“ Gottes – in Ragaz‘ Frühzeit noch nicht zu beobachten ist, tritt massiv zu der Zeit auf, als sich Ragaz‘ Hinwendung zur sozialen Bewegung in Basel vollzieht. Ragaz versteht Gott nicht mehr nur als persönlichen und lebendigen Gott, sondern auch als einen Gott der Zukunft. Mit dieser Sicht kritisiert Ragaz eine Christenheit, die Gott nur in der Vergangenheit geschaut hat: in der Schöpfung, in Propheten und Reformatoren, vor allem in Jesus, die aber darüber vergaß, ihn durch „Vorwärtsschauen /zu/ ehren“. Das Stichwort „Gott vor uns“ tritt in Ragaz‘ Baseler Zeit vermehrt auf; es wird gleichsam zum Terminus technicus für das Handeln Gottes, das sich in die Zukunft hinein erstreckt, wie es die Hoffnungen der Glaubenden auf die Zukunft hin ausrichtet. Eine Zukunft freilich, die aus der unmittelbaren Gegenwart hervorbricht, und sich für Ragaz – zumindest in seiner Baseler Zeit – in der sozialen Bewegung manifestiert. Eine „neue Welt“ ist im „Anbruch“, ihre „Geburtswehen“ sind in der Gegenwart zu vernehmen. Gerade in Not und Verheißung des sozialen Kampfes ist die Christenheit für den Gedanken reif geworden, daß „Gott auch ein Gott der Zukunft …, dass er gerade der Gott der Vorwärtswollenden ist“. In diesem Zusammenhang spricht Ragaz davon – und das unterstreicht den sozialen Aspekt seiner Gedankenführung -‚ daß die „Sache Jesu nicht reaktionär, sondern r e v o l u t i o n ä r “ sei, weil Christen von der „kühnste/n/ Hoffnung“ leben. Gott ist nicht mehr nur ein Gott der Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch der Zukunft, der gerade als der zukünftige Gott „auch uns Zukunft und Hoffnung“ gewährt, da er uns “ a u s d e r Z u k u n f t “ entgegenkommt. Der die Welt liebende und richtende Gott offenbart sich ihr als der „Weltgott“, als der „schaffend vorwärts Schreitende, vorwärts Drängende“. Mit Hilfe der Anschauung des „zukünftigen Gottes“ findet Ragaz auch in der für ihn bedrängenden Theodizee-Frage eine Teilantwort. Stellt sich das Problem zunächst in der Weise dar, daß auf der einen Seite der große und heilige Gott steht, auf der anderen Seite eine ungöttliche Welt, so sieht er Gottes Schöpfung als noch „nicht vollendet“ an. Sie ist ein „Entwurf“, ein „Anfang“, aber ihre „Entfaltung“ und „Vollendung“ liegen in der Zukunft, da Gott „vor uns her“ geht.
Er behält recht, aber als der “ k o m m e n d e Gott“. Er „schreitet vorwärts“, und als der „Lebendige“ ist er der „Kommende“. Diese Denkweise entspricht nach Ragaz genau der Bibel. In Ragaz‘ Gottesauffassung erweist sich das dynamische Element, wie es in der Auffassung des „lebendigen“ und „zukünftigen Gottes“ angelegt ist, als bestimmend. Die Auffassung des „lebendigen Gottes“ dominiert gegenüber der des „zukünftigen Gottes“.
Gott als Grund des Reiches Gottes
Die Herkunft des Reiches Gottes
Ragaz‘ Antworten auf die Frage nach dem Grund des Reiches Gottes fallen eindeutig aus.
Er stellt heraus, daß das Reich Gottes “ v o n G o t t “ her kommt. „Woher wollte es sonst kommen?“ Die Eindeutigkeit, die in den Antworten vorherrscht, spiegelt sich auch in ihrer formelhaften, stereotypen Beantwortung wider. Die synonym gebrauchten Worte, die die Herkunft des Reiches Gottes in den Wendungen „vom Himmel“, „von o b e n “ und „von Gott“ beschreiben, sichern die grundsätzliche Unverfügbarkeit des Reiches Gottes.
Dem Vorwurf, daß das Reich Gottes bei den Religiös-Sozialen als eine machbare, verrechenbare Größe gehandhabt wird, stellt sich Ragaz. Gerade er betont die Andersartigkeit des Reiches Gottes gegenüber Christentum und allem Weltwesen, so daß sich dieser Einspruch nicht ernsthaft durchzusetzen vermag. Das Reich Gottes trägt nach Ragaz allein schon deshalb seinen Namen zu Recht, weil in ihm der „Gegensatz zur Welt“ bestechend klar hervortritt. Das ‚Uebernatürliche‘ versteht er nicht als „widernatürlich“‚ sondern als
eine „höhere Wirklichkeit …‚ eben die Wirklichkeit des Reiches Gottes“, die sich von der Gestalt der Welt prinzipiell unterscheidet, aber in sie umgestaltend eintritt und in ihr wirkt. Der Grund des Reiches Gottes liegt in Gott, „sein“ ist das „Reich“, es ist die Wirkung seiner „Macht und Güte“, es kommt durch seine „Kraft“, er „ist“ und „bringt“ es. „Aus dem in die Welt strömenden Leben Gottes soll das G o t t e s r e i c h auf Erden erstehen“, es zeigt sich da, „w o e r h e r r s c h t – nur da“ ‚ wo er „waltet“, es “ e r s t e h t aus dem w i r k l i c h e n G o t t “ und kommt letztlich als „Wunder und Gnade … – von Gott allein“. Die Hoffnung auf die Herrschaft Gottes weckt der lebendige Gott selbst.. Das Reich Gottes ist nicht „von“ dieser Welt, es wirkt aber „in“ der Welt und „für“ sie. Stellt die negative Bestimmung, daß das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist, die Verschiedenheit von Gottes Reich und Welt heraus, so bleibt Ragaz bei dieser Aussage nicht stehen, sondern er leitet über zu einer Hoffnung, die die Erlösung der Welt von dem in die Welt einbrechenden Reich Gottes erwartet. Gerade die Tatsache, daß das Reich Gottes eben nicht von dieser Welt ist, gewinnt bei Ragaz für die Erlösung der Welt insofern Bedeutung, als sie nur durch etwas erlöst werden kann, „was mehr und anders ist als sie“. Die Welt widerstrebt dem Reich Gottes, da sie Elemente des „Eitlen, Nichtigen, Ungöttlichen“ entbindet. Die Spannung, in der sich Welt und Reich Gottes gegenüberstehen, strebt nach Ausgleich. Gerade die Herkunft des Reiches Gottes bürgt dafür, daß die Durchbrüche des Reiches Gottes auf Erden verändernd wirken. Die Frage, ob der Mensch hierbei mithelfen könne, sei noch zurückgestellt. Allein die Bestimmung der Herkunft des Reiches Gottes deutet an, daß das Reich Gottes „Gottes Sache“ ist; es „wächst eben aus Gott, nicht aus der Welt“; es gehört Gott. Diese Aussagen finden darin eine Zuspitzung, daß der Mensch das Reich Gottes nicht schaffen kann. Erst Ragaz‘ antinome Sichtweise aber, die weiß, daß das Reich Gottes nicht ohne den Menschen kommt, erlaubt in dieser Sache ein abschließendes Urteil.
