Sören Kierkegaard: Über Abraham aus „Furcht und Zittern“ (1843
Der grausame und der barmherzige Gott
Die Opferung Isaaks in der biblischen, jüdischen und christlichen Literatur
und in der Kunst des 11. bis 13. Jahrhunderts in Italien
Glaube und Unvernunft bei Søren Kierkegaard.
Glaube und Unvernunft bei Søren Kierkegaard.
Glaube und Unvernunft bei Søren Kierkegaard.
Olaf Latzel 08.09.2019 – Eine großartige Verheißung
Bibelstunde am 24.08.2022
Als in Holland einmal die Preise für Gewürze etwas flau wurden, da ließen die Kaufleute ein paar Ladungen im Meer versinken, damit der Preis wieder hochgeschraubt würde.
Ist es Ähnliches, was wir in der Welt des Geistes benötigen?
SÖREN KIERKEGAARD
Nicht bloß in der Welt des Handels, sondern auch in der Ideenwelt veranstaltet unsere Zeit <einen wirklichen Ausverkauf>. Alles ist für einen solchen Spottpreis zu haben, daß es eine Frage wird, ob es zuletzt noch jemanden gibt, der bieten will. Jeder spekulative Marqueur, der gewissenhaft den bedeutungsvollen Gang der neueren Philosophie pointiert, jeder Privatdozent, Repetent, Student, jeder Randsiedler und Eingesessene in der Philosophie bleibt nicht dabei stehen, an allem zu zweifeln, sondern geht weiter. Vielleicht würde es nicht an der Zeit und unpassend sein, sie zu fragen, wo sie denn eigentlich hinkommen, aber höflich und bescheiden ist es wohl, es für ausgemacht anzusehen, daß sie an allem gezweifelt haben, da es ja sonst eine sonderbare Rede wäre, daß sie weitergingen.
Cartesius, ein ehrwürdiger, demütiger, redlicher Denker, dessen Schriften gewiß niemand lesen kann, ohne zutiefst bewegt zu werden, er hat getan, was er sagte, und gesagt, was er getan hat. Ach, ach, ach, dies ist eine große Seltenheit in unserer Zeit! Cartesius hat, wie er selbst oft genug wiederholt, nicht gezweifelt im Verhältnis zum Glauben.
Denken wir immer daran, wie gesagt, daß diesem natürlichen Licht nur so lange zu glauben ist, solange nichts Gegenteiliges von Gott selbst offenbart wird ... Außerdem aber ist unserem Gedächtnis als oberste Regel einzuprägen, daß das, was uns von Gott offenbart ist, als Gewissestes von allem geglaubt werden muß; und wenn auch vielleicht das Licht der Vernunft, so klar und einleuchtend es scheint, uns etwas anderes suggerieren will, dennoch der göttlichen Autorität alleine mehr als unserem eigenen Urteil zu glauben wäre.
Er hat nicht gerufen: Es brennt! und es zur Pflicht für alle gemacht, zu zweifeln, denn Cartesius war ein stiller, einsamer Denker und kein schreiender Nachtwächter; er hat bescheiden eingestanden, daß seine Methode nur für ihn selbst Bedeutung habe und zum Teil in seinem früheren verpfuschten Wissen ihren Grund habe. Was jene alten Griechen, die sich doch auch ein bißchen auf Philosophie verstanden, als eine Aufgabe für das ganze Leben nahmen, weil die Fähigkeit zu zweifeln nicht in Tagen und Wochen zu erwerben ist, was jener alte ausgediente Kämpfer erreichte, der das Gleichgewicht des Zweifels bewahrt hatte durch alle Verstrickungen, unerschrocken die Gewißheit der Sinne und des Gedankens verneint, unbestechlich der Angst der Selbstliebe und den Einflüs- terungen des Mitgefühls getrotzt hatte, – damit beginnt in unserer Zeit jeder. In unserer Zeit bleibt keiner beim Glauben stehen, sondern jeder geht weiter. Eine Frage danach, wo sie dann hinkommen, würde vielleicht tollkühn sein, dagegen ist es wohl ein Zeichen von Lebensart und Bildung, wenn ich annehme, daß jeder den Glauben hat, da es sonst eine sonderbare Rede sein würde: weiterzugehen. In jenen alten Tagen war dies anders, da war der Glaube eine Aufgabe für das ganze Leben, weil man annahm, daß die Fähigkeit zu glauben nicht in Tagen oder Wochen erworben werde. Wenn da der geprüfte Greis sich seinem Lebensende näherte, hatte er den guten Streit gekämpft und den Glauben bewahrt [2. Tim. 4, 7], da war sein Herz jung genug, um nicht Angst und Beben zu vergessen, die den Jüngling züchtigten, die der Mann wohl beherrschte, denen aber kein Mensch ganz entwächst – außer insoweit es dadurch glücken sollte, so früh wie möglich weiterzugehen. Wo dann jene ehrwürdigen Gestalten hingelangten, da beginnt in unserer Zeit
jeder, um weiterzugehen.
S T I M M U N G
Es war einmal ein Mann, der hatte als Kind jene schöne Erzählung [1. Mose 22] gehört, wie Gott Abraham versuchte und wie dieser die Versuchung bestand, den Glauben bewahrte und zum zweiten Male einen Sohn wider Erwarten bekam. Als er älter wurde, las er die ganze Erzählung mit noch größerer Bewunderung, denn das Leben hatte getrennt, was in der frommen Einfalt des Kindes verbunden gewesen war. Je älter er wurde, desto öfter wandten sich seine Gedanken dieser Erzählung zu, seine Begeisterung wurde stärker und stärker, und doch konnte er die Erzählung immer weniger und weniger verstehen. Zuletzt vergaß er alles andere über ihr; seine Seele hatte nur einen Wunsch: Abraham zu sehen, und nur eine Sehnsucht: Zeuge gewesen zu sein bei dieser Begebenheit. Sein Begehren war es nicht, die schöne Gegend des Orients zu sehen, auch nicht die irdische Herrlichkeit des gelobten Landes, nicht jenes gottesfürchtige Ehepaar, dessen Alter von Gott gesegnet wurde, nicht die ehrwürdige Erscheinung des betagten Patriarchen, nicht die übermütige Jugend des von Gott geschenkten Isaak,- er hätte nichts dagegen gehabt, daß dasselbe auf einer unfruchtbaren Heide vor sich ginge. Sein Verlangen war es, die Dreitagereise mitzumachen, als Abraham mit der Trauer vor sich und Isaak an seiner Seite dahinritt. Sein Wunsch war es, dabeigewesen zu sein in der Stunde, als Abraham seine Augen erhob und den Berg Morija in der Ferne sah, in der Stunde, als er die Esel zurückließ und allein mit Isaak auf den Berg ging; denn das, was ihn beschäftigte, war nicht das kunstreiche Weben der Phantasie, sondern der Schauder des Gedankens. Jener Mann war kein Denker, er fühlte nicht den Drang, über den Glauben hinauszukommen; es schien ihm das Herrlichste, als dessen Vater in der Erinnerung zu bleiben, war es doch ein beneidenswertes Los, ihn zu besitzen, auch wenn es niemand wußte. Jener Mann war kein gelehrter Exeget, er konnte nicht Hebräisch; hätte er Hebräisch gekonnt, dann hätte er vielleicht die Erzählung und auch Abraham leicht verstanden.
