#ErichMühsam
6.4.1878 – 10.7.1934
„SICH FÜGEN HEISST LÜGEN.“
In der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934 wurde Erich Mühsam von den Faschisten erschlagen. Als „Selbstmord“ wurde sein Tod im nationalsozialistischen Deutschland ausgegeben und von den Nazis gefeiert: Doch ermordet wurde der Schriftsteller Erich Mühsam in der Nacht zum 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg von der SS. Der gewaltsame Tod des Anarchisten, der für die Lebensprinzipien Verantwortung, Verständigung und Herrschaftslosigkeit einstand, erregte international grosses Aufsehen und lenkte ebenso früh wie folgenlos
den Blick auf den Terror der Nazis.
Furchtbar zugerichtet, zu Tode geprügelt und dann aufgehängt, so beschreibt ein
Mithäftling in seinen Erinnerungen den Leichnam des 56-jährigen Dichters.
Noch nach der NS-Machtübernahme 1933 verspottete Mühsam Hitler als „Herrn der Heerscharen alias Herrn der Haarscheren“. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er verhaftet. Es folgten fast 17 Monate schwere Misshandlungen in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Die Folterer im KZ Oranienburg forderten Mühsam mehrfach auf, sich selbst zu erhängen. Er weigerte sich. Darauf brachte ihn schliesslich eine bayerische SS-Einheit um.
Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller rief im französischen Exil zu einer Gedenkfeier auf. Anna Seghers, Egon Erwin Kisch und Augustin Souchy waren unter den Rednern,
Proteste deutscher und ausländischer Schriftsteller wurden verlesen.
Der Künstler George Grosz setzte Mühsam mit Aquarellen ein Denkmal, die er unter
dem Eindruck der Todesnachricht geschaffen hat.
Gedenken an Zenzl und Erich Mühsam, 10. Juli 2020 auf dem Waldfriedhof Berlin-Dahlem
Wie jedes Jahr treffen sich Freund*innen Erich Mühsams am 10. Juli zwischen ca. 15 und
18 Uhr auf dem Waldfriedhof Dahlem an Zenzls und seinem Grab. Es ist ein informelles
Gedenken mit Picknick, Musik, Lesung von Mühsamtexten, Gesprächen – ohne Programm, ohne Service.
„Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt, mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt.
Doch ob sie mich erschlügen:
Sich fügen heißt lügen!“
ERICH MÜHSAM – MEINE SEELE IST SO FREMD (In Memoriam E.Mühsam)
ERICH MÜHSAM – KRIEGSLIED
Erich Mühsam: „Tagebücher“Anarchismus als Lebenskultur
Erich Mühsam Tagebücher
Erich Mühsam „Sich fügen heißt lügen“
Erich Mühsam Der Anarchist aus Lübeck
Erich Kurt Mühsam
Eine „Lange Nacht“ über Erich Mühsam Liebe und Anarchie
Liebe und Triebe
Es stand ein Mann am Siegestor,
der an ein Weib sein Herz verlor.
Schaut sich nach ihr die Augen aus,
in Händen einen Blumenstrauß.
Zwar ist dies nichts Besonderes.
Ich aber ich bewunder es.
(Erich Mühsam: Es stand ein Mann am Siegestor … In: War einmal ein Revoluzzer.
Bänkellieder und Gedichte. Hg. Helga Bemmann , Reinbeck 1978)
Anarchie und Kapitalismuskritik
Anarchie
“ Anarchie ist Freiheit von Zwang, Gewalt, Knechtung, Gesetz, Zentralisation, Staat.
Die anarchistische Gesellschaft setzt an deren Stelle: Freiwilligkeit, Verständigung, Vertrag, Konvention, Bündnis, Volk.
Aber die Menschen verlangen nach Herrschaft, weil sie in sich selbst keine Beherrschtheit haben. Sie küssen die Talare der Priester und die Stiefel der Fürsten, weil sie keine Selbstachtung haben und ihren Verehrungssinn nach außen produzieren müssen.
Sie schreien nach Polizei, weil sie allein sich nicht schützen können gegen die Bestialität
ihrer Instinkte. Wo ihr Zusammenleben gemeinsame Entschlüsse verlangt, da lassen sie
sich vertreten (die deutsche Sprache ist sehr feinfühlig), weil sie den eigenen Entschlüssen zu trauen nicht dem Mut haben. “
(Erich Mühsam: Anarchie. In: Wir geben nicht auf!
Texte und Gedichte Hg.: Günther Gerstenberg, München 2002)
“ Die Räterepublik baut sich von unten nach oben auf. Drehpunkte sind die Orts-
und Betriebsräte. Sie sind nichts als Sprecher und an die Beschlüsse der Basis gebunden.
An Stelle von Staat und Kapital tritt die Selbstverwaltung der Menschen.
An die Stelle zentralistischer Organisationen tritt die freie Föderation. “
(Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat, Berlin 1974)
Der Gefangene
Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt,
mich fremdem Zwang zu fügen.
Doch ob sie mich erschlügen:
Sich fügen heißt lügen!
Ich soll? Ich muss? – Doch will ich nicht
nach jener Herrn Vergnügen.
Ich tu nicht, was ein Fronvogt spricht.
Rebellen kennen bessre Pflicht,
als sich ins Joch zu fügen.
Sich Fügen heißt lügen.
…
Doch bricht die Kette einst entzwei,
darf ich in vollen Zügen
die Sonne atmen – Tyrannei!
Dann ruf ich’s in das Volk: Sei frei!
Verlern es, dich zu fügen!
Sich fügen!
(Erich Mühsam: An die Soldaten. In: Ders.: Sammlung 1898 bis 1928, Berlin 1978)