Die Herkunft des Reiches Gottes bleibt freilich primär theologisch bestimmt. Diejenigen Bemerkungen, die die Unterschiedenheit von Welt und Reich Gottes konstatieren, erfahren aber insofern eine Relativierung, als Ragaz nicht die Stationen negiert, die sich auf dem Weg zum eschatologischen Reich Gottes befinden. Die vorfindliche Welt versinkt nicht in einem unterschiedslosen Grau, sondern sie ist auf ihre Veränderbarkeit im Sinne des Reiches Gottes zu betrachten. Das Von-Gott-her findet seine Ergänzung in der Sicht des Zu-Gott-hin.
Das Kommen des Reiches Gottes
Die Erkenntnis, daß das Reich Gottes von Gott her kommt, bleibt für Ragaz auch dann
unumstößliche Gewißheit, wenn er die Art und Weise seines Kommens näher beschreibt.
Behandelt er die Fragen, wie das Reich Gottes erscheint und in welchen Formen es sich entfaltet, äußerst zurückhaltend, so liegt ihm doch sehr viel daran, zu verdeutlichen, was der Mensch tun kann, um dem Kommen des Reiches Gottes nicht unvorbereitet gegenüberzustehen. Von dem Mißverständnis, daß das Reich Gottes durch soziale Veränderungen hervorgebracht werden könnte, distanziert sich Ragaz mehrfach, auch wenn er von dessen „Kommen die Umwälzung“ der bestehenden Verhältnisse erwartet. Bleibt das Kommen des Reiches Gottes letztlich „Gottes Geheimnis“, so stellt Ragaz dennoch verschiedene Formen fest, in denen sich sein Kommen vollzieht. Die Auffassung, daß sich
der „Fortschritt“ auf dem Weg zum Reich Gottes hin durch „langsame Evolution allein“
verwirklicht, schwächt er ab, indem er darauf verweist, daß er ebenso durch „Revolution“, „Krisis“ und „Katastrophe“ heraufgeführt wird. Durch „bloßen Fortschritt“ allein entwickelt sich die Welt allerdings nicht auf das Reich Gottes zu; nur durch „völlige U m k e h r“ erlangt die Welt wie der einzelne Anteil an ihm. Die Buße weist den Weg zum Reich Gottes, u. insofern sie praktiziert wird, spricht Ragaz von einem äußeren “ V o r w ä r t s k o m m e n “ ‚ ja, er bezeichnet sie als „einzige/n/ Weg des Fortschritts im schönsten Sinn dieses Wortes“.
Sie bedeutet für Ragaz das „Aufhören des absoluten Anspruchs“, den das Endliche geltend macht, und den „Beginn der Herrschaft Gottes über das Ich“. Ragaz fällt es schwer, sich von dem Gedanken zu lösen, daß „das Kommen des Gottesreiches ein, wenn auch durch mächtige Katastrophen und Wendungen unterbrochenes, langsames Wachstum sei“. Er selbst stellt aber heraus, daß es vorrangig auf die Einsicht ankommt, daß „Gott den Sieg behält“. Einzelne Beschreibungen, in denen er das Kommen des Reiches Gottes skizziert, legt Ragaz dennoch vor, aber er mißt ihnen lediglich sekundäre Bedeutung bei. Das Reich Gottes kommt nach Ragaz in „stillem Wachstum“ wie in „großen Katastrophen“; einzelne „Ereignisse der Weltgeschichte“ zeigen sein Kommen an. Als nicht unwesentlich stellt er heraus, daß Gott und sein Reich auch “ p l ö t z l i c h “ – „wie der Dieb in der Nacht“ – erscheinen. Gottes Reich kommt auch in „rascher Entwicklung“, in „Katastrophe/n/“ und „Neuschöpfung“ und geht auf ein „Ende“ zu. Diese Sicht zieht erhebliche Konsequenzen für das rechte Warten des Menschen nach sich. Der Begriff der „Katastrophe“ erweist sich theologisch am ertragreichsten, wehrt er doch der Vorstellung, daß sich das Kommen des Reiches
Gottes in einer „kontinuierlichen Linie“, als „Fortschritt … von Stufe zu Stufe“ vollzieht.
Ragaz sieht es auch gegenüber der religiös-sozialen Bewegung als ungerecht an, ihr eine Hoffnung zu unterstellen, die das „Kommen des Reiches Gottes auf den Rosenwolken eines herrlichen Kulturfortschrittes“ erwartet. Das Kommen des Reiches Gottes in großen Katastrophen korrespondiert dem Gerichts- und Bußgedanken. Gerade die religiös-soziale
Bewegung wies, sobald sie vom Kommen des Reiches Gottes sprach, zunächst auf das
„G e r i c h t“ hin, sah sie doch in der „Z u s p i t z u n g des Gegensatzes von Gut und Böse, besser: von Gott und Welt“ ein Zeichen für sein Kommen. Sie tastete aber das „Geheimnis des Kommens Christi und seines Reiches“ nicht an, denn sie verzichtete bewußt auf die Aussagen über „Jahr und Tag“ seines Erscheinens, und sie gab sich auch nicht damit ab, das Aussehen des Reiches Gottes ausschmückend zu beschreiben. Gottes Herrschaft, die sich in der Gegenwart in Gericht und Verheißung zu erkennen gibt, sollte gerade auch in
geschichtlichen Katastrophen und Zusammenbrüchen wahrgenommen werden.