I «Und Gott versuchte Abraham und sagte zu ihm: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebst, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn dort zu einem Brandopfer auf dem Berge, den ich dir zeigen will» [1. Mose 22, 1-2]. Es war ein früher Morgen. Abraham stand zeitig auf, ließ die Esel satteln und verließ mit lsaak seine Wohnstätte, Sara aber sah ihnen vom Fenster aus nach, hinab ins Tal, bis sie sie nicht mehr sah. Sie ritten schweigend drei Tage lang, am Morgen des vierten Tages sagte Abraham noch immer kein Wort, sondern erhob seine Augen und sah den Berg Morija in der Ferne. Er ließ die Knechte zurück und ging allein mit lsaak an der Hand auf den Berg. Aber Abraham sprach zu sich selbst: «Ich möchte doch vor lsaak nicht verheimlichen, wohin ihn dieser Gang führt.» Er blieb stehen, legte seine Hand zu einem Segen auf lsaaks Haupt, und Isaak beugte sich, um den Segen entgegenzunehmen. Und Abrahams Angesicht war voll väterlicher Liebe, sein Blick war mild, seine Worte klangen ermahnend. Aber Isaak konnte ihn nicht verstehen, seine Seele konnte sich nicht erheben; er um faßte Abrahams Knie, er warf sich flehentlich vor seine Füße, er bat um sein junges Leben, um seine hoffnungsvolle Zukunft, er erinnerte an die Freude im Hause Abrahams, und er erinnerte an den Kummer und an die Einsamkeit. Da richtete Abraham den Jungen wieder auf, nahm ihn an die Hand und ging weiter, und seine Worte waren voll Trost und Ermahnung. Aber Isaak konnte ihn nicht verstehen. Er bestieg den Berg Morija, aber Isaak verstand ihn nicht. Da wandte er sich einen Augenblick von ihm ab, aber als Isaak das Angesicht Abrahams wieder zu sehen bekam, da war es verändert, sein Blick war wild, seine Erscheinung war entsetzlich. Er packte Isaak an der Brust, warf ihn an die Erde und sagte: «Dummer Junge, glaubst du, ich sei dein Vater? Ich bin ein Götzenverehrer. Glaubst du, es ist Gottes Befehl? Nein! Es ist meine Lust.» Da erbebte Isaak und rief in seiner Angst: «Gott im Himmel, erbarm dich meiner, Gott Abrahams, erbarm dich über mich; habe ich keinen Vater auf Erden, so sei du mein Vater!» Aber Abraham sagte leise bei sich selbst: «Herr im Himmel, ich danke dir; es ist doch besser, daß er glaubt, ich sei ein Unmensch, als daß er den Glauben an dich verlöre.»
Wenn das Kind entwöhnt werden soll, dann schwärzt die Mutter ihre Brust; es wäre ja auch herzlos, daß die Brust lieblich aussähe, wenn das Kind sie nicht bekommen darf. So jedoch glaubt das Kind, die Brust habe sich verändert; aber die Mutter, sie ist dieselbe geblieben, ihr Blick ist zärtlich und behutsam wie immer. Wohl dem, der nicht schrecklichere Mittel benötigt, um das Kind zu entwöhnen!
So und auf viele ähnliche Weisen dachte jener Mann, von dem wir erzählen, über diese Begebenheit nach. Jedesmal, wenn er von einer Wanderung zum Berg Morija heimgekehrt war, sank er vor Müdigkeit zusammen, faltete seine Hände und sagte: «Niemand war doch so groß wie Abraham, wer ist dazu imstande, ihn zu verstehen?»
L O B R E D E A U F A B R A H A M
Falls im Menschen kein ewiges Bewußtsein herrschte, falls allem nur eine wild gärende Macht zugrunde läge, die, sich in dunklen Leidenschaften windend, alles vollbrächte, was wäre dann groß und was wäre unbedeutend; wenn eine bodenlose Leere, die durch nichts zu sättigen ist, sich hinter allem verstecken würde, was wäre dann das L.eben anderes als Verzweiflung? Falls es sich so verhielte, falls es kein heiliges Band gäbe, das die Menschheit verknüpfte, wenn so ein Geschlecht nach dem anderen erwachte wie das Laub im Walde, wenn ein Geschlecht das andere ablöste wie der Vogelsang im Walde, wenn das Menschengeschlecht durch die Welt ginge, wie das Schiff durchs Wasser zieht, wie der Wind durch die Wüste streift, ein gedankenloses und unfruchtbares Tun und Treiben, falls ein ewiges Vergessen immer hungrig auf seine Beute lauerte und keine Macht stark genug wäre, ihm diese zu entreißen, – wie wäre dann das Leben leer und trostlos!
Keiner soll vergessen werden, der in der Welt groß war; aber jeder war groß auf seine Weise, und jeder im Verhältnis zur Größe dessen, den er liebte. Denn der, der sich selbst liebte, wurde groß durch sich selbst, und der, der andere Menschen liebte, wurde groß durch seine Hingabe, aber der, der Gott liebte, wurde größer denn alle. Jeder soll in der Erinnerung bleiben, aber jeder wurde groß im Verhältnis zu seiner Erwartung. Einer wurde dadurch groß, daß er das Mögliche erwartete; ein anderer dadurch, daß er das Ewige erwartete; aber der, der das Unmögliche erwartete, wurde größer denn alle. Jeder soll in der Erinnerung bleiben, aber ein jeder wurde groß ganz im Verhältnis zu der Größe, mit der er kämpfte. Denn der, der mit der Welt rang, wurde dadurch groß, daß er die Welt überwand, und der, der mit sich selbst stritt, wurde größer, indem er sich selbst überwand; aber der, der mit Gott kämpfte, wurde größer denn alle. So wurde in der Welt gestritten, Mann gegen Mann, einer gegen Tausende, aber der, der mit Gott stritt, war größer denn alle. So wurde auf der Erde gerungen: da war der, der alles mit seiner Kraft überwunden hat, und da war der, der Gott durch seine Ohnmacht überwunden hatte. Da war der, der auf sich selbst vertraute und alles gewann, da war der, der, seiner Stärke sicher, alles opferte, aber der, der Gott vertraute, war größer denn alle. Da war der, der groß durch seine Kraft war, und der, der groß durch seine Weisheit war, und der, der groß durch seine Hoffnung war, und der, der groß durch seine Liebe war, aber Abraham war größer denn alle, groß durch die Kraft, deren Stärke Ohnmacht ist, groß durch die Weisheit, deren Geheimnis Torheit ist [1. Kor. 3, 18], groß durch die Hoffnung, die als Wahnsinn erscheint, groß durch die Liebe, die ein Haß gegen sich selbst ist.