Das Kommen des Reiches Gottes, das ohne Zweifel allein Gottes “ G a b e “ ist, bedarf –
um umgestaltend und befreiend zu wirken – der Bußfertigkeit des Menschen.
Der Glaubende vermag das Reich Gottes zwar nicht herbeizuzwingen, aber er muß sich für dessen Ankunft zurüsten lassen. Die Bußpredigt, die dem Kommen des Reiches Gottes vorausgeht, ihm den Weg bereitet, geht auf Johannes den Täufer und Jesus selbst zurück.
Das „Tut Buße“ schafft die Voraussetzung für die Annahme der Botschaft vom Reiche Gottes, denn ohne eine „gründliche U m k e h r“ zielt die Botschaft vom Reiche Gottes ins Leere. Sie ist „aufs engste“ mit der Forderung nach einer völligen “ U m k e h r “ verbunden, denn Jesus verkündigt die Buße nur im Zusammenhang mit dem Kommen des Reiches Gottes. Die Buße ebnet den Weg zu Gott und seinem Reich, wie Ragaz zugleich betont, daß sich Buße nur da ereignet, wo Gott „nahe ist“. In ihr vollzieht der Mensch „die Wendung von der Welt … zu Gott und seinem Reich“. Diese inhaltliche Grundbestimmung der Buße transzendiert, da Ragaz sie in den Zusammenhang vom gekommenen und kommenden Reich Gottes stellt, das auf die Gott-Mensch-Beziehung eingegrenzte Verständnis der Buße.
Gerade von diesem Ansatz aus gelangt Ragaz über ein „verkirchlichte/s/, dogmatisierte/s/“
Verständnis der Buße hinaus. Setzt das rechte Bußverständnis die Offenheit gegenüber der Wahrheit voraus, „deren letztes Wort Gott ist“, so verdeutlichen die folgenden Anlässe zur Buße, wie Ragaz sie herausarbeitet, seine sich von der dogmatischen Auffassung unterscheidende Sicht. Nach Ragaz stehen der Gestaltung einer neuen Welt vor allem drei „Mächte“ entgegen, die eine „Bekehrung“ verlangen: Der „Unglaube“ an das Erproben neuer Wege und Methoden, der „Egoismus„, der den Prozeß der Gemeinschaftsbildung aufhält, und schließlich das „Hängen am Eigentum, am eigenen Besitz, diese materiellste Form des selbstischen Wesens, die sich aller Umgestaltung des sozialen Lebens als gewaltige Hemmung entgegenstellt“. Ein Zurückdrängen dieser Mächte geschieht nach Ragaz nur durch „eine völlige Umkehr, eine Bekehrung zu Christus“, nicht aber lediglich durch eine Änderung der Verhältnisse. Die Aufforderung zur Buße gewinnt bei Ragaz dadurch, daß die W e l t umkehren muß, wenn das Reich Gottes kommen soll, ihr besonderes Profil, ohne daß er die Umkehr des einzelnen, auch die Frage der persönlichen Schuld, außer acht läßt. Wenn sich der Mensch dem Reich Gottes zur Verfügung stellt, das heißt: „mit der Welt brich/t/, umkehr/t/, und das alles heisst vor allem: leide/t!“, nimmt der Gedanke, daß der Mensch als „Mitarbeiter“ des Reiches Gottes wirkt, konkrete Gestalt an. Für seine Haltung gegenüber der Welt schließt das Flucht und Kapitulation aus, da der einzelne in Ihr als Mitarbeiter Gottes und seines Reiches wirkt. Das Reich, das von Gott her kommt, muß der Mensch „im Glauben und Gehorsam annehmen, sich ihm zur Verfügung stellen, dafür in Gemeinschaft mit Gott arbeiten und kämpfen“. Die Polarität, die das Kommen des Reiches Gottes prägt – es kommt allein von Gott, und es ist doch auch an den Menschen und dessen Mitarbeit gebunden -‚ findet hinsichtlich der Tätigkeit des Menschen eine Konkretisierung, als der Mensch auf das Kommen des Reiches Gottes „warten„, darum „bitten“ und sich ihm „zur Verfügung stellen“ soll. In Ragaz‘ Baseler und Züricher Zeit findet sich für das Tun des Menschen im Sinne des Reiches Gottes der Begriff „Mitarbeiter“, auch spricht er die Erwartung aus, daß man „Gottes Kind“ werden müsse, „um an seinem Reiche Anteil zu bekommen“-, in seinem Spätwerk hingegen bezeichnet er die „Nachfolge“ als das „Mittel“, um das Kommen des Reiches Gottes voranzubringen. Durchgängig findet sich der Gedanke, daß das Reich Gottes durch „göttliche Kräfte, durch Glaube, Liebe, Hoffnung“ kommt, keinesfalls aber durch „menschliche Mache, … Betriebsamkeit oder gar durch Gewalt“.
Da sich der Mensch dem Kommen des Reiches Gottes „glaubend, hoffend, kämpfend, arbeitend /und/ betend“ zur Verfügung stellt, erhebt sich für Ragaz die Frage, ob sich das Reich Gottes auch “ p o l i t i s c h e /r Mittel“ bedienen dürfe. Verneint er zunächst grundsätzlich, daß der Mensch das Kommen des Reiches Gottes herbeiführen kann, so folgt daraus, daß er es auch nicht mit dem politischen Mittel der Gewalt zu erzwingen vermag.
Ragaz konzediert allerdings der Politik – vorausgesetzt jene orientiert sich an einer
„O r d n u n g d e s G e m e i n s c h a f t s l e b e n s “ – , daß sie in der Lage sei, die Gestaltung desselben entsprechend der Intention des Reiches Gottes vorzunehmen. Die Reich-Gottes-Politik-Konnexion bedarf aber einer gesonderten Analyse. Fazit: Das Kommen des Reiches Gottes bindet Ragaz an eine unabdingbare Voraussetzung: die menschliche Bußfertigkeit. Da er die Buße in den Zusammenhang der Botschaft vom Reiche Gottes einordnet, weist sie über das individuelle Verständnis, das auf die Gott- Mensch-Beziehung eingegrenzt ist, hinaus. In der Buße bekennt der Mensch auch seine Hoffnungslosigkeit gegenüber der Welt, eine Hoffnungslosigkeit, die sich darin äußert, das in der Welt zu Verändernde nicht versucht zu haben. Der Mensch, der sich dem Kommen des Reiches Gottes wartend, bittend und arbeitend zur Verfügung stellt, lebt aber gerade auch In der Hoffnung für die Welt, an deren Veränderung er mitwirkt. Die Formen, in denen das Reich Gottes kommt, beschränkt Ragaz nicht auf die Vorstellung eines allmählichen Fortschritts, da es auch plötzlich, in Krisen, Katastrophen und Revolutionen hervorbricht.
Das Wesen des Reiches Gottes
Die Beschreibung in Ist-Sätzen
Wenn Helmut Gollwitzer die „Untauglichkeit von Ist-Sätzen“ für die Beschreibung von Gottes Existenz herausstreicht; in dieser Sache aber zugleich auch die „Notwendigkeit von Ist-Sätzen“ betont, so treffen diese Überlegungen in bestimmter Weise auch für die Reich-Gottes-Beschreibungen zu. Indem Ragaz den Inhalt des Reiches Gottes in Ist-Sätzen erfaßt, eröffnet er e i n e n Verständniszugang zum Reich Gottes; er selbst weist aber zu Recht darauf hin, daß der Begriff des „Reiches Gottes“ erst auf einem „dualistischen Hintergrund seinen rechten Sinn bekommt“. Die Beschreibung des Reiches kann nicht nur in Ist-Sätzen erfolgen, sondern sie ist auch dazu angehalten, dessen eschatologischen Aspekt herauszustellen. Wird dieser Gesichtspunkt eliminiert, kommt der das Reich Gottes prägende und von Ragaz herausgearbeitete dynamische Charakter des Reiches Gottes nicht zur Geltung. Die Beschreibung des Reiches Gottes in Ist-Sätzen bedarf daher der Ergänzung durch diejenigen Aussagen, die den Ereignis- und Geschehenscharakter der Herrschaft Gottes verdeutlichen. Erst wenn beide Aspekte einander zugeordnet und aufeinander bezogen sind, gelangt Ragaz‘ inhaltliches Verständnis vom Reich Gottes zu einer adäquaten Darstellung. Die Grundaussage, die den einzelnen inhaltlichen Beschreibungen des Reiches Gottes vorausgeht, sieht Ragaz in der Bestimmung des Reiches Gottes als Herrschaft Gottes: „Gottes Reich, das ist Gottes Herrschaft auf Erden.“ Dieses Bekenntnis zieht sich durch Ragaz‘ Werk. Es beschreibt nicht nur schlechthin die Herkunft des Reiches Gottes, sondern verdeutlicht auch, daß die einzelnen inhaltlichen Beschreibungen des Reiches Gottes nur in der Bindung an diese Grundaussage zu verstehen und zu interpretieren sind. Gottes Reich ereignet sich da, „wo Gottes Leben gespürt, Gottes Willen getan wird – wo also Gott herrscht“, die „Königsherrschaft Gottes“ waltet. Sein Kommen freilich erfordert „eine völlige Umkehr, ein völliges Umdenken“ des Menschen, bringt es doch eine „Revolution“ ohnegleichen.
Wer sich der Herrschaft Gottes zur Verfügung stellt, partizipiert schon jetzt in dieser Weltwirklichkeit an ihr. Sie hält dort Einzug, wo die „Wirklichkeit Gottes“, wo seine „Heiligkeit und Güte Gestalt gewinnt und sein Wille geschieht“. Die Herrschaft Gottes kann einen einzelnen Menschen ergreifen, sie kann aber auch die Ordnung der Welt tangieren. Die Einsicht allerdings, daß es sich um G o t t e s Güte handelt, die im einzelnen wie in der Welt verändernd wirkt, darf nicht überschattet werden. Die einzelnen Attribute des Reiches Gottes erläutern Gottes Herrschaft. Weil Gott als Vater herrscht, werden „Not und Tod“ gebrochen, sollen „Leben und Freude“ offenbar werden. In der Welt, die von Gottes Herrschaft ergriffen ist, wirken die Kräfte, die sie zur „Stätte der Gerechtigkeit, Liebe und Freude“ umgestalten. Zur Wahrheit des Gottesreiches gehört die Erkenntnis, daß in ihm die „Grundordnung /der/ Liebe“ Gestalt gewinnt. Das Reich Gottes steht daher dem Weltreich, in dem die Gewalt als ein unabänderliches Prinzip wirkt, konträr gegenüber. Der Inhalt des Reiches Gottes erschließt sich nach Ragaz in „einfachen Grundprinzipien“, die nicht als ein unerreichbares Ideal gesetzt sind, sondern nach „Verkörperung“ in der Welt streben. Zu ihnen zählt Ragaz „die Bruderschaft, die Heiligkeit des Menschen, das gegenseitige Dienen, die Herrschaft Gottes und des Menschen über den Mammon und andere Gewalten, die Verbundenheit der Menschen in allen Dingen, den Glauben, die Liebe, die Hoffnung“. Das Wesen des Reiches Gottes ist „Wahrheit, Bruderschaft, Gerechtigkeit und Gottesdienst am Menschen“. Die Herrschaft Gottes verhilft dem Menschen zur Herrschaft über die Natur wie über sich selbst, und zwar in „vollkommene/r/ Freiheit, vollkommene/r/ Reinheit, vollkommene/r/ Freude“. Das Reich Gottes bringt die „Herrschaft der Gerechtigkeit, Freiheit, Wahrheit, Menschlichkeit /und/ Bruderschaft unter den Menschen“ zur Geltung, ja das Reich Gottes „ist d i e G e r e c h t i g k e i t G o t t e s“. Die Grundprinzipien des Reiches Gottes (Herrschaft Gottes, Heiligkeit des Menschen, Bruderschaft) bringen nach Ragaz „ganz von selbst“ die „neue Welt“ hervor. In einer zahlenmäßig umfangreichen Gruppe von Ist-Sätzen hält er die enge Verbindung zwischen Reich Gottes und Welt fest, an einzelnen Stellen konstatiert er gar eine Identität zwischen beiden. Diese Aussagen verdeutlichen, daß das Reich Gottes nicht als „Gefühl, Theorie /und/ Konstruktion“ zu verstehen ist, sondern als „Tatsächlichkeit“, als ein „Zustand, wo Gott Wirklichkeit wird in der Erfüllung seines Willens“. Das Reich Gottes ist „Gottes Wirklichkeit“, es ist eine „handfeste, sichtbare und greifbare irdische Wirklichkeit“, eine Wirklichkeit und keine Idee. So sehr Ragaz betont, daß das Reich Gottes Wirklichkeit, Realität und Welt ist, so ergänzt er diese Aussage nicht unwesentlich, indem er festhält: es ist die Welt, aber die „erlöste und wiedergeborene“ Welt. Das Reich Gottes „besteht in einer aus Gott und in Gott erneuerten Welt“, es ist die „überwundene und erlöste Welt, die wiedergeborene Schöpfung“.