Durch den Glauben wanderte Abraham aus dem Lande der Väter aus und wurde ein Fremdling im Lande der Verheißung [Hebr. 11, 9]. Er ließ eines zurück, eines nahm er mit sich; er ließ seinen irdischen Verstand zurück und nahm den Glauben mit sich; sonst wäre er wohl nicht ausgewandert, sondern hätte gedacht, dies sei ja doch sinnlos. Durch den Glauben war er ein Fremdling im Lande der Verheißung, und da war nichts, das ihn an das ihm Teure erinnerte, sondern alles verlockte durch seine Neuheit seine Seele zu wehmütiger Sehnsucht. Und doch war er der Auserwählte Gottes, an ihm hatte der Herr Wohlgefallen! Ja, wäre er ein Verworfener gewesen, verstoßen von Gottes Gnade, dann hätte er das besser fassen können, nun aber war dies ja wie ein Spott über ihn und über seinen Glauben. Denjenigen gab es auch in der Welt, der als ein Verwiesener aus dem Vaterlande lebte, welches er liebhatte. Er ist nicht vergessen, auch nicht seine Klagegesänge, wenn er in Wehmut das Verlorene suchte und fand. Von Abraham gibt es kein Klagelied. Es ist menschlich, zu klagen, menschlich auch, mit den Weinenden zu weinen, aber größer ist es, zu glauben, seliger, den Glaubenden zu betrachten. Durch den Glauben empfing Abraham die Verheißung [Gal. 3, 8], daß in seinem Samen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollten. Die Zeit ging hin, die Möglichkeit eröffnete sich, Abraham glaubte; die Zeit ging hin, es wurde zum Widersinn, Abraham glaubte. Da war der in der Welt, der auch eine Erwartung besaß. Die Zeit ging hin, der Tag neigte sich, er war nicht erbärmlich genug dazu, daß er seine Erwartung hätte in Vergessenheit geraten lassen, dafür soll er auch nicht vergessen werden. Da ward er betrübt, und die Trauer betrog ihn nicht, wie das Leben es getan hatte, sie tat für ihn alles, was sie konnte, durch die Süßigkeit der Trauer gelangte er in den Besitz seiner ihn enttäuschenden Erwartung.
Es ist menschlich, zu trauern, es ist menschlich, mit dem Trauernden zu trauern, aber es ist etwas Größeres, zu glauben, seliger ist es, den Glaubenden zu betrachten. Von Abraham haben wir kein Trauerlied. Er zählte nicht wehmütig die Tage, während die Zeit verstrich, er betrachtete Sara nicht mit argwöhnischen Blicken, ob sie etwa alt werde, er hielt nicht den Gang der Sonne an, damit Sara nicht altern sollte und mit ihr seine Erwartung, er sang nicht im geheimen für Sara seinen wehmütigen Kehrreim. Abraham wurde alt, Sara zum Spott im Lande, und doch war er der Auserwählte Gottes und ein Erbe der Verheißung, daß in seinem Samen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollten. Wäre es dann nicht besser gewesen, nicht der Auserwählte Gottes zu sein? Was ist das, der Auserwählte Gottes zu sein? Bedeutet es etwa, daß in der Jugend der Wunsch der Jugend verweigert wird, um mit großer Beschwerlichkeit im Alter erfüllt zu werden? Aber Abraham glaubte und hielt an der Verheißung fest. Wenn Abraham gewankt hätte, dann hätte er sie aufgegeben. Er hätte zu Gott gesagt: «Dann ist es vielleicht doch nicht dein Wille, daß dies geschehen soll, dann will ich den Wunsch aufgeben; es war mein einziger, es war meine Seligkeit. Meine Seele ist aufrichtig, ich verberge nicht heimlich einen Groll, weil du es verweigert hast.» Er würde nicht vergessen werden, er würde viele durch sein Beispiel ermuntert haben, aber er wäre doch nicht der Vater des Glaubens geworden; denn es ist etwas Großes, seinen Wunsch aufzugeben, aber es ist etwas Größeres, daran festzuhalten, nachdem er aufgegeben wurde; es ist etwas Großes, das Ewige zu erfassen, aber es ist etwas Größeres, das Zeitliche festzuhalten, nachdem es aufgegeben worden ist. – Dann kam die Erfüllung der Zeit. Hätte Abraham nicht geglaubt, dann wäre wohl Sara gestorben vor Leid, und Abraham, stumpfsinnig vor Gram, hätte die Erfüllung nicht verstanden, sondern hätte darüber gelächelt wie über einen Traum der Jugend. Aber Abraham glaubte, daher war er jung; denn der, der immer das Beste hofft, er wird alt, vom Leben betrogen, und der, der immer vorbereitet ist auf das Schlimmste, er wird frühzeitig alt, aber der, der glaubt, er bewahrt eine ewige Jugend. Lob und Preis deshalb jener Erzählung!