Das Reich Gottes bedeutet „e i n e n e u e W e lt“ ‚ eine durch Gottes Macht „erneuerte Welt“ , aber eben „d i e W e l t , … e i n e n e u e W i r k l i c h k e i t „. Das Reich Gottes ist die Welt, aber es ist eine durch Gott veränderte Welt, eine, in der er herrscht und sein Wille geschieht. Es ist weder rein „geistlich“ noch rein „weltlich“; es ist eine durch den „Geist wieder- geborene Welt“. Der Gegensatz zur vorhandenen Welt gerät da ins Blickfeld, wo an die Stelle der „Herrschaft der Materie“ die „Herrschaft des Geistes, an Stelle des Mammons der Mensch, an Stelle der Macht das Dienen“ tritt. Der Versuch, das Reich Gottes in Ist-Sätzen zu erfassen, setzt sich dem Mißverständnis aus, Reich Gottes und Weit zu identifizieren. Diese Gefahr nimmt Ragaz auf sich, um den realen Weltbezug des Reiches Gottes und dessen umgestaltende und reale Macht zu veranschaulichen. Ist das Reich Gottes eine aus dem Geist erneuerte Weit, so ist es eben nicht nur eine Idee, sondern eine umgestaltete und veränderte Wirklichkeit; zugleich wird aber deutlich, daß eine durch den Geist zu erneuernde Welt nicht identisch mit der vorhandenen Welt sein kann. Dieser Umstand weist auf den dynamischen Charakter des Reiches Gottes hin.
Der dynamisch-funktionale Aspekt
Der Inhalt des Reiches Gottes erschließt sich eher durch die Frage, was die Herrschaft Gottes will und bewirkt, als durch die Versuche, das Reich Gottes in Ist-Sätzen zu beschreiben. Die Gefahr, das Reich Gottes als Gesetz mißzuverstehen, liegt in der Struktur der Ist-Sätze begründet. Dieser Ansatz scheitert da, wo das zum G e s e t z erhobene Reich Gottes als Kriterium der Weltgestaltung benutzt wird, da der eschatologische Aspekt des Reiches Gottes die behauptete Identität zwischen Reich Gottes und Welt immer wieder aufbricht. Einer Verdinglichung des Reiches Gottes, die das vollendete Reich Gottes auf Erden konstatiert, stehen ernsthafte Einwände entgegen. Ragaz versteht das Reich Gottes nicht als ein Gesetz, das “ s c h a b l o n e n h a f t a u f d i e v o r h a n d e n e n W e l t z u s t ä n d e a n z u-
w e n d e n w ä r e“, sondern als die „H o f f n u n g a u f e i n e W e l t, d i e i m K o m –
m e n“ ist. Gerade diesen dynamischen Reich-Gottes-Charakter betont Ragaz, denn das Reich Gottes ist nichts „Ruhendes, sondern ein Werdendes, Kommendes“, so daß die ihr eingestiftete Hoffnung gegen die Resignation steht, „die die Welt sein läßt, wie sie ist“.
Die Hoffnung ist ein konstitutives Element des Reich-Gottes-Glaubens. Schließlich will die Herrschaft Gottes eines bewirken, und dieses Ziel, das die Funktion des Reiches Gottes beschreibt, lautet: „B e f r e i u n g „, „Erlösung“. Diese funktionale Definition prägt das Wesen und den Inhalt des Reiches Gottes in ganz entscheidendem Maße. Die verkündigte und angesagte Befreiung, die durch Gottes Herrschaft heraufgeführt werden soll, vollzieht sich nicht auf einmal: Das Reich Gottes ist zwar schon da, es ist im Kommen, aber es steht auch noch aus. Das Reich Gottes ist in „steter lebendiger Wahrheitsbewegung“, weil Gott selbst als der Lebendige wirkt. Die Erlösung geschieht fragmentarisch; Jesus verkündigte den „Anbruch einer neuen Welt“, er erwartete, daß „Gottes Sache … wachse /und/ siege“.
Ragaz interpretiert die Welt, die von Krisen und Katastrophen heimgesucht ist, als eine Zeit, die dem Neuen zum Durchbruch verhilft, als eine Zeit, auf die eine Erlösung folgt. Denn für Ragaz ist das Reich Gottes „eine Entwicklung, eine Geschichte, ein Kampf“, bei dem die „Macht des Bösen“ gebrochen wird, und es „von Sieg zu Sieg bis zum Endsieg“ geht, allerdings steht dieser Sieg unter eschatologischem und nicht unter innerweltlichem Vorzeichen. Da das Reich Gottes in die Geschichte eingeht, versteht Ragaz Geschichte als „fortschreitende Erlösung“. Er schlägt aber vor, zwischen Historie und Geschichte zu unterscheiden. Während Historie durch „weltimmanente Triebkräfte“ geleitet und bestimmt wird (also nicht von den Kräften des Reiches Gottes), versteht er Geschichte als „Geschehen, als Bewegung auf ein Ziel hin, als Ausdruck eines Sinnes„. Trifft diese Beschreibung zu, dann geht das Reich Gottes nicht nur in die Geschichte ein, sondern es ist „selbst Geschichte„, denn das Reich Gottes ist in Bewegung, und das Ziel der Herrschaft Gottes besteht darin, die Befreiung des Menschen wie der Welt innerweltlich in Gang zu setzen und der eschatologischen Erfüllung zu überantworten. Eine nähere Beschreibung, inwiefern das Reich Gottes Geschichte ist, scheint allerdings vonnöten, da die Elemente „Sinn“, „Geschehen“ und „Ziel“ nicht nur rein funktional, sondern auch inhaltlich präzisiert sein müssen. Anderenfalls verliert sich der Charakter der Herrschaft Gottes ins Nebulose. Die Funktion des Reiches Gottes, die zugleich dessen Wesen prägt, besteht in einer fortschreitenden personalen und welthaften Erlösung, die den dynamischen Charakter des Reiches Gottes unterstreicht.
Das Reich Gottes als:
Herrschaft Gottes
Gottessohnschaft
Bruderschaft des Menschen
Gerechtigkeit Gottes
Zu einem vertieften Verständnis dessen, was Ragaz unter dem Reich Gottes versteht, tragen einzelne, oft wiederkehrende Bestimmungen bei. Treten sie in der Form von Ist-Sätzen auf (das Reich Gottes ist …), so droht die Gefahr der Vergesetzlichung des Reiches Gottes.
An dem Gesichtspunkt, daß sich das Reich Gottes hier auf Erden verwirklicht, sich der Mensch ihm arbeitend zur Verfügung stellt, entzündet sich Ragaz‘ Interesse. Wo er dogmatische Grenzbestimmungen vornimmt, antwortet er zumeist auf polemische Angriffe.
Sein zentrales Anliegen kommt in diesen Überlegungen nicht zur Sprache. Ragaz versteht das Reich Gottes als H e r r s c h a f t G o t t e s, als eine Herrschaft, die nicht in sich selbst ruht, sondern auf die „Umgestaltung der Erde nach seinem Willen“ aus ist. In dieser Bestimmung erkennt Ragaz das zentrale Anliegen der Herrschaft Gottes: Gott soll herrschen auf Erden, seiner Herrschaft soll ein „neuer Himmel und eine neue Erde“ entsprechen. Indem das Reich Gottes die Welt zu „seiner Stätte machen“ will, überläßt es die Welt nicht ihrem Schicksal, sondern geht daran, „sie für G o t t zu gewinnen“. Gott soll zur Herrschaft kommen und mit ihm der „b e f r e i t e M e n s c h“. Die Hoffnung, daß Gottes Wirklichkeit alles Leben ergreift und umgestaltet, verbindet Ragaz mit der Vorstellung der „Theokratie“, die sich allerdings nicht durch „Zwang“ und „politische Formen“ am Leben erhält, sondern in “ F r e i h e i t u n d L i e b e “ realisiert. Diese Theokratie, die er als eine „freie Theokratie“ charakterisiert – im Gegensatz zur Theokratie der Religion, die einen religiösen Staat anstrebt -‚ kann sich nur dann durchsetzen, wenn Gott unter den Menschen eine „stärkere Wirklichkeit“ wird. Würdigt Ragaz am katholischen Verständnis der Theokratie das universale Element, so kritisiert er dessen kirchliche Engführung, während er das protestantische Verständnis hinsichtlich des laienhaften Elementes unterstützt, aber die Verdrängung des universalen Aspektes, besonders im Luthertum, mißbilligt. Die Botschaft vom Reich Gottes verkündigt Gottes Herrschaft „über alle Wirklichkeit, ihren Sieg über alles, was nicht Gott ist“. Sie findet in den Begriffen der „Gottessohnschaft“ bzw. „Gotteskindschaft“ und „Bruderschaft“ des Menschen, die Ragaz zwar bereits vor seinem Reich-Gottes-Erlebnis benutzte, aber in sein späteres Reich-Gottes-Verständnis einträgt, eine inhaltliche Konkretisierung. Denn für Ragaz artikuliert sich in Jesu Botschaft vom Reich Gottes das „Verhältnis Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott und zum Bruder“. Im Begriff der „Gottessohnschaft“ bzw. „Gotteskindschaft“ ist das Verhältnis Gottes zum Menschen in der Weise erfaßt, als der Mensch als „Gottes Kind“ zu „königlicher F r e i h e i t“ berufen ist, zu einer Freiheit, die dem „u n v e r g l e i c h l i c h e /n/ W e r t d e r S e e l e“ entspricht.
Diese Freiheit schützt den einzelnen vor unechten Bindungen an die Welt, da „von Gott her d e r M e n s c h zu seinem Recht“ kommt. Nach Ragaz haben besonders Paulus und Luther die „Heiligkeit des Menschen“, den „unendlichen Wert der Seele“, eben die Gotteskindschaft des Menschen, vorzüglich herausgearbeitet. Zu gering wäre bei ihnen der Gedanke der B r u d e r s c h a f t des Menschen entwickelt. In ihm geht es um die „Z u s a m m e n –
g e h ö r i g k e i t d e r M e n s c h e n v o r G o t t „, ihre gegenseitige „Verbundenheit und Verantwortlichkeit“, so daß gerade die Bruderschaft als Ideal des Gottesreiches einen Zugang zur sozialen Wirklichkeit eröffnet. Ragaz‘ Gedankenführung stellt die unbedingte Verantwortlichkeit dem Nächsten gegenüber prononciert heraus, da der einzelne „Vergebung, Hilfe … /und/ Gotteserkenntnis nur in Verbindung“ mit dem Bruder bekäme.