Denn Sara, hochbetagt, war noch jung genug, um die Mutterlust zu begehren, und Abraham, stark ergraut, war noch jung genug dazu, daß er wünschte, Vater zu werden. In äußerer Hinsicht liegt das Wunderbare darin, daß solches nach ihrer Erwartung eintraf; im tieferen Sinne liegt das Wunder des Glaubens darin, daß Abraham und Sara noch jung genug dazu waren, sich solches zu wünschen, und daß der Glaube ihren Wunsch und damit ihre Jugend bewahrt hatte. Abraham empfing die Erfüllung der Verheißung, er empfing sie im Glauben, und dies geschah nach der Verheißung und gemäß dem Glauben; denn Moses schlug den Felsen mit seinem Stab [4. Mose 20, 11], aber er glaubte nicht. Da war Freude im Hause Abrahams, da machte Sara Hochzeit am Tage der Goldenen Hochzeit. Doch so sollte es nicht bleiben; noch einmal sollte Abraham versucht werden. Er hatte gekämpft mit jener klugen Macht, die alles erfindet, mit jenem wachsamen Feind, der niemals schlummert, mit jenem alten Manne, der alles überlebt, – er hatte gekämpft mit der Zeit und den Glauben bewahrt. Nun wurde alles Entsetzliche des Kampfes in einen Augenblick zusammengefaßt. «Und Gott versuchte Abraham und sagte zu ihm: Nimm lsaak, deinen einzigen Sohn, den du liebst, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn dort zu einem Brandopfer auf dem Berge, den ich dir zeigen will.» So war denn alles verloren, entsetzlicher, als wenn dies niemals geschehen wäre! So trieb der Herr bloß seinen Spott mit Abraham! Wundervoll hatte er das Unmögliche möglich gemacht, nun wollte er dies wieder zerstört sehen. Es war ja auch eine Torheit, aber Abraham lachte nicht darüber wie Sara, als sie die Verheißung empfing [1. Mose 18, 12]. Alles war verloren! Siebzig Jahre unerschütterliche Erwartung, die kurze Freude für die Erfüllung des Glaubens. Wer ist denn der, der dem Alten den Stab entreißt, wer ist der, der fordert, daß er ihn selbst zerbrechen soll! Wer ist der, der über eines Menschen graues Haar Trostlosigkeit bringt, wer ist der, der verlangt, daß er dies selbst tun solle! Besteht da kein Mitleid mit dem ehrwürdigen Greis, keins mit dem unschuldigen Kinde! Und doch war Abraham der Auserwählte Gottes, und es war der Herr, der die Prüfung auferlegte. Alles sollte nun verloren sein! Die herrliche Erinnerung des Menschengeschlechtes, die Verheißung auf Abrahams Samen, das war nur ein Einfall, ein flüchtiger Gedanke, den der Herr gehabt hatte, den Abraham nun auslöschen sollte. Jener herrliche Schatz [1. Mose 12,2], der ebenso alt war wie der Glaube in Abrahams Herz, viele, viele Jahre älter als Isaak, die Frucht von Abrahams Leben, geheiligt durch Gebete, gereift in Kämpfen, – der Segen auf Abrahams Lippen, diese Frucht sollte nun vorzeitig ausgerissen und bedeutungslos werden; denn welche Bedeutung hatte das, wenn Isaak geopfert werden sollte! Jene wehmütige, aber doch selige Stunde, da Abraham Abschied nehmen sollte von allem, was ihm lieb war, da er noch einmal sein ehrwürdiges Haupt erheben sollte, da sein Angesicht strahlen sollte wie das des Herrn, da er seine Seele ganz sammeln sollte zu einem Segen, der dazu mächtig wäre, Isaak für alle Tage gesegnet sein zu lassen, – diese Stunde sollte nicht kommen! Denn Abschied sollte Abraham wohl nehmen von Isaak, aber so, daß er selbst übrigbleiben sollte; der Tod sollte sie trennen, aber so, daß Isaak dessen Beute würde. Der alte Mann sollte nicht froh im Tode seine Hände segnend auf Isaak legen, sondern müde vom Leben sollte er gewaltsam Hand an Isaak legen. Und es war Gott, der ihn prüfte. Ja, wehe! Wehe dem Sendboten, der vor Abraham getreten wäre mit einer solchen Nachricht! Wer hätte es gewagt, der Überbringer dieser Trauerkunde zu sein. Aber es war Gott, der Abraham prüfte. Doch Abraham glaubte und glaubte für dieses Leben. Ja, hätte sein Glaube bloß für etwas Zukünftiges gegolten, dann hätte er wohl leichter alles wegwerfen können, um aus dieser Welt herauszueilen, der er nicht zugehörte. Aber Abrahams Glaube war nicht ein solcher, falls es einen solchen gibt; denn eigentlich ist dies kein Glauben, sondern die fernste Möglichkeit des Glaubens, die am äußersten Horizont ihren Gegenstand erahnt, doch getrennt davon durch eine abgründige Tiefe, in der die Verzweiflung ihr Spiel treibt. Aber Abraham glaubte gerade für dieses Leben, glaubte, daß er in diesem Lande alt werden sollte, geehrt vom Volk, gesegnet durch das Geschlecht, unvergeßlich in lsaak, sein Liebstes im Leben, den er mit einer Liebe umfaßte, für welche es nur ein ärmlicher Ausdruck war, daß er getreulich die Pflicht des Vaters erfüllte; den Sohn zu lieben, wie es ja auch in der Aufforderung mit anklingt: den Sohn, den du liebst.
Jakob hatte zwölf Söhne, und einen liebte er, Abraham hatte nur einen, den er liebte. Aber Abraham glaubte und zweifelte nicht, er glaubte das Widersinnige. Wenn Abraham gezweifelt hätte, – dann hätte er etwas anderes getan, etwas Großes und Herrliches; denn wie konnte Abraham etwas anderes vollbringen, als was groß und herrlich ist! Er wäre hinausgezogen zum Berge Morija, hätte das Brennholz klein gemacht, das Feuer angezündet, das Messer gezogen – er hätte zu Gott gerufen: «Verschmähe nicht dieses Opfer, es ist nicht das Beste, was ich habe, das weiß ich wohl; denn was ist ein alter Mann gegen das Kind der Verheißung, aber es ist das Beste, was ich dir geben kann. Laß es lsaak niemals zum Bewußtsein kommen, daß er sich trösten mag bei seiner Jugend.» Er hätte das Messer in seine eigene Brust gestoßen. Er wäre in der Welt bewundert worden, und sein Name wäre nicht vergessen worden; aber eines ist es, bewundert zu werden, ein anderes, ein Leitstern zu werden, der einen Geängstigten erlöst. Aber Abraham glaubte. Er bat nicht für sich, daß er vielleicht den Herrn bewege, das war nur, als die gerechte Strafe über Sodom und Gomorrha ausbrach, daß Abraham mit seinen Bitten hervortrat.
Wir lesen in jenen heiligen Schriften [1. Mose 22, 1]: «Und Gott versuchte Abraham und sprach: Abraham, Abraham, wo bist du? Und Abraham antwortete: Hier bin ich.» Du, an welchen sich meine Rede wendet, war es mit dir wohl ebenso der Fall? Wenn du von weit her die schweren Fügungen sich nähern sahst, sagtest du da nicht zu den Bergen, versteckt mich, zu den Höhen, fallt über mich [Hosea 10, 8]? Oder, wenn du stärker warst, bewegte sich nicht doch der Fuß langsam den Weg entlang, sehnte er sich nicht gleichsam zurück in die alten Spuren? Wenn nach dir gerufen wurde, hast du dann geantwortet, oder hast du nicht geantwortet, vielleicht leise, im Flüsterton? Nicht so Abraham; froh, unbefangen, zuversichtlich antwortete er laut: Hier bin ich. Wir lesen weiter [1. Mose 22, 3]: «Und Abraham stand früh am Morgen auf.» Wie zu einem Fest, so eilte er, und früh am Morgen war er auf der verabredeten Stelle, auf dem Berge Morija. Er sagte nichts zu Sara, nichts zu Elieser, wie hätten sie ihn auch verstehen können, hatte nicht die Versuchung durch ihr Wesen ihm das Versprechen der Verschwiegenheit abgenommen? «Er machte das Brennholz klein, er band lsaak, er entzündete das Feuer, er zog das Messer.» Mein Zuhörer! Es gab manchen Vater, der glaubte, in seinem Kind zu verlieren, was ihm das Liebste in der Welt war, indem er jeder Zukunftshoffnung glaubte beraubt zu sein; aber keines war doch wohl in dem Sinne Kind der Verheißung, wie es Isaak für Abraham war. Es gab manchen Vater, der sein Kind verlor, aber da war es ja Gott, der unwandelbare und unergründliche Wille des Allmächtigen, seine Hand nahm es. Nicht so mit Abraham. Ihm war eine schwerere Prüfung vorbehalten, und Isaaks Schicksal war mit dem Messer in Abrahams Hand gelegt. Und er stand da, der alte Mann mit seiner einzigen Hoffnung! Aber er zweifelte nicht, er schaute nicht ängstlich nach rechts oder links, er forderte den Himmel nicht heraus durch seine Gebete. Er wußte, es war Gott der Allmächtige, der ihn prüfte, er wußte, es war das schwerste Opfer, das von ihm gefordert werden konnte; aber er wußte auch, daß kein Opfer zu schwer war, wenn es Gott forderte – und er zog das Messer. Wer stärkte Abrahams Arm, wer hielt seine Rechte empor, daß sie nicht ohnmächtig niedersank! Derjenige, der darauf sieht, er wird gelähmt werden. Wer stärkte Abrahams Seele, daß es ihm nicht schwarz vor den Augen wurde und er dann weder Isaak noch den Widder sah! Derjenige, der darauf sieht, er wird blind werden. – Und doch ist derjenige vielleicht selten genug, der lahm und blind wird, noch seltener aber der, der würdig erzählt, was da geschah. Wir wissen es alle – es war nur eine Prüfung. Wenn Abraham, da er auf dem Berge Morija stand, gezweifelt hätte, wenn er ratlos um sich geschaut hätte, wenn er, bevor er das Messer zog, durch einen Zufall den Widder entdeckt hätte, wenn Gott ihm gestattet hätte, daß er diesen statt Isaak opfere, – dann wäre er heimgezogen, alles wäre wieder dasselbe gewesen, er hätte Sara gehabt, er hätte Isaak behalten, und doch wie verändert! Denn seine Heimkehr wäre eine Flucht, seine Erlösung ein Zufall, sein Lohn Beschämung, seine Zukunft vielleicht Verdammung gewesen. Dann hätte er weder Zeugnis gegeben von seinem Glauben noch von Gottes Gnade, sondern Zeugnis davon, wie entsetzlich es ist, auf den Berg Morija zu ziehen. Dann würde Abraham nicht vergessen sein, auch nicht der Berg Morija. Dieser würde dann nicht genannt werden wie der Ararat, wo die Arche landete [1. Mose 8, 4], sondern er würde genannt werden wie etwas Entsetzliches, weil es hier gewesen wäre, wo Abraham zweifelte.
Ehrwürdiger Vater Abraham! Als du heimzogest vom Berge Morija, da brauchtest du keine Lobrede, die dich hätte trösten können für das Verlorene; denn du hattest ja alles gewonnen und behieltest lsaak, war es nicht so? Der Herr nahm ihn nicht mehr von dir, sondern du saßest froh zu Tische mit ihm in deinem Zelt, wie du es im Jenseits in alle Ewigkeit tun wirst. Ehrwürdiger Vater Abraham! Jahrtausende sind seit jenen Tagen abgelaufen, aber du brauchst keinen späten Verehrer, der dein Andenken der Gewalt der Vergessenheit entreißen kann; denn jede Zunge erinnert sich deiner, – und doch belohnst du deinen Verehrer herrlicher als irgend jemand, du machst ihn im Jenseits selig in deinem Schoß, du fesselst hier sein Auge und sein Herz durch deine wunderbare Tat. Ehrwürdiger Vater Abraham! Des Geschlechtes zweiter Vater! Du, der du zuerst jene ungeheure Leidenschaft empfandest und von ihr zeugtest, welche den schrecklichen Kampf mit dem Rasen der Elemente und den Kräften der Schöpfung verschmäht, um mit Gott zu streiten, du, der du zuerst jene höchste Leidenschaft kanntest, diesen heiligen, reinen, demütigen Ausdruck für den göttlichen Wahnsinn, der von den Heiden bewundert wurde [Platon, Phaidros 256 b], – vergib dem, der zu deiner Ehre erzählen wollte, falls er das nicht recht gemacht hat.
Er erzählte demütig, wie es das Begehren seines Herzens war, er erzählte kurz, wie es sich ziemt, aber er wird nie vergessen, daß du hundert Jahre [1. Mose 21, 5] brauchtest, um einen Sohn des Alters wider Erwarten zu bekommen, daß du das Messer ziehen mußtest, bevor du lsaak behieltest, er wird nie vergessen, daß du in 130 Jahren nicht weiter gekommen bist als bis zum Glauben.