Wir sind „Genossen der Schuld und der Gnade“. Diese Sicht eröffnet gewiß neue Einsichten, da sie ein rein individualistisches Gott-Mensch-Verhältnis in Frage stellt; sie bedarf aber selbst der Ergänzung durch den Gedanken der Gottessohnschaft. Das Wesen des Reiches Gottes erschließt sich vom Verständnis der G e r e c h t i g k e i t Gottes. Formal betrachtet bedeutet sie „einfach alles, w a s v o r G o t t r e c h t ist“, was Gott vom Menschen fordert, denn das Reich Gottes ist die Gerechtigkeit Gottes. Diese Beschreibung versteht Ragaz nicht als ein abstraktes Postulat, das losgelöst von der Wirklichkeit ein Eigendasein führt, sondern als einen Hinweis darauf, daß es im Reiche Gottes um die „Gerechtigkeit für die Erde“ geht, um eine Gerechtigkeit also, die in der Welt Gestalt annehmen will. Die Gerechtigkeit, die die Losung des Reiches Gottes ist, beschreibt Ragaz nicht nur formal, sondern auch material. Das, was vor Gott recht ist, zeigt das Doppelgebot der Liebe.
Diese erste materiale Grundorientierung reichert Ragaz um wesentliche Einsichten an. Grundsätzlich hält er daran fest, daß der Gerechtigkeit des Reiches Gottes über den individuellen Aspekt hinaus politische und soziale Relevanz zukommt. Die Gerechtigkeit des Reiches Gottes gilt für „alle Menschen, besonders die Armen und Verkürzten“. Dieses Postulat zieht Konsequenzen im sozialen Bereich nach sich. Die Forderung nach einem „gleichen Anteil an den Gütern der Erde“ verdeutlicht das anschaulich. Die Gerechtigkeit des Reiches Gottes gerät daher gegenüber denjenigen weltlichen Strukturen und Verhältnissen in Widerspruch, deren Charakter einer sozialen Gleichheit der Menschen entgegensteht.
Die Gerechtigkeit des Reiches Gottes setzt Ragaz hinsichtlich des Individuums mit der Erlösung des einzelnen gleich: also Erlösung von „Schicksal, Schuld, Krankheit, Not und Tod“. Beide Aspekte, der individuelle wie der soziale, verdeutlichen, auf welchen Gebieten sich der Kampf zwischen Reich Gottes und Welt vollzieht, und zwar im Glauben und Tun.
Die Struktur des Reiches Gottes
Die vereinseitigte eschatologische Reich-Gottes-Erwartung
Die Ewigkeitshoffnung gehört für Ragaz zum „unantastbaren Bestand der Gottesreichshoffnung“, aber er weist ihr innerhalb seines theologischen Denkens keinen eigenständigen Ort zu. Das Thema „Eschatologie“, das gewöhnlich als Lehre von den letzten Dingen im Schlußkapitel der Dogmatik verhandelt wird, entfaltet er i n n e r h a l b seiner Reich-Gottes-Theologie. Die vereinseitigte eschatologische Reich-Gottes-Erwartung, die den „Schauplatz des Gottesreiches von der Erde weg in den Himmel“ verlegt, unterzieht Ragaz einer eingehenden Kritik. Als treibendes Motiv dieser kritischen Wertung muß Ragaz‘ Sicht der Welt, die ihre Sinngebung vom Reich Gottes her erfährt, beachtet werden. Theologie und Christentum bringen in ihrer Stellung zur Welt zwei sich konträr gegenüberstehende Sichtweisen hervor: Die eine vergöttert und stabilisiert die Welt, die andere ist vorrangig an deren Umgestaltung interessiert. Die vereinseitigte eschatologische Reich-Gottes-Erwartung rechnet Ragaz derjenigen Haltung zu, die die Weit in dem Zustand beläßt, in dem sie sich befindet. Die Hoffnung auf das eschatologische Reich Gottes, die „Jenseitshoffnung“, trägt, sobald ihr eine absolute Stellung eingeräumt wird, dazu bei, die „Diesseitshoffnung“ zu untergraben. Indem das Reich Gottes ausschließlich ins Jenseits verlegt wird, vollzieht sich nach Ragaz „d i e Entstellung“ der Sache Christi, da der Gegenwartsbezug des Reiches Gottes gegenüber der rein eschatologischen Reich-Gottes-Erwartung eine veränderte Sicht der Welt bedingt. Wenn das Reich Gottes erst im Himmel begönne, so wäre dessen Botschaft nicht mehr als eine „Weisung“, um in diesen „jenseitigen Himmel“ zu gelangen. Der aus der sozialistischen Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie erhobene Vorwurf, daß das Christentum den einzelnen dazu anhält, „zum Himmel emporzuschauen und darüber die Erde zu vergessen“, sieht Ragaz als ein schweres Mißverständnis der Botschaft Jesu an. Er konzediert aber, daß Theologie und Kirche zu dieser Einschätzung nicht unwesentlich beigetragen haben. Ja, es scheint so, als ob ein „Wechselverhältnis“ in der Weise vorläge, „daß mit dem Abnehmen der jenseitigen die diesseitige Hoffnung entsprechend zunähme“.
Dieser Auffassung stimmt Ragaz nicht zu, aber er sieht die Gefahr, daß die eschatologische Hoffnung dazu mißbraucht wird, die „Hungrigen auf den Himmel zu vertrösten“. Die Verkürzung des Reiches Gottes auf seinen eschatologischen Aspekt trägt dazu bei, die „irdischen Aufgaben des Gottesreiches“ zu vernachlässigen. Die Ewigkeitshoffnung darf aber nicht zum „Ersatz für die Dürftigkeit des Standes der Sache Gottes auf Erden“ werden.