P R O B L E M A T A
VORLÄUFIGE EXPECTORATION
Ein altes Wort aus der Welt des Äußeren und Sichtbaren sagt: «Nur wer arbeitet, bekommt das Brot.» Sonderbarerweise paßt das Wort nicht auf die Welt, zu der es am ehesten gehört; denn die äußere Welt unterliegt dem Gesetz der Unvollkommenheit, und hier wiederholt es sich immer und immer wieder, daß auch derjenige, der nicht arbeitet, sein Brot bekommt, daß derjenige, der schläft, es reichlicher bekommt als derjenige, der arbeitet. In der äußeren Welt gehört alles demjenigen, der es gerade in Händen hat; da unterliegt man dem Gesetz der Gleichgültigkeit, und demjenigen, der den Ring besitzt, dem gehorcht der Geist des Ringes, entweder ist er ein Noureddin oder ein Aladin, und derjenige, der die Schätze der Welt hat, der hat sie, auf welche Weise er sie auch bekommen haben mag. In der Welt des Geistes ist das anders. Hier herrscht eine ewige göttliche Ordnung, hier regnet es nicht sowohl über die Gerechten wie über die Ungerechten [Matth. 5,45], hier scheint die Sonne nicht sowohl über die Guten als auch über die Bösen, hier gilt es, daß nur derjenige, der arbeitet, sein Brot bekommt, nur wer in Angst war, Ruhe findet, daß nur derjenige, der in die Unterwelt hinabsteigt, die Geliebte erlöst, nur wer das Messer zieht, Isaak bekommt. Derjenige, welcher nicht arbeiten will, bekommt sein Brot nicht, sondern er wird betrogen, wie die Götter Orpheus betrogen haben mit einer Lufterscheinung statt der Geliebten [Platon, Symposion 179 d]; sie betrogen ihn, weil er verwöhnt war, aber nicht mutig, weil er ein Zitherspieler war, aber kein Mann. Hier hilft es nicht, Abraham zum Vater [Matth. 3, 9] oder siebzehn Ahnen zu haben; auf denjenigen, der nicht arbeiten will, paßt das, was über Israels Jungfrauen geschrieben steht [Jes. 26, 18]: Er gebiert den Wind; aber derjenige, der arbeiten will, gebiert seinen eigenen Vater. Es gibt ein Wissen, das sich anmaßt, in die Welt des Geistes dasselbe Gesetz der Gleichgültigkeit einführen zu können, unter welchem bereits die äußere Welt seufzt. Dieses Wissen nimmt an, es genüge schon, das Große zu kennen, einer anderen Arbeit aber bedürfe es nicht. Doch dafür bekommt es kein Brot, es kommt um vor Hunger, während sich alles zu Gold verwandelt. Und was weiß es denn auch? Es gab viele Tausende im Zeitalter der Griechen, Unzählige in späteren Geschlechtern, die alle die Triumphe Miltiades kannten, aber es gab nur einen, der darüber schlaflos wurde [Plutarch, Themistokies 3, 3]. Es gab zahllose Geschlechter, die kannten die Erzählung über Abraham Wort für Wort auswendig, wie viele aber machte diese Erzählung schlaflos? Die Erzählung von Abraham hat nun die merkwürdige Eigenschaft, daß sie immer herrlich bleibt, wie dürftig man sie auch versteht; aber doch kommt es auch hier wieder darauf an, ob man arbeiten und beschwert sein will. Aber arbeiten will man nicht, und doch will man die Erzählung verstehen [Matth. 2,28]. Man redet zu Abrahams Ehre, aber wie? Man gibt dem Ganzen einen schlechthin gewöhnlichen Ausdruck: «Das war das Große, daß er Gott so liebte, daß er ihm das Beste opfern wollte.» Das ist sehr wahr; aber das <Beste> ist ein unbestimmter Ausdruck. Man identifiziert im Laufe der Gedanken und der Rede ganz ruhig Isaak und das Beste, und der Meditierende kann während der Meditation gut seine Pfeife rauchen, und der Hörende kann gut seine Beine gemächlich von sich strecken. Wenn jener reiche Jüngling [Matth. 19, 16], dem Christus auf seinem Wege begegnete, all sein Gut verkauft und es den Armen gegeben hätte, wir würden ihn dann preisen wie alles, was da groß ist, und ihn auch nicht verstehen, ohne zu arbeiten, aber er wäre doch kein Abraham geworden, ungeachtet dessen, daß er das Beste geopfert hätte. Was man aus der Geschichte Abrahams ausläßt, das ist die Angst; denn gegen Geld habe ich keine ethischen Verpflichtungen, aber gegen den Sohn hat der Vater die höchste und heiligste Verpflichtung. Doch Angst ist eine gefährliche Sache für Weichlinge, deshalb vergißt man die Angst, und trotzdem will man über Abraham erzählen.
Aber was machte Abraham? Er kam weder zu zeitig noch zu spät. Er bestieg den Esel, er ritt langsam den Weg dahin. Während der ganzen Zeit glaubte er; er glaubte, daß Gott nicht Isaak von ihm fordern wollte, während er doch willig war, ihn zu opfern, wenn es verlangt würde. Er glaubte kraft des Absurden; denn von menschlicher Berechnung konnte da nicht die Rede sein, und das war ja das Absurde, daß Gott, als er das von ihm forderte, im nächsten Augenblick die Forderung widerrufen sollte. Er bestieg den Berg, und noch in dem Augenblick, als das Messer blitzte, glaubte er – daß Gott lsaak nicht fordern werde. Er wurde dann wohl überrascht durch den Ausgang, aber er war durch eine Doppelbewegung wieder zu seinem ersten Zustand gelangt, und deshalb nahm er lsaak freudiger als das erstemal entgegen. Laßt uns weitergehen: Wir lassen lsaak wirklich geopfert werden. Abraham glaubte. Er glaubte nicht, daß er einmal im Jenseits selig werden sollte, sondern daß er hier in dieser Welt glückselig werden sollte. Gott konnte ihm
einen neuen Isaak geben, den geopferten ins Leben zurückrufen. Er glaubte kraft des Absurden; denn alle menschliche Berechnung hatte ja längst auf gehört. Daß Trauer einen Menschen wahnsinnig machen kann, das sieht man, und das ist hart genug; daß es eine Willenskraft gibt, die sich so bis aufs äußerste dem Wind entgegenbäumen kann, daß der Verstand erhalten bleibt, wenn auch dem Menschen ein wenig seltsam wird, das sieht man auch, und ich denke nicht daran, dies herabzusetzen, aber daß man seinen Verstand verlieren kann und damit die ganze Endlichkeit, deren Wechselmakler er ist, und dann kraft des Absurden gerade dieselbe Endlichkeit gewinnen kann, darüber ist meine Seele entsetzt, aber deshalb sage ich nicht, daß dies etwas Geringes sei, da es im Gegenteil das einzige Wunder ist. Man ist im allgemeinen der Ansicht, das, was der Glaube hervorbringt, sei kein Kunstwerk, es sei eine grobe und plumpe Arbeit, nur für die mehr klobigen Naturen geeignet; doch es ist ganz anders. Die Dialektik des Glaubens ist das Feinste und das Merkwürdigste von allem, sie hat einen Aufschwung, von dem ich mir wohl eine Vorstellung machen kann, aber mehr auch nicht. Ich kann den großen Trampolinsprung machen, durch den ich in die Unendlichkeit hinübergehe, mein Rücken wurde wie der eines Seiltänzers in meiner Kindheit verrenkt, deshalb fällt es mir leicht; ich kann im Dasein eins, zwei, drei auf dem Kopf gehen; aber das Nächste, das kann ich nicht; denn das Wunderbare kann ich nicht vollbringen, sondern nur darüber in Erstaunen geraten.