Das Reich Gottes führt nach Ragaz „a u c h über das Grab“ hinaus. Seine Kritik richtet sich allein gegen den Versuch, es a u s s c h l i e ß l i c h eschatologisch zu verstehen. Diese Interpretation vollzieht Ragaz nicht nur nicht mit, sondern er kritisiert diese rein eschatologische Sicht. In ausgeprägter Form tritt sie ihm in der radikal eschatologischen Schule wie in der dialektischen Theologie entgegen. Die vereinseitigte eschatoiogische Sicht entbindet den einzelnen von seiner Weltverantwortung. Ragaz hingegen stellt gerade heraus:
„Wir wollen nicht die in schlechten Wohnungen Verkümmernden vertrösten auf die ewigen Hütten, wollen nicht die unter der Arbeitslast Seufzenden mit dem Ausblick auf den himmlischen Sabbath abfinden, nicht die irdische Ungerechtigkeit durch die einstige Ausgleichung der Ewigkeit verdecken.“ Die verabsolutierte eschatologische Auffassung des Reiches Gottes beläßt die Welt so, wie sie ist, da sich Gott und Welt diastatisch gegenüberstehen. Sie trägt nicht unwesentlich dazu bei, gegenüber der Welt eine quietistische Haltung einzunehmen. Immerhin charakterisiert sie eine Grundhaltung, die bereit ist, die Welt zu verändern, als „Schwärmerei, … Utopismus, … Titanismus, Evolutionismus /und/ Optimismus“. Die vereinseitigte eschatologische Reich-Gottes-Erwartung wirkt in ihrer Weltbeziehung de facto als eine „e s c h a t o l o g i s c h e H e m m u n g „, da der Blick auf das Eschaton die Probleme der Welt einebnet, ja vergleichgültigt. Gegen diese Vereinseitigung, ohne die eschatologische Erwartung zu eliminieren, brachte Ragaz vor allem von seinem auf die Welt gerichteten Reich-Gottes-Verständnis seine Einwände vor.
Das Reich Gottes für die Erde
Gegen die vereinseitigte eschatologische Reich-Gottes-Erwartung stellt Ragaz – wenn auch zuweilen pointiert – die Erwartung des Reiches Gottes für die Erde heraus. Die Veränderung im Verständnis des Reiches Gottes, die damit angezeigt ist, betrifft weniger den Inhalt des Reiches Gottes als vielmehr dessen Richtung. Die Hoffnung, die sich auf das Eschaton konzentrierte, nahm eine Wendung um 180 Grad. An der zweiten Bitte des Vaterunsers verdeutlicht Ragaz wiederholt sein auf die Erde gerichtetes Reich-Gottes-Verständnis.
Er formuliert: „Wir beten nicht: ‚Laß uns in dein Reich kommen‘, sondern: ‚Dein Reich komme zu uns‘.“ Die mit dem Reich-Gottes-Glauben einhergehende Hoffnung richtet sich also nicht primär auf das Jenseits, sondern auf das Diesseits. Die Hoffnungen, die das Christentum in den „fernen Himmel verlegte“, sollten sich „auf Erden“ realisieren. Die Erwartung richtet sich auf das Reich Gottes „im Diesseits“. „Hoffen, Sehnen /und/ Glauben“ nehmen eine diesseitsbezogene „Richtung“, ohne daß Ragaz die eschatoiogische Reich-Göttes-Hoffnung verkürzt. Er setzt keinesfalls an die Stelle des „Jenseits“ eine „irdische Weltvollendung“, aber er scheidet streng zwischen der traditionell christlichen Sicht, die das Reich Gottes „von der Erde weg … in ein Jenseits der Erde“ verlegt, und der biblischen Auffassung, nach der das von Gott her kommende Reich „in die Welt einbricht“. Diese Unterscheidung ist für Ragaz von so elementarer Bedeutung, daß er die Erneuerung der biblischen Sicht als „eine fundamentale Revolution der Sache Christi“ kennzeichnet. Während im Christentum der Weg von der „Erde zum Himmel, vom Diesseits zum Jenseits“ geht, verläuft er im Reiche Gottes „vom Himmel zur Erde oder vom Jenseits zum Diesseits“. Ist das Reich Gottes auch nicht von der Erde, so nimmt Ragaz‘ Reich-Gottes-Hoffnung die Vorstellung auf, daß „ewiges Leben, Himmel /und/ Jenseits“ hier auf Erden ihr „Reich aufrichten“, daß „Himmel“ und „Jenseits“ der Erde nahe sind. Die auf die Erde gerichtete Reich-Gottes-Hoffnung begrenzt Ragaz aber nicht auf sie, denn erst das sich von der Welt unterscheidende jenseitige Reich Gottes kann die Welt befreien und erlösen. Die so verstandene Jenseitshoffnung tritt nicht als „Hemmung der Diesseitshoffnung“ auf, sondern als ihre „Fortsetzung“, zumal beide auf den hinter den „vorhandenen Weltwirklichkeiten“ schaffenden Gott zurückgehen. Das Reich Gottes, das „schon mitten in der Zeit“ wirkt“, tritt uns in Jesus Christus anschaulich entgegen. Er ist der „Bürge der neuen Welt“. Der lebendige Gott, der sich in ihm offenbart, erweist sich auch als der in der G e g e n w a r t sein „Reich Schaffende“. In der Botschaft vom Gottesreich auf Erden sieht Ragaz die „g r o ß a r t i g s t e Losung, die die Geschichte für die Zukunftshoffnung der Menschheit“ hervorbrachte. Die in ihr ausgesprochene „Verheißung“ richtet sich auf die „U m g e s t a l t u n g der Welt“‚ zumal die Erwartung auf das in die Welt kommende Reich Gottes mit dem Glauben an eine „Weltüberwindung und Weltverwandlung“ einhergeht. Die auf die Welt gerichtete Hoffnung, die sich am Reich Gottes orientiert, hat dazu beigetragen, daß Ragaz mit den sozialen Kräften zusammenarbeitete – auch mit dem „moderne/n/ Proletariat“ – , die für eine Veränderung der Welt eintraten. Wenn das auf die Veränderung der Welt gerichtete Streben mit „Notwendigkeit die Form der H o f f n u n g “ annimmt, so steht das Tun, das für die Welt Besserung schafft, nicht im Widerspruch zur eschatologischen Hoffnung. Es versucht lediglich, im Blick auf das Eschaton das Mögliche im Jetzt zu realisieren.
Dieses Tun löst die Spannung zwischen dem gekommenen, kommenden und noch ausstehenden Reich Gottes nicht auf, aber es mildert sie. Daher gilt es: auf „das Letzte /zu/ sehen und doch in seinem Lichte das Vorhandene tun, … auf alles gefasst sein und doch gerade in dieser Gefasstheit Gottes Werk verrichten, … auf den Kommenden warten und doch dem Gegenwärtigen dienen – dem ewig Gegenwärtigen, dem überall und immer alles dienen soll und kann“.