Ja, wenn Abraham in dem Augenblick als er sein Bein über des Esels Rücken schwang, zu sich selbst gesagt hätte: Nun ist lsaak verloren, ich könnte ihn ebensowohl hier zu Hause opfern, statt erst den langen Weg zum Morija zu machen, – dann benötigte ich Abraham nicht, während ich mich nun siebenmal vor seinem Namen und siebzigmal vor seiner Tat [Matth. 18, 21] verbeuge. Das hat er nämlich nicht getan, wie ich daher beweisen kann, daß er glücklich, recht innerlich glücklich war, lsaak zu empfangen, daß er keiner Vorbereitung bedurfte, keiner Zeit, sich auf die Endlichkeit und deren Freude zu sammeln. Wenn es sich mit Abraham nicht so verhielte, dann hätte er vielleicht Gott geliebt, aber nicht geglaubt; denn derjenige, der Gott ohne Glauben liebt, der reflektiert auf sich selbst, derjenige aber, der Gott glaubend liebt, der reflektiert auf Gott. Auf dieser Spitze steht Abraham. Das letzte Stadium, das er aus der Sicht verliert, ist die unendliche Resignation. Er geht wirklich weiter und kommt zum Glauben; denn alle diese Zerrbilder des Glaubens, die jämmerlich laue Trägheit, die denkt, es hat wohl keine Not, es ist nicht wert, vor der Zeit zu trauern; diese erbärmliche Hoffnung, die spricht: man kann nicht wissen, was geschehen wird, es wäre doch möglich, – diese Zerrbilder gehören in die Jämmerlichkeit des Lebens, und sie sind bereits von der unendlichen Resignation unendlich verachtet worden. Ich kann Abraham nicht verstehen, ich kann in einem gewissen Sinne nichts von ihm lernen, außer in Erstaunen zu geraten. Wenn man sich einbildet, dadurch, daß man den Ausgang jener Geschichte bedenkt, sollte man sich bewegen lassen zu glauben, so betrügt man sich selbst und will Gott um die erste Bewegung des Glaubens betrügen; man will Lebensweisheit aus dem Paradox saugen. Vielleicht glückt es dem einen oder anderen; denn unsere Zeit bleibt nicht beim Glauben stehen, nicht bei seinem Wunder, Wasser zu Wein zu machen [Joh. 2, 1-10], sie geht weiter,
sie macht Wein zu Wasser.
Wäre es nicht doch das Beste, beim Glauben stehenzubleiben, und ist es nicht empörend, daß jeder weitergehen will? Wenn man in unserer Zeit, und das wird ja auf verschiedene Weise verkündet, nicht bei der Liebe stehenbleiben will, wo kommt man dann hin? Zu irdischer Scharfsinnigkeit und kleinlicher Berechnung, zu Erbärmlichkeit und Elend, zu all dem, was die göttliche Herkunft des Menschen zweifelhaft machen kann. Wäre es nicht das Beste, daß man beim Glauben stehenbliebe und daß derjenige, der steht, zusähe, daß er nicht falle [1. Kor. 10, 12]; denn die Bewegung des Glaubens muß beständig kraft des Absurden vollzogen werden, doch wohlbemerkt
so, daß man die Endlichkeit nicht verliert, sondern sie ganz und gar gewinnt.
Was mich betrifft, so kann ich wohl die Bewegungen des Glaubens beschreiben, aber ich kann sie nicht vollziehen. Wenn man lernen will, Schwimmbewegungen zu machen, dann kann man sich im Schwimmgürtel unter die Decke hängen lassen, man beschreibt wohl die Bewegungen, aber man schwimmt nicht; so kann ich die Bewegungen des Glaubens beschreiben, aber wenn ich ins Wasser geworfen werde, dann schwimme ich wohl (denn ich gehöre nicht zu den Watenden), aber ich mache andere Bewegungen, ich mache die Bewegungen der Unendlichkeit, während der Glaube das Entgegengesetzte tut, er macht, nachdem er die Bewegungen der Unendlichkeit vollzogen hat, die der Endlichkeit. Wohl dem, der diese Bewegungen vollbringen kann, er tut das Wunderbare, und ich werde nie müde werden, ihn zu bewundern; ob das Abraham ist oder der Knecht in Abrahams Hause, ob das ein Professor der Philosophie oder ein armes Dienstmädchen ist, ist mir absolut gleichgültig, ich sehe nur auf die Bewegungen. Aber auf diese sehe ich auch und lasse mich nicht narren, weder von mir selbst noch von irgendeinem Menschen. Die Ritter der unendlichen Resignation erkennt man leicht, ihr Gang ist schwebend, keck. Diejenigen dagegen, die des Glaubens Kleinod tragen, enttäuschen leicht, weil ihr Äußeres eine auffallende Ähnlichkeit mit dem hat, was sowohl die unendliche Resignation als auch der Glaube tief verachtet, – mit der Spießbürgerlichkeit. Ich gestehe aufrichtig, ich habe in meiner Praxis kein zuverlässiges Beispiel gefunden, ohne daß ich dabei in Abrede stellen will, daß vielleicht jeder zweite Mensch ein solches Beispiel ist. Indessen habe ich doch viele Jahre hindurch dem vergeblich nachgespürt. Man reist im allgemeinen in der Welt umher, um Flüsse und Berge zu sehen, neue Sterne, bunte Vögel, abnorme Fische, lächerliche Menschenarten, man gibt sich dem tierischen Stupor hin, der auf das Dasein glotzt, und man meint, etwas gesehen zu haben. So etwas beschäftigt mich nicht. Wüßte ich dagegen, wo ein solcher Ritter des Glaubens lebt, dann würde ich zu Fuß zu ihm wandern; denn dieses Wunder beschäftigt mich absolut. Ich würde ihn keinen Augenblick aus den Augen verlieren, würde jede Minute aufpassen, wie er sich in seinen Bewegungen offenbart; ich würde mich selbst als versorgt fürs Leben betrachten und meine Zeit darin einteilen, auf ihn zu schauen und mich selbst zu üben, und so würde ich all meine Zeit darauf verwenden, ihn zu bewundern. Wie gesagt, ich habe einen solchen noch nicht gefunden, jedoch kann ich ihn mir wohl denken. Hier sei er. Die Bekanntschaft wird geschlossen, ich werde ihm vorgestellt. In dem Moment, da ich ihn erstmals in Augenschein nehme, werfe ich ihn im selben Nu von mir, mache selbst einen Sprung zurück, schlage die Hände zusammen und sage halblaut: «Herrgott, ist das der Mensch, ist er das wirklich? Er sieht ja aus wie ein Steuerkassierer.» Indessen, er ist es doch. Ich schließe mich ihm etwas näher an, achte auf die kleinste Bewegung, ob sich da nicht eine kleine uneinheitliche Spiegeltelegraphie aus dem Unendlichen zeigen sollte, ein Blick, eine Miene, eine Geste, eine Wehmut, ein Lächeln, die das Unendliche in seiner Ungleichartigkeit mit dem Endlichen verraten. Nein! Ich prüfe seine Erscheinung von Kopf bis Fuß, ob da nicht ein Riß sei, durch welchen das Unendliche hervortritt. Nein! Er ist durch und durch solide. Seine Grundlage? Sie ist kräftig, gehört ganz der Endlichkeit an, kein geputzter Bürgersmann, der am Sonntagnachmittag nach Frederiksberg hinausgeht, tritt gründlicher auf die Erde, er gehört ganz der Welt an, kein Spießbürger kann ihr mehr angehören. Nichts ist zu entdecken von jenem fremden und vornehmen Wesen, woran man die Ritter der Unendlichkeit erkennt.
Er freut sich an allem, nimmt an allem teil, und jedesmal, wenn man ihn am einzelnen teilnehmen sieht, tut er das mit einer Ausdauer, die den irdischen Menschen bezeichnet, dessen Seele fest an solchem hängt. Er geht seiner Arbeit nach. Wenn man ihn dann sieht, sollte man glauben, er wäre ein Schreiber, der seine Seele an die italienische Buchführung verloren hat, so pünktlich ist er. Er feiert am Sonntag. Er geht in die Kirche. Kein himmlischer Blick oder irgendein Zeichen des Inkommensurablen verrät ihn; wenn man ihn nicht kennen würde, wäre es unmöglich, ihn von der übrigen Menge zu unterscheiden; denn sein gesunder kräftiger Psalmengesang beweist höchstens, daß er eine gute Lunge hat. Am Nachmittag geht er in den Wald. Er freut sich über alles, was er sieht, über das Menschengewimmel, über die neuen Omnibusse, über den Sund, – wenn man ihm auf dem Strandweg begegnet, sollte man glauben, er wäre eine Krämerseele, die sich einmal losgerissen hat, genau so freut er sich; denn er ist kein Dichter, und vergebens habe ich versucht, ihm die poetische Inkommensurabilität abzulauschen. Gegen Abend geht er nach Hause, sein Gang ist unverdrossen wie der eines Postboten. Unterwegs denkt er daran, daß seine Frau sicher ein apartes, kleines Gericht warmen Essens für ihn hat, wenn er heimkommt, z. B. einen gebratenen Lammskopf mit Gemüse dazu. Träfe er einen Gleichgesinnten, dann könnte er gleich bis Österport unaufhörlich mit ihm über diese Speise reden mit einer Leidenschaft, die einem Restaurateur gut anstünde. Zufälligerweise besitzt er keine vier Schillinge, und doch glaubt er voll und ganz, daß seine Frau jenes leckere Gericht für ihn hat. Hat sie es, dann soll das ein beneidenswerter Anblick für die vornehmen Leute, ein begeisternder für den kleinen Mann sein, ihn essen zu sehen; denn sein Appetit ist stärker als der des Esau. Hält seine Frau das Gericht nicht bereit, dann ist er – sonderbar genug – völlig derselbe. Auf dem Weg kommt er an einem Bauplatz vorbei, er trifft einen anderen Mann. Sie reden einen Augenblick zusammen, er führt im Nu ein Gebäude auf, er verfügt über alle Kräfte dazu. Der Fremde verläßt ihn mit dem Gedanken: das war gewiß ein Kapitalist, während mein bewunderter Ritter denkt: ja, käme es darauf an, könnte ich es leicht bekommen. Er liegt in einem offenen Fenster und betrachtet den Platz, an dem er wohnt, alles, was da vor sich geht, wie eine Ratte unter ein Rinnsteinbrett schlüpft, wie die Kinder spielen, alles beschäftigt ihn mit einer Ruhe im Dasein, als wäre er ein Mädchen von sechzehn Jahren. Und doch ist er kein Genie; denn die Inkommensurabilität des Genies habe ich vergebens bei ihm auszuspionieren versucht. Er raucht seine Pfeife in der Abendstunde; wenn man ihn so sieht, möchte man darauf schwören, er sei der Speckhöker von gegenüber, der in der Dämmerung dahinlebt. Er läßt fünf gerade sein mit einer Sorglosigkeit, als wäre er ein leichtsinniger Taugenichts, und doch kauft er jeden Augenblick, den er lebt, die ihm günstige Zeit zum teuersten Preis; denn er vollzieht auch nicht das Geringste ohne die Kraft des Absurden. Und doch, doch, ja, ich könnte rasend darüber werden – wenn nicht aus einem anderen Grunde, dann vor Neid -, doch hat dieser Mensch die Bewegung der Unendlichkeit gemacht und macht sie jeden Augenblick. Er entleert des Daseins tiefe Wehmut in die unendliche Resignation, er kennt die Seligkeit des Unendlichen, er hat den Schmerz empfunden, allem zu entsagen, dem Liebsten, was man auf der Welt hat, und doch schmeckt ihm die Endlichkeit ebensogut wie dem, der nie etwas Höheres kannte, denn sein Verbleiben in der Endlichkeit zeigte keine Spur von verzagter, ängstlicher Dressur, und doch besitzt er jene Sicherheit, sich daran zu erfreuen, als wäre sie das Gewisseste von allem. Und doch, doch ist die ganze irdische Erscheinung, die er abgibt, eine Neuschöpfung kraft des Absurden. Er verzichtete in unendlicher Resignation auf alles, und doch ergriff er wieder alles kraft des Absurden. Er macht ständig die Bewegung der Unendlichkeit, aber er macht sie mit einer solchen Korrektheit und Sicherheit, daß er ständig die Endlichkeit dabei herausbekommt, und es gibt keine Sekunde, wo man etwas anderes ahnt. Für einen Tänzer wäre es die schwierigste Aufgabe, sich in eine bestimmte Stellung einzuspringen, und zwar so, daß er keine Sekunde erst nach der Stellung greifen muß, sondern mit dem Sprunge selbst die Stellung innehat. Vielleicht bekommt das kein Tänzer fertig, – jener Ritter macht es. Die Menge der Menschen lebt verloren in weltlicher Trauer und Freude, dies sind die Sitzengebliebenen, die im Tanze nicht mehr mitkamen. Die Ritter der Unendlichkeit sind Tänzer und haben Elevation. Sie machen die Bewegung nach oben und fallen wieder nieder, und auch dies ist kein unseliger Zeitvertreib, und es ist sehr schön, dem zuzusehen. Aber jedesmal, wenn sie niederfallen, können sie nicht sofort die Stellung einnehmen, sie schwanken einen Augenblick, und dieses Schwanken beweist, daß sie doch Fremdlinge in der Welt sind. Dieses Schwanken ist mehr oder weniger auffallend, je nachdem, wie sie die Kunst beherrschen, aber selbst die kunstfertigsten der Ritter können doch dieses Wackeln nicht verbergen. Man braucht sie nicht in der Luft zu sehen, man braucht sie bloß in dem Augenblick zu sehen, da sie den Boden berühren und berührt haben, – und man erkennt sie.
Aber so niederfallen, daß es in derselben Sekunde aussieht, als stünde und ginge man,
den Sprung im Leben zu einem Gang verwandeln, absolut das Sublime im Pedestren
ausdrücken, – das kann nur jener Ritter, – und dies ist das einzige Wunder.